GN-Interview mit dem Archäologen Dr. phil. Bryant Wood
Gute Nachrichten: Dr. Wood, über den Zeitpunkt des Auszugs der Israeliten aus Ägypten, die Zerstörung Jerichos und den Einzug ins Gelobte Land wird viel debattiert. Wann fand Ihrer Meinung nach der Auszug statt, und womit begründen Sie Ihre Meinung?
Bryant Wood: Meiner Meinung nach fand der Auszug Israels Mitte des 15. Jh. [v. Chr.] statt, basierend auf den chronologischen Angaben der Bibel, vornehmlich in 1. Könige 6, Vers 1. Dort heißt es, daß die Israeliten 480 Jahre vor Beginn der Bauarbeiten am Tempel Salomos Ägypten verließen. Ca. 970 v. Chr. fing Salomo zu bauen an. 480 Jahre davor ist ca. 1450, der Zeitpunkt des Auszugs.
Andere Bibelstellen bestätigen dies, wie z. B. Richter 11, Vers 26, wo wir lesen, daß zur Zeit Jeftahs die Israeliten bereits 300 Jahre im Land waren. Jeftah lebte ca. 1100 v. Chr., und 300 Jahre früher fand der Einzug ins Gelobte Land statt, also ca. 1400 v. Chr.
Darüber hinaus gibt es chronologische Daten in 1. Chronik 6, wo wir Geschlechtsregister finden, wovon eines vollständig zu sein scheint – das von Heman dem Sänger (Vers 18). Seine Ahnentafel reicht von der Zeit Moses bis zu David, insgesamt 18 Generationen. Bis Salomo wären es 19 gewesen. Setzt man 25 Jahre pro Generation an, kommt man auf 475 Jahre, was die Jahreszahl 480 bestätigt.
Der Punkt ist, daß alle chronologischen Hinweise im Alten Testament diese frühere Datierung, Mitte des 15. Jahrhunderts, als Zeitpunkt des Auszugs und das späte 15. Jahrhundert für die Landnahme der Israeliten in Kanaan bestätigen.
Gelehrte befürworten ein Alternativdatum, das manchmal als „spätes Datum“ für den Auszug bezeichnet wird, ca. 1270 v. Chr., mit der Landnahme gegen 1230 v. Chr. Das ist jedoch lediglich eine Annahme der Forscher, denn es gibt keine biblischen Beweise dafür. Man stützt sich dabei auf 2. Mose 1, Vers 11, wo es heißt, daß die Israeliten die Vorratsstädte Pitom und Ramses bauten. Ramses ist der Name, der einer Stadt im 13. Jh. v. Chr. verliehen wurde, aber die Stadt existierte bereits früher unter einem anderen Namen.
Deshalb glaube ich, daß man später den neuen Namen verwendete, weil er bekannter war. Diese Gelehrten meinen hingegen, daß der Ort zu dem Zeitpunkt, als die Israeliten ihn aufbauten, Ramses hieß. Aus diesem Grund vertreten sie die Ansicht, daß der Auszug im 13. Jh. v. Chr. stattfand.
GN: Warum ist die Ermittlung des richtigen Zeitpunkts für die Zerstörung Jerichos so wichtig?
BW: In der Archäologie ist die Datierung sehr wichtig, weil man archäologische Funde in Bezug zur Bibel setzen muß. Das kann man nur, wenn man 1. die Termine für biblische Ereignisse weiß und 2. die Termine für archäologische Funde ermittelt, damit man sie miteinander abstimmen kann. Viele der sogenannten Widersprüche zwischen Bibel und Archäologie sind auf falsche Datierung zurückzuführen – entweder biblische Ereignisse oder archäologische Funde. Deshalb ist die Datierung absolut wichtig, um die Bibel und die Archäologie aufeinander abzustimmen.
GN: Die britische Archäologin Kathleen Kenyon leitete in den 1950er Jahren Ausgrabungen in Jericho und kam zu dem Schluß, daß der biblische Bericht falsch ist. Warum ist ihre 150jährige Fehlkalkulation zum Verständnis biblischer Ereignisse so wichtig?
BW: Nun, das war ihr Fehler bei der Datierung der Zerstörung Jerichos. Sie datierte es auf 1550 v. Chr., wobei das richtige Datum 1400 v. Chr. war. Solche Fehler passieren, wenn man die Ereignisse der Bibel nicht richtig abstimmt. Mit ihrer Datierung 150 Jahre vor Josua, meinte sie, daß es keine Beweise für den biblischen Bericht gab.
Nochmals: Die richtige Datierung ist sehr wichtig für eine Übereinstimmung der Bibel mit der Archäologie. Aufgrund dieser Fehleinschätzung hieß sie die Bibel im Irrtum, und das wurde zum primären archäologischen Beispiel dafür, daß die Landnahme angeblich nicht stattfand. Wenn man jedoch die Funde richtig auswertet und die richtige Datierung hat, ist das Gegenteil der Fall.
Jericho liefert detaillierte Beweise für die Genauigkeit der Bibel. In der Tat zeigen die in Jericho gefundenen Beweise, daß die Bibel ein Augenzeugenbericht ist und unmöglich zu einem späteren Zeitpunkt geschrieben worden sein kann.
GN: Was können Sie über zu Ai sagen, die zweite Stadt, die bei der Landnahme zerstört wurde?
BW: Ai ist das zweite große Problem in biblischer Archäologie und Geschichte hinsichtlich der Landnahme, weil die Stätte, die Gelehrte für Josuas Ai halten, zur Zeit Josuas unbewohnt war. Es war viel früher in der frühen Bronzezeit bewohnt und ist eine große städtische Siedlung gewesen.
Es wurde ca. 2400-2300 v. Chr. zerstört und blieb in der mittleren und der späten Bronzezeit unbewohnt. Erst in der Eisenzeit, ca. 1100 v. Chr., war es wieder bewohnt. Da gibt es also eine große Kluft zwischen diesen Zeitaltern, und ganz gleich, welchen Termin man für den Auszug aus Ägypten und die Landnahme Kanaans nimmt, muß er zwischen diesen beiden Zeitaltern liegen. Im Klartext: Die Stätte kann nicht Josuas Ai sein, sofern man die Aussagen der Bibel für glaubwürdig hält.
Säkulare Gelehrte meinen dazu, daß es wirklich Josuas Ai ist und daß die biblische Geschichte erfunden wurde, um die bereits vorhandenen Ruinen in Ai zu erklären. Meine Organisation, die „Associates for Biblical Research“, beteiligt sich seit 1979 in Israel an der Suche nach dem echten Ai. 1995 fingen wir mit Ausgrabungen 1 km westlich von „et-Tell“ an, der Stätte, die Gelehrte für Josuas Ai halten. Die Ausgrabungsstätte heißt Khirbet el-Maqatir. Dort haben wir eine Festung aus der Zeit Josuas entdeckt. Es gibt Beweise, daß sie ca. 1400 v. Chr. niedergebrannt wurde, was sich mit den Aussagen der Bibel in Josua 8 deckt.
Die Topographie der Gegend stimmt genau mit der Beschreibung in der Bibel überein. Wir fanden Hinweise auf einen im Westen gelegten Hinterhalt, einen Hügel im Norden und weitere Details in Josua 7 und 8, die genau zu unserer Stätte und ihrer Umgebung passen. Wir sind uns ziemlich sicher, daß wir Josuas Ai entdeckt haben.
Die „et-Tell“-Stätte ist wahrscheinlich der Standort von Ai aus der Zeit Abrahams (1. Mose 12,8), als Abraham sein Zelt auf einem Hügel mit Bethel im Westen und Ai im Osten aufschlug. Der Name Ai bedeutet „Ruine“ in Hebräisch, und der arabische Name „et-Tell“ bedeutet ebenfalls „Ruine“. Die Ruine aus der frühen Bronzezeit scheint also der Ursprung des Namens zu sein. Als die kleine Festung 1 km weiter westlich gebaut wurde, verlieh man ihr diesen Namen.
Das ist nicht einzigartig, denn es gibt in der Nähe von „et-Tell“ auch andere Ruinen, die denselben Namen, Ai, behalten haben, in seiner modernen arabischen Form. Es gibt vielleicht ein halbes Dutzend Stätten unweit von „et-Tell“, die diesen Namen tragen und zu verschiedenen Zeiten bewohnt waren. Beweise für Josua 7 und 8 zu finden ist ein großer Durchbruch, weil Jericho und Ai die beiden Probleme waren, auf die Gelehrte mit der Feststellung hinwiesen: „Schaut her, die Archäologie widerlegt die Bibel – es gab keine Landnahme.“ Wir meinen aber, diese Probleme gelöst zu haben. Wir können nachweisen, daß es die Landnahme doch gab.
GN: Wie groß ist der Abstand zwischen den „Maximalisten“, für die die Bibel wahr ist, und den „Minimalisten“, die sie als historischen Bericht ablehnen?
BW: Er ist recht groß, hängt aber von dem Gelehrten und dem fraglichen Zeitalter ab. Mich hält man für einen „Ultra-Maximalisten“, weil ich die Bibel von 1. Mose 1 an in bezug auf ihre geschichtliche Zuverlässigkeit für wahr halte. Andere, wie beispielsweise Bill Dever, der ein rein weltlicher Gelehrter ist, würde sich für einen „Maximalisten“ halten, weil er glaubt, daß das Eisenzeitalter bzw. die Zeit der Königreiche Israels historisch zuverlässig ist. Aber alles, was vor dieser Zeit war, hält er nicht für wahr. Trotzdem sieht er sich als „Maximalisten“, weil es diejenigen gibt, die die Bibel auch in der Eisenzeit für unzuverlässig halten. Das sind die „Minimalisten“. Es gibt also sehr unterschiedliche Standpunkte.
GN: Der „Maximalist“ in einem Zeitalter könnte in einem anderen Zeitalter „Minimalist“ sein?
BW: So ist es. Daher ist die Kluft zwischen einem „Maximalisten“ wie mir und einem „Minimalisten“ riesengroß, weil er den biblischen Bericht vor ca. 900 v. Chr. mit großem Vorbehalt betrachtet. Er meint, daß alles in der Zeit vor dem zerteilten Königreich erdichtet ist. Danach gab es keinen David, Salomo oder Saul. Diese Menschen sollen nie existiert und in der fraglichen Zeit soll es kein israelitisches Königreich gegeben haben.
Für sie ist das und alles in der Zeit davor nur Legende.
GN: Kann diese Kluft überbrückt werden?
BW: Sie wird wohl nie überbrückt werden. Ich meine, daß es Menschen mit so großen Vorurteilen gibt, daß sie nie die geschichtliche Richtigkeit der Bibel akzeptieren werden. Es ist wie bei der Debatte Schöpfung kontra Evolution. Es spielt keine Rolle, mit wie vielen Beweisen man die Evolutionstheorie widerlegt. Die Gelehrten werden daran festhalten, weil sie die Vorstellung eines göttlichen Schöpfers ablehnen. Für sie kommt diese Option einfach nicht in Frage, deshalb klammern sie sich an die Evolution, komme, was wolle.
Wir haben eine ähnliche Situation mit der alttestamentlichen Geschichte. Es gibt Menschen, die so gegen die Bibel voreingenommen sind, daß sie sie nie als buchstäbliche Geschichte annehmen werden. Ich meine, da spielt sich ein Kampf auf geistlicher Ebene ab – darum geht es. Diese Menschen haben Gott abgelehnt, und sie wollen nichts mit ihm oder der Bibel zu tun haben. Deshalb werden sie sie immer mit Vorbehalt behandeln und Gründe für ihren Unglauben finden. Auch wenn die Beweise eindeutig sind, lehnen sie sie ab oder haben für sie eine andere Erklärung.
GN: Gibt es Ihrer Meinung nach Hindernisse, welche die Veröffentlichung von Daten erschweren, die die biblische Geschichte bestätigen?
BW: Das ist sehr schwierig, weil es in akademischen Fachzeitschriften, die archäologische Funde behandeln, starke antibiblische Vorurteile gibt. Da hängt es von dem Material ab, das man veröffentlicht. Wenn man etwas über die Eisenzeit – die Zeit der Könige Israels und Judas – schreibt, haben die Fachzeitschriften kein Problem damit. Schreibt man jedoch über frühere Zeitalter, können sie sich damit nicht anfreunden.
Deshalb ist es sehr schwierig, etwas, das mit der Geschichtlichkeit der Richterzeit, Josuas, des Auszugs oder früherer Zeiten zu tun hat, in einer Fachzeitschrift zu veröffentlichen. In der Fachwelt gilt diese ganze Zeit als legendär. Deshalb muß man andere Wege gehen, und es gibt andere Möglichkeiten.
Israelische Zeitschriften und das Biblical Archaeology Review veröffentlichen schon konservative Beiträge, aber das sind Volks- und keine Fachzeitschriften. In letzteren hat man es schwer, konservatives Material über die früheren biblischen Zeitalter zu veröffentlichen.