Früher hatten Kinder mit Kinderkrankheiten zu kämpfen, heute sind es immer häufer Gesundheitsprobleme der Erwachsenen.

Von Lynn Marshall

Es war ein strahlend schöner Frühlingsmorgen, noch ein bißchen kühl, aber ein perfekter Tag, um im Zoo spazierenzugehen. Während ich mit meinen Kindern an den Tiergehegen entlangschlenderte, konnte ich kaum glauben, was meine Augen plötzlich beobachteten. Eine junge, stark übergewichtige Mutter, ungefähr 25 Jahre alt, zog einen Bollerwagen hinter sich her. In dem Wagen saß ein ebenso übergewichtiger 6- bis 7jähriger Junge. Er bediente sich fleißig von den Kartoffelchips, die sich in seinem Schoß zu einem Berg aufgetürmt hatten.

Ich konnte nicht anders, als großes Mitleid mit den beiden zu haben. Welches Leid hatte diese junge Frau in ihren Teenagerjahren und als junge Mutter wohl schon erleben müssen? Welcher Kampf lag wohl noch vor ihrem Sohn, der ihrem Beispiel folgte?

Müssen Kinder dem Beispiel von übergewichtigen Eltern automatisch folgen? Nein, das muß nicht so sein. Der Kreislauf einer schlechten Gesundheit und falscher Eßgewohnheiten kann gebrochen werden. In einer wohlhabenden Gesellschaft, in der es fast überall möglich ist, sich ohne viel Aufwand dem Genuß von Fastfood, Fertiggerichten, Teigwaren und Süßigkeiten hinzugeben, können falsche Gewohnheiten allerdings nur durch ein verändertes Verhalten und einem gewissen Maß an Disziplin gebrochen werden.

Fettsucht – ein zunehmendes Problem

Adipositas (Fettsucht) ist nicht nur in der westlichen Gesellschaft ein zunehmendes Problem, sondern steigt auch in wirtschaftlich ärmeren Ländern an. Ein kürzlich veröffentlichter UN-Bericht hält Adipositas für ein Symptom wirtschaftlicher Entwicklung. Experten bezeichnen Übergewicht mittlerweile als globale Epidemie des 21. Jahrhunderts. Die UN-Weltgesundheitsorganisation (WHO) sah sich veranlaßt, aufgrund der schnell ansteigenden Zahl übergewichtiger Kinder und Erwachsener einen Plan zu entwickeln, „um die globale Explosion der durch Übergewicht verursachten Krankheiten zu bekämpfen, von denen eine neue Generation Lateinamerikaner, Asiaten und selbst Afrikaner betroffen ist“ (National Post, Kanada, 18. Mai 2002). Wenn es nicht gelingt, dieser Krankheit wirksam vorzubeugen – und das bereits im Kindes- und Jugendalter –, dann wird zukünftig ein beträchtlicher Anteil der allgemeinen Gesundheitskosten für die Behandlung übergewichtiger Menschen notwendig sein.

Als Ursachen für den Anstieg von übergewichtigen Kindern in ärmeren Ländern wird unter anderem das doppelte Einkommen der Eltern gesehen. Als Mahlzeiten werden deshalb solche Gerichte serviert, die sich schnell zubereiten lassen. Viele Kinder fahren jetzt mit dem Bus zur Schule, statt zu Fuß zu gehen. Das Trinkwasser wird nicht mehr von einer entlegenen Quelle geholt, sondern kommt aus dem Wasserhahn ins Haus.

Ägypten stand nach dem Bericht der WHO auf der Liste der an Fettsucht erkrankten Kinder an oberster Stelle. 25 Prozent der Vierjährigen in Ägypten sind übergewichtig. In Lateinamerika belegte Mexiko Platz eins, gefolgt von Peru und Chile. Die WHO fand heraus, daß das Problem in den Städten häufiger auftrat als in ländlichen Gebieten.

Auch die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen in Deutschland steigt immer weiter an. Sie ist inzwischen auf zwei Millionen gestiegen. Schuluntersuchungen und andere Erhebungen bestätigen, daß bis zu 20 Prozent der 6- bis 18jährigen ein zu hohes Körpergewicht für ihr Alter und ihre Größe haben, wie der am Deutschen Forschungsinstitut der Universität Düsseldorf tätige Wissenschaftler Professor Hans Hauner in einem dpa-Gespräch feststellte (10. Juli 2000). Damit hat sich in den vergangenen 15 Jahren die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen mehr als verdoppelt. Der Anteil der adipösen Kinder wächst jährlich um 0,8 Prozent.

Krankheiten verursacht durch Übergewicht

Fehlernährung gilt heute als Mitverursacher von Zivilisationskrankheiten, deren Kosten eine enorme Belastung für den Staatshaushalt darstellen.

Der Autor Paul Perry berichtet in seinem Buch American Way von einem 14jährigen Jungen, der mit seiner Mutter zum Arzt ging, weil er unter starken Kopfschmerzen, Depressionen und zeitweiliger Verwirrung litt. Die Mutter bat den Arzt um ein Mittel gegen die Depressionen. Statt dessen führte der Arzt einen Bluttest durch, welcher ergab, daß der 14jährige stark erhöhte Blutzuckerwerte hatte und an Typ-2-Diabetes erkrankt war.

Durch die Zunahme von Übergewicht sind neben älteren Menschen auch immer mehr Kinder und Jugendliche gefährdet, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, eine Form der Erkrankung, die vermeidbar ist und früher nur bei Erwachsenen bekannt war.

Perry warnt davor, daß immer mehr Kinder an den Krankheiten ihrer Eltern erkranken:

„Diabetes: 45 Prozent aller Kinder, die an Diabetes erkranken, haben Typ-2-Diabetes, auch Altersdiabetes genannt. Übergewicht und Bewegungsmangel zählen als Ursachen für diese Erkrankung, welche zu Herzerkrankung, Nierenversagen und Erblindung führen kann.

Osteoporose: Immer häufiger diagnostiziert man Osteoporose nicht nur bei Frauen, die sich in den Wechseljahren befinden, sondern auch bei jugendlichen Mädchen. Einige machen zuckerhaltige Getränke für diese Entwicklung verantwortlich. ,Der Konsum von zuckerhaltigen Getränken ist unter Teenagern auf das Doppelte bis Dreifache angestiegen, der Milchkonsum hat sich dafür um 40 Prozent reduziert‘, sagt Dr. Grace Wyshak von der „Harvard School of Public Health“.

Streß und Ängste: Jedes Jahr werden immer mehr Kinder Opfer ihrer Ängste vor dem eigenen Umfeld. Studien aus den Jahren 1950 und 1980 belegen die Zunahme der kindlichen Ängste“ (Perry; Seite 64).

Paul Perry kam zu dem Schluß, daß Kinder aufgrund der schlechten Gewohnheiten ihrer Eltern leiden. Kinder tun, was ihre Eltern tun. Die Vorbildwirkung der Bezugspersonen spielt bei Kindern eine große Rolle.

Gesundheit mit Hilfe von Regeln

Was können wir tun, um unseren Kindern zu helfen, gesunde Lebensgewohnheiten als Lebensweg anzunehmen? Hier sind einige Vorschläge, die sich beim Abbau von Übergewicht und bei der Herstellung einer besseren mentalen und körperlichen Gesundheit als hilfreich erwiesen haben.

• Schränken Sie den Konsum der elektronischen Medien ein. Verschiedene Studien haben einen Zusammenhang zwischen dem ansteigenden Konsum von elektronischen Medien, wie z. B. Fernsehen, Computer- und Videospielen und dem steigenden Verbrauch von Junkfood, unzureichender Bewegung und einer Zunahme von Gewaltausübung festgestellt.

Ein übergewichtiges Kind leidet nicht selten unter den Hänseleien Gleichaltriger. Um sich davor zu schützen, ziehen sich viele Kinder zurück. Computer und Fernsehen ersetzen oftmals freundschaftliche Kontakte. Diese Isolation verhindert aber noch mehr, daß ein übergewichtiges Kind sein Normalgewicht durch Sport und Spiel im Freien wiedererlangen kann – ein verhängnisvoller Kreislauf, den es zu brechen gilt.

Eltern sollten Weisheit und Diskretion anwenden, um ihre Kinder von der allgegenwärtigen Ablenkung durch elektronische Medien wegzuführen, hin zum wirklichen Leben.

• Achten Sie auf regelmäßige Bewegung. Die Erfurter Kinderärztin Dr. Karin König rät ihren kleinen Patienten: „Wir können nur untersuchen und beraten: Laßt das süße Zeug, trinkt Wasser. Sitz nicht jeden Tag Stunden am Computer. Bewegt euch!“ (www.diabetiker-hannover.de).

Regelmäßige Bewegung bleibt im Zeitalter von TV und Computer immer mehr auf der Strecke. „Weniger als 10 Prozent der US-amerikanischen Erwachsenen treiben regelmäßig Sport. Letzte Untersuchungen haben ergeben, daß in allen 50 Bundesstaaten nur eins von drei Kindern die Mindestanforderungen für sportliche Aktivität erfüllt: dreimal die Woche, ca. 20 Minuten lang. 1984 entsprachen noch 62 Prozent der Kinder diesem Standard. Aus gesundheitlichen Gründen sollte Kindern nicht erlaubt werden, zur ,Sofa-Generation‘ zu gehören“ (Dr. Michael Colgan, The New Nutrition, 1995, Seite 201).

Übergewichtige Kinder, die sich nicht so viel bewegen, sind motorisch unterentwickelt, weisen häufig Haltungsschäden auf, leiden verstärkt unter Kurzatmigkeit und sind muskulär kaum belastbar. Sie verletzen sich häufiger als andere Kinder, weil ihr Reaktionsvermögen beim Spielen durch die geringere Beweglichkeit langsamer ist.

Den größten Erziehungserfolg erzielen Eltern, die ihren Kindern helfen wollen, wenn sie gemeinsam mit ihren Kindern regelmäßig etwas unternehmen oder Sport treiben, statt sie nur zu ermahnen oder zurechtzuweisen.

• Lehren Sie Ihr Kind, seinen Körper und seinen Verstand zu schützen. „Kinder sind die schwächsten Verbraucher – Eltern, die Wirtschaft, aber auch die Politik sind aufgerufen, Kinder besser vor den Folgen der Fehlernährung zu schützen“, sagte Prof. Dr. Edda Müller vom Bundesverband der Verbraucherzentrale. Als Gegenmaßnahme wird deshalb ein Werbeverbot bei Kinderprogrammen im Fernsehen gefordert.

Eine wesentliche Rolle bei der wachsenden Zahl fehlernährter Kinder spielen nach den Untersuchungen der Stiftung Warentest solche Lebensmittel, die speziell oder überwiegend für Kinder hergestellt werden. Diese werden vorwiegend für Kinder beworben und sind in ihrer Zusammensetzung teilweise unausgewogen – zu viel Fett, Zucker, Kalorien und zu wenig Ballaststoffe und Vitamine. Eltern sollten es sich deshalb zur Aufgabe machen, sich selbst so gut wie möglich über eine ausgewogene und gesunde Ernährung für sich und ihre Kinder zu informieren.

Dieses Wissen sollte aber auch an die Kinder weitergegeben werden. „Das Grundwissen von Kindern über Lebensmittel und Ernährung geht ständig zurück“, berichtet Ulrike von der Lühe, stellvertretende Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz von der Erfahrung der Verbraucherzentralen in der Ernährungsberatung. „Die meisten Kinder kennen Fisch nur noch als Fischstäbchen“, so von der Lühe (www.naturkost.de). Es ist deshalb wichtig, daß Kinder schon im Elternhaus eine ausgewogene Ernährung kennenlernen.

• Für die geistige Gesundheit Ihres Kindes ist es wichtig, daß es sportliche Tests, die seinem Alter entsprechen, besteht. Helfen Sie Ihrem Kind zu erfahren, daß es sportlich über sich selbst hinauswachsen und Ziele erreichen kann. Nach einer ärztlichen Untersuchung sollte ein auf die Fähigkeiten Ihres Kindes abgestimmtes Sportprogramm entwickelt werden. Fangen Sie vorsichtig an und bauen Sie langsam aber sicher die Ausdauer Ihres Kindes aus. Ermutigen Sie Ihr Kind, gewisse Schmerzen zu ertragen und nicht gleich aufzugeben, wenn es z. B. einige Kilometer läuft oder mit einem Rucksack auf dem Rücken eine längere Zeit wandert. Solche Aktivitäten bringen Ihrem Kind die Wichtigkeit von Ausdauer bei, um die Prüfungen des Lebens besser zu bestehen.

Kinder sollten mehrmals in der Woche an sportlichen Übungen wie z. B. Tennis, Basketball, Schwimmen oder Laufen teilnehmen. Sie lernen dadurch, daß man manchmal durch ein tiefes Tal gehen muß, bevor man einen Sieg erzielen kann.

Und hier sind zum Schluß noch ein paar Ratschläge für besorgte Eltern: Wenn Sie selbst gerne rauchen, suchen Sie Hilfe, die Ihnen hilft, mit dem Rauchen aufzuhören. Wenn Sie selbst gerne viel naschen und übergewichtig sind, ändern Sie Ihre Ernährung, damit Sie Ihrem Kind ein Vorbild sein können. Wenn es Ihre Gesundheit nicht zuläßt, mit Ihrem Kind Sport zu treiben, feuern Sie Ihr Kind an und ermutigen Sie es, sportlich aktiv zu sein. Schließlich sind Kinder nur kleine Kopien ihrer Eltern. Sie ahmen nach, wie die Eltern denken und handeln. Ist die Gesundheit Ihrer Kinder es nicht wert, bei den Veränderungen zuerst bei sich selbst anzufangen?