Aufgrund ihrer Energieabhängigkeit ist die EU ein wirtschaftlicher Riese, der auf tönernen Füßen steht.
Es kommt selten vor, daß ein bekannter europäischer Politiker quasi als Bittsteller des Handelsriesen Europa im Ausland agiert, um europäische Wünsche vorzutragen. Eher geschieht es umgekehrt: Andere Länder ersuchen Brüssel um bessere Handelsbeziehungen zur EU. Noch seltener ist es, wenn zwei gewichtige Europäer im kurzen Abstand zueinander dieselbe Region aufsuchen, um Europas Interesse an einem wichtigen Handelsgut zu bekunden. So ist es in diesem Jahr geschehen, als Bundeskanzler Gerhard Schröder Ende Februar und der EU-Energiekommissar Andris Piebalgs Anfang April das gleiche Reiseziel hatten: die ölreiche Golfregion.
Als er auf seiner siebentägigen Reise durch sieben Golfstaaten Zwischenstation in Kuwait machte, drückte Schröder seine Sorge über den hohen Ölpreis aus. „Wir sind sehr, sehr besorgt“, meinte der Kanzler und fügte hinzu: „Wir sind an einem möglichst auskömmlichen Erdölpreis interessiert.“ Wie dem Anstieg des Ölpreises zu begegnen sei, wußte Schröder auch: Indem die OPEC-Länder „alles daran setzen“, ihre Produktion auszuweiten.
Anfang April war es Energiekommissar Piebalgs, der sich in Kuwait aufhielt. Der Lette bekundete das Interesse der EU an guten Handelsbeziehungen zu den Golfstaaten und den anderen OPEC-Mitgliedern. Das Ziel seines Dialogs mit dem kuwaitischen Energieminister Scheich Ahmed Fahad al Ahmed al Sabah, der zur Zeit ebenfalls der amtierende Vorsitzende der OPEC ist, sei die Stabilisierung des Ölpreises.
Es dürfte keine große Überraschung sein, daß die Sicherung der Ölzufuhr und stabile Preise wichtige Anliegen für Kanzler Schröder und Kommissar Piebalgs sind. Die mit Abstand größte Volkswirtschaft in der EU sowie die EU insgesamt sind auf ausländisches Öl angewiesen – und davon nicht wenig.
Europas Abhängigkeit von ausländischer Energie
Ob wir es wollen oder nicht, Europa ist mehr als 30 Jahre nach dem großen Ölschock nach dem Jom-Kippur-Krieg immer noch auf ausländische Energiequellen angewiesen. Den Anstieg des Ölverbrauchs konnte man durch die Verwendung anderer Energien (vornehmlich Erdgas) zwar bremsen, aber nicht umkehren. Waren zu Beginn der 1970er Jahre ca. 12 Millionen Barrel Öl (je 159 Liter) nötig, um den Tagesverbrauch in Europa zu decken, verbrauchte die Europäische Union im Jahr 2001 ca. 14,4 Millionen Barrel täglich.
Der Energiebedarf der EU steigt jährlich um ein bis zwei Prozent. Im Vergleich zum Anstieg in den USA scheint der europäische Mehrbedarf gering: Seit 1991 ist der Ölverbrauch in den USA um rund 17 Prozent gestiegen, in den „alten“ EU-Ländern hingegen lediglich um 7 Prozent. Der kleinere Anstieg beim Ölkonsum ändert jedoch nichts an dem Gesamtbild: Europas Wohlstand hängt nach wie vor von Energielieferungen aus dem Ausland ab; Tendenz steigend.
EU-Energiekommissar Andris Piebalgs betont die Wichtigkeit von Energie im täglichen Leben der Europäer: „Energie betrifft jeden Aspekt unseres Lebens – sie verschafft uns Licht, Heizung und Treibstoff für Transportmittel und verschiedene Maschinen. Wußten Sie, daß im Jahr 2030 die Europäische Union, wenn es uns nicht gelingt, die gegenwärtigen Trends umzukehren, ihren Energiebedarf größtenteils – ca. 70 Prozent – durch Einfuhren decken wird?“
Die Schätzungen der Europäischen Kommission für die zwei wichtigsten Energien sind ernüchternd. Von derzeit 75 Prozent wird die EU bis 2030 ca. 90 Prozent ihres Ölbedarfs einführen müssen. Zur Zeit macht der Anteil der Ölimporte aus OPEC-Staaten die Hälfte der Gesamtmenge aus. Den Anstieg des Ölkonsums konnte man durch die vermehrte Verwendung von Erdgas bremsen, aber auch hier ist die EU von ausländischen Quellen abhängig. Bei dem gegenwärtigen Trend wird die EU im Jahr 2030 ca. 70 Prozent ihres Erdgasverbrauchs mit Einfuhren decken, heute sind es bereits 40 Prozent.
Gerade das Beispiel Europa zeigt, wie abhängig eine verhältnismäßig energiearme Region von der weltweiten Entwicklung ist. Seit dem Ölembargo im Herbst 1973 hat Europa seine Bemühungen ums Energiesparen verstärkt. Der wirtschaftliche Nutzen der Sparsamkeit ist jedoch geringer als erhofft. Europa steckt wegen weltweit steigender Nachfrage und eines beschränkten Angebots trotzdem in der Preisklemme. Die spekulative Ankündigung eines Ölpreises von über 100 US-Dollar pro Barrel bis zum Sommer ließ Kommissar Piebalgs über ein EU-Tempolimit von 90 km/h laut nachdenken.
Weltweit steigt die Nachfrage nach Öl
Wichtigster Energieträger beim Energieverbrauch der Welt bleibt das Erdöl mit einem Anteil von etwa 40 Prozent. Das wird in den nächsten Jahren auch so bleiben, obwohl beim Erdgas eine Steigerung des Anteils am weltweiten Energiekonsum zu erwarten ist (derzeit ca. 20 Prozent).
Beim Ölpreis kommt man um das marktwirtschaftliche Gesetz von Angebot und Nachfrage nicht umhin. Die Rechnung ist ganz einfach: Weltweit steigt die Nachfrage, die Produktion hingegen stagniert bzw. wird nicht ausreichend ausgebaut.
Die steigende Nachfrage wird oft dem erhöhten Ölverbrauch der Volksrepublik China zugeschrieben. Es stimmt schon, daß China jedes Jahr mehr Öl verbraucht. Vergessen darf man jedoch nicht, daß der Rohstoffverbrauch in Amerika und Europa in den letzten Jahren ebenfalls kontinuierlich gestiegen ist.
Gerade dem Ölverbrauch in den USA scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Einerseits stehen die USA mit einer Fördermenge von täglich etwa 7,5 Millionen Faß an dritter Stelle der Rangliste der erdölproduzierenden Länder (Quelle: „Statistical Review of World Energy“, Angabe für das Jahr 2003).
Andererseits exportieren die USA, im Gegensatz zu allen anderen erdölfördernden Nationen mit nennenswerten Ölvorkommen, kein Öl, sondern importieren selbst immer mehr, um den stetig steigenden Verbrauch zu decken. Die USA sind beim Ölverbrauch unangefochtene Weltmeister mit ihren ca. 20 Millionen Faß täglich. Das sind etwas mehr als dreimal so viel als bei den Chinesen, die unter den Verbrauchern an zweiter Stelle stehen. Noch erstaunlicher ist eine Statistik der UNO, wonach die USA fast ein Viertel aller weltweit verbrauchten fossilen Brennstoffe verbrennen: Öl, Erdgas und Kohle.
In den ersten 90 Jahren der Ölförderung waren die Amerikaner autark. Nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie jedoch keine Selbstversorger mehr. Seither ist der Anteil des importierten Öls beim Gesamtverbrauch der USA ständig gestiegen und liegt zur Zeit bei mehr als 60 Prozent. Einen Teil dieser Einfuhren besorgen sich die Amerikaner sozusagen „vor der Haustür“ beim Nachbarn Mexiko oder aus Venezuela. Dennoch ist der Anteil des US-Gesamtbedarfs, der aus Saudi Arabien eingeführt wird, beachtlich: fünfzehn Prozent.
Nach Angaben des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV) ist der Verbrauch in China in den vergangenen zehn Jahren um 150 Prozent gestiegen und wies allein im letzten Jahr eine Zunahme von 14 Prozent auf. Solche Zuwachsraten führten dazu, daß die Chinesen vor zwei Jahren den zweiten Platz vor Japan auf der Liste der größten Verbraucherländer übernahmen.
Entspannt sich der Ölmarkt bald?
Den derzeitigen Ölpreis auf Rekordniveau wollen einige Beobachter nur als vorübergehenden Versorgungsengpaß sehen. Ihrer Meinung nach ist das Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten: Mit einer sogenannten „harten Landung“ rechnen sie noch in diesem Jahr.
In der Tat könnte ein Abbremsen der Konjunktur in China zu einer Entspannung auf dem Ölmarkt führen. Es ist jedoch völlig illusorisch zu glauben, daß damit die heute angespannte Versorgungslage auf Dauer behoben wäre.
Als Beleg für unsere Sichtweise dient die Reaktion der Industrieländer auf die Energiekrise der 1970er Jahre. Die Stabilisierung des Rohölpreises verdankte man damals hauptsächlich dem sparsameren Umgang mit dieser Energiequelle. Effizientere Fahrzeuge wurden auf den Markt gebracht – auch in den USA –, so daß der weltweite Ölverbrauch im Jahr 1993 nur geringfügig höher war als im Engpaßjahr 1979. In den USA war man erst 1997 wieder auf dem Stand von 1979 angelangt.
Der weltweite Wirtschaftsboom in Ost und West, der im Frühjahr 2000 mit dem „High-Tech-Crash“ zu Ende ging, ließ die Nachfrage nach Rohöl wieder ansteigen. Das bemerkenswerte an der jetzigen Preisspirale ist, daß es sie in einer Zeit der allgemeinen wirtschaftlichen Flaute in den westlichen Industrieländern gibt. Das bereits angekündigte Wiederaufleben der US-amerikanischen Konjunktur als Motor für den Westen läßt aber immer noch auf sich warten. Wie wird es aussehen, wenn wir wieder Wachstumszahlen haben wie in der zweiten Hälfte der 1990er? Solches Wachstum wäre ohne Zweifel mit einer stärkeren Nachfrage nach Öl verbunden.
Hinzu kommt die Wirtschaft Asiens, besonders in China, die – auch wenn es in der nächsten Zeit zu einer Abkühlung der Konjunktur kommen sollte – weiter wachsen wird. Dort ist das Potential für eine Steigerung der Nachfrage riesengroß. Derzeit verbrauchen die Chinesen mit ca. 6,4 Millionen Barrel täglich nur knapp ein Drittel des Tagesbedarfs der USA. Noch krasser wird der Unterschied, wenn man den etwaigen Pro-Kopf-Verbrauch berücksichtigt. Demnach gehen auf jeden US-Bürger jährlich 24 Barrel Erdöl, ein Chinese hingegen verbraucht nur etwa zwei Barrel im Jahr.
Das Wirtschaftswachstum Chinas führt aber dort zur Entstehung einer „Mittelschicht“ nach chinesischen Verhältnissen: Menschen, die ein Auto besitzen und fahren wollen, genauso wie wir es im Westen gewohnt sind. Zur Zeit ist jedoch der Pro-Kopf-Ölverbrauch in China nur etwa ein Drittel dessen von Mexiko, und Mexiko selbst hat einen Pro-Kopf-Verbrauch ca. 75 Prozent weniger als in den USA. Würde der durchschnittliche Verbrauch in China das Niveau Mexikos erreichen, müßte sich weltweit die geförderte Menge Rohöl verdoppeln, um die Nachfrage zu decken.
China ist nicht das einzige Land in Asien, dessen Ölverbrauch in beachtlichem Maße zunimmt. Auch Indien mit seiner Bevölkerung von über einer Milliarde Menschen scheint einen unersättlichen Appetit auf Öl zu haben. Letztes Jahr verbrauchte Indien elf Prozent mehr Öl als im Jahr davor. Bei den Zuwachsraten der letzten Jahre wird Indien mit seinen 2,25 Millionen Barrel täglich in absehbarer Zeit Deutschland an fünfter Stelle auf der Liste der Verbraucherländer ersetzen. Innerhalb der nächsten sieben Jahre wird der Tagesverbrauch auf geschätzte fünf Millionen Barrel ansteigen, und bis 2020 wird Indien hinter den USA und China der drittgrößte Ölkonsument und -importeur der Welt sein.
Das Angebot ist begrenzt
In Ländern wie China und Indien ist die Lage eine ganz andere als in den USA oder Westeuropa. Um das durchschnittliche Niveau der Bürger in den westlichen Industrieländern zu erreichen, müssen Chinesen bzw. Inder erst Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs erleben. Will man ihnen – und vielen anderen Menschen auf Erden – einen nach westlichen Maßstäben komfortablen Lebensstandard gönnen, muß die Menge des geförderten Rohöls erheblich gesteigert werden.
Dabei gibt es einen Haken: Wo soll das ganze Öl herkommen, um die erwartete Nachfrage der Zukunft zu befriedigen? Experten weisen darauf hin, daß es in den letzten 30 Jahren keinen bedeutenden neuen Ölfund gegeben hat. Die Ölförderung in den meisten Ländern, die eigene Reserven haben, zugleich aber große Verbraucher sind – Amerika, China, Großbritannien, Rußland, selbst Mexiko – geht zurück und wird weniger rentabel, selbst bei den hohen Preisen für Öl auf dem Weltmarkt.
Großbritannien ist ein ausgezeichnetes Beispiel für diese Entwicklung. 1998 wurden knapp neun Prozent der Fördermenge der ganzen Welt in den Nordseeölfeldern (britisch und norwegisch) produziert. Dank des Nordseeöls waren die Briten mehr als zwei Jahrzehnte lang ein Netto-Exporteur von Rohöl. Heute zählen sie wieder zu den Netto-Importeuren, weil ihre Erträge aus der Nordsee langsam zurückgehen und die dortigen Ölfelder in ca. zehn Jahren ihre wirtschaftliche Rentabilität erschöpft haben werden.
David Howell, ehemaliger britischer Energieminister und zur Zeit Präsident des „British Institute of Energy Economists“, sagt bei den jetzigen Trends einen weltweiten Ölbedarf von 122 Millionen Barrel täglich für das Jahr 2025 voraus. Zur Zeit sind es ca. 82 Millionen Barrel, vor 25 Jahren waren es „nur“ 60 Millionen. Kann der in Zukunft erwartete Bedarf überhaupt gedeckt werden?
Unter Experten hört man solche Stimmen, die eine Erklärung für das Ausbleiben neuer Ölfunde bieten: Mit dem Einsatz moderner Technologien habe man alle bedeutenden Ölfelder, die sich für die herkömmliche Produktion eignen, bereits gefunden. Hinzu kommt, daß manche der größeren Ölfelder – die Nordseefelder sind dafür ein gutes Beispiel – den wirtschaftlichen Mittelpunkt ihrer förderbaren Kapazität erreicht haben. Danach nimmt die Produktion erfahrungsgemäß rapide ab, weil es immer schwieriger wird, genügend Druck in den Leitungen aufrechtzuerhalten, um eine rentable Fördermenge zu pumpen.
In einer Sache sind sich die Experten einig: Ein Preisschub auf den Ölmärkten ist auf lange Sicht nicht aufzuhalten. Es ist nur eine Frage des Wann, nicht aber des Ob. Neue Technologien mögen zwar noch die Ausbeutung von Quellen wie den Teersanden Kanadas und der USA ermöglichen, deren Nutzung bisher aus Kostengründen scheiterte, aber damit wird man nur vorübergehend – wenn überhaupt – eine Entspannung der Versorgungslage herbeiführen.
„Rette sich, wer kann!“
Vor dem Hintergrund einer angespannten Lage auf dem Ölmarkt und der Erwartung weiterer Engpässe in der Zukunft überrascht Europas Wunsch nach guten Handelsbeziehungen zu den Golfstaaten nicht. Im Gegenteil: Angesichts der Abhängigkeit Europas von ausländischen Energiequellen wäre es fatal, wenn die EU nichts unternehmen würde, um ihre Energieversorgung in Zukunft zu sichern, zumal andere Länder darauf bedacht sind.
Die chinesische Führung weiß, wie verwundbar ihre Wirtschaft aufgrund ihrer Abhängigkeit von Energieeinfuhren ist. Wie reagiert man in China darauf? „Chinas Außenpolitik versucht seit 2003, weltweit Rohstoffe und Energie zu besorgen ... International wächst die Sorge, das autoritär geführte China könnte auch seine militärischen Muskeln für die Energiesicherung einsetzen“ (Die Welt, 14. März 2005).
Einen Militärschlag zu führen zur Sicherung von Rohstoffen für die eigene Industrie ist nichts Neues. Der japanische Angriff auf den US-Marinestützpunkt Pearl Harbor im Dezember 1941 war nach Meinung vieler Experten die Antwort Japans auf Ausfuhrverbote der USA für Alteisen und andere Materialien, die die japanische Kriegsmaschinerie brauchte.
Auch die USA wissen ihre wirtschaftlichen Interessen zu schützen. In seinem Buch Mit der Ölwaffe zur Weltmacht beschreibt der amerikanische Autor F. William Engdahl den Kampf ums Erdöl in einem historischen Zusammenhang. Zur jetzigen Lage schreibt er: „Der größte Teil der Welt ist heute davon überzeugt, daß George W. Bush den Krieg gegen den Irak und Saddam Hussein weder wegen der Massenvernichtungswaffen noch wegen der Terrorismusgefahr geführt hat. Es ist jedoch immer noch ein Rätsel, warum Washington die Beziehungen zu seinen Verbündeten und der ganzen Welt aufs Spiel gesetzt hat, um den Irak zu besetzen ... Es wird zunehmend klarer, daß es bei der US-Besetzung des Irak um die weltweite Kontrolle der Ölreserven geht ... Der Irak-Krieg [ist] nur die erste Schlacht in einem großen Krieg um die weltweiten Energiereserven ... Es steht alles auf dem Spiel“ („Iraq and the Problem of Peak Oil“, Current Concerns, 2004, Nr. 1).
Das Problem der knappen Ölversorgung könnte gelöst werden, wenn sich alle Nationen auf einen für alle verbindlichen Lebensstandard einigen könnten. Der Haken dabei ist, daß die Energieressourcen der Erde nicht ausreichen, um allen Menschen das Lebensniveau eines Westeuropäers oder Nordamerikaners zu ermöglichen. Die Folge wäre, daß der Lebensstandard der armen Länder verbessert, zeitgleich aber das Lebensniveau von Europäern und Amerikanern gemindert würde. Die Geschichte lehrt uns, daß eine solche Vereinbarung nicht möglich ist.
Andere Energiequellen als Ersatz für fossile Brennstoffe sind entweder in ihrem Umfang beschränkt oder mit anderen Problemen verbunden, wie beispielsweise die Kernenergie.
Daß materielle Interessen zum Krieg führen können, wußte schon der Apostel Jakobus vor ca. 1950 Jahren. Er schrieb: „Woher kommt der Kampf unter euch, woher der Streit? ... Ihr seid begierig und erlangt’s nicht“ (Jakobus 4,1).
Solange Erdöl die primäre Energiequelle der Welt ist, sind Spannungen – sowohl auf dem Weltmarkt als auch unter den Ländern, die auf Öl angewiesen sind – vorprogrammiert. Um ihre wirtschaftliche Zukunft zu sichern, wird der Europäischen Union keine andere Wahl bleiben, als in ihrer Außen- und Handelspolitik in ähnlicher Weise zu agieren wie ihre großen Konkurrenten: China (Asien) und die USA.
Welche Region wird für die Ölversorgung dieser drei Mächte am wichtigsten sein? Kann es überhaupt eine andere sein als diejenige, die die größte Förderkapazität und die meisten nachgewiesenen Reserven hat – der Nahe Osten? Für Europas Energieversorgung und damit die Sicherung seines Wohlstands wird der Nahe Osten immer wichtiger sein. Wird es Europa gelingen, seine Interessen zu wahren?
Erdöl: Die kritische Höchstfördermenge („Peak Oil“)
Als der Preis für Rohöl im März nach oben schnellte und ein neuer Höchstpreis von über 58 US-Dollar pro Barrel erreicht wurde, riefen nicht nur die Europäer nach einer Erhöhung der OPEC-Fördermenge. Die OPEC reagierte prompt mit dem Beschluß, ihre Tagesproduktion um 500 000 Barrel zu erhöhen. Darüber hinaus wurde eine weitere Steigerung von abermals 500 000 Barrel für den Sommer in Aussicht gestellt, je nach Marktlage.
Die Ölförderung zu erhöhen ist die Lösung, die manchen Verbrauchern beim Tanken einfallen mag. Bei Erdöl sind jedoch die Perspektiven für eine deutliche Steigerung des Angebots negativ. Förderanlagen und Raffinerien müssen gelegentlich gewartet werden. Hinzu kommen zunehmend terroristische Anschläge gegen Förderanlagen in Ländern wie dem Irak bzw. Saudi-Arabien. Das Resultat ist, daß die kritische tägliche Höchstfördermenge („Peak Oil“) Schwankungen unterliegt, die nicht immer vorhersehbar sind.
Dies läßt sich auch nicht durch die Inanspruchnahme aller verfügbaren Reservekapazitäten kompensieren. „Es gibt weltweit zur Zeit nur Reserve-Förderkapazitäten von rund zwei Millionen Barrel täglich, das sind weniger als zwei Prozent des Tagesbedarfs von rund 84 Millionen Barrel“, urteilt Johannes Benigni, führender Energieberater der Wiener Öl-Broker „PVM Oil Associates“ (Wiesbadener Tagblatt, 18. März 2005). Allein der jährliche Mehrbedarf Chinas reicht aus, um diese Menge in weniger als drei Jahren zu beanspruchen. Der Ölmarkt braucht jedoch einen Überschuß von ca. vier bis fünf Millionen Barrel täglich, um den Markt vor Produktionsausfällen und anderen Schwankungen zu schützen.
Die längerfristige Steigerung der Produktion erweist sich bei näherer Betrachtung als äußerst problematisch. Zum einen hat es weltweit seit ca. 30 Jahren keine Entdeckung eines großen Ölfeldes gegeben. In dieser Zeit ist zwar sehr viel Geld in die Suche nach Öl investiert worden, aber ohne nennenswerten Erfolg. Die Folge ist, daß wir täglich ca. vier Barrel Öl verbrauchen je Barrel, der in den letzten 30 Jahren durch die Erschließung neuer Quellen produziert wird.
Zum anderen ist der problemlose Ausbau der Produktion in bestehenden Feldern, als würde man lediglich den Hahn weiter aufdrehen, eine Illusion. Dabei geht es nicht um die nachgewiesenen Reserven, die in manchen Fällen beträchtlich sind. Ausschlaggebend ist die anteilige Ausbeute der Gesamtmenge des Ölfeldes, denn ab einem bestimmten Punkt läßt der „eigene“ Druck der unterirdischen Quelle mehr und mehr nach. Mehr Druck „von oben“ – von der Förderanlage – muß geliefert werden, um das Öl nach oben zu fördern. Damit steigen die Kosten, und die technische Ausbeutung des verbleibenden Öls gestaltet sich schwieriger.
Experten gehen davon aus, daß der Höhepunkt der Produktion erreicht ist, wenn 50 Prozent der Kapazität eines Feldes gefördert wurden. In den USA erreichte die Ölförderung 1970, in den Nordseefeldern ca. 1999 ihren Höhepunkt. 2007 oder 2008 erwarten Experten die Überschreitung der Höchstfördermenge für Rußland.
Welche Länder wären in der Lage, Produktionsausfälle anderswo wegen der Überschreitung der Höchstfördermenge auszugleichen? „Die fünf Hauptförderländer des Nahen Ostens, nämlich Abu Dhabi, der Irak, der Iran, Kuwait und Saudi-Arabien, die ungefähr über die Hälfte des verbleibenden Öls auf der Welt verfügen, können als flexible Produzenten die Lücke füllen zwischen der weltweiten Nachfrage und dem, was andere Länder fördern können“ (K. Aleklett und C. J. Campbell, „The Peak and Decline of World Oil and Gas“, 2003, Uppsala University, Schweden, Hervorhebung durch uns).