Der Wandel in der Gesellschaft führt zur Akzeptanz neuer Familienformen. Ist ein Vater für die Entwicklung von Kindern notwendig?
Von Paul Kieffer und Jesmina Allaoua
In den letzten Jahrzehnten kämpfte die westliche Gesellschaft ununterbrochen für individuelle Freiheit, Emanzipation und Selbstverwirklichung. Während jeder vermeintliche Fortschritt gebührend gefeiert wurde, blieben mögliche nachteilige Folgen für Kinder sehr lange unbeachtet oder wurden durch ideologisch gefärbte Argumente gerechtfertigt.
Die Entstehung alternativer Lebensgemeinschaften und die daraus hervorgegangenen neuen Familienformen wurden im Zuge der allgemeinen gesellschaftlichen Umbrüche als Ergänzung für die moderne Zeit zum bisherigen Standard akzeptiert. Viele – auch Politiker – unterwarfen sich diesen Veränderungen in blinder Anpassungsbereitschaft, ohne die möglichen langfristigen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und die Folgen für Kinder zu überlegen.
Prof. Dr. Horst Petri, Neurologe sowie Kinder- und Jugendpsychiater,schreibt dazu: „Das Gefühl für die Kinder ging ... verloren, als der Vater im Rahmen des emanzipatorischen Umbaus nicht nur an Bedeutung verlor, sondern in seiner Rolle für die Kinder zusätzlich eine radikale Entwertung erfuhr. Durch diese Entwicklung wächst seit zirka dreißig Jahren eine zunehmende Zahl von Kindern ohne ihre Väter auf, ein Trend, der sich weiter beschleunigt. Wenn man diese Tatsache nicht nur rational begreift, sondern emotional als Drama realisiert, kann einen das Gefühl eines Alptraums befallen“ (Das Drama der Vaterentbehrung, Herder Verlag, 1999, Seite 11).
Von Generation zu Generation
Wie konnte es zu dieser Entwicklung der sogenannten „vaterlosen Gesellschaft“ in unserer Generation kommen? Sind die Ursachen für das Phänomen der Entwertung des Vaters in der Familie allein im Wandel der modernen Gesellschaft zu sehen?
Wir meinen, der Hintergrund für das neuzeitliche Bild des Vaters kann bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts zurückverfolgt werden. Die beiden Weltkriege verursachten nämlich einen tiefen Einschnitt in die traditionellen Familienbeziehungen. Im Ersten Weltkrieg fielen 1,8 Millionen deutsche Soldaten, im Zweiten Weltkrieg wurden weitere 5,25 Millionen getötet.
Die meisten dieser Männer waren zwischen achtzehn und fünfundvierzig Jahre alt; darüber hinaus waren viele von ihnen Väter mehrerer Kinder. Die Folge? Eine ganze Generation Kinder mußte fortan ohne ihren eigenen Vater aufwachsen, wobei die Mütter vor der Aufgabe standen, die Rolle des Versorgers für die Familie zu übernehmen.
Zur Zeit der Studentenbewegung von 1968 waren diese Kinder ungefähr 23 bis 33 Jahre alt. Horst Petri schreibt über diese Generation: „Heute stehen wir vor der Tatsache, daß es diese vaterlose Nachkriegsgeneration war, die der traditionellen Familie ideologisch und faktisch den ‚Krieg erklärte‘ und damit wiederum eine Kindergeneration gezeugt hat, von der große Teile ihre Väter, diesmal nicht durch einen militärischen, sondern durch den Krieg der Geschlechter verloren haben. Diese vaterverlassenen Kinder von Vätern ohne Vater stellen die heutige junge Vatergeneration dar. Das Trauma wird also von Generation zu Generation weitergegeben“ (ebenda, Seite 179).
Schon lange vor dem Triumph des Feminismus haben Wissenschaftler allein Müttern eine entscheidende Bedeutung für die kindliche Entwicklung zugeschrieben. Bereits Sigmund Freud hatte es gelehrt, und in den fünfziger Jahren entwickelte der einflußreiche britische Psychologe John Bowlby die These, daß ein Kind sich nur eine Bezugsperson sucht und benötigt: seine Mutter. Dem Vater wurde bestenfalls die Rolle des Versorgers und der „Autorität am Rande“ zugeschrieben.
In den 70ern und 80ern wurden die Wortführerinnen der Emanzipation nicht müde, die Entwertung der Väter kompromißlos durchzusetzen. Laut verkündeten sie, Väter seien verantwortungslos, uninteressiert, gefühllos und als Patriarchen zu verachten.
Die Rolle des Vaters wird neu entdeckt
Erst in den letzten Jahren haben Forscher sich verstärkt mit dem Einfluß des Vaters auf die Entwicklung der Kinder auseinandergesetzt. Dabei hat man festgestellt, daß Väter für die Erziehung der Kinder genauso wichtig sind wie Mütter. Väter und Mütter haben also einen unterschiedlichen, aber gleichwohl entscheidenden Einfluß bei der kindlichen Entwicklung.
Als eine der zentralen Erkenntnisse gilt, daß nicht allein die Zeit, die ein Vater mit seinem Kind verbringt, sondern auch die Qualität der emotionalen Beziehung wichtig ist. Es kommt vor allem darauf an, wie intensiv er sich mit seinem Nachwuchs beschäftigt.
In seinem Buch Vatersehnsucht führt Prof. Gerhardt Amendt zu diesem Thema aus: „Wenn der Vater ‚fehlt‘, weil er arbeitet, sind die Kinder deswegen tagsüber noch lange nicht vaterlos. Die kindliche Vorfreude darüber, ihn nach der Arbeit zu sehen, repräsentiert ihn in sehr intimer Weise. Um so mehr, wenn die Mutter diese Freude der Kinder teilt und seine Sorge für das tägliche Brot anerkennt“ (Universitätsbuchhandlung der Universität Bremen, 1999)
Man hat herausgefunden, daß gerade das väterliche Spiel in den ersten Jahren des Kindes entscheidend für seine Entwicklung ist. Die Feinfühligkeit und Aufmerksamkeit des Vaters beim Spiel hat einen eindeutigen Einfluß auf das Bindungsverhalten der Kinder bis hin ins frühe Erwachsenenalter. Je sensibler der Vater mit dem Kleinkind umgeht, desto sicherer geht der junge Erwachsene mit emotionalen Bindungen um.
Darüber hinaus stellte man fest, daß Kinder mit aufmerksamen Vätern in allen Altersstufen interessierter, neugieriger und weniger ängstlich sind. Väter helfen dem Kind, die Außenwelt zu entdecken, sich von einer möglicherweise allzu engen Beziehung zur Mutter zu lösen und so mit den Anforderungen der Umwelt zurechtzukommen.
Die Forscher sind sich einig, daß sich bei Kindern ein Aufwachsen ohne Vater negativ auf die schulischen Leistungen und intellektuellen Fähigkeiten auswirken kann. Dabei ist der negative Einfluß bei Scheidung und Trennung der Eltern größer als beim Tod des Vaters.
Auf der anderen Seite verfügen Kinder, bei denen Väter Einfluß auf die Entwicklung ausüben, über eine größere Streßtoleranz und über eine höhere Sicherheit bei moralischen Urteilen. Der Zusammenhang zwischen Kinder- und Jugendkriminalität, sozialer Auffälligkeit und dem fehlenden Vater im Leben dieser Kinder gilt heute als eindeutig belegt.
Vaterlose Jungen und ihre Moral
Die Beziehung zum Vater ist entscheidend für die Charakterentwicklung eines Jungen. Untersuchungen zufolge erreichen vaterlose Jungen ein niedrigeres Reifungsniveau als Jungen mit einem Vater.
Der Amerikaner Michael Gurian kam beispielsweise nach einer Studie über 30 Kulturen in der ganzen Welt zu dem Schluß, daß „amerikanische Jungen die geringste Charakterentwicklung von allen Jungen auf der Welt erfahren“. Gurian verbindet seine entmutigende Beobachtung mit dem allmählichen Zusammenbruch der Familie, welche er als dreifältiges System definiert: die Kernfamilie, die erweiterte und die kommunale Familie.
Er weist auf den Trend in unserer heutigen Gesellschaft hin, wonach „Kinder von einem Elternteil aufgezogen werden, nicht mehr von der erweiterten Familie ... Dies bedeutet eine geringere Chance für eine stabile Charakterentwicklung“ (Brad Knickerbocker, „Mapping the Journey from Boy to Man“, The Christian Science Monitor, 13. Oktober 1999).
„Jungen hungern sehr nach männlicher Aufmerksamkeit. Das ist nur natürlich. Ich habe das in jeder Kultur gesehen. Wenn ein Junge in die Pubertät kommt, fängt er an, sich an Männern zu orientieren, und es ist die Verantwortung der Gesellschaft, ihn mit Männern zu versorgen. Das bedeutet [in erster Linie] seinen Vater, beschränkt sich aber nicht allein auf seinen Vater. Ein Junge kann ein männlicher Erwachsener werden – physikalisch und gesellschaftlich –, aber er ist kein Mann, bevor er nicht in der Lage ist, zu lieben sowie weise und verantwortungsbewußt zu handeln“ (ebenda).
Auf die Frage: „Was brauchen Jungen, um gute Söhne und irgendwann gute Männer zu werden?“ antwortete Gurian: „Viele Studien zeigen uns, daß die Wahrscheinlichkeit für einen Jungen größer ist, daß er in Armut leben, im Gefängnis enden, Drogen nehmen wird usw., wenn er keine Bindung zu seinem Vater hat. Deshalb können wir nur sagen: Wenn wir charakterlich starke Söhne haben wollen, brauchen wir Väter. Und mit dem Vater meine ich auch den ‚zweiten Vater‘ ... einen Onkel oder einen Großvater.“
Auch Töchter brauchen einen Vater
Was Gurian über die Notwendigkeit von Vätern im Leben der Jungen sagt, gilt genauso für die Entwicklung der Mädchen.
„Man sagt, das beste, was ein Vater für seine Tochter tun kann, ist, ihre Mutter zu lieben“, stellte Kathleen Parker in The Orlando Sentinel fest. „Ein Mädchen, das glücklich genug ist, ihren ‚ersten Mann‘ [ihren Vater] zu beobachten, wie er der Frau, mit der sie sich am meisten identifiziert [ihre Mutter], Zuneigung und Respekt entgegenbringt, wächst mit Zuversicht und großem Selbstvertrauen auf. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sie ihren Maßstab bei der Auswahl ihres eigenen Ehepartners hoch ansetzen“ („A Father’s Best Gift? His Presence“, 3. Oktober 1999).
Dabei wies Parker auf Untersuchungen hin (veröffentlicht im Journal of Personality and Social Psychology, August 1999), wonach es noch mehr gibt, was die Väter tun können: „Dasein.“ Man beobachtete u. a., daß Mädchen, die ihren Vater als aktiven Erziehungsberechtigten erlebten, später in die Pubertät kamen und damit langsamer sexuelle Interessen entwickelten – mit den damit zusammenhängenden Problemen. „Es scheint, daß die biologische Uhr der Mädchen nicht nur nach ihrer physischen Umgebung gestellt wird, sondern auch nach der emotionalen Atmosphäre“ (ebenda).
Es ist gut für Kinder – Söhne und Töchter –, Väter zu haben!
Kinder, Scheidung und Patchworkfamilien
Damit soll die Realität unserer gegenwärtigen, kranken und verstörten Gesellschaft nicht ignoriert werden. Wir verneinen keineswegs die Existenz von Vätern – und Müttern –, die grausam, mißhandelnd, unreif und egoistisch sind und dadurch die Entwicklung ihrer Kinder aufs Tiefste schädigen. Wir stellen deshalb klar: Uns geht es nicht darum, die Erhaltung der Familie auf alle Fälle durchzusetzen, wenn die geistige, emotionale und körperliche Gesundheit der Kinder gefährdet ist.
Abgesehen von solchen Extremfällen glauben trotzdem viele zu erkennen, daß die heutige Familie in ihrer traditionellen Form ernsthaften Problemen und Herausforderungen gegenübersteht. Besorgte Menschen suchen deshalb nach Lösungen. Der Vorschlag von einigen, Familien ohne „die väterliche Anwesenheit“ neu zu definieren, wird als Lösung angeboten. Man ist der Überzeugung, daß dieses neue Konzept besser sei als die gegenwärtige Realität. Es ist aber keine Lösung, Väter deshalb generell aus dem Leben ihrer Kinder zu verbannen.
Geht es der Mutter und ihren Kindern wirklich immer besser, wenn sie ohne den Vater leben? Bleibt dann der Kontakt der Kinder zum Vater bestehen?
Der Statistik zufolge dient der überwiegende Teil der Väter, durch Scheidung von der Familie getrennt, oft nur noch als Geldgeber. Ungefähr 50 Prozent aller deutschen Väter haben innerhalb eines Jahres nach der Scheidung keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern. Nicht immer ist dafür ein Desinteresse des Vaters schuld, sondern oft auch Verzweiflung und Hilflosigkeit. Geschiedene oder getrennt lebende Väter ohne Arbeit sind besonders gefährdet, von sich aus den Kontakt zu den Kindern völlig abzubrechen oder von der geschiedenen Ehefrau bewußt ausgegrenzt zu werden.
Horst Petri meint dazu: „Ihre Schuld- und Schamgefühle sich selbst, der geschiedenen Frau und den Kindern gegenüber, beruflich ‚versagt‘ zu haben, ihre Unfähigkeit, für die Familie weiter zu sorgen, ihre beengten Wohnverhältnisse ohne eigenes Zimmer für die Kinder und ihre begrenzten finanziellen Mittel für Geschenke, die auch nur annähernd den Erwartungen der Kinder und dem gesellschaftlichen Standard entsprechen würden – diese Kombination aus psychischer Belastung und materieller Not führt bei vielen fast zwangsläufig nach mehr oder weniger kurzer Zeit zum totalen Rückzug. Unterstützt und beschleunigt wird dieser durch die Reaktionen der Umwelt, besonders der Partnerin und der Kinder. Ein Vater, der nicht zahlen kann, der seine Hauptpflicht nicht erfüllt, verwirkt auch seine Rechte“ (Petri, Seite 195-196).
Eine Studie der OECD (UN-Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) über alleinerziehende Eltern hat ergeben, daß besonders alleinerziehende Mütter der Gefahr der Armut ausgesetzt sind, viel mehr als es bei alleinerziehenden Vätern der Fall ist. Dazu schreibt Dr. Ulla Björnberg in ihrer vom Europäischen Rat in Auftrag gegebenen Untersuchung: „Das hohe Armutsrisiko in [solchen] Familien hat oft die Vernachlässigung der Kinder zur Folge. Es gibt viele Ursachen für die ... Armut unter alleinerziehenden Müttern, von denen eine der Verlust des Partnereinkommens ist. Hinzu kommt das niedrige eigene Einkommen, das bei Frauen allgemein ein Problem ist. Außerdem gibt es Arbeitslosigkeit unter alleinerziehenden Müttern, welche sie und ihre Kinder vom Sozialamt abhängig werden läßt“ (Children and their Families, Dokument CDPS III.8 [94] 9).
Aus sozialer Sicht wird eine durch Wiederheirat neugebildete Familie deshalb nicht selten mit Erleichterung als Rückkehr zur Kernfamilie angesehen. Diese Sicht ist allerdings trügerisch. Für das Kind ist die ursprüngliche Familie zerbrochen, die Beziehungen zu den eigenen leiblichen Eltern bleiben jedoch bestehen. Untersuchungen haben gezeigt, daß es in der Zeit der Scheidung, des Ein-Eltern-Haushalts und des neuen Familienzusammenschlusses am wichtigsten ist, daß das Kind den Kontakt zu beiden Eltern beibehält und nicht in eine Eltern-Kind-Beziehung zu dem neuen Partner des Elternteils gezwungen wird. Die neugegründete Familie wurde nicht vom Kind gewählt, sondern durch die beiden Erwachsenen, die zusammen leben wollen.
Dr. Björnberg schreibt dazu: „Aus Sicht der sozialen Umstände, die mit den neugegründeten Familien zusammenhängen, kann die erneute Heirat der Mutter nicht automatisch als Lösung zu den wirtschaftlichen Problemen der Kinder angesehen werden. Noch kann sie als Lösung zu dem Beziehungsproblem der Kinder zu ihren Eltern gelten ... In einigen Fällen kann die neue Ehe eines Elternteils zur Verschlechterung der Beziehung des Kindes zu seinen Eltern führen ... Bei der Formulierung von Familienpolitik in bezug auf neu zusammengesetzte Familien soll die Gesellschaft primär auf das Interesse des Kindes achten. Es ist ja das Kind, das Schutz und wirtschaftliche bzw. soziale Unterstützung braucht“ (ebenda).
Da die meisten Kinder im Falle einer Trennung ihrer Eltern bei der Mutter bleiben, kommt es vor, daß das Kind sich an mehrere Partner der Mutter gewöhnen muß. Die Zeitschrift Geo berichtete: „Fest steht: Biologische Vaterschaft verliert, soziale Vaterschaft gewinnt an Bedeutung ... Stetig mehr Männer werden nicht zu einem Kind kommen, indem sie es zeugen, sondern indem sie es übernehmen von einem andern Mann, der eine neue Familie gründet oder sich seinerseits einer bereits vorhandenen Mutter-Kind-Gemeinschaft anschließt. Kinder werden vermehrt mit multiplen Vätern (und Müttern) aufwachsen; möglicherweise finden sich regelrechte ‚Lebensabschnitts-Eltern‘ “ (1/2001).
Studien mit Kleinkindern weisen auf die Möglichkeit der Orientierungslosigkeit hin, die sich beim häufigen Wechsel von Beziehungspersonen einstellen kann. Wiederholtes Verlassenwerden schürt nicht nur Ängste, sondern baut auch Schuldgefühle auf. Kinder meinen fälschlicherweise, sie würden die Schuld dafür tragen, daß sich der Partner abwendet. Das führt nicht selten dazu, daß sich die Kinder selbst nicht liebenswert finden und es im späteren Leben schwer haben, andere zu lieben. Häufig tendieren solche Kinder zu frühen Ehen, frühen Scheidungen und insgesamt zu ungefestigten, oberflächlicheren Bindungen. Es ist ein Kreislauf, der von Generation zu Generation übertragen wird und der sich schwer durchbrechen läßt.
Jedes Kind hat ein Recht auf beide Elternteile
Mit dem Anstieg der individuellen Verwirklichung in den letzten Jahrzehnten haben sich die Familienbeziehungen verändert. Eine Verschiebung in dem Macht- und Abhängigkeitsverhältnis innerhalb der Familie durch den Anstieg der berufstätigen Mütter hat auch zur Veränderung der Motivation geführt, warum Familien zusammenbleiben. Die finanzielle Dominanz des berufstätigen Mannes gegenüber seiner Frau, die früher vollzeitig als Hausfrau bzw. Mutter „beschäftigt“ war, ist der Partnerschaft und der Verhandlung zwischen den Partnern gewichen. Die Durchsetzung der eigenen Wünsche beider Elternteile spielt eine immer größere Rolle. Ein Nachteil der finanziellen Unabhängigkeit der Partner ist die Bereitschaft zur Trennung bzw. Scheidung, wenn man eigene Wünsche eben nicht durchsetzen kann.
Deshalb wurde in den letzten zwei Jahrzehnten die Notwendigkeit erkannt, die Rechte des Kindes sowie seine Interessen und Integrität anzuerkennen und zu vertreten. Die Gesellschaft erkennt es zunehmend als ihre Verantwortung an, die Rechte der Kinder auf beide Elternteile ernst zu nehmen und zu schützen. Die Grundlagen hierfür bilden die 1990 in Kraft getretene UNO-„Konvention über die Rechte des Kindes“, die „Europäische Charta der Rechte des Kindes“ des Europarats von 1996 und das im Juli 1998 in Kraft getretene „Neue Kindschaftsrecht“.
Im „Neuen Kindschaftsrecht“ heißt es: „Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt“ (§1684 Abs. 1 BGB n. F). Bemerkenswert ist die Betonung der Verpflichtung zum Umgang sowohl der Elternteile mit den Kindern als auch der Kinder mit den Eltern.
Allerdings wird den Müttern unehelicher Kinder ein absolutes Vetorecht in bezug auf Kontakte ihres Kindes mit seinem Vater eingeräumt, gegen das Väter bisher keinen Einspruch einlegen konnten. Inzwischen liegen etliche Klagen gegen das mütterliche Vetorecht beim Bundesverfassungsgericht vor. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Bundesrepublik im Juli 2000 in einem spektakulären Urteil zu Schadensersatzzahlungen an einen Vater, dem von Gerichten jahrelang der Umgang mit seinem unehelichen Sohn verweigert worden war. Die Umgangsverwehrung wurde vom höchsten europäischen Gericht als gravierende Menschenrechtsverletzung verurteilt.
Die Familie im gesellschaftlichen Wandel
Das Recht des Kindes auf beide Elternteile gehört zu den Menschenrechten. Es ist deshalb erstaunlich zu beobachten, wie in der Politik versucht wird, den Spagat zwischen dem im Grundgesetz verankerten Schutz der Familie und den Interessen einer individualistischen Gesellschaft zu schaffen.
So meinte Verbraucherschutzministerin Renate Künast gegenüber der Süddeutschen Zeitung, daß der traditionelle Familienbegriff nicht mehr gelte. „Ob Eltern verheiratet sind, alleine leben ..., hetero- oder homosexuell sind – das ist uninteressant. Das ist Ausdruck gesellschaftlichen Wandels. Der traditionelle Familienbegriff gilt nicht mehr. Familie ist heute, wo Kinder sind“ (5. Juni 2001).
Solche Äußerungen und die Bemühungen mancher Politiker um Wählerstimmen unter gleichgeschlechtlichen Paaren sind Anlaß zu ernsthaften Fragen. Inwieweit müssen Werte und Traditionen, die ihren Niederschlag in bestehenden Gesetzestexten gefunden haben, neu definiert werden, um dem moralischen „Zeitgeist“ mit Toleranz zu begegnen?
Wenn der Begriff Familie neu definiert wird und es wirklich keine Rolle mehr spielt, ob Kinder mit den natürlichen Eltern – Vater und Mutter – aufwachsen, stehen dann die Interessen des Kindes bezüglich einer gesunden Entwicklung immer noch im Vordergrund? Oder geht es hierbei nicht wirklich immer mehr um die Durchsetzung der individuellen Vorstellungen von Erwachsenen auf die freie unbegrenzte Entfaltung ihrer Interessen?
Der britische Soziologe Anthony Giddens warnte: „Individualismus und Entscheidungsfreiheit sollen vor der Grenze der Familie ... abrupt Halt machen, weil hier die Tradition in Takt bleiben muß“ (Der Spiegel, 15/2001).
Die Gleichstellung von homosexuellen Paaren als Ehegemeinschaft und deren Einforderung des Rechts, Kinder mit Samenspendern und Leihmüttern zu zeugen, wird eine „Büchse der Pandora“ öffnen, die sich wohl nicht mehr wieder schließen läßt. Die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die zukünftige Gesellschaft kann man heute nicht abschätzen – dafür gibt es keine Erfahrungswerte, auch wenn Familienforscher Wassilios Fthenakis versichert, die Kinder in solchen Lebensgemeinschaften lebten nicht schlechter als in der natürlichen Familie. Wirklich? Fest steht, daß ein Kind, dem der Einfluß eines Vaters oder einer Mutter vorenthalten wird, in seiner vollständigen Persönlichkeits- und Charakterentwicklung eingeschränkt ist. Das Kind lernt in diesem Fall nicht durch das Vorbild zu Hause, wie man mit dem anderen Geschlecht in einer natürlichen Ehegemeinschaft umgeht, wohl aber mit einem gleichgeschlechtlichen Partner.
Werden Kinder deshalb in Zukunft mit der Auffassung aufwachsen, daß es sich bei der natürlichen Familieneinheit – bestehend aus beiden Geschlechtern – um nichts Besonderes handelt? Die natürliche Familie wäre dann eben nur eine Form unter vielen anderen. Renate Künast sagt schon heute: „Wie die Eltern leben ist uninteressant.“
Werden junge Menschen deshalb dem Gedanken ausgesetzt sein, sexuell experimentieren zu müssen, um herauszufinden, „wer sie wirklich sind“? Da werden sie aber in einer Gesellschaft, die sich immer wieder von bestehenden Werten und Traditionen abwendet – ganz gleich welcher Generation –, keine dauerhaften Antworten auf diese Frage finden. Unserer Meinung nach wird das Ergebnis für einige vorhersehbar sein: tiefe Verwirrung und ein zerstörtes Lebensbild.
Die natürliche Ordnung als verbindliches Fundament
In einem Interview mit der Zeitschrift Focus mahnte Horst Petri die seiner Meinung nach notwendige Aufklärung an, die für die Umsetzung der neuen Gesetzgebung zur verstärkten Zusammenführung der Familie notwendig ist. Er fordert deshalb: „Es muß zu einem neuen Verständnis dieser Problematik in der Öffentlichkeit kommen, auch zu einer besseren Verständigung zwischen den Geschlechtern“ (Focus 14/2000). Eltern sollten ihre Verantwortung für die gemeinsam gezeugten Kinder begreifen lernen. Ausdrücklich warnt er vor einer Abkehr von der natürlichen Familie: „Wenn Frauen glauben, sie bräuchten nur noch einen Samenspender, halte ich das für eine verheerende Konsequenz aus der Geschlechterpolarisierung“ (ebenda).
Prof. Petri ist kein Fanatiker, der der Gesellschaft „altmodische“ Vorstellungen aufdrücken will. Statt dessen plädiert er für die Erhaltung bzw. Förderung der natürlichen Familie. Wir meinen, die natürliche Ordnung ist in Fragen der Familienpolitik ein Fundament, auf das man ohne Fanatismus bauen kann.
Gibt es eine natürliche Ordnung, so stellt sich logischerweise auch die Frage nach ihrem Ursprung. Ist die natürliche Ordnung der menschlichen Fortpflanzung, für die Mann und Frau notwendig sind, eine evolutionäre Entwicklung, oder wurde sie von einem großen Designer mit Bedacht geschaffen? Wenn sie das Resultat der Evolution ist, muß man fragen, warum es keine Anzeichen für die Fortsetzung dieses Prozesses unter gleichgeschlechtlichen Paaren gibt, damit auch sie auf einem evolutionären „natürlichen“ Weg zu Kindern kommen können.
Ist die natürliche Ordnung das Resultat der Schöpfung, so ist auch die natürliche Familie Teil dieser Schöpfung. In der Bibel, die uns der Schöpfer als verbindlichen Wegweiser für unsere Lebensführung gegeben hat, bestätigt sich diese Feststellung immer wieder. Dem Schutz der natürlichen Familie und der ihr vorausgehenden natürlichen Ehe sind mehrere der Zehn Gebote gewidmet. Dieses Gesetz ist ein verbindlicher Maßstab für unser Verhalten in der Ehe, Familie und Gesellschaft. Seine Gültigkeit hängt nicht von der Bereitschaft der Menschen ab, es zu halten oder seinen Schöpfer anzuerkennen. Andererseits ist es gerade die Mißachtung der Gebote, welche zu den zerrütteten Familienbeziehungen führt, die für viele Anlaß zum Nachdenken über neue, zum Teil unnatürliche Familienformen sind.
Der Apostel Paulus warnt vor einer Abkehr von der natürlichen Ordnung des Schöpfers für die Familie (Römer 1). Kinder brauchen ihre Eltern – beide Elternteile in einer natürlichen Familie. Die Zehn Gebote sind ein Fundament zur Stärkung der natürlichen Familie, worauf wir bauen können. Statt sie zu ignorieren, sollten wir sie – und ihren Schöpfer – besser zu Herzen nehmen und danach zu leben versuchen. Unsere kostenlose Broschüre Die Zehn Gebote kann Ihnen dabei eine Hilfe sein.