Wann besuchst du deine Großeltern wieder? Weißt du, wie gut dir ein Besuch tun kann?
Von Becky Sweat
Als die 16jährige Saskia ihren Großeltern beim Aufräumen Hilfe anbot, hätte sie sich nie träumen lassen, wieviel Spaß es machen würde, auf dem Dachboden durch alte Koffer und staubige Kartons zu stöbern.
In einer großen Truhe entdeckte sie einige alte Photoalben, die ihre Großeltern seit ihrer eigenen Jugendzeit gesammelt hatten. Besonders ein Photo weckte Saskias Neugierde. Es zeigte ihren Großvater als jungen, braungebrannten Mann auf einem Pferd. Ihre Großmutter war als junges Mädchen in einem Ballettanzug zu sehen. Saskia fragte ihren Großvater, wann und wo die Photos aufgenommen worden waren.
„Ich war überrascht, wie wenig ich über meine Großeltern wußte“, sagte sie. „Erst als ich meinen Opa danach fragte, erfuhr ich zum ersten Mal von seinen Reitstunden als Teenager und dem Ballettunterricht meiner Oma.“
Seit diesem Tag fühlt Saskia sich ihren Großeltern viel näher. „Ich habe erkannt, daß meine Großeltern nicht nur viele Geschichten zu erzählen haben, sondern daß wir in vielen Dingen auch sehr ähnlich denken.“ Saskia gehört zu den Glücklichen, die eine gute Beziehung zu ihren Großeltern aufbauen konnten. Für viele junge Menschen ist es oft nicht leicht, ein enges Verhältnis zum Opa bzw. zur Oma zu haben.
Eine Brücke zwischen den Generationen bauen
„Der Generationskonflikt wird in dieser Zeit größer“, sagt Dr. Helen Kivnick, Professorin für Sozialarbeit an der Universität von Minnesota. „Statt Großeltern als Menschen zu sehen, die ihre eigenen besonderen Erfahrungen gemacht haben, sehen Teenager sie oft nur als die Eltern ihrer eigenen Eltern.“
Es ist auch nicht immer leicht, Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Generationen zu entdecken. So beklagt sich Tim: „Meine Oma hat nicht die geringste Ahnung von der Musik oder den Kinofilmen, für die ich mich interessiere. Ich weiß gar nicht, worüber ich mich mit ihr unterhalten soll.“
Den Großeltern geht es vielleicht ebenso. „Als meine Enkelkinder noch jünger waren, brauchte ich sie nur auf meinen Schoß zu setzen und ihnen eine Geschichte zu erzählen, um sie glücklich zu machen“, erinnert sich eine Oma von vier Teenagern. „Wenn meine Enkelkinder heute von Musikern erzählen, von denen ich noch nie gehört habe, frage ich mich manchmal, wie ich noch in ihr Leben passe.“
Auch andere Hindernisse können einer engen Beziehung zwischen Großeltern und Enkelkindern im Wege stehen. Eine schwierige Situation ist z. B. eine schwere Erkrankung eines Großelternteils.
„Wenn Enkelkinder ihre Großeltern im Krankenhaus besuchen, sind sie nicht selten sehr erschrocken, sie so krank zu erleben“, sagt Dr. Kivnick. „Oft wissen sie nicht, wie sie reagieren sollen. Oder sie fühlen sich einfach nur zu hilflos und machtlos, um helfen zu können.“
Entfernung ist ebenso eine häufige Hürde. Familien leben heute nicht mehr so nah beieinander, weil die Mobilität zum Arbeitsplatz es erfordert oder Eltern sich scheiden lassen und mit den Kindern den Wohnort wechseln.
Nachdem sich ihre Eltern scheiden ließen, zog Sophie mit ihrem Bruder und ihrer Mutter in ein anderes Bundesland. „Die Eltern meines Vaters haben mit uns in derselben Stadt gewohnt, bevor sich meine Eltern scheiden ließen“, erklärt Sophie. „Seit wir vor einem Jahr weggezogen sind, konnte ich meine Großeltern nur einmal besuchen und das auch nur für zwei Tage, weil ich wieder zur Schule mußte.“
Der Wert der Großeltern
Obwohl es für Jugendliche nicht immer leicht ist, eine enge Beziehung zu den Großeltern aufrechtzuerhalten, gibt es Vorteile, wenn man sich darum bemüht. Ein wichtiger Vorteil für junge Leute ist die emotionale Unterstützung, die sie von ihren Großeltern erhalten können.
„Eltern sind für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich und können das Benehmen ihrer Söhne und Töchter nicht immer unterstützen“, sagt Dr. Nancy Schlossberg, Professorin an der Universität Maryland. „Auf der anderen Seite können Großeltern einem Teenager, der durch emotionale Hochs und Tiefs geht, Stabilität geben und als neutrale Gesprächspartner dienen.“
Da Großeltern eine lebende Familiengeschichte sind, können sie ihren Enkelkindern helfen, ihre Eltern und den Familienhintergrund besser zu verstehen. „Wenn ich mich mit meiner Oma darüber unterhalte, wie mein Vater als Teenager gewesen ist, verstehe ich besser, warum mein Vater auf bestimmte Dinge, die ich tue, besonders reagiert“, meint der 15jährige Sebastian.
Marie fügt hinzu: „Wenn ich meinem Opa zuhöre, wie es gewesen ist, als Nachkriegskind aufzuwachsen, gewinne ich ein besseres Verständnis dafür, was meine Großeltern für die nachfolgenden Generationen geleistet haben.“
Man kann in den Gesprächen mit den Großeltern nicht nur viel über den Familienhintergrund erfahren, sondern durch sie wird die Familiengeschichte auch lebendig. „Großeltern repräsentieren eine Welt, von der Teenager sehr wenig wissen“, sagt Dr. Kivnick. „Sie bieten ihren Enkelkindern die Gelegenheit, aus erster Hand eine Verbindung zu einer Zeit aufzubauen, die ihnen sonst völlig fremd bleiben würde.“
Großeltern können darüber berichten, wie es war, als es noch keinen Farbfernseher in jedem Haushalt gab, und wie die Heimatstadt früher aussah, als die großen Einkaufszentren noch nicht gebaut worden waren.
Ein enges Verhältnis zum Opa oder zur Oma kann einem auch ein realistisches Bild von der älteren Generation vermitteln. „Nicht alle Großeltern haben weiße Haare und laufen gebückt an einem Stock“, betont Dr. Schlossberg.
„Es gibt viele Großeltern, die noch relativ jung sind. Sie arbeiten und haben ein aktives Leben. Die Beziehung zu den Großeltern gibt Teenagern einen Eindruck vom Alterungsprozeß. Sie können erleben, daß das Leben nicht zu Ende ist, bevor der letzte Atemzug nicht getan worden ist.“
Junge Menschen können auch von kranken Großeltern lernen. „Wenn man Zeit mit jemandem verbringt, der sehr krank ist oder stirbt, lernt man Mitgefühl und echte Anteilnahme zu entwickeln, auch wenn die Situation nicht immer so angenehm ist“, erklärt Dr. Kivnick. „Einen kranken Opa in den Monaten oder Wochen vor seinem Tod zu begleiten, ist nicht nur ein wichtiges Erlebnis, sondern spendet ihm auch sehr viel Trost. Ein Teenager kann durch die Besuche am Krankenbett einen wertvollen Beitrag leisten.“
In vielen Fällen ist es gar nicht nötig, sich in Gegenwart eines erkrankten Großelternteils zu verstellen. Am besten ist es, sich so wie immer zu verhalten. Großeltern interessieren sich für das Enkelkind als Person, wie es denkt und fühlt, was es bewegt. Du kannst deinen Großeltern große Freude bereiten, wenn du sie an deinem Leben teilhaben läßt, besonders dann, wenn sie krank und nicht mehr so mobil sind.
Das Band stärken
Es kann zwar Schwierigkeiten geben, die das Band zwischen Großeltern und ihren Enkelkindern schwächen können, sie müssen es aber nicht zerstören. Es ist wichtig, daß sich junge Menschen auf ihre Beziehung zu den Großeltern konzentrieren und darauf, wer sie sind, statt nur darüber nachzudenken, daß Oma und Opa zu einer älteren Generation gehören. Bestimmte Gefühle und Probleme werden von allen Menschen egal welchen Alters geteilt.
„Auch wenn es große Unterschiede gibt, wie Teenager und Großeltern über Musikgeschmack, Falten, Haarfarbe, Mode usw. denken, gibt es doch viele Gemeinsamkeiten“, sagt Dr. Schlossberg. „Bestimmte Gefühle, Hoffnungen und Träume, Enttäuschungen und Ängste, Beziehungsprobleme und Identitätskrisen usw. sind generationsübergreifend und haben nichts mit dem Alter zu tun.“
Eine Identitätskrise macht z. B. vor keinem Menschen halt. Der Großvater könnte gerade in Rente geschickt worden sein und muß sich jetzt in der neuen Situation zurechtfinden. Er versucht, erneut herauszufinden, wer er ist und was er mit dem Rest seines Lebens anfangen wird. Sein 16jähriger Enkelsohn geht vielleicht durch die gleiche Situation, weil er sich entscheiden muß, was er nach dem Realschulabschluß machen möchte.
Auch wenn es 40 Jahre her ist, seit die Großeltern Teenager waren, sollten junge Menschen nicht denken, daß sich ihre Großeltern nicht mehr daran erinnern können, wie es ist, jung zu sein. Man darf nicht denken, sie könnten nicht nachempfinden, was ihre Enkelkinder heute durchmachen. Frage deine Großeltern einmal danach, wie es war, als sie sich kennenlernten, und was sie damals gedacht haben. Fanden sie es auch so schwer, ihre Eltern zu verstehen? Wie sind sie aufgewachsen? Welche Erlebnisse haben sie gehabt?
„Junge Menschen sind häufig überrascht, wenn sie entdecken, daß ihre Großeltern sich als Teenager über die gleichen Probleme Sorgen gemacht haben wie ihre Enkelkinder heute“, sagt Dr. Schlossberg.
Den Kontakt nicht abreißen lassen
Wenn die eigenen Großeltern weit entfernt leben, ist es wichtig, daß Enkelkinder den Kontakt zu ihnen nicht abreißen lassen. Es braucht nicht viel, um gelegentlich einen Brief zu schreiben, Photos zu schicken oder einfach anzurufen. Man muß nicht so lange warten, bis man über eine große neue Nachricht berichten kann, um sich bei ihnen zu melden. Es macht die Großeltern sehr glücklich, wenn sich auch die Enkelkinder bemühen, sie gelegentlich anzurufen. Es zeigt ihnen, daß man an sie denkt.
Wenn eine Scheidung eine Familie auseinander gerissen hat, sollten Enkelkinder nicht vergessen, daß sie bzw. die Großeltern nicht der Grund dafür sind. Es sind die Eltern, die sich scheiden ließen. Gerade wenn Enkelkinder schon im Teenageralter sind, können sie daran arbeiten, die enge Beziehung zum Opa und zur Oma aufrechtzuerhalten, die es vor der Scheidung gegeben hat. Wenn man den eigenen Eltern erzählt, wie wichtig einem die Großeltern sind, werden sie das Bedürfnis nach einem regelmäßigen Kontakt verstehen.
Wie Saskia am Anfang unseres Artikels, denkst du vielleicht, daß du alles über deine Großeltern weißt. Doch wenn du einmal genau darüber nachdenkst, weißt du, wann und wo sie geboren wurden? Wo haben sie während ihrer Jugendzeit gelebt? Wo sind sie zur Schule gegangen? Was haben sie gelernt?
Wenn du diese Fragen nicht mit Sicherheit beantworten kannst, ist es gut möglich, daß du deine Großeltern nicht so gut kennst, wie du gedacht hast.
Die Beziehung von Enkelkindern zu ihren Großeltern ist einzigartig und wird sich im späteren Leben nicht wiederholen. Es lohnt sich also wirklich, wenn junge Menschen regelmäßig mit der Oma oder dem Opa sprechen.
Gib deinen Großeltern die Gelegenheit, über ihr Leben nachzusinnen, und höre ihnen gut zu. Dein eigenes Leben wird dadurch reicher werden.