Bei allen Freundschaften gibt es Höhen und Tiefen. Wie kann man die Tiefen meistern, damit die Freundschaft keinen bleibenden Schaden erfährt?
Von Becky Sweat
Nicole hat seit fast einem Monat nicht mehr mit ihrer Freundin geredet. „Es ist allmählich so, als wären wir nie befreundet gewesen“, sagt Nicole. „Ich habe aber nicht allein die Schuld. Sie ist mir böse, weil ich die Hauptrolle in dem Theaterstück bekommen habe, um die sie sich auch bemüht hatte. Was kann ich aber dafür, wenn der Lehrer meint, ich werde der Rolle besser gerecht?“
Als Rolf und Kurt entschieden, in den Sommerferien ihre Einkaufsdienste in der Nachbarschaft anzubieten, lief zunächst alles glatt. „Dann aber wollte Kurt alles bestimmen, und er war nicht mehr bereit, auf meine Vorschläge zu hören“, meinte Rolf. „Eines Tages platzte mir der Kragen, und ich habe ihm ganz schön meine Meinung gesagt. Damit war unsere Zusammenarbeit beendet. Das ist vor drei Wochen passiert. Wir haben seitdem nicht mehr miteinander gesprochen.“
Früher oder später gibt es in jeder Freundschaft ein Mißverständnis. Dein Freund ruft nicht zurück, antwortet nicht auf deinen Brief, vergißt eine Verabredung, hört nicht auf dich usw. Auch in den besten Freundschaften können solche Dinge vorkommen. Ganz gleich, was der Anlaß ist, ist es sehr wichtig, das Mißverständnis zu bereinigen, bevor es der Freundschaft nachhaltig schadet. Dabei ist die Vorgehensweise sehr wichtig.
Nachfolgend einige Vorschläge, wie du dich mit deinem Freund versöhnen kannst, bevor es zu spät ist:
Zorn züchtet Zorn
• Sprich’ dich lieber aus.
Die Bereitschaft zu kommunizieren ist ein unerläßlicher Bestandteil jeder guten Freundschaft. Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse können konstruktiv sein, wenn Freunde das Gespräch nicht abreißen lassen. Ohne diese Bereitschaft können jedoch solche Hindernisse verheerende Auswirkungen haben, besonders dann, wenn man sich im Zorn über die Versäumnisse des Freundes ausläßt.
Dadurch kann das Problem eskalieren, und beim nächsten Mal ist es um so einfacher zu streiten. Jedes Mißverständnis liefert eine neue Gelegenheit zum Streiten, ein zerstörerisches Verhaltensmuster für zwischenmenschliche Beziehungen. Von oberster Priorität bei einem Mißverständnis ist daher die Bereitschaft, mit deinem Freund darüber zu reden.
Dadurch bekommt dein Freund die Gelegenheit, seine Sichtweise der Dinge darzulegen, und das gleiche gilt auch für dich. Wenn zwei Menschen mittels offener Kommunikation konstruktiv an der Bereinigung eines Mißverständnisses arbeiten, kommt die Versuchung gar nicht erst auf, die andere Person verbal anzugreifen.
Vor allem: Laß deinen Freund wissen, daß die Freundschaft dir sehr wichtig ist und daß du deshalb eine Klärung des Mißverständnisses anstrebst.
Nicht zwischen Tür und Angel
• Wähle den Zeitpunkt für das Gespräch mit Bedacht aus.
Wenn dein Freund dich enttäuscht hat, ist der Versuch, das Problem sofort am Telefon zu besprechen, wahrscheinlich nicht die beste Entscheidung. Vielleicht hat er gerade Besuch oder ist mit etwas anderem beschäftigt. Statt dessen sollte man einen geeigneten Termin für ein Gespräch vereinbaren.
Versuche die richtigen Worte zu finden, um das klärende Gespräch anzubahnen. Dr. Kathleen Galvin, Professorin für zwischenmenschliche Kommunikation an der Northwestern University in Illinois (USA) schlägt dabei vorsichtige Offenheit vor, wie z. B.: „Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen, das mir unangenehm ist“ oder „Es fällt mir schwer, aber ich muß mit dir über meine Enttäuschung reden“.
„Damit kann die andere Person die Wichtigkeit des Gesprächs erkennen und sich entsprechend darauf vorbereiten: ,Dies ist wichtig für meinen Freund, also muß ich gut zuhören‘ “, meint Dr. Galvin. „Wer statt dessen einfach hineinstürzt und den Freund angreift, wird wahrscheinlich die gleiche Reaktion vom Freund erleben.“
Fettnäpfchen aus dem Weg gehen
• Versuche, die richtigen Worte zu finden.
Wenn es darum geht, ein Mißverständnis zu klären, gilt die Richtlinie: Schalte dein Gehirn ein, bevor du dein Mundwerk einsetzt. Verletzende Worte, auch wenn diese im ruhigen Ton geäußert werden, bleiben lange in Erinnerung, wie z. B. „Du bist die selbstsüchtigste Person, der ich je begegnet bin“.
Ein klärendes Gespräch ist nicht der richtige Zeitpunkt zum Auflisten der Dinge, die dich an deinem Freund stören. Statt dessen solltest du mit etwas Positivem anfangen: „Evelyn, deine Freundschaft bedeutet mir sehr viel, und ich weiß, du würdest mich nie absichtlich verletzten, aber deine Worte letzte Woche vor der Gruppe brachten mich ganz schön in Verlegenheit.“
Man stelle sich zum Vergleich die Reaktion vor, wenn man das Gespräch wie folgt eröffnen würde: „Evelyn, deine Unhöflichkeit letzte Woche sprengte alle Bande. Mach' das bloß nicht wieder!“
Statt die andere Person zu beschuldigen, soll man sich auf die eigene Reaktion bzw. die eigenen Gefühle beschränken: „Ich meine, du weißt nicht, wie sehr mich diese Sache stört“ oder „Ich war sehr enttäuscht, als ich deine Absage erhielt“. Es ist besser, Details zu nennen statt sich unverbindlich und unklar zu äußern. „Ich war verletzt, als du das gestern vor den anderen Leuten sagtest“ ist besser als „Du bringst es immer fertig, mich vor anderen Menschen zu beleidigen“.
Immer der Reihe nach
• Höre deinem Freund zu, um die Kommunikation zu fördern.
Kommunikation bedingt gegenseitiges Zuhören. Gutes Zuhören setzt voraus, daß du dich auf die Worte deines Freundes konzentrierst. Es kann sein, daß er eine ganz andere Perspektive über das Mißverständnis hat. Die Bereitschaft, seine Meinung kennenzulernen, fördert die Bereinigung der Situation.
Ein erfolgreicher Gedankenaustausch gibt beiden Partnern die Gelegenheit, ihre Meinung ohne Unterbrechung vorzutragen. Der Zuhörer sollte das Gesagte kurz zusammenfassen, um sicherzustellen, daß er seinen Gesprächspartner richtig verstanden hat, bevor er selbst darauf antwortet.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß du und dein Freund nicht in allem einer Meinung sein werdet. Eine erfolgreiche Freundschaft läßt unterschiedliche Meinungen zu. Es ist übrigens selten der Fall, daß bei Mißverständnissen nur die eine Partei im Recht und die andere im Unrecht ist. Meistens sind beide Parteien für das Mißverständnis verantwortlich.
Die Bereitschaft, Fehler zuzugeben, ist in solchen Situationen immer hilfreich. Auch wenn du meinst, für das Mißverständnis keine Verantwortung zu tragen, kannst du sagen, daß dir die getrübte Freundschaft leid tut.
Des Indianers Gebet
• Richte deinen Freund nicht.
Meide die Versuchung, die Motive deines Freundes deuten zu wollen. Denke an das viel zitierte sprichwörtliche Gebet des Indianers: „Ich werde meinen Freund nicht richten, ohne in seinen Schuhen gegangen zu sein.“
Wir alle haben verschiedene Gründe für unsere Handlungsweise. Es kann alle möglichen Gründe für das Verhalten deines Freundes geben – Gründe, die wir niemals erraten könnten.
Das Verhalten eines anderen Menschen, das uns komisch vorkommt, kann das Resultat seiner Erziehung oder seines Umfeldes und nicht absichtlich gegen uns gerichtet sein. Außerdem lohnt es sich nicht, alles zu erwähnen, was uns stört. In einer erfolgreichen zwischenmenschlichen Beziehung muß man leben und leben lassen lernen.
Selbst die besten Freunde können uns gelegentlich enttäuschen. Wenn dein Freund einen Fehler macht, bewerte ihn nicht höher, als er es wert ist. Es würde dir nämlich nicht gefallen, wenn dein Freund dich ebenso behandeln würde. In solchen Fällen ist es besser, ein wichtiges Prinzip der christlichen Nächstenliebe zu beherzigen: „Und wie ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!“ (Lukas 6,31).
Zeit ist ein großer Heiler
• Vergiß nicht, daß die Pflege einer Freundschaft Zeit braucht.
Auch wenn das klärende Gespräch gut verläuft, kann es Wochen oder gar Monate dauern, bis die Freundschaft wieder ganz normal ist. Nach einem Mißverständnis kann es vorkommen, daß beide Freunde vorübergehend enttäuscht sind. Verletzte Gefühle sind wie Muskelkater: Man kann sie nicht sofort aus der Welt schaffen, und mit der Zeit können sie von selbst heilen.
„Beide Parteien überwinden die Enttäuschung besser, wenn man gemeinsam zu dem Ergebnis kommt, das Erlebnis war unangenehm und man möchte es in Zukunft meiden“, fügt Dr. Galvin hinzu. „Dabei berät man gemeinsam, wie man eine Wiederholung der Situation in der Zukunft vermeiden kann.“
Bei jeder Freundschaft wird es Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse geben. Wichtig ist, daß man nicht zuläßt, daß diese die Freundschaft kaputtmachen.
Wahre Freunde halten auch dann zueinander, wenn ihre Freundschaft vorübergehend ein paar Kratzer aufweist. Darin kann sich eine Beobachtung in der Heiligen Schrift bestätigen, welche vor Jahrtausenden gemacht wurde: „Es gibt Freunde, die hangen fester an als ein Bruder“ (Sprüche 18,24).