GN-Interview mit Dr. Ross Parke
Gute Nachrichten: Sie haben jahrzehntelang die Vater-Kind-Beziehung untersucht. Was hat Sie am meisten an dieser Beziehung beeindruckt?
Dr. Ross Parke: Immer mehr Väter werden sich endlich bewußt, daß sie tatsächlich eine wichtige Rolle in der Erziehung spielen, und auch die Gesellschaft erkennt dies. Sowohl Väter als auch Mütter erkennen die einzigartige Rolle, die Väter nicht nur bei der Kindererziehung, sondern auch bei der täglichen Versorgung der Kinder spielen können. Dies war vor 30 bis 40 Jahren noch nicht der Fall.
GN: Welchen ermutigenden Trend können Sie in der Vater-Kind-Beziehung erkennen?
RP: Es ist die Erkenntnis, daß Väter nicht nur wichtig für Kinder sind, sondern daß die Vaterschaft auch gut für Männer und ihre Partnerinnen ist. Ich glaube, das ist ein großer Wandel.
Immer mehr Männer versuchen, Arbeit und Familie im Gleichgewicht zu halten. Dabei erkennen sie den großen Vorteil, die Belohnung und die Zufriedenheit, die daraus erwachsen, ein guter Vater zu sein. Die emotionale Investition in die Kinder zahlt sich wieder aus, indem Männer offenere und zufriedenere Erwachsene werden.
GN: Können Sie auch einen entmutigenden Trend in der Eltern-Kind-Beziehung erkennen?
RP: Obwohl sich immer mehr Väter engagieren, ist dies nicht die Revolution, wie wir sie uns vor 25 Jahren vorgestellt haben. In der Gesellschaft gibt es viele Hindernisse, wie zum Beispiel den Arbeitsplatz.
Der Arbeitsplatz gibt Vätern normalerweise nicht die Flexibilität, bei einem kranken Kind zu Hause zu bleiben oder eine Schulaktivität am Nachmittag zu besuchen. Müttern wird diesbezüglich mehr Freiraum eingeräumt.
GN: Was ist der wichtigste Beitrag eines Vaters zur gesunden Entwicklung seines Kindes?
RP: Wahrscheinlich ist es derselbe, der gewöhnlich von der Mutter geleistet wird, nämlich das Kind wissen zu lassen, daß es geliebt wird.
Wir führen gerade eine Studie durch, indem wir die Art und Weise untersuchen, wie Kinder ihre eigenen Eltern sehen und inwieweit sie sich von ihnen geliebt fühlen – inwieweit sie erkennen, daß sie im Leben ihrer Eltern wichtig sind. Man kann sehr viel für ein Kind tun, aber das emotionale Band, das das Kind fühlt, ist am wichtigsten – zu fühlen, daß dieser Erwachsene wirklich für das Kind da ist und daß seine gesellschaftliche, intellektuelle und emotionale Entwicklung für das Elternteil wichtig ist.
GN: Welche Rolle spielt die Mutter?
RP: Eine ähnliche. Mütter und Väter kommunizieren ihre Fürsorge auf unterschiedliche Weise. Mütter hören den Problemen ihrer Kinder eher zu und stehen ihnen emotional zur Verfügung, während Väter dies durch Spiel, Spaß und gemeinsame Aktivitäten ausdrücken. Beides sind wichtige Ausdrucksweisen dafür, daß die Kinder ihren Eltern wichtig sind.
GN: Ist es heute schwieriger, ein Kind zu erziehen, als vor 50 Jahren?
RP: Es ist wohl anders, aber es war damals bestimmt genauso schwierig. Als sich vor 50 Jahren das Fernsehen, das Radio und die Comics entwickelten, sagten die Leute auch: „Es wird schwieriger, Kinder zu erziehen.“ Heute gibt es das Internet, Videospiele und den Gameboy. Jede Zeit hat ihre Schwierigkeiten, aber ich glaube nicht, daß es heute schwieriger ist.
GN: Was halten Sie von Büchern, die behaupten, alleinerziehende Mütter können ihre Kinder genausogut ohne den Vater erziehen?
RP: Die Beweise sind sehr eindeutig, daß sich Kinder besser in Familien mit zwei Elternteilen entwickeln, teils aus wirtschaftlichen Gründen und teils, weil die Aufteilung der Verantwortung zwischen den Elternteilen weniger Streß bedeutet.
Natürlich gibt es auch erfolgreiche alleinerziehende Mütter, aber es ist eine sehr schwierige Aufgabe. Man muß nur an den Kampf mit der Zeit und den Finanzen denken, wenn man alleinerziehend ist. Es gibt Feministen, die die Männer für überflüssig erklären wollen. Ich glaube aber, daß die vernünftigeren Frauen die einzigartige und hilfreiche Rolle erkennen, die Väter spielen.
GN: Ermutigt Sie die heutige Kindererziehung?
RP: Ja, es gibt positive Aspekte, wie z. B. eine wachsende Sensibilität gegenüber Kindesmißbrauch und die Erkenntnis, daß ein hohes Maß an körperlicher Strafe dem Kind schadet. Frühere Strafmethoden wie Schläge und Prügel werden heute nicht mehr akzeptiert.
Man weiß mittlerweile, daß es andere Wege gibt, mit Kindern erzieherisch umzugehen. Ich will damit nicht sagen, daß man keine Regeln setzen oder den Kindern keine Disziplin beibringen soll, aber es gibt alternative Strategien, die eine Eskalation in Mißbrauch vermeiden.
GN: Was halten Sie für den größten Mythos bezüglich des Vaterseins?
RP: Es gibt zwei Mythen – der eine ist, daß Väter unfähig seien, und der andere, daß sie sich um nichts kümmern. Der Mythos über unfähige Väter ist nur eine Ausrede, die Leute gebraucht haben, wenn sie die Mitwirkung eines Vaters ablehnten.
Der Mythos, daß Väter sich nicht kümmern – selbst im Fall von jungen oder unverheirateten Vätern – ist falsch, denn viele dieser Männer können die Erziehung ihres Kindes übernehmen und für den Unterhalt sorgen, wenn man sie ermutigt. Es gibt viele Meinungen über Männer, die falsch sind.
GN: Was meinen Sie in Ihrem Buch mit „Wegwerf-Väter“?
RP: Wir meinen, daß die Gesellschaft Väter einfach weggeworfen hat. Man hat ihnen nicht den gleichen Respekt gezollt wie Müttern. Sie bekamen wenig Gelegenheit, sich zu beweisen. Lange Zeit hat man ignoriert, daß Väter bei der Kindererziehung ein wichtiger Partner sind.
GN: David Blankenhorn stellt fest: „Vaterlosigkeit ist der schädlichste demographische Trend dieser Generation.“ Sind Sie mit seiner Feststellung einverstanden?
RP: Ja, ich stimme allgemein mit seiner Einschätzung überein, aber nicht mit seiner Lösung, die uns dazu führen würde, eine Familie aus den 1950ern nachzuahmen. Ich glaube, daß Frauen heute viel mehr Möglichkeiten haben, neben der Hausarbeit etwas anderes zu tun, und daß Väter im allgemeinen bei der Kindererziehung viel engagierter sind. Das ist sehr positiv.
GN: Sehen Sie die Trends unter den Vätern eher optimistisch oder pessimistisch?
RP: Ich sehe sie optimistisch. Obwohl sich die Änderungen darin, wieviel Zeit Väter mit ihren Kindern verbringen und wie sehr sie sich engagieren, langsamer vollziehen, als wir es uns wünschen würden, gibt es doch einen meßbaren Anstieg beim Engagement der Väter. Das ist sehr ermutigend.
Männer erkennen die Wichtigkeit ihres Engagements. Ich vergleiche meine Generation mit der meines Vaters. Er hatte eine distanziertere Beziehung zu mir, als ich sie zu meinen Kindern habe. Es gibt Anzeichen dafür, daß sich die Dinge für Männer und Frauen verbessern.
GN: Gilt dieser Trend international?
RP: Absolut. Man sieht die gleichen Trends in Westeuropa, Australien und Skandinavien. Soziale Gesetzgebungen sorgen dafür, daß Männer und Frauen immer mehr Möglichkeiten haben, ihre Kinder gemeinsam aufzuziehen. Die Entwicklungsländer hinken da noch hinterher, hauptsächlich in bezug auf ihre Behandlung von Frauen und die Einsicht, daß die Rolle des Vaters emotionaler sein könnte.
GN: Sie haben sieben Kinder. Was haben diese Ihnen am meisten über Kindererziehung beigebracht?
RP: Sie haben mir beigebracht, daß man ihnen zuhören und geduldig sein muß und ihrer Entwicklung mit Respekt entgegentreten muß. Mein 15jähriger Junge sagt mir: „Papa, ich bin nicht mehr sieben Jahre alt!“ Alle Eltern müssen erkennen, daß Kinder während ihrer Entwicklung ein gewisses Maß an Autonomie brauchen – aber zur selben Zeit muß man aufpassen, was sie tun.
Dr. Ross Parke ist ein anerkannter Professor der Psychologie an der Universität von Kalifornien. Er hat mehr als 30 Jahre lang Untersuchungen über die Vaterschaft durchgeführt und hat selbst sieben Kinder. Er ist der Autor des Buches Fatherhood (1966) und Mitautor von Throwaway Dads (1999).