Jeder Mensch braucht ab und zu Worte der Ermutigung. Wie oft folgen wir dem Beispiel Jesu, indem wir unsere Mitmenschen ermutigen?
Von Robin Webber
Mit ihrer bekannten V-Formation bieten vorbeifliegende Gänse ein wunderbares Bild. So legen sie transkontinentale Entfernungen zurück, wobei sie bemerkenswerte Eigenschaften aufweisen.
Zum einen wechseln sie sich an der Spitze der Formation ab. Diejenigen, die vorausfliegen, verkraften die zusätzliche Turbulenz und schirmen dadurch die anderen ab. Zum anderen signalisieren die nachfolgenden Begleiter in der Formation ihre Präsenz durch ein „zustimmendes“ Schnattern.
So hört man manchmal herannahende Gänse, bevor man sie sehen kann. Durch ihr Schnattern rufen die in der Formation mitfliegenden Gänse der Leitgans zu und ermutigen sie quasi, ihre kräfteraubende Arbeit an der Spitze für die anderen fortzusetzen.
Eingedenk dieses Beispiels aus der Natur stellen wir uns folgende einfache Frage: Wie gut beherzigen wir das Vorbild Jesu Christi in Bezug auf die Ermutigung? Welche der nachfolgenden Möglichkeiten passt am besten zu uns?
Andere zu ermutigen . . .
1. gehört zu meinem Grundwesen;
2. fällt mir relativ leicht;
3. ist nicht immer so einfach;
4. ist die Aufgabe von anderen;
5. kommt mir eigentlich nicht in den Sinn.
Warum sollen wir uns mit diesen Möglichkeiten befassen? Weil das Ermutigen unserer Mitmenschen ein wesentlicher Aspekt der Nachfolge Jesu Christi ist!
Hoffnung in Zeiten der Verzweiflung
Überlegen wir das Beispiel Jesu Christi kurz vor dem Ende seines irdischen Wirkens bzw. Lebens hier auf der Erde. Am Abend vor seinem Tod sagte er seinen Jüngern: „Dies habe ich zu euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Bedrängnis; aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden“ (Johannes 16,33; Elberfelder Bibel; alle Hervorhebungen durch uns).
Er warnte sie vor einer Zeit der Turbulenz, die ihnen bevorstand, ermutigte sie aber zugleich, guten Mutes zu sein und Gott treu zu bleiben. Den Ausdruck „seid guten Mutes“ finden wir viermal in den Evangelien und dreimal in der Apostelgeschichte (Elberfelder Bibel).
Das in diesem Ausdruck verwendete griechische Wort tharseo bedeutet Mut bzw. Zuversicht. Wenn wir jemanden ermutigen, sprechen wir ihm Mut und Zuversicht zu. So können wir als ein Werkzeug Gottes tätig sein, indem wir seine Kinder aufrichten.
In Jesaja 40, Verse 1-2 ruft Gott aus: „Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich . . .“ Dieses Kapitel enthält trostreiche Worte, die vielen Bibellesern bekannt sind: „Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden . . . die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden“ (Vers 29 bzw. 31).
Wie erfolgt diese Kraftverleihung? Ist sie immer nur das Resultat eines himmlisch initiierten Eingreifens oder können Jesu Nachfolger, von ihrem Herrn und Meister motiviert, Niedergeschlagene trösten und ihnen dadurch zu neuem Mut verhelfen?
Im Epheserbrief wird uns gesagt, dass Gott „Christus als Herrn über die Gemeinde eingesetzt“ hat, die „sein [Christi] Leib ist“ (Epheser 1,22-23; „Neues Leben“-Übersetzung). Der Apostel Paulus sagt uns, dass wir die Glieder dieses Leibes sind (vgl. dazu 1. Korinther 12). Das heißt, dass Christus als das Haupt dieses Leibes durch uns wirkt, um für ihn als seine Füße auf andere zuzugehen, als seine Arme anderen entgegenzureichen und als seine Zunge anderen zuzurufen: „Seid guten Mutes!“
Das Bedürfnis ist groß
Unser tägliches Umfeld bietet uns reichlich Gelegenheit zur Nachfolge Jesu in dieser Hinsicht. Überall gibt es Menschen, denen Mut und die wohltuende Wirkung des inneren Friedens fehlen. Ermutigung ist genauso wichtig für unseren Geist, wie es Wasser, Nahrung und Sauerstoff für unseren Körper sind.
Man sagt, dass drei Milliarden Menschen weltweit jeden Abend hungrig ins Bett gehen. Wie viele Menschen hungern abends nach einem Wort der Ermutigung? Die Medizin hat die Richtigkeit biblischer Aussagen hinsichtlich der Auswirkungen unseres mentalen Zustands auf die körperliche Gesundheit längst bestätigt: „Hingehaltene Hoffnung macht das Herz krank“ und „ein bedrücktes Gemüt lässt die Glieder verdorren“ (Sprüche 13,12; 17,22; Einheitsübersetzung).
Jeder Mensch braucht Ermutigung. Sie ist wie Sauerstoff für die Seele in den Kapiteln unserer Lebensgeschichte, wenn wir Herausforderungen und Hindernissen begegnen. Ob es unsere ersten Schritte sind, den Armen unserer Eltern entgegen; die erste steile Abfahrt auf dem Fahrrad; unsere Mühe um einen guten Schul-, Studien- oder Ausbildungsabschluss; die erste Beziehungskrise im Leben oder ein ernsthafter gesundheitlicher Rückschlag – wir alle brauchen von Zeit zu Zeit Ermutigung.
Vielleicht erleben Sie gerade jetzt eine solche Phase in Ihrem Leben, da Sie die Entscheidung getroffen haben, Jesus Christus konsequent nachzufolgen, und die Menschen in Ihrem persönlichen Umfeld haben wenig Verständnis dafür (vgl. dazu Matthäus 10,34-39).
Andere zu ermutigen ist keine angeborene Eigenschaft des Menschen. Als Christen sollen wir aber darin wachsen. Dass wir das können, ist nicht unser Verdienst, sondern ist auf das Verständnis all dessen gegründet, was Gott für uns getan hat.
Paulus schreibt diesbezüglich an die Gemeinde zu Korinth: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott“ (2. Korinther 1,3-4).
Das griechische Wort, das in diesen Versen mit „tröstet“ übersetzt wird, ist paraklesis. Es bedeutet „herbeirufen“ im Sinne einer Hilfestellung. Ein verwandtes Substantiv im Griechischen wird im Johannesevangelium für den heiligen Geist benutzt (oft als „Tröster“ oder „Beistand“ übersetzt). Diese Verbindung lässt uns erkennen, dass der heilige Geist in uns wirkt, wenn wir aufgrund der Erkenntnis dessen, was Gott für uns getan hat, in die Lage versetzt werden, andere zu ermutigen.
Aller Anfang ist schwer
Wenn wir bei der Nachfolge Jesu die Wichtigkeit der Ermutigung erkennen, wie sollen wir damit anfangen? Schließlich gibt es so viele Menschen, die Ermutigung brauchen. Vergessen Sie aber die Lektion nicht, die wir in Bezug auf Jesus in den Evangelien finden.
Jesus setzte sich mit den Menschen auseinander, denen er beim Predigen des Evangeliums begegnet ist oder die zu ihm gekommen sind. Als Mensch bzw. als Gott in Menschengestalt konnte er sich nicht um alle Leidenden kümmern, und das können wir auch nicht. Wir sollen uns um diejenigen kümmern, die Teil unseres normalen täglichen Umfeldes sind.
Die Motivation für eine an Gott orientierte Ermutigung unserer Mitmenschen ist die Liebe Jesu Christi, die keine Vorteilnahme erwartet. Mit diesem Beitrag will ich – als Beispiel – keine pharisäerhafte Mentalität fördern, indem wir für unseren Dienst am Nächsten gelobt werden oder uns im Vordergrund positionieren wollen (vgl. dazu Matthäus 6,2).
Ein wichtiger Aspekt göttlicher Ermutigung ist Ehrlichkeit. „Die Schläge des Freundes meinen es gut“ (Sprüche 27,6). Manchmal kann auch eine gut gemeinte Ermahnung zur Besserung ermutigend sein. Warum? Weil wir damit unseren Gesprächspartner auf die Möglichkeit einer besseren Lebensführung hinweisen, die positive Früchte hervorbringt.
Einfache Schritte führen zum Ziel
Nachfolgend einige einfache Schritte zur Ermutigung unserer Lieben und derjenigen, denen wir in Zukunft begegnen werden:
1. Seien wir uns der möglichen Wirkung unserer Worte bewusst. Ob positiv oder negativ, unsere Worte können tiefer eindringen als irgendein Röntgengerät.
Wer hätte Ermutigung mehr gebraucht als der Patriarch Hiob? Doch seine Freunde hielten ihm vor, er wäre ein Sünder. Seine Frau forderte ihn auf: „Mach doch Schluss mit Gott und stirb!“ (Hiob 2,9; „Hoffnung für alle“-Übersetzung).
Im Gegensatz dazu stehen Jesu Worte an die Frau, die beim Ehebruch ertappt wurde: „Geh hin und sündige hinfort nicht mehr“ (Johannes 8,11). Er bestätigte ihre Übertretung des Gesetzes Gottes, öffnete ihr aber auch die Tür zu einem neuen Leben. In Sprüche 25, Vers 11 lesen wir: „Ein Wort, geredet zu rechter Zeit, ist wie goldene Äpfel auf silbernen Schalen.“ Rechte Worte der Ermutigung sind kostbar.
2. Schicken Sie eine Nachricht. Eine handgeschriebene Mitteilung ist etwas Besonderes. Das kann auch eine E-Mail sein. Haben Sie schon mal eine kurze Nachricht von jemand erhalten, die ein positives Licht auf Ihren Tag leuchten ließ? Es mag unbedeutend oder trivial erscheinen, doch eine persönliche Nachricht dieser Art kann einen Ball ins Rollen bringen und so eine positive Auswirkung haben. Das ist auf jeden Fall besser als die spätere Einsicht: „Wenn ich das nur gemacht hätte . . .“
Manchmal fehlt uns die Zeit zu einem persönlichen Besuch. Briefe und E-Mails „reisen“ aber dorthin, wo wir nicht hinfahren können und überbringen unsere Worte der Ermutigung. Unter den Episteln, die der Apostel Paulus schrieb, finden wir manchen Brief, der zur Ermutigung geschrieben wurde. Für manchen Empfänger kann eine schriftliche Nachricht dieser Art, da sie weniger aufdringlich ist, unter Umständen sogar positiver aufgenommen werden als ein Besuch.
3. Seien wir für andere da. Manchmal ist das, was wir nicht sagen, genauso wichtig wie das, was wir gesagt hätten. Wir dürfen den Einfluss, den wir auf andere haben, wenn wir für sie da sind, nie unterschätzen. Es gibt Situationen, in denen nicht unsere Worte, sondern unsere Anwesenheit gefragt ist. Wir ermutigen unseren Gesprächspartner und vermitteln ihm das Empfinden eines Selbstwertgefühls, indem wir zuhören, während er sein Herz ausschüttet.
In solchen Fällen können wir unsere Mitmenschen wissen lassen, dass wir auch in Zukunft für sie da sein und unsere Beziehung zu ihnen nicht zurückfahren werden. In einer der interessantesten Geschichten in den Evangelien finden wir die Jünger mitten in der Nacht auf dem stürmischen Galiläischen Meer. Jesus rief ihnen zu: „Seid guten Mutes! Ich bin es. Fürchtet euch nicht!“ (Matthäus 14,27; Elberfelder Bibel).
Jesu Ermutigung veranlasste Petrus zum Aussteigen aus dem Boot, und er ging – zumindest vorübergehend! – auf dem Wasser, Jesus entgegen.
Unsere Präsenz und einfachen Worte der Ermutigung können andere motivieren, Dinge zu tun bzw. zu versuchen, die sie sonst nie getan hätten. Wie die Gänse, die ich zu Beginn dieses Beitrags erwähnt habe, dienen unsere Worte als „positives Schnattern“ für diejenigen, die eine Lebensphase der Turbulenz durchmachen und sich gegen einen starken Wind behaupten müssen.
Es ist nie zu spät
Vielleicht sagen Sie jetzt: „Ich habe so viele Gelegenheiten in den letzten Jahren versäumt, es tut mir so leid, dass ich nicht mehr getan habe!“ Es ist aber nicht zu spät! Und die größte Gelegenheit dieser Art mag noch vor uns liegen. Wir dürfen Gott und das, was er durch uns zu tun vermag, nie unterschätzen.
Bemerkenswert im Leben Jesu ist, dass derjenige, der anderen „Seid guten Mutes“ zugerufen hatte, am Ende seines Lebens Worte der Ermutigung von einem Verbrecher hörte, der mit ihm gekreuzigt wurde. „Wir empfangen, was unsere Taten wert sind. Dieser [Jesus] aber hat nichts Ungeziemendes getan . . . Jesus, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ (Lukas 23,41-42). Können wir uns vorstellen, was diese wenigen Worte für unseren Heiland, den Menschensohn, bedeutet haben, als er in größter körperlicher Qual am Kreuz hing und von vielen verhöhnt wurde? Ein Dieb, ein quasi „Herbeigerufener“, ermutigte ihn.
Wenn wir Jesus auch im Hinblick auf die Ermutigung nachfolgen wollen, kann es für uns am Anfang ungewohnt sein. Doch er steht uns bei und wird uns helfen, denn er freut sich über unseren Erfolg. Zusätzlich zu „Seid guten Mutes“ lässt er uns wissen, dass wir uns immer auf ihn verlassen können: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matthäus 28,20). Welche Worte können ermutigender sein als das?