Manche glauben, dass Paulus in Kolosser 2 vor Irrlehrern warnte, die die Verbindlichkeit von Gottes Sabbat, den Festtagen und den Speisegesetzen betonten.
Von Roger Foster
Paulus warnte die Heidenchristen in Kolossä: „Seht zu, dass niemand euch einfange durch die Philosophie und leeren Betrug nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt und nicht Christus gemäß!“ (Kolosser 2,8; Elberfelder Bibel; alle Hervorhebungen durch uns). Manche glauben, dass Paulus hier vor Irrlehrern warnte, die die Verbindlichkeit von Gottes Sabbat, den Festtagen und den Speisegesetzen betonten. Diese Vorstellung ist falsch, da Paulus selbst an anderer Stelle Christen – Juden und Heiden – gelehrt hat, diese Gesetze zu beachten.
Die ausführlichste Beschreibung der Philosophie, vor der Paulus sie tatsächlich gewarnt hat, finden wir in Kolosser 2, Verse 20-23. Die Ansprüche dieser Philosophie auf Überlegenheit, die sich auf die Askese gründeten, wiesen einen trügerischen „Schein von Weisheit . . . durch selbst erwählte Frömmigkeit und Demut“ auf, wobei ihre Anhänger „den Leib nicht schonen“ (Vers 23).
Paulus prangerte den großspurigen Anspruch der Askese an, in Harmonie mit den grundlegenden bzw. elementaren Dingen des kosmos zu sein. Eine Analyse der Grammatik und des Satzbaus von Versen 20-23 durch Dr. Troy Martin, Professor für religiöse Studien an der Saint Xavier University in Chicago, erhellt die wesentlichen Aspekte der „Weisheit“ der Philosophie, die Paulus ablehnte.
In Vers 23 lesen wir: „Man sagt zwar, in ihnen liege Weisheit, es sei ein besonderer Kult, ein Zeichen von Demut, seinen Körper zu kasteien. Doch es bringt keine Ehre ein, sondern befriedigt nur die irdische Eitelkeit“ (Einheitsübersetzung). Professor Martin sagt dazu: „Obwohl Kolosser 2, Verse 20-23 vom Satzbau her zu den schwierigsten Sätzen im Neuen Testament zählt, kann er verstanden und angemessen übersetzt werden . . . [und so] wichtige Informationen über diesen Gegensatz [liefern].
Da die in der Adoposis [der Gliedsatz mit den Resultaten eines Bedingungssatzes] beschriebenen Praktiken nicht die der Leser sind und da der Verfasser seine Leser gegen die Übernahme der Praktiken ihrer Gegner warnt, stammt die Art des Dogmatisierens, das in der Adoposis erwähnt wird, wahrscheinlich von den Gegnern.
Diese Wahrscheinlichkeit wird durch Vers 20 noch erhöht, der die Elemente des Kosmos als Grundlage für das Dogmatisieren bezeichnet und mit Vers 8 übereinstimmt. Vers 8 identifiziert die gleichen Elemente als Grundlage für die philosophische Tradition der Gegner. Die Wahrscheinlichkeit wird noch weiter gesteigert durch die Tatsache, dass der Ausdruck ,Gebote und Lehren von Menschen‘, der in Vers 22 zur Beschreibung des Dogmatisierens verwendet wird, dem Ausdruck ,die Lehre von Menschen‘ ähnelt, der in Vers 8 benutzt wird, um die philosophische Methode der Gegner zu beschreiben.
Weiterhin deuten die in Vers 21 angeführten ausdrücklichen Beispiele für Dogmatismus an, dass hier konkrete Umstände gegeben sind, auf die der Verfasser reagiert. Diese asketischen Ermahnungen werden wahrscheinlich von den Gegnern ausgesprochen, da Vers 23 klarstellt, dass sie den Körper nicht schonen und Vers 16 ihre Einwände gegen Speise und Trank der Kolosser erwähnt.
Der Verweis auf den Ruf der menschlichen Gebote und Lehren in Vers 23 deutet auf eine spezifische, erkennbare Tradition hin, die sich von der christlichen Tradition des Verfassers und seiner Leser unterscheidet . . .
Aus diesem Abschnitt werden mehrere Eigenschaften der Gegner deutlich. Zum Ersten betreiben sie Dogmatisierung, die auf einer bestimmten Physik [ihrer Analyse der grundlegenden Prinzipien der Welt] beruht. Ihr Dogmatisieren erwächst aus einer Beachtung der Elemente des Kosmos [d. h. der sie umgebenden Welt] und beinhaltet eine völlige Abstinenz in Hinsicht auf Konsumgüter [Dinge, die „verbraucht und verzehrt werden“ sollen, Vers 22], die so nicht in der Natur vorkommen.
Zweitens stimmt ihr Dogmatisieren mit einem Selbstverständnis überein, mit dem sie sich als Bewohner des Kosmos [gemeint ist wieder die sie umgebende Welt] sehen.
Drittens stimmt ihr Dogmatisieren auch mit menschlichen Geboten und Lehren überein, die einen Ruf der Weisheit haben. Diese Gebote und Lehren haben einen positiven Ruf, weil sie sich auf selbst erwählte Frömmigkeit und Demut beziehen. Diese Demut war keine soziale Demut, die anderen Menschen mit Achtung begegnet, sondern eine asketische Demut, die sich in einer harschen Behandlung des Körpers zeigt.
Die Gegner würden . . . ihr Dogmatisieren dabei als ein positives Programm ansehen, das diejenigen, die im Kosmos leben, auf die rechte Weise in die kosmische Ordnung einfügt“ (By Philosophy and Empty Deceit: Colossians as Response to a Cynic Critique, 1996, Seite 55-56).
Angesichts dieser und anderer Betrachtungen schließt Professor Martin: „Der gesamte komplexe Relativsatz in Kolosser 2, Vers 23, der die menschlichen Gebote und Lehren modifiziert und die Apodosis [den Finalsatz] des Bedingungssatzes abschließt, der in Vers 20 begann, kann nun folgendermaßen übersetzt werden:
Wenn ihr mit Christus gestorben seid, verordnet ihr euch dann selbst etwas aus den Elementen des Kosmos, als ob ihr im Kosmos [d. h. der umgebenden Weltordnung] leben würdet? Verordnet ihr euch selbst irgendetwas, wie etwa ,Fasst nicht an, noch kostet oder berührt irgendwelche der Dinge, die zum Zunichtemachen durch menschlichen Verzehr bestimmt sind‘?
Verordnet ihr euch selbst irgendetwas aufgrund von menschlichen Geboten und Lehren, die zur Befriedigung des Fleisches gedacht sind, obwohl sie den Ruf der Weisheit haben, weil der eigene Wille dadurch verehrt wird und wegen einer Demut, die aus Härte gegen den Körper abgeleitet wird, statt einer Demut, die darin besteht, einen Mitmenschen zu ehren?“ (ebenda, Seite 54-55, Betonung im Original).
Professor Martin kommt zu dem Schluss, dass diese Eigenschaften auf die asketische Philosophie als die Philosophie hinzuweisen scheinen, die das Vertrauen der Kolosser in die göttlich offenbarte Weisheit erschüttert, die zu ewigem Leben durch Jesus Christus führt. Diese Philosophie der extremen Askese, die damals eine Blütezeit erlebte, hatte ihre Lehren auf verführerische Weise als eine Verkörperung von Demut und Weisheit ausgegeben. Paulus argumentiert hier also gegen fehlgeleitete menschliche Philosophie, nicht aber gegen die Notwendigkeit, Gottes Gesetz einzuhalten.