Lukas liefert uns einen detaillierten und zuverläßigen Bericht über die Reisen des Apostels Paulus in den ersten Jahrzehnten der Kirchengeschichte.
Von Mario Seiglie
In den letzten beiden Folgen dieser Reihe behandelten wir Ereignisse in der Zeit vom Beginn der christlichen Kirche bis zu den ersten Reisen des Apostels Paulus durch die Welt des Mittelmeers. In diesem Artikel beenden wir unsere Abhandlung über die Apostelgeschichte mit den Reisen des Paulus nach Ephesus, Jerusalem und Rom.
Die Schriften von Ephesus
Nach seinem Aufenthalt in Korinth begann Paulus seine Rückreise nach Jerusalem, in deren Verlauf er auch Ephesus, eine wichtige Stadt in Kleinasien, aufsuchte:
„Es geschah aber, als Apollos in Korinth war, daß Paulus durch das Hochland zog und nach Ephesus kam ... Es kamen auch viele von denen, die gläubig geworden waren, und bekannten und verkündeten, was sie getan hatten. Viele aber, die Zauberei getrieben hatten, brachten die Bücher zusammen und verbrannten sie öffentlich und berechneten, was sie wert waren, und kamen auf fünfzigtausend Silbergroschen“ (Apostelgeschichte 19,1. 18-19; alle Hervorhebungen durch uns).
Das griechische Wort, das hier als „Bücher“ übersetzt wird, ist biblos. Das Wort bezog sich ursprünglich auf „den inneren Teil des Stammes der Papyrus-Pflanze“, und später „auf das Papier, das von dieser Rinde in Ägypten hergestellt wurde, und zuletzt auf ein geschriebenes ,Buch‘, Band oder Rolle“ (W. E. Vine, Hrsg., Vine’s Complete Expository Dictionary of Old and New Testament Words, 1985, Stichwort „Book“).
Seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts haben sich Archäologen intensiv darum bemüht, vor allem in Ägypten, wo das Wüstenklima solche zerbrechlichen Schätze bewahren konnte, alte Papyrusrollen zu finden. Sie hatten mit diesen Bemühungen erstaunlichen Erfolg und fanden Schriftrollen, die bis in neutestamentliche Zeiten zurückreichen. Unter den gefundenen Papyrusrollen befinden sich einige mit Zaubersprüchen. Solche Rollen wurden als Amulette benutzt.
„Eine Reihe solcher magischen Schriftrollen blieb bis in unsere Zeit erhalten“, schreibt F. F. Bruce. „Es gibt besonders berühmte Beispiele in den Sammlungen von London, Paris und Leiden. Die besondere Verbindung von Ephesus zur Magie spiegelt sich in dem Begriff ,ephesische Schriften‘ für solch magische Schriftrollen wieder. Die Zaubersprüche, die sie beinhalten, sind purer Unsinn, eine willkürliche Ansammlung von Wörtern und Namen, die damals als ungewöhnlich machtvoll galten, manchmal in Mustern angeordnet, die zum Kern des Zauberspruches gehörten. Trotzdem erzielten diese Schriftrollen hohe Verkaufspreise ... Die stärkste Parallele zum Mißbrauch des Namens Jesu durch die Beschwörer von Ephesus findet sich im Pariser magischen Papyrus Nr. 574, wo wir in der Zeile 3018 folgende Beschwörung finden: ,Ich beschwöre dich im Namen Jesu, des Gottes der Hebräer‘ “ (The New International Commentary of the New Testament: The Book of Acts, 1974, Seite 390).
Der Wert solcher Schriftrollen, die in Ephesus vernichtet wurden, wird mit „fünfzigtausend Silbergroschen“ angegeben (Apostelgeschichte 19,19), was nach Gelehrtenmeinung etwa 40 000 € in unserer heutigen Währung entspricht.
Eines der sieben Weltwunder der Antike
Die Predigten des Paulus veranlaßten viele, sich von ihren Götzen und heidnischen Bräuchen abzuwenden. Das führte zu einem Aufruhr unter den Kunsthandwerkern, die sich mit dem Anfertigen von Statuen der Göttin Diana und ihres Tempels ihren Lebensunterhalt verdienten.
„Es erhob sich aber um diese Zeit eine nicht geringe Unruhe über den neuen Weg. Denn einer mit Namen Demetrius, ein Goldschmied, machte silberne Tempel der Diana und verschaffte denen vom Handwerk nicht geringen Gewinn. Diese und die Zuarbeiter dieses Handwerks versammelte er und sprach: Liebe Männer, ihr wißt, daß wir großen Gewinn von diesem Gewerbe haben; und ihr seht und hört, daß nicht allein in Ephesus, sondern auch fast in der ganzen Provinz Asien dieser Paulus viel Volk abspenstig macht, überredet und spricht: Was mit Händen gemacht ist, das sind keine Götter.
Aber es droht nicht nur unser Gewerbe in Verruf zu geraten, sondern auch der Tempel der großen Göttin Diana wird für nichts geachtet werden ... Als sie das hörten, wurden sie von Zorn erfüllt und schrien: Groß ist die Diana der Epheser! Und die ganze Stadt wurde voll Getümmel; sie stürmten einmütig zum Theater und ergriffen Gajus und Aristarch aus Mazedonien, die Gefährten des Paulus“ (Apostelgeschichte 19,23-29).
Der Tempel der Diana, eines der sieben Weltwunder der Antike, war viermal größer als der Parthenon in der griechischen Stadt Athen. Seine Ruinen wurden von dem britischen Archäologen John T. Wood 1869 zu Tage gefördert. Später fand er auch das erstaunlich gut erhaltene, große Theater, das in Apostelgeschichte 19, Vers 29 erwähnt wird und über 24 000 Zuschauern Platz bot.
William Barclay schreibt über den Tempel der Diana: „Er war 130 Meter lang, 70 Meter breit und 18 Meter hoch. Er enthielt 127 Säulen, jede ein Geschenk eines Königs. Sie bestanden alle aus glänzendem Marmor und 36 von ihnen waren herrlich vergoldet und dekorativ verziert. Der große Altar war von Praxiteles, dem größten Bildhauer Griechenlands, errichtet worden. Das Bildnis von Diana war nicht schön. Es war eine gedrungene, schwarze, vielbrüstige Figur, die Fruchtbarkeit symbolisierte. Es war so alt, daß niemand wußte, woher es stammte oder auch nur, aus welchem Material es gefertigt war. Der Legende nach war es vom Himmel gefallen“ (Daily Study Bible, 1975, Kommentar zu Apostelgeschichte 19,1-7).
Der Expositor’s Bible Commentary fügt hinzu: „Tausende von Pilgern und Touristen besuchten ihn [den Tempel] von nah und fern. Um ihn herum hatte sich ein Schwarm von Kunsthandwerkern und Händlern angesiedelt, die ihren Lebensunterhalt mit der Vermietung von Unterkünften und dem Verkauf von Nahrung, Opfergaben und Reiseandenken an die Besucher ihren Lebensunterhalt verdienten. Der Tempel der Artemis [Diana] war zudem ein wichtiges Schatzhaus und eine Bank der antiken Welt, wo Händler, Könige und sogar Städte ihre Einlagen hinterlegten und wo ihr Geld sicher war, weil es unter dem Schutz der Gottheit stand“ (Richard Longenecker, Band 9, 1981, Seite 503).
Es ist also nicht erstaunlich, daß es einen gutgehenden Handel mit kleinen Statuen der Diana und ihres Tempels in Ephesus gab. In diesem Umfeld hatte der Apostel Paulus furchtlos dazu aufgerufen, das zweite Gebot zu halten und das Anbeten religiöser Bildnisse zu unterlassen. In einem Kommentar zu den Versen 24 und 27 erläutert A. T. Robinson: „Diese kleinen Modelle des Tempels mit der Statue der Artemis [Diana] im Innern wurden in den Häusern aufgestellt oder als Amulette am Körper getragen ... Tempel der Artemis [Diana] wurden in Spanien und Gallien [Frankreich] gefunden“ (Word Pictures of the New Testament, 1995).
In ganz Europa haben Archäologen Statuen der vielbrüstigen Göttin Diana (oder Artemis, wie sie von den Römern genannt wurde) gefunden. 1996 wurde eine eindrucksvolle Statue der Diana in Ephesus entdeckt. Sie ist heute an prominenter Stelle dort im Museum ausgestellt.
Ironischerweise starb der Kult um die Diana zwar allmählich aus, aber ein weiterer Kult füllte dann diese Lücke in Ephesus: „Das Christentum“, schreibt die Historikerin Marina Warner, „bemächtigte sich ihrer [Diana] und fügte ihren Charaktereigenschaften solch typische weibliche christliche Tugenden wie Bescheidenheit und Scham hinzu“ (Alone of All Her Sex, 1976, Seite 47). Diana, so fährt Warner fort, „wurde mit dem Mond in Verbindung gebracht ... [und] wird als Jungfrau Maria mit dem Einfluß des Mondes und der Sterne identifiziert, sowie mit Kräften der Fruchtbarkeit und der Fortpflanzung“ (Seite 224).
Beim Konzil von Ephesus im Jahre 431 n. Chr. wurde die Verehrung der Maria zu einem offiziellen Bestandteil der Staatskirche Roms. Warner schreibt über Diana: „Erinnerungen an ihr Wahrzeichen, den Gürtel, überlebten in der Stadt [Ephesus], wo die Jungfrau Maria zur Theotokos [Mutter Gottes] ausgerufen wurde, dreihundertundfünfzig Jahre nachdem die Silberschmiede, die davon lebten, Statuen der Diana anzufertigen, gegen die Lehren des Paulus rebelliert und ,Groß ist die Diana der Epheser‘ ausgerufen hatten (Apostelgeschichte 19,23-40). Es könnte daher eine Fortsetzung ... von Diana auf die Jungfrau geben, denn eine Legende sagt auch, daß Maria von Ephesus aus in den Himmel aufstieg“ (ebenda, Seite 280).
Paulus wird verhaftet
Von Ephesus aus eilte Paulus nach Jerusalem, um „am Pfingsttag in Jerusalem zu sein, wenn es ihm möglich wäre“ (Apostelgeschichte 20,16). Nach seiner Ankunft begab er sich bald darauf in den Tempel, um zu beten und zusammen mit vier anderen jüdischen Christen ein Gelübde zu erfüllen:
„Als aber die sieben Tage zu Ende gingen, sahen ihn die Juden aus der Provinz Asien im Tempel und erregten das ganze Volk, legten die Hände an ihn und schrien: Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle Menschen an allen Enden lehrt gegen unser Volk, gegen das Gesetz und gegen diese Stätte; dazu hat er auch Griechen in den Tempel geführt und diese heilige Stätte entweiht“ (Apostelgeschichte 21,27-29).
Paulus wurde unter der falschen Anschuldigung, einen Heiden (einen Nichtjuden) in den Tempel gebracht zu haben, verhaftet. An jedem Tempeleingang gab es eine Inschrift, die jedermann warnte, daß nur Israeliten eintreten durften. Bruce erklärt: „Damit kein Heide aus Versehen in die verbotenen Bereiche eintrat, waren Hinweise in Griechisch und Lateinisch an der Absperrung am Fuße der Stufen, die zum inneren Teil führten, angebracht, die warnten, daß ein Weitergehen bei Todesstrafe verboten war. Zwei dieser Hinweise (beide in Griechisch) wurden gefunden, einer 1871 und ein anderer 1935.
Ihr Text lautete: ,Kein Fremder darf die Absperrung, die den Tempel und den inneren Bereich umgibt, passieren. Jeder, der bei einem Verstoß gegen dieses Gebot entdeckt wird, hat sich seinen resultierenden Tod selbst zuzuschreiben‘ “ (The New International Commentary of the New Testament: The Book of Acts, 1974, Seite 434).
Paulus wird nach Rom gebracht
Nach der Verhaftung von Paulus in Jerusalem entdeckten die römischen Behörden eine Verschwörung, ihn zu töten. Sie brachten ihn eilendst ins nahegelegene Caesarea, der römischen Hauptstadt von Judäa. Da er ein römischer Bürger war, eine seltene und hochgeachtete Staatsangehörigkeit zu jener Zeit, stand ihm voller militärischer Schutz zu. In Caesarea unterzog er sich mehreren vorläufigen Verhören, die ihn unbefriedigt ließen, so daß er sein Recht als Römer ausübte, seinen Fall selbst dem Kaiser in Rom vorzutragen.
Die Reise nach Rom, auf einem Handelsschiff, war mühselig. Lukas begleitete Paulus auf der Reise. Seine Reisebeschreibung ist ein Paradebeispiel an Genauigkeit bis in die kleinsten Details. Lukas’ „Details im Hinblick auf die Seefahrergebräuche des ersten Jahrhunderts sind so korrekt und seine Beschreibung der Zustände am östlichen Mittelmeer so zutreffend“, erläutert The Expositor’s Bible Commentary, „daß selbst die größten Skeptiker zugestanden haben, daß diese wahrscheinlich auf einem Tagebuch einer solchen Reise, wie Lukas sie beschreibt, beruhen“ (Longenecker, Seite 556).
Die Überreste mehrere Schiffe, die dem von Lukas beschriebenem ähnlich waren, wurden auf dem Grund des Mittelmeers gefunden. Sie bestätigen die Genauigkeit des Lukasberichtes. „Diese Kornschiffe waren nicht klein“, bemerkt Barclay. „Sie konnten eine Länge von bis zu 42 Metern und eine Breite von 11 Metern erreichen. Aber in einem Sturm boten sie einige schwerwiegende Nachteile ... Sie hatten kein Ruder wie unsere modernen Schiffe, sondern wurden mit zwei großen Paddeln gesteuert, die am Heck seitlich herausragten. Sie waren deshalb nur schwer zu manövrieren. Sie hatten zudem nur einen Mast mit einem großen quadratischen Segel, das manchmal aus Leinen und manchmal aus zusammengenähten Tierhäuten bestand. Mit einem solchen Segel konnten sie nicht in den Wind segeln“ (Daily Study Bible).
Auf der Reise nach Rom erlitten Paulus und seine Begleiter nahe der Insel Malta Schiffbruch. In Malta verbrachten sie dann mehrere Monate, bis ein weiteres Schiff sie nach Rom weitertransportierte.
Die Appische Straße
Lukas’ Bericht fährt fort: „Und so kamen wir nach Rom. Dort hatten die Brüder von uns gehört und kamen uns entgegen bis Forum Appii und Tres-Tabernae“ (Apostelgeschichte 28,14-15). Archäologische und literarische Belege bestätigen, daß Lukas die Reisestationen nach Rom von Westen her, der kürzesten Reiseroute vom nächstgelegenen Seehafen aus, zutreffend beschreibt.
„Von Neapel aus reisten Paulus und seine Begleiter nach Nordwesten, um Rom über die Via Appia zu erreichen – die älteste, geradlinigste und perfekteste aller römischen Straßen, die nach dem Zensor Appius Claudius benannt worden war, der ihren Bau im Jahre 312 v. Chr. eingeleitet hatte. Während des siebentägigen Aufenthalts in Puteoli erreichte die Nachricht von Paulus’ Ankunft in Italien Rom. Deshalb machten sich eine Reihe von Christen dort auf, um ihn zurück nach Rom zu begleiten. Einige von ihnen kamen bis zum Forum des Appius (Forum Appii), eine der ,Haltestationen‘, die alle zehn bis fünfzehn Meilen entlang der gesamten Länge des römischen Straßensystems errichtet worden waren ... Andere kamen nur bis zum Gasthaus der drei Tavernen [Tres-Tabernae], einer weiteren Haltestation ungefähr 80 km von Rom entfernt“ (ebenda).
Lukas übermittelt uns in seinem Buch einen detaillierten und genauen Bericht über die Reisen des Apostels Paulus. Die Apostelgeschichte endet damit, daß Paulus auf eine Anhörung seines Falls vor dem römischen Kaiser wartet. Wir werden unsere Serie mit einem Blick auf archäologische Beweise fortführen, die Details einiger der vielen Briefe des Paulus an die Gemeinden und Mitglieder der frühen Kirche erhellen.