Die Definition der Hölle in der christlichen Theologie hat sich im Laufe der Zeit verändert. Die heutige Sichtweise spiegelt das Empfinden einer modernen Gesellschaft wider.
Von Paul Kieffer
Mit seiner Feststellung, die „Hölle“ bedeute keinen Ort, „sondern vielmehr die Situation derjenigen, die sich frei und endgültig von Gott entfernt haben“, schien sich Papst Johannes Paul II. sechs Jahre vor seinem Tod dem modernen Trend in der christlichen Theologie anzuschließen. „Der Mensch in seiner Freiheit kann [Gottes] Liebe und seine Vergebung endgültig ablehnen und sich somit seiner Gemeinschaft für immer entziehen. Diese tragische Situation wird von der christlichen Lehre als ,Verdammnis‘ oder ,Hölle‘ bezeichnet. Die Bilder, mit denen die Heilige Schrift die Hölle darstellt, müssen richtig interpretiert werden“, so der Papst damals (La Stampa vom 29. Juli 1999).
Durch einen Vergleich mit dem Großen Katechismus der Katholischen Kirche erkennt man den Wandel im katholischen Denken in Bezug auf die Hölle. Dort heißt es als Antwort auf die Frage „Was ist die Hölle?“: „Die Hölle ist der Ort, wo die Verdammten ewig gepeinigt werden“ (Hervorhebung durch uns).
In einer Mittwochsaudienz damals meinte der Papst ferner, dass „der Gedanke an die Hölle . . . uns nicht in Angst versetzen soll“ (Hervorhebung durch uns). In seinem Kommentar zum Propheten Jesaja hatte der Kirchenlehrer Hieronymus (347-420 n. Chr.) hingegen geschrieben, dass die Furcht vor der ewigen Höllenstrafe dazu diene, die Gläubigen von der Sünde abzuhalten (Jesaja 14,2).
Auch in anderen Kirchen wird offen über eine Änderung der herkömmlichen Lehre zur Hölle nachgedacht. „Kürzlich empfahl die Doktrin-Kommission der Kirche von England, die Hölle als ,endgültige und unwiderrufliche Erwählung dessen, was Gott entgegengesetzt ist‘ anstelle des mittelalterlichen Höllenfeuers und der Qual. Der neueste Katechismus der Presbyterianer-Kirche erwähnt dieses Thema kaum . . . Selbst unter Evangelikalen ist die Hölle als Predigtthema weniger allgegenwärtig als früher“ (USA Today, Gerald Zelizer, 21. Februar 2000).
Das peinigende Höllenfeuer von einst weicht langsam einer Hölle, die weniger furchterregend ist. Angst vor der Hölle haben sowieso nicht mehr allzu viele Menschen in der westlichen Welt, die zunehmend nicht mehr religiös ist. Der Wandel in der Lehre scheint in diesem Fall den allgemeinen Trend in der Gesellschaft widerzuspiegeln.
Das langsame Aussterben des Christentums im Westen
Eine Hölle mit abschreckender Wirkung verliert ihre Zielsetzung in einer Gesellschaft, die immer weniger christlich ist. In den etablierten Konfessionen und den mit ihnen verbundenen Verbänden muss man sich dem Tatbestand stellen, dass tatsächliche Christen in Deutschland immer mehr in eine Minderheitensituation kommen bzw. sich längst in dieser befinden.
Nach einer Focus-Umfrage von 1999 ist Deutschland ein „unchristliches“ bzw. „nur noch formal christliches“ Land. Interessant dabei ist der Tiefstand religiöser Kenntnisse im Elementarbereich. Im weltweiten Vergleich ist Deutschland nicht nur „Missionsland“, sondern „missionarisches Entwicklungsland“ geworden („Deutschland muss missioniert werden“, Die Welt, 6. November 1999). Bei einer Umfrage einer evangelischen Wochenzeitung gaben noch 56 Prozent der Deutschen an, an Gott zu glauben. Die Mehrzahl der „Gläubigen“ ging in diesem Fall jedoch u. a. von Vorstellungen aus wie „Gott erleben wir in der Natur“, was auch Atheisten akzeptieren könnten. An die christliche Lehre vom persönlichen Gott glaubten deutschlandweit ganze 17 Prozent, also eine klare Minderheit.
In der Auswertung der Focus-Umfrage heißt es: „Biblische Texte sind entweder zu wenig bekannt oder haben die Jahrzehnte historischer Bibelkritik nicht heil überstanden“, mit der Folge, dass die den Glauben normierende Kraft, die von der Bibel ausgehen sollte, schwindet („Glaube in Deutschland“, Focus, Ausgabe 14/1999). Es überrascht daher nicht, dass laut einer Emnid-Umfrage im Jahr 2000 nur 42 Prozent der Befragten an ein Leben nach dem Tod glaubten.
Eine Auswertung der Umfrageergebnisse ergibt, dass unter denen, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, auch bekennende Christen sind. Für sie kann die Hölle „überall und zu jeder Zeit sein . . . Eine gottlos gewordene Welt und gottlose Lebensumstände sind die Hölle“ (Rainer Gollwitzer, Katechismus 2000, Nr. 22, Sonntagsblatt – Evangelische Wochenzeitung für Bayern).
Diese gedankliche Verschiebung trifft man überall in den westlichen Industrieländern an. Dazu merkte das US-amerikanische Nachrichtenmagazin U.S. News & World Report Folgendes an: „Von modernen Intellektuellen verspottet und von Predigern zunehmend ignoriert, die sich lieber erhebenderen Themen widmen, verschwand die Androhung der Bestrafung nach dem Tod in einem ewigen Feuersee für die Unbußfertigen fast vollständig von der vorherrschenden religiösen Strömung der 1960er Jahre. Vorträge zu diesem Thema an theologischen Hochschulen gab es kaum. Obwohl nach Umfragen eine Mehrheit der Amerikaner immer noch an die Existenz der Hölle glaubt, meint kaum jemand, er werde dort landen“ („Hell Hath No Fury“, 31. Januar 2000, Seite 47).
Die Ablehnung der „heißen“ Hölle
Die herkömmliche Vorstellung der Hölle, in der unverbesserliche Sünder ewig gepeinigt werden, stößt seit Jahrzehnten auf zunehmende Ablehnung – selbst unter bekennenden Christen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen sehen einige in der Androhung von Bestrafung eine grobe Angsttaktik, die jedoch bei reifen Erwachsenen fehl am Platz sei. Der religiöse „Konsument“ von heute wünscht sich positive Lektüre über Liebe, Hoffnung, Frieden und bedeutungsvollere zwischenmenschliche Beziehungen statt Unterweisung darin, wie man die Flammen der Hölle meiden kann.
Eine der anschaulichsten Darstellungen der Hölle finden wir in der Predigt des puritanischen Predigers Jonathan Edwards aus dem Jahr 1741, „Sünder in den Händen eines zornigen Gottes“. Edwards’ Vorstellung der Hölle sah folgendermaßen aus:
„Der Gott, der Sie über der Grube der Hölle hält, wie man eine Spinne oder ein verabscheuungswürdiges Ungeziefer über einem Feuer hält, verabscheut Sie und ist gereizt. Sein Zorn auf Sie brennt wie Feuer; er sieht Sie als würdig für nichts anderes, als ins Feuer geworfen zu werden . . . Sie Sünder! Überlegen Sie die furchtbare Gefahr, in der Sie sich befinden: Es ist ein großer Ofen des Zorns, eine breite und bodenlose Grube, über der Sie die Hand Gottes hält. Sie hängen an einem dünnen Faden, umgeben von den Flammen göttlichen Zorns, die drohen, den Faden jeden Augenblick anzubrennen und zerreißen zu lassen.“
Diese Vision der Hölle löste verständlicherweise große Angst in der Gemeinde der Puritaner aus: „Die starke Betonung der Hölle und der Verdammnis, verbunden mit einer übermäßigen selbstkritischen Haltung, führte für viele in die klinische Depression: Selbstmord scheint weitverbreitet gewesen zu sein“ (Karen Armstrong, A History of God, 1993, Seite 284).
Andere begründen ihre Ablehnung der Hölle mit einer Frage: Kann man die Vorstellung eines barmherzigen Gottes mit dem Konzept der Hölle vereinbaren, in der die Menschen ewig gequält werden – ganz gleich, wie die Qual aussieht?
Hinzu kommen andere Aspekte dieser „traditionellen“ Hölle, die manche Nichtchristen abstoßend finden. Dazu gehört die Vorstellung, dass die Erretteten das Leiden der Gequälten werden verfolgen können: „Die Freude der Gesegneten besteht zum Teil darin, die Qualen der Verdammten zu verfolgen. Dieser Anblick bereitet Freude, weil er eine Manifestation der Gerechtigkeit Gottes und seiner Abscheu der Sünde ist, aber in der Hauptsache schafft er einen Kontrast, der das Bewusstsein der eigenen Wonne steigert“ (D. P. Walker, The Decline of Hell: Seventeenth-Century Discussions of Eternal Torment, 1964, Seite 29).
Nach dieser Vorstellung würden nämlich Eltern das Leiden der eigenen Kinder verfolgen können und umgekehrt. Ehemänner und -frauen könnten das Leiden ihres ungläubigen Partners sehen. Am schlimmsten ist das Licht, in dem Gott durch diese Doktrin erscheint: als sadistisch und gemein.
Vor dem Hintergrund solcher Vorstellungen ist es kein Wunder, dass die Doktrin über die Hölle manche Menschen von dem Glauben an Gott abgebracht hat.
Dazu gehörte übrigens Charles Darwin, dem im Allgemeinen die Evolutionstheorie zugeschrieben wird. Darwin schrieb diesbezüglich in seiner privaten Autobiografie: „Der Unglaube überkam mich schleichend, war aber zum Schluss vollständig . . . Ich kann mir kaum vorstellen, wie jemand sich das Christentum als etwas Wahres wünschen kann; denn . . . der Text scheint zu zeigen, dass die Ungläubigen . . . ewig bestraft werden. Und das ist eine zu verdammende Doktrin“ (Paul Martin, The Healing Mind: The Vital Links Between Brain and Behaviour, Immunity and Disease, 1997, Seite 327).
Darwin mag gemeint haben, die Bibel lehre diese „zu verdammende Doktrin“, doch in Wirklichkeit gründete sich seine Vorstellung über die Hölle auf Auslegungen eines abgewandelten Christentums, die die Aussagen der Bibel nicht widerspiegeln.
Die Hölle als katholische Lehre
Konservative Katholiken, die an der traditionellen katholischen Sichtweise der Hölle als Ort der ewigen Bestrafung festhalten, mögen sich über die eingangs zitierten Worte von Papst Johannes Paul II. wundern. Ironischerweise wissen aber viele dieser Menschen nicht, die moderne Auslegungen in Bezug auf die Hölle ablehnen, dass ihre Auffassung zur Hölle erst lange nach dem Ableben der ersten Christengeneration zur Lehre ihrer Kirche wurde.
Jesus, seine Apostel und die ersten Christen benutzten das Alte Testament als ihre Bibel, in der ein ewig brennendes Höllenfeuer nicht vorkommt. Gerald Zelizer, Rabbiner in einer konservativen jüdischen Gemeinde im US-Bundesstaat New Jersey, meint dazu: „In der hebräischen Bibel wird die Hölle [im herkömmlichen christlichen Sinn] überhaupt nicht erwähnt, sondern nur eine felsige Schlucht außerhalb der alten Stadt Jerusalem, in der die Israeliten Unrat verbrannten, und scheol, eine nicht näher beschriebene Unterwelt, in die sowohl die Guten als auch die Bösen nach dem Tod hinabsteigen.“
Wie wurde ein ewig brennendes Höllenfeuer zur Lehre der katholischen Kirche?
Einer der größten Bibelgelehrten der katholischen Kirche, Origenes (185-254 n. Chr.), vertrat die Ansicht, dass Gott im Laufe langer Zeiträume alle Menschenseelen wieder zu sich in sein Reich nehmen werde. Dabei diene die Hölle zur Rehabilitation verstorbener Sünder. Diese Lehre wurde 543 n. Chr. auf dem Konzil von Konstantinopel verworfen. Anstelle der Versöhnung der Menschheit mit Gott trat die ewige Verdammnis, die bis dahin kein wirkliches Gedankengut der Kirche gewesen war.
Dieser Vorgang wird in dem katholischen Standardwerk Lexikon für Theologie und Kirche bestätigt: „Die ewige Dauer der Höllenstrafen wurde als Endpunkt eines langen Ringens im Jahre 543 . . . festgestellt. Der Schlusspunkt unter diesen Versuch (die Lehre der Allversöhnung des Origenes) wurde unter Justinian im Zuge der allgemeinen Eliminierung des Origenismus gesetzt“ (1959, Band 5, Seite 446 bzw. 447). Dazu ist anzumerken, dass Justinian nicht etwa ein Papst, sondern Kaiser des von ihm wiederbelebten römischen Weltreiches war, der einmal den Papst einkerkern ließ und bestimmte, was maßgebende Lehre der Kirche zu sein hatte.
Mit seinem Werk Die Göttliche Komödie (1321 n. Chr. vollendet) zementierte der italienische Dichter Dante Alighieri die herkömmliche Vorstellung der Hölle als Ort der Bestrafung. In seinem Werk schildert Alighieri seine visionäre Wanderung als sündiger Mensch durch die Hölle, in der es diverse Kammern und unterschiedliche Strafen für Sünder gab.
Was lehrt die Bibel wirklich?
Moderne Revisionen der Lehre über die Hölle gehen von der Grundlage einer Doktrin aus, die erstmals im 6. Jahrhundert kirchlich festgelegt wurde und die Jesus, seinen Aposteln und den ersten Christen unbekannt war. Was lehrt die Bibel über die Hölle? Schließlich erwähnte Jesus eine Hölle als „Feuer, das nie verlöscht“ (Markus 9,43). Was meinte er damit?
In einem Punkt sind wir einer Meinung mit Papst Johannes Paul II., als er sagte: „Die Bilder, mit denen die Heilige Schrift die Hölle darstellt, müssen richtig interpretiert werden.“
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