Von der Redaktion
„Wie viele Divisionen hat der Papst?“, fragte der sowjetische Diktator Stalin verächtlich bei der Konferenz von Jalta (1945), um dessen vermeintliche Machtlosigkeit bloßzustellen. Aber entgegen der Auffassung von Stalin kommt die Macht nicht nur aus den Gewehrläufen und den Spitzeln der Geheimpolizei. Der einst unbesiegbar scheinende Kommunismus im Osten Europas ist untergegangen. Daran hat nach Meinung vieler Beobachter ausgerechnet der Papst aus Polen entscheidenden Anteil gehabt – ohne Divisionen, nur durch seine Unbeugsamkeit und seine Gestalt.
Der Vatikan muß keine Militärmacht sein, um Einfluß auf das politische Geschehen auszuüben. Wohin wird das Interesse der römischen Kirche an einer Lösung des Nahostkonfliktes führen? Von vielen kaum beachtet, äußerte sich Papst Johannes Paul II. am 23. Juli 2000 zur religiösen Bedeutung Jerusalems. Von seiner Sommerresidenz in Castel Gandolfo aus rief er die Kontrahenten im Nahen Osten auf, „die Wichtigkeit der geistlichen Dimension der Stadt Jerusalem nicht zu übersehen“. Der Papst fügte hinzu: „Der Heilige Stuhl vertritt nach wie vor den Standpunkt, daß nur ein besonderer, durch internationale Garantien gesicherter Status die heiligsten Stätten in der Heiligen Stadt wirksam bewahren und Glaubens- und Anbetungsfreiheit für alle Gläubigen, die in der dortigen Region und überall auf der Welt Jerusalem als Scheideweg des Friedens und der Koexistenz sehen, gewährleisten kann“ (L'Osservatore Romano, 26. Juli 2000).
Damals stellten wir die Frage: Wird der Vatikan seine Dienste als Vermittler für den Frieden in Jerusalem anbieten? Im letzten Jahr fand ein bemerkenswerter – und wieder nur wenig beachteter – Austausch zwischen dem Vatikan und Palästinenserpräsident Jassir Arafat statt. Nach den Terroranschlägen vom September hatte Arafat am 23. Oktober in einem Brief an den Papst eine „Friedensplattform“ für den Nahen Osten angeregt. Sie sollte nach Arafats Vorstellungen unter der Regie des Vatikans – ohne die Amerikaner – stattfinden. Zur Freude Arafats wiederholte Johannes Paul II. seinen Aufruf vom Sommer 2000, Jerusalem solle nicht länger Hauptstadt des jüdischen Staates sein, sondern einen internationalen Status bekommen. Damit würde der freie Zugang aller Menschen zu den heiligen Stätten der Stadt garantiert.
Bemerkenswert war auch der ungewöhnlich scharfe Protest des Vatikans gegen das Besuchsverbot Israels für Arafat bei der Weihnachtsmesse in Ramallah.
Das Agieren des Vatikans in Sachen Nahost geht im neuen Jahr weiter. Anläßlich eines Empfangs am 18. Februar in der italienischen Botschaft beim Vatikan bestand der Kirchenstaat auf einer „zwei Staaten“-Lösung für den anhaltenden Konflikt in der Region. „Wir drängten die italienische Regierung, alle notwendigen Schritte für den Frieden im Heiligen Land zu unternehmen“, so Kardinal Angelo Sodano, Außenminister des Vatikans. „Ohne den Einsatz der internationalen Gemeinschaft wird eine Annäherung der beiden Kontrahenten schwer sein“ (AFP). Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi nahm an dem Empfang teil.
Wer hätte vor 57 Jahren bei der Jalta-Konferenz gedacht, daß Jerusalem eine weit über seine Größe hinausgehende geopolitische Bedeutung haben wird? Wir sagen einen noch größeren Einfluß des divisionslosen Vatikans in dieser Stadt voraus, als ihn der jetzige Papst im Osten Europas hatte.