Kritiker der Bibel sehen in dem Buch der Bücher nur eine Sammlung von Legenden und meinen deshalb, sie sei als Geschichtsquelle nicht glaubwürdig. Darüber hinaus stellen solche Kritiker die Genauigkeit bzw. Zuverlässigkeit der Überlieferung des biblischen Textes in Frage. Sind ihre Zweifel begründet?
Von Noel Horner und Paul Kieffer
Im Abendland war die Bibel lange Zeit als Geschichtsquelle eine unangefochtene Autorität. Die Ereignisse im Garten Eden, die Sintflut, der Turmbau zu Babel, die Taten der Patriarchen, der Auszug der Kinder Israel aus Ägypten – man glaubte, dass sich all dies so zugetragen hatte, wie es in der Heiligen Schrift erzählt wird. Im seltenen Fall einer Diskrepanz zwischen der Bibel und der Gelehrtenwelt wurde grundsätzlich der Bibel Vorrang gegeben. Mit der Entdeckung des polnischen Astronomen Nikolaus Kopernikus im 16. Jahrhundert, wonach nicht die Erde, sondern die Sonne der Mittelpunkt unseres Sonnensystems ist, ergab sich mit der Zeit ein anderes Bild.
Im 17. und 18. Jahrhundert kam die sogenannte „Aufklärung“, das Zeitalter der Vernunft. Europäische Intellektuelle behaupteten, nur durch menschliches, „wissenschaftliches“ Vernunftdenken könne wahres Wissen erworben werden. Damit wurde eine Offenbarung, die über die empirische Beobachtungsfähigkeit des Menschen hinausging, grundsätzlich abgelehnt.
Die Aussagen der Bibel wurden nunmehr gezielt angegriffen. Der Aufklärung folgte im 19. Jahrhundert die Evolutionstheorie, die eine andere Erklärung für die Entstehung des Lebens auf der Erde anbot als die der göttlichen Schöpfung. Gott und die Bibel wurden bei dieser Theorie völlig ausgeklammert.
Schon bald danach fingen viele Gelehrte damit an, die Heilige Schrift als unhistorisch abzutun. Sie sahen die biblische Geschichte nur als Legende an, als primitiven Aberglauben. Diese Gelehrten behaupteten, dass viele der Bücher des Alten Testaments überhaupt keine zeitgenössischen Aufzeichnungen seien, sondern in Wirklichkeit erst Jahrhunderte nach den Ereignissen, von denen sie berichteten, verfasst wurden.
Einige Gelehrte und Kritiker gingen so weit, das Leben so herausragender biblischer Persönlichkeiten wie Noah, Abraham, Josef und Mose zu leugnen. Der Text der Bibel bzw. seine Überlieferung wurde auch in Frage gestellt. Deshalb meinte man, auf die Bibel sei kein Verlass. Sehen wir nun, ob diese Kritik einer sachlichen Untersuchung standhält oder nicht.
Personen der biblischen und weltlichen Geschichte
Wenn man dem Neuen Testament glauben darf, haben die Erzväter und Patriarchen der hebräischen Schriften tatsächlich gelebt. Nehmen wir zum Beispiel Abraham. Er wird zu den Vorfahren Jesu Christi gerechnet (Matthäus 1,1).
Während eines Gespräches mit den Pharisäern sprach Jesus so von Abraham, als habe dieser wirklich gelebt (Johannes 8,56-58). Sollte Christus sich dabei geirrt haben, dann war er nur ein Mensch und dazu noch schlecht informiert. Er war dann auch nicht unser Heiland, und unser Glaube ist nichtig. Daran ist zu erkennen, wie wichtig es ist, ob die Bibel wahrheitsgemäß ist oder nicht!
Man könnte meinen, dass es ohne ein Mindestmaß an Gottvertrauen nicht möglich ist, zu glauben, dass Abraham tatsächlich gelebt hat. Bisher gelang es nämlich noch niemandem, eine eigenhändige Unterschrift des Patriarchen beizubringen. Es gibt dennoch Indizien für seine Existenz.
Wollte man allerdings die gleichen Maßstäbe bei bekannten Personen der weltlichen Geschichte anwenden, müsste man ebenfalls ein bestimmtes Vertrauen voraussetzen, um an die Existenz der fraglichen Personen zu glauben. Beispielsweise konnte bis heute noch niemand eine eigenhändige Unterschrift des mazedonischen Herrschers Alexander des Großen vorzeigen. Doch wird Alexanders Einfluss auf die Welt seiner Zeit anerkannt. Er „veränderte die Weltkarte grundlegend. Kulturen und Sprachen, sogar Sitten und Moden, sind von ihm nachhaltig geprägt“ (The Interpreter’s Dictionary of the Bible, Band 1, Seite 77).
Dennoch wurde die älteste noch übrig gebliebene Biografie Alexanders erst 400 Jahre nach seinem Tod verfasst. Autor war der um 96 n. Chr. geborene griechische Historiker Arrian. Für die Taten Alexanders besitzen wir keinerlei zeitgenössisches Zeugnis, und doch wird die Darstellung eines 400 Jahre später lebenden Mannes über den weltverändernden Einfluss Alexanders allgemein akzeptiert.
Wie Alexander werden Abraham und seine Welt 400 Jahre später in biblischen Dokumenten erwähnt. Sogar Sitten und Gebräuche der damaligen Gesellschaft, wie in 1. Mose 15 und 16 beschrieben, finden ihre Bestätigung auf Tontafeln, die in Nusi, einem Ort nahe der Stadt Assur in Assyrien, ausgegraben wurden. Diese Urkunden „betreffen Erbschafts- und Eigentumsrechte, Sklavenhaltung, die Annahme an Kindes statt und weitere Details“ (Eugene H. Merrill, Kingdom of Priests, Baker Book House, Grand Rapids, 1996, Seite 38-39).
Die frühere Behauptung von Wissenschaftlern, die in 1. Mose 15 und 16 beschriebenen Handlungen, wie die Zeugung eines Kindes mit der Magd der Ehefrau, seien frei erfunden, erwiesen sich als nicht haltbar. Nach der Entdeckung der Nusi-Tafeln mussten sie einräumen, dass dies in der damaligen Kultur bei Unfruchtbarkeit der Ehefrau gängige Praxis war.
Sofern Abraham nicht wirklich gelebt hat, sind Millionen von Juden sowie Araber, die ihn als ihren Ahnherrn betrachten, jahrtausendealten Märchen und Mythen zum Opfer gefallen. Nach Christi Worten hingegen wird Abraham an der Auferstehung teilnehmen (Matthäus 8,11).
Wenn man die Geschichtlichkeit Abrahams verneint, verleugnet man auch die Worte Jesu Christi und stellt die auf Tausende von Jahren zurückgehenden Urkunden und Überlieferungen in Frage. An die geschichtliche Richtigkeit der Bibel wollen wir im späteren Verlauf dieses Artikels anknüpfen.
Eine Vielzahl an Texten legt Zeugnis ab
Als Dokument aus dem Altertum steht die Bibel in ihrer Art einzig da. Man muss weder Christ noch Jude sein, um das zu erkennen. Wie die Bibel in Form und Inhalt durch die Jahrhunderte hindurch erhalten blieb, darin kommt ihr kein einziges anderes Dokument der Antike, das wie sie ständig in Gebrauch war, gleich.
Kein anderes Werk des Altertums vermag mit einer ähnlichen Menge von Textmanuskripten aufzuwarten. Das gilt für das Alte ebenso wie für das Neue Testament. Wenige alte Bücher sind, was Handschriften anbelangt, die bis dicht an die Entstehungszeit des Originals heranreichen, besser bezeugt als die beiden Teile der Bibel.
Wer sich mit Altertumskunde und der Literatur der Antike befasst, könnte in wahre Begeisterungsstürme ausbrechen, hätte er auch nur einen kleinen Teil dessen vor Augen, was Theologen bereits an altertümlichen Zeugnissen und Belegmaterial wichtiger Dokumente zutage gefördert haben. Und noch im vergangenen Jahrhundert wurden wesentliche Entdeckungen gemacht, die beträchtlich zur Untermauerung des Bibeltextes beitrugen – einige davon sogar erst in den letzten sechzig Jahren.
So stellt beispielsweise ein kleines Stück von einem Papyrusbogen, das in der John Rylands Library in Manchester (England) aufbewahrt wird, eines der interessantesten Schriftzeugnisse dar, die wir überhaupt besitzen. Das Bruchstück enthält Teile von Johannes 18, Verse 31-33 und 37-38. Das Besondere an dem Fragment ist sein Alter: Die Gelehrten sind sich im Allgemeinen darüber einig, dass es vor 150 n. Chr. geschrieben wurde. Wenn man nun davon ausgeht, dass das Johannesevangelium im letzten Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts verfasst wurde, dann haben wir hier ein Textstück vor uns, das keine fünfzig Jahre vom Original entfernt ist!
Es existieren mehr als 5000 Manuskripte, die das Neue Testament ganz oder teilweise enthalten. Darunter befinden sich bedeutende Teile des Neuen Testaments aus der Zeit um 200 n. Chr. und das ganze Neue Testament innerhalb von 200 Jahren nach seiner Entstehungszeit. Damit lassen sich andere griechische Klassiker kaum vergleichen.
Die einflussreichsten Werke des Altertums für die heidnische Welt waren die umfangreichen epischen Dichtungen Homers, die Ilias und die Odyssee. Die Ilias soll um 700 v. Chr. entstanden sein, die Odyssee ein halbes Jahrhundert später. Die ältesten Papyrusfragmente dieser Werke jedoch stammen aus dem 3. Jahrhundert nach Christus, also aus einer Zeit, die fast 1000 Jahre später liegt. Das älteste Manuskript gar, das die ganze Ilias enthält, datiert aus dem 10. Jahrhundert nach Christus. Mit der Odyssee verhält es sich ähnlich.
Herodot, der „Vater der Geschichtsschreibung“, verfasste seine Werke im 5. Jahrhundert vor Christus, doch die beiden besten Manuskripte stammen aus dem Mittelalter (10. und 11. Jahrhundert). Thukydides, der um 400 v. Chr. schrieb, gilt als erster Historiker im neuzeitlichen Sinne. Das älteste größere Manuskript seiner Werke jedoch entstand im 11. Jahrhundert nach Christus.
Der berühmte Schreiber der Neuen Komödie, Menander (gestorben um 290 v. Chr.), war nur aus Zitaten in anderen Werken bekannt, bis im Jahre 1905 eines seiner Lustspiele auf einer teilweise erhaltenen Handschrift entdeckt wurde. Ein weiteres, vollständiges Lustspiel wurde 1959 veröffentlicht. Doch so wertvoll die betreffenden Papyri auch sind, sie stammen nur jeweils aus dem 3. und 5. Jahrhundert nach Christus.
Der Meister der alten griechischen Komödie, Aristophanes (gestorben um 388 v. Chr.), ist als einziger Vertreter jener Literatur erhalten geblieben. Von seinen über vierzig Stücken sind uns nur elf überliefert. Die älteste diesbezügliche Handschrift ist jedoch um 1000 n. Chr. entstanden. Eins der überlebenden Stücke gar tritt erstmals in einem Manuskript des 15. Jahrhunderts auf, das seinerseits lediglich eine Abschrift jenes anderen Werkes darstellt. Wäre dieses einzelne Manuskript aus dem 15. Jahrhundert ebenfalls verloren gegangen, besäßen wir noch eine Komödie des Aristophanes weniger, wahrscheinlich unwiderruflich auf immer.
Die beiden bedeutendsten philosophischen Strömungen im Zeitalter des Neuen Testaments waren der Stoizismus und der Epikureismus. Beide Lehren entstanden um 300 v. Chr. Doch der früheste epikureische Schriftsteller, der uns überliefert ist, Lukretius, lebte erst 200 Jahre nach Epikur. Abgesehen von ein paar epikureischen Lebensregeln, die auf Epikur selbst zurückgehen mögen oder auch nicht, stammt die älteste Quelle, die etwas von Epikurs Schriften enthält, aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. Darin werden drei seiner Briefe zitiert.
Von Zeno, dem Begründer des Stoizismus, ist kein einziges vollständiges Werk erhalten geblieben, nur ein paar Fragmente als Zitate in den Werken anderer Autoren.
Das sind nur einige wenige Beispiele dafür, wie relativ schlecht Werke des Altertums überliefert sind. Kein Wunder, wenn Erforscher des klassischen Altertums nicht ohne Neid auf ihre Kollegen, die Neutestamentler, blicken, denen vergleichsweise Berge von frühen Manuskripten zur Verfügung stehen!
Betrachten wir nun die Geschichte des Bibeltextes, die Erkenntnisse der Wissenschaft und das Belegmaterial. Dabei wollen wir uns zunächst dem griechischen Testament zuwenden.
Das Neue Testament im Laufe der Jahrhunderte
Als Ganzheit in seiner heutigen Gestalt war das griechische Neue Testament um das Jahr 100 n. Chr. im Großen und Ganzen abgeschlossen. Der Kanon der zu ihm gehörigen Werke war während des größten Teils der Kirchengeschichte ein anerkanntes Dogma. Gewiss, eine Zeitlang gab es gewisse Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten.
Einige christianisierte Religionen wollten Bücher wie die Johannesbriefe oder die Offenbarung zunächst nicht in den Kanon aufgenommen wissen. Dabei mag teilweise der Umstand mitgespielt haben, dass diese Bücher des Neuen Testaments als letzte geschrieben wurden. Offenbar hatten Missionare in manchen Gegenden schon das Christentum verbreitet, bevor die genannten Texte entstanden.
Doch Streitfragen in Bezug auf den Kanon traten hauptsächlich nur in den ersten Jahrhunderten auf und waren überdies auf wenige Bücher beschränkt. Abweichende Meinungen, wie die des römischen Theologen Markion, der nur eine Version des Lukasevangeliums sowie einige Paulusbriefe akzeptieren wollte, wurden rasch abgewiesen. Eineinhalb Jahrtausende lang stand der Kanon des Neuen Testaments unangefochten da.
Während der ersten Jahrhunderte nach seiner Fertigstellung wurde das Neue Testament weitgehend auf Griechisch gelesen; Griechisch war damals im Römischen Reich die vorherrschende Sprache. Doch im Laufe der Zeit ging im westlichen Teil des Imperiums die Kenntnis des Griechischen zurück – besonders in Westeuropa, Italien und Nordafrika. Griechisch wurde vom Lateinischen verdrängt. Mit dem Fall Roms und dem Beginn des „finsteren Mittelalters“ blieb die griechische Sprache zunehmend auf Griechenland selbst sowie auf die umliegenden Gebiete beschränkt.
Aus dieser Entwicklung erwuchs die Notwendigkeit, die Bibel in das gebräuchliche Latein jener Zeit zu übersetzen. Ende des 4. Jahrhunderts gab Hieronymus eine offizielle Version des Neuen Testaments in lateinischer Sprache heraus – eigentlich mehr die Überarbeitung einer oder mehrerer älterer Übersetzungen als eine Neuübersetzung. Dann, nach mehrjährigem Studium des Hebräischen, fertigte Hieronymus auch eine lateinische Übersetzung des alttestamentlichen Urtextes an.
Diese Version, die berühmte Vulgata, wurde für fast ein Jahrtausend zur Standardausgabe der Bibel. Die meisten Menschen waren des Lesens unkundig; wer aber zu lesen verstand, konnte auch Latein. Durch die Vulgata waren die heiligen Schriften jedem Gebildeten zugänglich.
Im 15. Jahrhundert jedoch, im Zuge der Renaissance, lebte das Interesse am Griechischen erneut auf. Einer der größten Gelehrten seiner Zeit, Erasmus von Rotterdam, erstellte eine griechische Textausgabe des Neuen Testaments und gab sie in Druck. So stand erneut der Urtext des Neuen Testaments jedem Interessierten zur Verfügung. Die Folgezeit erbrachte zahlreiche Übersetzungen in die jeweilige Landessprache, denen die Erasmusausgabe zugrunde lag, darunter jenes epochale Werk Luthers, die Bibel in deutscher Sprache.
Doch Erasmus hatte sich bei seiner Arbeit auf einige sehr späte griechische Manuskripte gestützt, und zwar notgedrungen: Er wusste, dass in der Bibliothek des Vatikans ein berühmtes altes Manuskript lagerte und wollte es für seine Ausgabe zu Rate ziehen; Alter und äußere Umstände jedoch hielten ihn davon ab. Wäre es ihm vergönnt gewesen, nach Rom zu reisen und dieses Manuskript einzusehen, wäre eine spätere Kontroverse über seinen griechischen Text vielleicht vermieden worden.
Neuzeitliche Erkenntnisse
Mit der Zeit gelangte der Text des Erasmus zu solchem Ansehen, ja zu solcher Autorität, dass man hätte meinen können, die Apostel selbst hätten ihn geschrieben. Er wurde unter dem Namen Textus Receptus bekannt – der „empfangene Text“. Trotz einiger redaktioneller Änderungen blieb er weitgehend der letzten Ausgabe des Erasmus treu. Erasmus selbst hätte diesen Erstarrungsprozess wohl kaum gebilligt.
Doch nach und nach merkten die Gelehrten, dass es auch andere Versionen des griechischen Textes gab, einige davon in weit älteren Manuskripten. Die Entwicklung der Forschungen, die in dieser Richtung betrieben wurden, kulminierte gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als zwei britische Gelehrte, Westcott und Hort, für eine neu von ihnen herausgegebene Ausgabe des griechischen Neuen Testaments eintraten.
Die Arbeit der Gelehrten zeigte, dass sämtliche griechischen Manuskripte im Großen und Ganzen eine bemerkenswerte Übereinstimmung aufwiesen. Im Gegensatz zu anderen Werken der Antike lagen viele verschiedene Manuskripte vor, die sich altersmäßig alle voneinander unterschieden. Auch inhaltlich gab es in allen Texten eine mehr oder weniger große Zahl von Varianten. Die Frage, die nun auftrat, lautete: Welche der Textvarianten gaben mit größerer Wahrscheinlichkeit den ursprünglich von den Verfassern niedergeschriebenen Wortlaut wieder? Die Forscher fanden heraus, dass es im Allgemeinen drei Typen von Manuskripten gab.
•Der byzantinische Text: Er stellte den größten Teil der Texte dar und hatte auch dem Textus Receptus als Vorlage gedient. Insgesamt gesehen fand er sich jedoch nur in späteren Manuskripten, und die meisten seiner nur einmal vorhandenen Lesarten ließen sich nicht weiter als frühestens bis etwa ins Ende des 4. Jahrhunderts zurückverfolgen. Darüber hinaus handelte es sich bei diesen Varianten oft um zusammengesetzte oder mit anderen sekundären Merkmalen ausgestattete Lesarten.
•Der alexandrinische Text: Er wird durch das berühmte Manuskript im Vatikan repräsentiert, das Erasmus benutzen wollte, und ist durch die ältesten damals bekannten Manuskripte bezeugt. Außerdem entsprach er dem internen Maßstab der Textkritik, den Gelehrte anhand der Erforschung auch außerbiblischer Werke der Antike erarbeitet hatten. Es war vor allem dieser Text, den Westcott und Hort zugrunde legten.
•Der westliche Text: Eigentlich stellte er keine Einheit dar, wie der Name vermuten lässt, sondern umfasste eine Kategorie von Manuskripten, die untereinander große Abweichungen zeigten. Hier handelte es sich anscheinend um einen „wilden“ Text mit wenig redaktioneller Überwachung, der unkontrolliert ins Kraut geschossen war. Obwohl auch dieser Text recht früh datierte, lehnten Westcott und Hort ihn im Allgemeinen ab, weil er dem internen Maßstab der Textkritik nicht standhielt, sich vielmehr als sekundärer Text erwies.
Obwohl Westcott und Hort ihren Standpunkt mit den Gesetzen der Logik und den Erkenntnissen der Textkritik untermauern konnten, wurde der altehrwürdige Textus Receptus erst nach hartem Kampf überwunden.
Natürlich waren sich die Gelehrten der Tatsache bewusst, dass viele Lesarten unsicher waren. Aus diesem Grunde wurde der Versuch unternommen, eine kritische Ausgabe zu erstellen, eine Ausgabe, in der die Lesarten von verschiedenen Manuskripten angegeben waren, sofern sie sich vom gedruckten Text unterschieden. In Deutschland erschien bei Nestle eine handliche, inzwischen häufig verbesserte Ausgabe nicht lange nach Westcott und Hort. Andere Ausgaben folgten.
Seit damals wurde weitere Forschungsarbeit geleistet, doch hat sich der Stand der Dinge im Vergleich mit Westcott und Hort nicht wesentlich geändert. Eine Anzahl kritischer Ausgaben entstand, um mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen Schritt zu halten. Doch die beiden verbreitetsten Versionen, die Ausgaben von Nestle und von den United Bible Societies, sind im Grunde dem Westcott-Hort-Text gleichgeblieben.
Dessen ungeachtet haben die letzten einhundert Jahre, wie schon erwähnt, eine Anzahl von Neuentdeckungen zutage gefördert, darunter jenes Papyrusfragment des Johannesevangeliums, von dem eingangs die Rede war. Die meisten Entdeckungen betrafen den alexandrinischen Texttypus oder Manuskripte der westlichen Art. Somit hat sich an dem Bild, das Westcott von den Manuskripten des 4. und 5. Jahrhunderts entwarf, seit seiner Zeit kaum etwas geändert. Einige Wissenschaftler vertraten den Standpunkt, der westliche Text sei womöglich doch der dem Original am nächsten kommende, doch wurde diese Idee mittlerweile fast völlig verworfen. Mit einem Wort, das 20. Jahrhundert hat in der Textkritik keinerlei nennenswerte neue Trends hervorgebracht.
Dennoch könnten sich in der Zukunft unsere Ansichten über den neutestamentlichen Text noch hier und da ändern, immerhin aber können wir heute mit Zuversicht annehmen, dass uns ein Text zur Verfügung steht, der zu etwa 98 Prozent der Form des Neuen Testaments gleicht, die es um das Jahr 100 erreicht hat, trotz einiger Textvarianten, auf die wir nun näher eingehen werden.
Unterschiede im Text der Bibel
Ein gläubiger Mensch, der dies liest, mag sich fragen, was es denn überhaupt ausmacht, ob man diesen oder jenen griechischen Text, diese oder jene Übersetzung benutzt. Die Antwort lautet: In der Tat macht es sehr wenig aus.
Für einen Gelehrten, der über irgendeinen speziellen Punkt Forschungen anstellt, mag eine bestimmte Textvariante höchst bedeutsam sein. Für den gläubigen Menschen jedoch, dem es vor allem um die grundlegende Bedeutung des Textes geht, spielen die verschiedenen Varianten keine große Rolle. Sie wirken nicht sinnentstellend, wenn die betreffende Passage in ihrem Zusammenhang gesehen und im Lichte der übergeordneten Hauptlehren des Neuen Testaments eingeordnet wird.
Die Lutherübersetzung basiert auf dem Text von Erasmus, ebenso die King-James-Bibel der englischsprachigen Welt und andere Übersetzungen. Modernere Ausgaben in der jeweiligen Landessprache jedoch beruhen in der Regel auf der Ausgabe von Nestle oder einer anderen Version des Westcott-Hort-Textes. Sie unterscheiden sich untereinander mehr in der Sprache der Übersetzung, nicht so sehr im Hinblick auf verschiedene Lesarten im benutzten griechischen Original.
Die einzigen wesentlichen Varianten, bei denen es um längere Abschnitte geht, sind der Schluss des Markusevangeliums und die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin in Johannes 7, Vers 53 bis Kapitel 8, Vers 11. Beide Textpassagen werden im Hinblick auf ihre Authentizität in Frage gestellt. Doch weder im einen noch im anderen Fall würde sich an den Grundaussagen der christlichen Lehre irgendetwas ändern. Immerhin wurden beide Schriftstellen über einen beträchtlichen Zeitraum hinweg als echt akzeptiert, wenn man auch nicht nachweisen konnte, dass sie bereits im 1. Jahrhundert entstanden sind. Bruce Metzger schreibt über die Stelle in Johannes: „Der Bericht trägt alle Kennzeichen historischer Wahrhaftigkeit“ (Textual Commentary of the Greek New Testament, Seite 22). Ähnlich wird die traditionelle Schlussversion bei Markus beurteilt.
Die meisten modernen Übersetzungen merken signifikante Textvarianten in Fußnoten an, wie das auch bei den Ausgaben des griechischen Originals der Fall ist; auch dort sind wesentliche Abweichungen zwischen den einzelnen Lesarten im kritischen Anhang vermerkt. Und wieder die Frage: Wie bedeutsam sind diese Varianten in theologischer Hinsicht? Wurde der Urtext irgendwo aus ideologischen Gründen verfälscht?
Erneut lautet die Antwort nein. Die meisten Abweichungen sind ähnlicher Natur, wie man sie in jedem altertümlichen Schriftzeugnis findet. Es handelt sich bei ihnen um Fehler beim Abschreiben ähnlicher Wörter und geringfügige formale Unterschiede bei manchen Berichten, wie das für Texte vor der Erfindung des Buchdrucks natürlich ist. Man könnte es mit mündlich überlieferten Kinderreimen vergleichen: Was man in der eigenen Kindheit so und so gelernt hat, hört man auch heute auf den Spielplätzen, aber manchmal mit kleinen Abweichungen.
So weisen die Manuskripte beispielsweise an einer Stelle Unterschiede auf, ob es „Jesus“, „Christus“ oder „Gott“ heißen soll, oder sie stimmen in der Zeitform eines Verbs nicht miteinander überein. Mitunter gleicht ein Schreiber zwei ähnliche Passagen einander an, indem er der einen Passage Informationen hinzufügt, die ursprünglich nicht dort standen, die er aber einer Parallelstelle entnommen hat. So wird zwar der Sinn der einen Schrift etwas abgeändert, aber insgesamt gesehen wurde nichts entstellt.
Ein Beispiel, wo ein solcher Angleichungsprozess vermutlich zugrunde liegt, finden wir in Matthäus 1, Vers 25. Die Gelehrten sind sich im Allgemeinen darin einig, dass der Wortlaut „bis sie einen Sohn gebar“ dem Original des Autors entspricht. Nun lauten aber manche Manuskripte an dieser Stelle „bis sie ihren erstgeborenen Sohn gebar“. Dieselbe Wendung kommt in Lukas 2, Vers 7 vor, wo sie als ursprünglich gilt. So steht denn die Tatsache, dass Jesus Marias erstgeborener Sohn war, gar nicht zur Debatte. Worum es lediglich geht, ist die Frage, ob die Lesart in Matthäus ursprünglich so oder anders lautete. Anhand gewisser Indizien ist die Textkritik zu dem Schluss gelangt, dass irgendwann einmal ein Abschreiber bewusst oder unbewusst Matthäus 1, Vers 25 durch eine Information aus Lukas 2, Vers 7 ergänzt hat. Diese Ergänzung aber entspricht nicht der Form des Originals.
Wenn man sich näher mit den abweichenden Lesarten befasst, wie sie eben am Beispiel dargestellt wurden, wird einem zunehmend klar, wie wenig bedeutsam die allermeisten von ihnen sind. Bei fast keiner lässt sich eine willkürliche Abänderung aufgrund religiöser Voreingenommenheit nachweisen.
Die vielleicht einzige Stelle, die klar auf einen ideologisch begründeten Eingriff hindeutet, ist der Einschub über die Dreieinigkeit, der sich in manchen Übersetzungen von 1. Johannes 5, Verse 7-8 findet. Es handelt sich hierbei um eine sehr späte Lesart, die mit nur zwei griechischen Manuskripten belegt ist.
Nach weitgehender Übereinstimmung der Gelehrten muss die Stelle richtig lauten: „Denn drei sind, die da Zeugnis geben: der Geist und das Wasser und das Blut [Vers 7]; und die drei stimmen überein [Vers 8].“ Nur wenige andere Stellen, wenn überhaupt, wurden mutwillig aus theologischen Gründen geändert.
Der Text des Alten Testamentes
Was den Urtext des Alten Testaments betrifft, so können wir dieses Thema in diesem Beitrag nur kurz streifen.
Die Autoren des Neuen Testaments kannten und erkannten die Verantwortung der Juden an, die Bücher des Alten Testaments gewissenhaft zu überliefern. Paulus schrieb: „Ihnen [den Juden] ist anvertraut, was Gott geredet hat [ta logia]“ (Römer 3,2). Jesus selbst stellte fest, die Schriftgelehrten, d. h. diejenigen, die im Gesetz und seiner mechanischen Überlieferung erzogen waren, und die Pharisäer säßen „auf Moses Stuhl“ bzw. hätten Moses Autorität in religiösen Fragen inne.
Die jüdische Gemeinde war dafür verantwortlich, dass das hebräische Alte Testament getreu erhalten blieb. Auf sie geht auch die bedeutende Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, die Septuaginta (LXX), die im 3. Jahrhundert v. Chr. angefertigt wurde, im Wesentlichen zurück. Als die Septuaginta bei den Juden in Ungnade fiel, weil sie auch von der christlichen Kirche benutzt wurde, entstanden weitere griechische Übersetzungen, darunter die von Aquila, Theodot und Symmachus.
Obwohl ein letzter Beweis nicht geliefert werden kann, sieht es doch so aus, als sei die Grundfrage, welche Bücher zum Kanon gehörten und welche nicht, schon vor der Zeit Jesu geklärt und abgeschlossen gewesen. Zwar kannte man auch andere Schriften, die damals in Umlauf waren, doch genossen diese für die Mehrheit der frommen Juden nicht denselben Status wie die Bücher, die ins Alte Testament aufgenommen wurden.
Manche dieser apokryphen und pseudoepigrafen Werke waren auch einigen Verfassern des Neuen Testaments vertraut. Zumindest an einer Stelle im Neuen Testament (Judas 1,14-15) scheint ein solches Werk zitiert zu werden. Das heißt aber nicht, dass es deshalb als kanonisch galt, d. h. zur offiziellen Bibel gehörte. Ähnlich verhält es sich bei den griechischen Dichtern, die Paulus zitiert (Apostelgeschichte 17,28; Titus 1,12).
Die katholische Kirche hat sieben apokryphe Bücher in ihr Altes Testament aufgenommen. Das geschah aber erst offiziell, als sie sich im Zuge der Reformation dazu gezwungen fühlte. Die Protestanten lehnten diese Bücher im Allgemeinen ab, weil sie nicht in den Schriften der Juden zu finden waren. Und damit waren sie nicht die ersten: Schon im 4. Jahrhundert hatte der große katholische Gelehrte Hieronymus die Apokryphen in ähnlicher Weise als unkanonisch verworfen.
Neuere Forschungen an den Schriftrollen vom Toten Meer und anderen Texten haben ergeben, dass das Alte Testament hauptsächlich in drei Fassungen überliefert wurde. Eine davon liegt unserem heute gebräuchlichen hebräischen Text zugrunde, nämlich der masoretische Text. Eine andere Version ist in der Septuaginta verkörpert. Die dritte Fassung schließlich ist der Pentateuch (die fünf Bücher Mose), wie er in unserer Zeit von den Samaritanern in Israel benutzt wird.
Doch ebenso wie beim Neuen Testament sind auch die Unterschiede zwischen diesen Fassungen mehr scheinbar als wirklich vorhanden. Es handelt sich um Abweichungen, die für den Textgelehrten, den Sprachspezialisten, bedeutsam sein mögen, nicht aber für den durchschnittlichen Christen, der die Bibel hauptsächlich zur Erbauung liest; für ihn spielt es keine Rolle, welche Version er vor sich hat.
Etwaige Diskrepanzen lösen sich ohne Schwierigkeiten, je mehr er die Bibel als Ganzes verstehen lernt und über ihren tieferen Sinn nachdenkt, nicht über die vordergründige Form vereinzelter Verse. Und natürlich wird ein Christ bei allem Respekt, den er dem Alten Testament schuldet, dieses stets in Verbindung mit dem Neuen Testament studieren.
Kann sich ein Christ auf die Bibel verlassen?
Der Wissenschaft ist es gelungen, den Weg aufzuhellen, auf dem die Bibel durch die Jahrhunderte hindurch bis auf unsere Zeit überliefert wurde. Weite Strecken des Weges freilich liegen noch ganz im Dunkeln; andere Stellen sind recht hell erleuchtet. Und wenn wir auch auf immer neue erhellende Erkenntnis hoffen, so können wir doch schon jetzt dankbar sein für das, was der rastlose Eifer der Gelehrten bereits geleistet hat.
Dennoch gemahnt uns der derzeitige Stand der Dinge daran, dass niemand die Richtigkeit des Textes und des Kanons „beweisen“ kann. Dafür wissen wir trotz allem noch zu wenig. So bleibt denn immer noch ein Element des Glaubens für denjenigen, der die Zuverlässigkeit der Bibel akzeptiert. Man muss im Glauben annehmen, dass Gott der Menschheit sein geschriebenes Wort erhalten hat und dass er uns darin den Weg zum Heil klar verdeutlicht.
Ungeachtet einiger Varianten und offener Fragen stellen der Text und der Kanon, die über die Gemeinden der Juden und der Christen auf uns gekommen sind, den notwendigen Leitfaden dar, den der Mensch nicht auf eigene Faust hätte entdecken können. Das Ganze ist also nicht etwa eine Sache „blinden“ Glaubens, denn schließlich spricht ja eine Menge von Anhaltspunkten dafür, dass er auf Wahrheit beruht.
Doch der eigentliche Beweis liegt mehr in der Anwendung des überlieferten Wortes. Die Bibel selbst spricht manchmal vom „Versuchen“ oder „Prüfen“ einer Sache, wenn es darum geht, etwas in der Praxis auf die Probe zu stellen (Maleachi 3,10).
Gott zwingt uns nicht, nach seinem Willen zu leben. Die einen üben ihre Entscheidungsfreiheit dadurch aus, dass sie Gottes Wort folgen, die anderen, indem sie es von sich weisen. Die Entscheidung liegt aber immer bei uns.
Die Bibel ist vorhanden und fast für jeden zugänglich. Die Verantwortung dafür, dass diese Quelle genutzt wird, liegt bei uns, denn trotz der Vielzahl an Beweisen für die Wahrhaftigkeit der Bibel kommt wirklicher Glaube durch die Entwicklung einer persönlichen Beziehung zu Gott. Zweifel und Unglaube müssen kein unüberwindbares Hindernis sein.
Selbst Menschen, die unserem Herrn Jesus Christus persönlich begegneten, sind gelegentlich gestrauchelt. „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ beschwor ein Mann, der im Glauben schwach war, Christus (Markus 9,24). Jesus hatte Verständnis, half dem Mann und heilte seinen Sohn: „Und der Knabe lag da wie tot, sodass die Menge sagte: Er ist tot. Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf“ (Verse 26-27).
Gott hat eben Verständnis für glaubensschwache Menschen: „Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind“ (Psalm 103,14). Er hilft dem Menschen, der ihn eifrig sucht und Ehrfurcht vor seinem Wort hat: „Meine Hand hat alles gemacht, was da ist, spricht der Herr. Ich sehe aber auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort“ (Jesaja 66,2).
Ein Skeptiker lässt sich überzeugen und wird gläubig
Der englische Historiker Sir William Ramsay, Autor zahlreicher Veröffentlichungen, wurde durch seine Schulbildung um die Mitte des 19. Jahrhunderts von der antibiblischen Haltung seiner Zeit geprägt. Für ihn war die Apostelgeschichte nicht zur Zeit der Apostel, sondern um die Mitte des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts geschrieben worden. Sofern diese Ansicht richtig war, konnte Lukas, der Begleiter des reisenden Paulus, unmöglich der Verfasser sein.
Lukas behauptete, mit Paulus über die Kopfsteinpflaster der Straßen des Römischen Reiches gezogen zu sein. Bei seiner Schilderung eines von Gott durch Paulus bewirkten Wunders, nämlich der Wiederbelebung eines jungen Gläubigen, der bei einem Fenstersturz gestorben war, schrieb Lukas wie ein Augenzeuge (Apostelgeschichte 20,8-12). Ramsay zweifelte an der Echtheit des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte und versuchte seine Sicht zu untermauern.
Nach jahrelangem, intensivem Studium der archäologischen Entdeckungen gelangte Ramsay zu einem für ihn unwillkommenen Schluss: Sämtliche geschichtlichen und archäologischen Beweise sprachen dafür, dass Lukas die Apostelgeschichte doch im 1. Jahrhundert geschrieben hatte. Für Ramsay war Lukas nun kein Betrüger mehr und er kam zu dem Ergebnis, „den Verfasser der Apostelgeschichte unter die allergrößten Historiker einzuordnen“ (Sir William Ramsay, St. Paul the Traveller and the Roman Citizen, Hodder & Stoughton, London, 1925, Seite 4).
Die Praxis des Verfassers Lukas, seine Beschreibung des Wirkens der frühen Kirche mit Angaben über weltliche Ereignisse und Personen zu verbinden, überzeugte Ramsay letztlich von dessen Zuverlässigkeit. So treten uns im Lukasevangelium politische Akteure wie Pontius Pilatus, Herodes der Große und der römische Kaiser Augustus entgegen. In der Apostelgeschichte kommen weitere geschichtliche Persönlichkeiten zum Vorschein: Sergius Paulus, Gallio, Felix, Festus, Herodes Agrippa I. und Herodes Agrippa II., um nur einige zu nennen.
Berichte des Lukas über diese Menschen enthalten häufig konkrete Angaben zu scheinbar unbedeutenden Einzelheiten. Dazu der britische Historiker F. F. Bruce: „Eines der bemerkenswertesten Merkmale der Zuverlässigkeit des Lukas ist seine souveräne Vertrautheit mit dem richtigen Titel jeder wichtigen Person, die er erwähnt . . . Zypern war bis 22 v. Chr. kaiserliche Provinz, wurde aber dann in einen senatorischen Bezirk umgewandelt. Es stand danach nicht mehr unter einem kaiserlichen Legaten, sondern unter einem Prokonsul. Als Paulus und Barnabas um das Jahr 47 n. Chr. in Zypern ankamen, war es der Prokonsul Sergius Paulus, dem sie begegneten“ (F. F. Bruce, The New Testament Documents: Are They Reliable?, InterVarsity Press, Downers Grove, Illinois, 1973, Seite 82).
Lukas erwähnt auch andere Einzelheiten über Ämter und Titel im Römischen Reich. Wie archäologische Funde einer viel späteren Zeit bestätigen, liegt er in jedem Einzelfall ganz richtig. Eine solche Genauigkeit setzt voraus, dass der Verfasser mit den Details der damaligen Politik engstens vertraut war. Heute hätte so mancher seine Schwierigkeiten, die genauen Titel nationaler und internationaler Persönlichkeiten unserer Zeit zu nennen.
Ausführliche Angaben zum geschichtlichen Rahmen dienen nicht nur als Würze einer biblischen Erzählung, sondern machen einen Autor wie Lukas und mit ihm die Bibel anfällig für Angriffe. Sollte er sich in Kleinigkeiten irren, verliert er insgesamt an Glaubwürdigkeit. Wie steht Lukas unter diesem Gesichtspunkt da?
Professor F. F. Bruce äußert sich wie folgt zu Lukas: „Ein Verfasser, der seine Erzählung in den Rahmen der Weltgeschichte einbettet, muss äußerst genau vorgehen, denn er bietet den Kritikern unter seinen Lesern viele Möglichkeiten, seine Zuverlässigkeit zu prüfen. Lukas besteht die Prüfung glänzend“ (ebenda).
Manche Wissenschaftler haben behauptet, Lukas irre sich mit seiner Aussage, es sei um die Zeit, als Jesus Christus geboren wurde, eine Volkszählung von den Römern durchgeführt worden (Lukas 2,1-3). Sie meinten, Quirinius könnte damals nicht Statthalter gewesen sein, da ihm dieses Amt erst einige Jahre später übertragen worden sei. Die Kritiker behaupteten ferner, es habe keine Volkszählung stattgefunden und somit keine Notwendigkeit für Josef und Maria bestanden, zu ihrer Geburtsstadt Bethlehem zu reisen. Später wies die Archäologie nach, dass sich doch alles zugetragen haben könnte, wie Lukas es beschreibt (Bruce, Seite 86). Es stellte sich somit heraus, dass die Bibelkritiker in Unkenntnis der Tatsachen geurteilt hatten.
Buchstäblich Dutzende zusätzlicher Entdeckungen der Archäologie könnten noch zur Bestätigung der biblischen Geschichte angeführt werden. Jede neue Entdeckung bringt weitere Beispiele dafür, wie die Bibel durch archäologische Funde illustriert werden kann.
Die Behauptungen ungläubiger Kritiker sind völlig zunichte gemacht worden. Die Archäologie hat in reichem Maße die biblische Geschichte immer wieder bestätigt. Die eindeutige Botschaft dieser Funde ist: Wir können uns auf die biblischen Aufzeichnungen verlassen. Sie sind bis ins Detail historisch genau.
Die Bibel fordert ungläubige Kritiker dazu heraus zu beweisen, sie sei falsch. Viele von ihnen haben dies verzweifelt versucht – und sind gescheitert. „Und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden“ (Johannes 10,35).
Diese Einsicht blieb nicht ohne Folgen im Leben des Historikers William Ramsay. Zum Erstaunen seiner Kollegen gab er seinen Widerstand gegen die Heilige Schrift auf und bekannte sich offen als Nachfolger Jesu Christi.
Die Schriftrollen vom Toten Meer
Zu den spektakulärsten Entdeckungen der Archäologie in den letzten 100 Jahren im Nahen Osten gehören ohne Zweifel die berühmten Schriftrollen vom Toten Meer. „Antike Handschriften in Palästina entdeckt“, so hieß die Überschrift einer scheinbar nicht so wichtigen Meldung am 12. April 1948 in der Londoner Times. Gemeint waren die Schriftrollen, die in einer Höhle bei Qumran gefunden wurden.
Die zerfledderten Manuskripte wurden zuerst von einem Beduinenknaben, einem Schafhirten, entdeckt. Er hatte einen Stein in eine Höhle geworfen und wurde neugierig, als er das Klirren eines durch den Einschlag beschädigten Tongefäßes hörte. Nach diesem ersten Fund wurden noch weitere Schriftrollen an verschiedenen Orten der Region freigelegt.
Der weitaus größte Teil dieser Manuskripte war zwischen 100 v. Chr. und 68 n. Chr. entstanden. Einige von ihnen enthalten die ältesten bekannten Versionen von Stellen aus dem Alten Testament, ja von ganzen Büchern – einschließlich des gesamten Buches Jesaja. Vor der Entdeckung der Schriftrollen vom Toten Meer war der Codex Petropolitanus aus dem Jahre 916 n. Chr. das älteste und vollständigste Manuskript in hebräischer Sprache gewesen.
Die Schriftrollen aus Qumran waren Teil einer Bibliothek, die den Essenern gehört hatte. Die Essener waren eine jüdische Sekte, die sich vom Judentum ihrer Zeit distanziert hatte, weil es ihrer Überzeugung nach – auch die Schriftgelehrten und Pharisäer – nicht ausreichend strenggläubig war.
Die Schriftrollen vom Toten Meer waren tausend Jahre älter als die ältesten und zuverlässigsten Masoretischen Texte, die wir heute haben. Deshalb erwarteten die Wissenschaftler zunächst große Abweichungen.
Doch nach jahrelangen Untersuchungen kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Qumran-Rollen nur sehr geringe, unbedeutende Abweichungen zu dem heutigen Masoretischen Text des Alten Testaments aufwiesen. „Diese ältesten biblischen Texte sind von großer Wichtigkeit“, erklärt der Historiker Ian Wilson. „Obwohl sie tausend Jahre älter sind als die Texte, die zuvor in Hebräisch bekannt waren, zeigen sie doch, wie sehr unsere heutigen Bibeln mit denen von vor 2000 Jahren übereinstimmen und wie wenig sie sich über die Jahrhunderte verändert haben. Beispielsweise enthalten zwei Jesaja-Schriftrollen fast genau denselben Text, wie er in unserer heutigen Bibel steht . . .
Obwohl wir kleine Unterschiede erwarten können, handelt es sich hierbei vornehmlich um eine andere Wortwahl oder das Hinzufügen bzw. Weglassen eines bestimmten Satzes oder bestimmter Wörter. Jesaja 1, Vers 15 endet beispielsweise in unserer heutigen Bibel wie folgt: ,Denn eure Hände sind voll Blut.‘ In der Schriftrolle vom Toten Meer steht noch der Zusatz: ,und eure Finger mit Verbrechen‘. In unserer modernen Bibel lautet Jesaja 2, Vers 3: ,Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakobs‘. Die Version der Qumran-Rolle lässt ,den Berg des Herrn‘ weg.
Solche Diskrepanzen sind unbedeutend. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die biblischen Bücher, die vor 2000 Jahren sorgfältig in Qumran aufbewahrt worden waren, sich kaum von unseren heutigen hebräischen und alttestamentlichen Bibeln unterscheiden“ (The Bible Is History, 1999, Seite 205).
Die Schriftrollen vom Toten Meer sind eine Bestätigung für die Genauigkeit der Übermittlung der Texte des Alten Testaments. Die 2000 Jahre alten Dokumente zeigen deutlich, dass das maßgebende masoretische hebräische Alte Testament, wie es uns heute vorliegt, die uralten Texte erstaunlich genau wiedergibt.
Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang auch die Fragmente von 14 Pergamentrollen – einschließlich Teilen des 1., des 3. und 5. Buches Mose, der Psalmen und des Buches Hesekiel, die in Masada entdeckt wurden, dem Ort des letzten Widerstands der Juden gegen die Römer im Jahre 73 n. Chr. Textlich und orthografisch sind sie identisch mit der traditionellen hebräischen Bibel.