Von Tyanne Butler
Ich weiß noch genau, wie ich Vicki das erste Mal traf. Wir sollten uns im Biologieunterricht einen Computer teilen. Schon bald schrieben wir uns gegenseitig Botschaften auf dem Computerbildschirm. Wir besuchten außerdem zwei andere Kurse zusammen und gingen oft gemeinsam zum Unterricht. Es dauerte nur eine kurze Zeit, bis wir richtig gute Freunde wurden.
Eines Tages erzählte Vicki (Name von der Redaktion geändert), daß sie ein paar Probleme hatte, von denen sie nicht vielen Menschen erzählte. Unter anderem gehörten Alkoholmißbrauch und Rauchen dazu. Ihr Bruder hatte Schwierigkeiten mit dem Gesetz und zog sie oft mit hinein. Sie versuchte nie, mich in ihre Angelegenheiten mit hineinzuziehen, und ich respektierte sie dafür. Ich glaube, daß sie unter ihren zerrütteten Familienverhältnissen litt und einige der Dinge, die sie tat, eigentlich nicht tun wollte.
An dem Tag, als sie mir von ihren Problemen erzählte, schien sie Angst davor zu haben, sich mir anzuvertrauen. Anscheinend mußte sie sich aber endlich jemandem mitteilen. Es war kaum zu glauben, daß so ein süßes Mädchen mit so einer freundlichen Persönlichkeit, die man einfach lieben mußte, in so vielen Schwierigkeiten stecken konnte. Ihr Familienleben hatte einen großen Anteil an ihren Problemen. Ihre Eltern ließen sich scheiden, als sie drei Jahre alt war. Sie lebte bei ihrem Vater, aber ihr Verhältnis zueinander war nicht sehr gut. Sie sagte, daß sie ihre Mutter vermißte. Ihr Familienleben war alles andere als glücklich. Meiner Ansicht nach war sie eher das Opfer als die Schuldige.
Erst vierzehn Jahre alt
Ich dachte nicht mehr darüber nach, was sie mir erzählt hatte, weil sie nie wieder darüber sprach. Als ich dann nach den Frühjahrsferien wieder in die Schule zurückkehrte, hörte ich die schreckliche Nachricht: Vicki hatte Selbstmord begangen.
Zuerst dachte ich, daß die Geschichte über ihren Tod nur ein makaberer Witz sei. Ich wollte es auch dann nicht glauben, als unsere Biologielehrerin ihren Tod vor der Klasse bekanntgab. Für den Rest des Tages konnte ich an nichts anderes denken. Meine Freundin Vicki war tot. Mit ihren vierzehn Jahren war sie viel zu früh gestorben.
Gerüchte kamen auf, einige wahr, andere nicht. Es blieben unbeantwortete Fragen, die nicht einmal Vickis Abschiedsbrief beantworten konnten. Einige Hinweise schienen anzudeuten, daß sie noch einmal ihre Meinung über ihren Selbstmord geändert hatte, es war jedoch zu spät für eine Rettung. Vielleicht war ihre Handlung nur ein verzweifelter Schrei nach Hilfe gewesen; leider kam er zu spät.
In den nächsten Tagen liefen alle möglichen Fragen durch meinen Kopf. Warum hatte sie dies getan? War Vickis Leben so unerträglich, daß sie keinen anderen Ausweg mehr sah? Vielleicht hätte ich mehr mit ihr reden sollen. Hätte ich etwas tun können, um ihr zu helfen?
Mein ganzes Leben hatte ich meine Freunde für selbstverständlich hingenommen. Ich hatte nie erfahren, was es bedeutet, einen Freund zu verlieren. Der Verlust eines Freundes oder Freundin ist fast unerträglich, genauso wie die Gefühle der Schuld und der Angst, mit denen man ringen muß.
Das Bedürfnis zu reden
Ich habe mit Leuten über Vickis Tod geredet: mit meinen Freunden und besonders mit meinen Eltern. Obwohl sie mir dabei geholfen haben, einzusehen, daß Vickis Tod nicht meine Schuld war, schmerzt es immer noch sehr. Die Gespräche mit meinen Eltern und das Zusammensein mit meinen Freunden haben mir am meisten geholfen.
Oft frage ich jedoch, ob ich irgend etwas bei Vicki anders hätte machen können. Hätte ich mehr Zeit mit ihr verbringen oder mehr über ihre Probleme reden können? Ich hätte ihr raten sollen, mit einem Vertrauenslehrer in der Schule zu sprechen, da sie mit ihrem Vater nicht sprechen konnte. Hätte ich jemanden anrufen oder etwas anderes tun können? Dieses Gefühl vergeht einfach nicht.
Aber selbst in dem tiefsten Schmerz, eine Freundin verloren zu haben, hat mir die Überzeugung geholfen, daß es doch eine Zukunft für Vicki geben wird. Ich freue mich auf die Zeit, wenn die Toten wieder auferstehen werden und ich zur Stelle sein kann, um Vicki bei der Bewältigung ihrer Probleme in einer Welt, die von den Schmerzen der heutigen Gesellschaft befreit sein wird, zu helfen. Ich bin froh, daß Vicki – und viele andere, deren Leben vorzeitig ausgelöscht wurde – in einer viel glücklicheren Zeit wieder leben wird.
Ich habe aus dieser Erfahrung jedoch eines gelernt: Man sollte die Probleme der Freunde ernst nehmen und sie zur Hilfe drängen, wenn sie auf ihre Art nach Hilfe schreien.
Vorsicht!
Wenn Sie jemanden kennen, der Selbstmordabsichten bekundet, ist es wichtig zu wissen, daß diese Person, selbst wenn sie nur zu scherzen scheint, es vielleicht doch ernst meint und mit dem Scherz in letzter Minute um Hilfe ruft. Ermutigen Sie die Person – oder den Freundeskreis bzw. die Eltern – kompetente Hilfe zu suchen. Eine Selbstmorddrohung sollte nie auf die leichte Schulter genommen werden!