Als Thomas von den anderen Jüngern hörte, dass sie den gekreuzigten Jesus lebendig gesehen hatten, konnte er es nicht glauben. Dann erschien ihm Jesus mit einer Einladung. Was bedeutet das für uns?
Von Robin Webber
Haben Sie in Ihrer Kindheit einen Spitznamen erhalten, den alle kannten? Meistens klang er nett, aber manchmal auch nicht, und man konnte dann kaum abwarten, dass er endlich verblasste.
Ein dauerhafter Spitzname, der an einer biblischen Figur haften blieb, ist „Der zweifelnde Thomas“. Als einer der ursprünglichen zwölf Apostel wird er manchmal noch 2000 Jahre nach seinem Tod auf diese Weise genannt!
Thomas war nicht dabei, als der auferstandene Jesus den anderen Jüngern erschien. Er wollte nicht akzeptieren, dass Jesus aus dem Grab auferstanden war, bis er ihn persönlich gesehen und seine Wunden gefühlt hatte. Später erschien Christus den Jüngern nochmals und gab Thomas die Gelegenheit dazu.
Was wollte der auferstandene Christus in diesem Augenblick bei Thomas erreichen? Wir können von dieser Geschichte erkennen, wie Christus eingreift, um unser eigenes Verständnis seiner Aufforderung „Folgt mir nach!“ zu erweitern (siehe Markus 1,17; Johannes 21,19). Nicht nur Thomas wollte sich bei Jesus überzeugen, auch Jesus war dabei, ihn zu prüfen.
„Ich komme zu euch“
Schauen wir nun in den Raum, in dem sich die Jünger hinter verschlossenen Türen vor der jüdischen Obrigkeit versteckten (Johannes 20,19). Etwas mehr als drei Tage waren vergangen, seitdem ihr Meister und Lehrer brutal ermordet worden war. Es wurde erzählt, dass er lebt bzw. nicht mehr in seinem Grab war, aber die meisten hatten ihn noch nicht persönlich gesehen.
Vielleicht dachten sie über seine Vorhersage nach, dass er drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein würde, so wie der Prophet Jona im Bauch des Fisches war (Matthäus 12,40). Ihre Herzen waren unruhig und ihre Knie zitterten. Sie hatten einige der letzten Worte ihres Rabbiners nicht vergessen. „Ich komme zu euch“, hatte er gesagt (Johannes 14,18; vgl. dazu Johannes 14,28). Aber wie sollte er das geschehen?
Da kommt plötzlich jemand unerwartet durch eine verschlossene Tür herein! Was geschieht hier? Es ist ihr Meister und Freund Jesus! Sein Versprechen wird wahr. Sie wissen, dass er es ist, weil er ihnen die Wunden von seiner brutalen Hinrichtung auf Golgatha zeigt (Johannes 20,19-20).
Er grüßt sie zweimal mit dem herzlichen „Friede sei mit euch“. Man stelle sich nur ihre überwältigende Freude bei dieser Begrüßung vor! Hier kommt derjenige, der „Ich bin die Tür“ (Johannes 10,9) verkündet hatte, nicht auf die übliche Weise durch eine von Menschenhand geschaffene Tür zu ihnen herein. Die Jünger erleben wieder, dass sie – wie wir alle – das Unerwartete von unserem himmlischen Vater und Jesus Christus erwarten können. Gott tritt auf seine Weise in unser Leben ein, um unseren Glauben zu stärken.
Aber bei diesem Ereignis fehlt jemand: Thomas. Als die Jünger später auf Thomas treffen, „entladen“ sie sich und teilen ihm alles mit. Würden Sie das nicht auch tun? Wann haben Sie zum letzten Mal einen Toten lebend gesehen – vor allem einen gekreuzigten, zerschlagenen und auf brutale Weise gefolterten Menschen?
Doch Thomas kann ihnen einfach nicht glauben. „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben“, sagt er (Johannes 20,25).
Hat Jesus einen Fehler gemacht, als er diesen scheinbar kleingläubigen Mann als Apostel auswählte? Oder steckt mehr dahinter?
Der Hintergrund des Thomas
Erinnern wir uns daran, dass Jesus eine ganze Nacht lang betete, bevor er seine Apostel auswählte. Sie sollten die Zeugen seines Lebens, seines Todes und seiner Auferstehung werden (siehe Lukas 6,12-16; Apostelgeschichte 1,2. 8). Darunter waren einige interessante Persönlichkeiten wie Simon Petrus, Judas Iskariot und zwei Brüder, Jakobus und Johannes, die „Donnersöhne“.
Letztendlich würde Judas Iskariot Jesus verraten, und alle Jünger würden ihn in seiner größten menschlicher Not im Garten Gethsemane verlassen. Und doch werden die Namen aller außer dem Verräter auf den Grundsteinen des neuen Jerusalems zu lesen sein (Offenbarung 21,12-14).
Sicherlich verließ sich Jesus bei seiner Auswahl nicht auf den Zufall! Also, was ist der Hintergrund des Thomas? Lassen Sie uns seinen Werdegang untersuchen und so verstehen, warum es nicht klug ist, Menschen wegen einer Momentaufnahme auf ewig in eine Schublade zu stecken.
Häufig übersehen wird eine frühere Situation, in der Thomas sich zu Wort meldete, als die anderen Jünger Jesus vor einem Besuch in Bethanien warnten, um Lazarus zu sehen (siehe Johannes 11,7-8). Trotz der Warnung sagte Jesus: „Lasst uns zu ihm gehen!“ Und Thomas fügte hinzu: „Lasst uns mit ihm gehen, dass wir mit ihm sterben!“ (Johannes 11,16). Thomas schien bereit, alles für die Sache Christi zu opfern. Und alle anderen kamen dann mit.
Dann in der Nacht vor Jesu Tod sagte er zu seinen Jüngern: „Ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen.“ Es ist Thomas, der darauf fragt: „Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?“ (Johannes 14,3-5).
Thomas’ Frage ist der Auslöser für Jesu Aussage: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Johannes 14,6). Thomas wusste nicht, dass er auf die Antwort warten musste – aber er würde sie später bekommen.
Warum war Thomas bei der ersten Erscheinung Jesu nicht mit den anderen Jüngern im Raum? Die Bibel sagt es uns nicht. Kurz bevor Jesus erschien, kehrten die beiden Jünger, die Christus auf dem Weg nach Emmaus gesehen hatten, „zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren“, wo sie erfuhren, dass auch Petrus Jesus gesehen hatte (Lukas 24,33-36). Da Thomas einer der elf Versammelten war, muss er bei ihrer Ankunft dabei gewesen sein. Das bedeutet, dass er den Raum kurz vor dem Eintreten Jesu verlassen haben muss.
Wir wissen aber nicht, warum Thomas hinausgegangen ist. Aber zweifellos war Jesu Erscheinung erst nach Thomas’ Austritt beabsichtigt. Thomas selbst hat sich wahrscheinlich sehr darüber gewundert. Das könnte erklären, warum er den detaillierten Berichten der anderen Apostel, mit denen sie Jesu Anwesenheit bestätigten, nicht glauben wollte.
Erinnern wir uns daran, dass Thomas vor dem Besuch bei Lazarus gesagt hatte: „Lasst uns mit ihm gehen, dass wir mit ihm sterben!“ Doch als Jesus verhaftet wurde, schmolz sein Mut. Zu wissen, dass er bei der Begegnung mit Jesus nicht dabei war, hat ihn vielleicht mit Scham und Schuldgefühlen wegen seines früheren Versagens belastet.
Natürlich waren alle anderen ebenfalls geflohen, als Jesus verhaftet wurde. Es kann sein, dass jeder von ihnen genauso wie Thomas reagiert hätte, wenn sie so wie er gefehlt hätten. Aber jemand musste die Lektionen erleben, die Christus hier lehrte – Lektionen, die für uns alle wichtig sind.
Ein gebrochenes Herz erforschen
Acht Tage später sind die Jünger wieder im selben Raum versammelt, und diesmal ist Thomas auch dabei. Jesus erscheint das zweite Mal, wieder unter Umgehung der Tür. Er grüßt seine Jünger erneut mit „Friede sei mit euch“. Er will an das Herz eines Jüngers klopfen (Johannes 20,26), denn jetzt hat er Thomas im Visier. Als der gute Hirte (Johannes 10,14) weiß er, dass dieses kämpferische Lamm in Not ist.
Jesus zögert nicht, noch ist er beleidigt, sondern lädt Thomas ein, alles zu prüfen, wovon er überzeugt werden möchte. Er bietet ihm unverblümt an: „Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ (Johannes 20,27). Seine Worte sind keine Verurteilung, sondern eine Ermutigung.
Üblicherweise liegt unser Augenmerk auf Thomas’ Untersuchung der Wunden Christi, doch wir übersehen, dass Christus das „Loch“ in Thomas’ Herz untersucht. Hier entdecken wir, dass Christus auf eine Weise mit uns interagiert, die besonders geeignet ist, unseren Glauben zu stärken.
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass einige Menschen auditiv lernen, während andere sich ihr Wissen besser durch Lesen und die Betrachtung von Bildern und wieder andere durch „praktische“ Erfahrungen aneignen? In der „Schule des Lebens“ funktioniert es genauso. Ein altes asiatisches Sprichwort besagt: „Ich höre und vergesse. Ich sehe und erinnere mich. Ich tue es und verstehe.“ Hier hilft Christus, der „Töpfermeister“ (Jesaja 64,7), seinem Freund und „modelliert“ so seine Zukunft.
Unser himmlischer Vater hat uns nicht zu einem Glauben berufen, der sich unter Druck verflüchtigt. Thomas hätte den anderen Jüngern einvernehmlich zunicken können, aber wenn er aus welchem Grund auch immer nicht wirklich überzeugt wäre, würde das niemandem nützen. Doch Jesus wusste, dass Thomas’ Mut sich wieder beleben würde, sobald er „es geschafft hatte“. Derselbe Jünger, der sagte, er sei bereit, wie ein Lamm mit seinem Freund zur Schlachtbank geführt zu werden, würde nun aufleben und die gute Nachricht vom auferstandenen Lamm Gottes weitergeben können.
Was war das Resultat von Jesu Prüfung? Thomas redete ihn mit „Mein Herr und mein Gott!“ an (Johannes 20,28). Es ist das ultimative Glaubensbekenntnis, dass Jesus mehr ist als nur ein guter Mensch, ein weiser Lehrer, ein Prophet oder ein bereitwilliger Märtyrer für seine Sache. Thomas’ Bekenntnis war das Resultat der persönlichen Fürsorge seines Herrn und Meisters. Indem Jesus ihn seine Wunden berühren ließ, stärkte er letztlich Thomas’ Glauben.
Christus hatte große Pläne für seinen Apostel und Freund Thomas, die sich nur durch echten Glauben realisieren ließen. Die Tradition besagt, dass Thomas später bis nach Indien evangelisieren sollte. Er würde schließlich den Märtyrertod erleiden, nachdem er über das auferstandene Lamm Gottes und sein kommendes Reich gepredigt hatte.
Was sollen wir glauben?
Der Bericht über Thomas enthält auch Jesu Ermutigung für uns, die wir – im Gegensatz zu Thomas – ihn nicht gesehen haben. Jesus sagte zu Thomas: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ (Johannes 20,29). Welche Aspekte können wir dieser Erzählung entnehmen, um unseren persönlichen Glaubensweg zu verbessern?
• Gott, der Vater, und Jesus Christus verurteilen uns nicht gleich, wenn wir mit Zweifeln ringen. Der Apostel Thomas ist nicht das einzige Beispiel – denken Sie auch an Hiob! Gott sieht unseren Kampf gegen Zweifel nicht als eine trennende Mauer, sondern als eine Brücke zum besseren Verständnis. Dabei stellen wir Fragen und suchen nach Antworten, die nur Gott geben kann.
• Wir können das Unerwartete von unserem himmlischen Vater und Christus erwarten. Ihre Gedanken und Wege sind anders als bei uns Menschen (Jesaja 55,8-9). Gott antwortet, wenn die Zeit reif ist, und dazu gehört auch, dass wir für seine Ermutigung zum besseren Verständnis reif sein müssen. Der Vater und Christus öffnen das Meer, schütten Brot vom Himmel aus, erwecken Tote zum Leben, gehen durch Wände und heilen kranke Herzen. Gewöhnen Sie sich also an das Unerwartete!
• Als unser guter Hirte kennt Christus unsere persönlichen Bedürfnisse und unterschiedlichen Lernstile. Er hilft uns besonders dann, wenn es um die Frage geht, wie wir einen echten, beständigen Glauben haben können. Er weiß, dass es dabei eine Lernkurve gibt. Er lebt als unser auferstandener Retter und steht uns jeden Tag bei.
• Jesus grüßt uns mit „Friede sei mit euch“, so wie er damals die Jünger gegrüßt hat. Er hat vor seinem Tod versprochen: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch . . . Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ (Johannes 14,27). Jesu Frieden zu erleben kann bedeuten, dass er die Tiefe unseres Herzens prüft und uns die notwendige Ermutigung – oder Ermahnung – mitteilt.
• Thomas’ Geschichte ist unsere Geschichte. Es ist die Geschichte des guten Hirten, der sich um seine Schafe kümmert, wenn wir seiner Aufforderung „Folgt mir nach!“ nachkommen. Es ist der Weg, der in eine ewige Zukunft führt, in der Christus uns neue Namen geben wird (Offenbarung 3,12). Beherzigen wir die Ermutigung Christi: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“