Ca. 20 Jahre nach der Gründung der neutestamentlichen Kirche brach der Apostel Paulus zu seiner ersten Missionsreise auf. Was zeigen uns die archäologischen Funde aus dieser Zeit über die historischen, kulturellen und geografischen Details dieser in der Apostelgeschichte geschilderten Reisen?
Von Mario Seiglie
In dieser Ausgabe fahren wir mit unserem Überblick über archäologische Funde und historische Entdeckungen fort, die den biblischen Bericht bestätigen und erhellen. In der letzten Folge dieser Reihe behandelten wir die ersten zwölf Kapitel der Apostelgeschichte, in der die Taten der ersten Apostel im Mittelpunkt standen.
Wir fahren mit der Geschichte an der Stelle fort, an der sich das Augenmerk auf die Reisen des Apostels Paulus richtet. Wie genau sind diese Berichte? Dank der modernen Hilfsmittel der Archäologie haben Forscher viel kulturelles, historisches und geografisches Hintergrundmaterial zu Tage gefördert, das den biblischen Bericht über die Reisen des Paulus durch die Welt des Mittelmeers bestätigt.
Sergius Paulus, Statthalter von Zypern
Paulus und Barnabas „gingen hinab nach Seleuzia, und von dort segelten sie nach Zypern . . . Als sie aber die ganze Insel bis Paphos durchzogen hatten, fanden sie einen Mann, einen Magier, einen falschen Propheten, einen Juden, mit Namen Barjesus, der bei dem Prokonsul Sergius Paulus war, einem verständigen Mann. Dieser rief Barnabas und Saulus herbei und begehrte das Wort Gottes zu hören“ (Apostelgeschichte 13,4. 6-7; Elberfelder Bibel, alle Hervorhebungen durch uns).
Von Antiochia aus reisten Paulus und Barnabas zuerst nach Zypern, der Geburtsstätte von Barnabas (Apostelgeschichte 4,36). Historiker haben mehrere Hintergrunddetails dieses Berichtes bestätigt. So hat zum Beispiel der römische Redner Cicero in einem seiner Bücher erwähnt, dass Paphos in der Tat das römische Hauptquartier auf Zypern während der römischen Herrschaft war (ad familiares, XIII, 48).
Ebenso stimmt der Bericht von Lukas, dass Zypern zur Zeit der Reise der Apostel von einem Prokonsul regiert wurde. Vor 22 n. Chr. war Zypern von einem direkten Vertreter des römischen Kaisers mit dem Titel Proprätor verwaltet worden. Aber nach dem Jahre 22 ging die Herrschaft über die Insel an den römischen Senat über, dessen Repräsentanten Prokonsule genannt wurden. „Von den Römern 55 v. Chr. annektiert“, schreibt The Interpreter’s Dictionary of the Bible, „wurde Zypern im Jahre 22 n. Chr. zu einer Senatsprovinz mit einem Statthalter, der den Titel Prokonsul führte, wie Apostelgeschichte 13, Vers 7 den Sergius Paulus richtig betitelte, der Barnabas und Paulus empfing“ (1962, Band 3, Seite 648).
Der Expositor’s Bible Commentary fügt hinzu: „Die Tatsache, dass Lukas korrekterweise zwischen Senatsprovinzen und kaiserlichen Provinzen unterscheidet und darauf hinweist, dass erstere von einem Prokonsul im Auftrag des Senats verwaltet und die letzteren von einem Proprätor als Repräsentanten des Kaisers regiert wurden, sagt viel über seine Genauigkeit aus, denn der Status der Provinzen änderte sich im Laufe der Zeit“ (Richard Longenecker, 1981, Band 9, Seite 485).
Archäologen haben auch Belege dafür gefunden, dass Sergius Paulus in der Tat ein römischer Statthalter von Zypern war. 1877 wurde in der Nähe von Paphos eine Inschrift gefunden, in der Sergius Paulus mit Namen und dem Titel Prokonsul erwähnt wurde.
Zusätzlich wurde sein Name 1887 auf einem antiken Stein in Rom gefunden. „Auf einem Grenzstein des [Kaisers] Claudius wurde sein Name [Sergius Paulus] unter mehreren anderen gefunden, mit dem Vermerk, dass er (47 n. Chr.) zu einem Kurator der Ufer und Kanäle des Flusses Tiber ernannt worden war. Nachdem er seine drei Jahre als Prokonsul von Zypern absolviert hatte, kehrte er nach Rom zurück, wo er dann das erwähnte Amt innehatte“ („Sergius Paulus“, Easton’s Bible Dictionary).
Es trifft auch zu, dass Prokonsule zu jener Zeit Seher um Rat fragten. „Das waren hoch abergläubische Zeiten“, schreibt William Barclay, „und die meisten großen Männer, sogar ein intelligenter Mann wie Sergius Paulus, hielten sich private Zauberer und Hellseher, die sich mit Magie und Zaubersprüchen auskannten“ (Daily Study Bible, 1975).
Dem unbekannten Gott von Athen
Auf seiner zweiten Reise besuchte Paulus auch Athen, das Zentrum der griechischen Philosophie. „In Athen . . . ergrimmte sein Geist in ihm, als er die Stadt voller Götzenbilder sah . . . Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt“ (Apostelgeschichte 17,16. 22-23).
Weshalb erregte sich Paulus so sehr über die Götzen von Athen? Ist das eine korrekte Beschreibung des Ortes? A. T. Robertson merkt an: „Plinius [der römische Schriftsteller] schreibt, dass es zur Zeit Neros (54-68 n. Chr.) in Athen über 30 000 öffentliche Statuen neben den unzähligen persönlichen in den Privathäusern gab. Petronius [ein römischer Satiriker] machte sich darüber lustig, dass es leichter sei, einen Gott in Athen zu finden als einen Mann. Jeder Torbogen, jede Terrasse hatte eine Schutzgottheit“ (Word Pictures of the New Testament, Fußnote zu Apostelgeschichte 17,16).
Wie steht es mit dem Altar für „den unbekannten Gott“? Gibt es einen Beleg dafür, dass solche Altäre existierten? Der Archäologe John McRay nennt den griechischen Historiker Pausanias als Augenzeugen, der Athen zwischen 143 und 159 n. Chr. besuchte. Über seine Reise vom Hafen aus nach Athen schrieb er: „Auch der Tempel von Athene Skiras ist hier und einer des Zeus in einiger Entfernung und Altäre der ,Unbekannten Götter‘ . . . Appolonius von Tyana, der im Jahre 98 n. Chr. starb, nannte Athen den Ort, wo es selbst Altäre zu Ehren der unbekannten Götter gab“ (Archaeology & the New Testament, 1991, Seite 304).
Im Jahre 1909 entdeckte eine archäologische Expedition in der römischen Provinz Asien, in der Nähe von Pergamon, einen Altar mit der Inschrift „Den unbekannten Göttern gewidmet“. McRay merkt dazu an, dass die Götzenverehrung in Athen so weitverbreitet war, dass die Athener Altäre für unbekannte Götter errichteten, weil sie keinen Gott aus Versehen auslassen wollten. „Die Anhänger der altertümlichen polytheistischen Religionen“, schreibt er, „von abergläubischer Unkenntnis geprägt, haben möglicherweise einfach nur deshalb Altäre für unbekannte Götter errichtet, damit keine Gottheit an menschlicher Nachlässigkeit einen Anstoß nehmen konnte“ (ebenda).
Die Juden: Verbannung aus Rom
Von Athen aus unternahm Paulus eine kurze Reise in eine andere griechische Stadt, Korinth. Dort fand er „einen Juden mit Namen Aquila, aus Pontus gebürtig; der war mit seiner Frau Priszilla kürzlich aus Italien gekommen, weil Kaiser Klaudius allen Juden geboten hatte, Rom zu verlassen. Zu denen ging Paulus“ (Apostelgeschichte 18,2).
Wurden Juden während der Herrschaft des Kaisers Claudius aus Rom ausgewiesen? Der römische Historiker Sueton berichtet über solch einen Befehl: „Da die Juden ständig in von Chrestus angestiftete Tumulte verwickelt waren, wurden sie aus Rom verbannt“ (Life of Claudius, 25.4). Schätzungen nach wurden etwa 20 000 Juden ausgewiesen, darunter auch Aquila und Priszilla.
Es ist beachtenswert, dass dieser Ausweisungsbefehl ein Schlüsseldatum für die paulinische Chronologie darstellt: „Ein Beispiel, wie die Archäologie zur Erstellung einer paulinischen Chronologie beigetragen hat“, schreibt Professor McRay, „besteht darin, dass wir heute in der Lage sind, annäherungsweise den Zeitpunkt des Anfangs von Paulus’ Wirken in Korinth während seiner zweiten Reise festzulegen.
Der Schlüssel dazu findet sich in Apostelgeschichte 18, Vers 2, wo wir erfahren, dass Paulus bei seiner Ankunft in Korinth auf Priszilla und Aquila stieß, die vor Kurzem aus Italien angereist waren, nachdem sie durch einen allgemeinen Ausweisungsbefehl des Claudius, der von 41-54 n. Chr. regierte, aus Rom verbannt worden waren. Dieses Ereignis wird unter anderem auch von Sueton erwähnt und kann auf das Jahr 49 n. Chr. festgelegt werden“ (McRay, Seite 225-226).
Wer war dieser Chrestus, der für die jüdischen Unruhen verantwortlich war? Diese Frage war heiß umstritten. Da die Namen Chrestus und Christus eine ähnliche Aussprache haben, ist es wahrscheinlich, dass der Streit innerhalb der jüdischen Gemeinde im Zusammenhang mit dem neu entstandenen Christentum und den Lehren Jesu stand.
Der Autor F. F. Bruce merkt dazu an, dass Chrestus zwar möglicherweise nur ein jüdischer Unruhestifter war, aber er fügt hinzu: „Es ist wahrscheinlicher, dass [Sueton] dabei den Stifter des Christentums meinte, dass er sich aber in seinem siebzig Jahre nach den Ereignissen abgefassten Bericht einfach auf damalige Aufzeichnungen über die Tumulte bezog.
Weil er kein besonderes persönliches Interesse an Fragen über die Herkunft des Christentums hatte, nahm er dabei wohl fälschlicherweise an, dass Chrestus, der als Anführer einer der beteiligten Parteien bezeichnet wurde, sich tatsächlich während dieser Zeit in Rom aufgehalten und dabei eine führende Rolle beim damaligen Streit gespielt hatte.
Was wir in Wirklichkeit aus dieser Aussage des Sueton entnehmen können, sind die Uneinigkeit und der Streit innerhalb der jüdischen Gemeinde als Folge der Einführung des Christentums in eine oder mehrere Synagogen der Stadt“ (The International Commentary of the New Testament, 1974, Seite 368).
Gallio, der Prokonsul von Korinth
Während des langen Aufenthaltes von Paulus in Korinth führten seine Lehren zu einem Konflikt mit den dortigen Juden: „Als aber Gallio Prokonsul von Achaja war, traten die Juden einmütig gegen Paulus auf und führten ihn vor den Richterstuhl“ (Apostelgeschichte 18,12; Elberfelder Bibel).
Wurden Beweise gefunden, die die Existenz von Gallio belegen? Gallio erweist sich sogar als prominent in der römischen Geschichte. Er war der Bruder des stoischen Schriftstellers Seneca, der ein Lehrer des Kaisers Nero war. Gallio entstammte einer bekannten Familie in Spanien, die später nach Rom umzog. Sein wahrer Name war Marcus Annaeus Novatus, aber er wurde von dem Redner Lucius Junius Gallio adoptiert und führte anschließend den Nachnamen seines Adoptivvaters. Sein Bruder Seneca schreibt über ihn: „Kein Sterblicher ist einer anderen Person gegenüber so vornehm, wie es Gallio im Umgang mit jedermann ist.“
Es ist hochinteressant, dass auch Lukas Gallios ausgeglichene und angenehme Persönlichkeit beschreibt. Nachdem die Gegner von Paulus erfundene Beschuldigungen gegen ihn vorgebracht hatten, durchschaute Gallio schnell ihre Lügen und verwarf die falschen Anschuldigungen. Um ähnlichen Versuchen vorzubeugen, bestrafte er die jüdischen Führer für das Vorbringen falscher Beschuldigungen (Apostelgeschichte 18,14-17). Damit schuf er sogar einen rechtlichen Präzedenzfall im gesamten Römischen Reich hinsichtlich des paulinischen Missionsauftrages und der christlichen Religion.
„Wenn Gallio die jüdischen Anschuldigungen akzeptiert hätte“, schreibt der Expositor’s Bible Commentary, „und Paulus der angeblichen Vergehen für schuldig befunden hätte, hätte Provinzgouverneuren im gesamten Reich ein entsprechender Präzedenzfall vorgelegen, was Paulus’ Missionsauftrag erheblich erschwert hätte. So aber kam Gallios Weigerung, in der Angelegenheit aktiv zu werden, praktisch einer Anerkennung des Christentums als einer religio licita [einer gesetzlich erlaubten Religion] gleich. Und die Entscheidung eines solch prominenten römischen Prokonsuls hatte Gewicht, wo immer das Thema erneut aufkam, und gab denjenigen, die die christliche Bewegung behindern wollten, Anlass für Bedenken . . . Für etwa ein Jahrzehnt danach konnte die christliche Botschaft in den Provinzen des Reiches ohne Furcht vor einem Konflikt mit dem römischen Gesetz gepredigt werden, was hauptsächlich der Entscheidung des Gallio zu verdanken ist“ (Longenecker, Seite 486).
Es ist bemerkenswert, dass archäologische Funde auch den Bericht des Lukas belegen, dass Gallio der Prokonsul von Achaja war. So schreibt zum Beispiel Professor McRay: „Archäologen fanden in Delphi einen Stein, der wahrscheinlich der äußeren Wand des Apollotempels entstammt. Auf ihm findet sich die Inschrift eines Briefes des Claudius an die Stadt Delphi, in der Gallio als Freund des Claudius und als Prokonsul von Achaja bezeichnet wird“ (McRay, Seite 226).
Was geschah mit Gallio nach seiner Begegnung mit Paulus? Nach dem Tode des Claudius im Jahre 54 wurde unglücklicherweise Nero zum römischen Kaiser. Eine Zeitlang regierte er weise unter der Anleitung von Gallios Bruder Seneca. Aber fünf Jahre später änderte sich Nero radikal und gab seinen Leidenschaften und Lüsten nach. Er verbannte seinen Mentor aus seiner Nähe. Seine Ausschweifungen trieben Nero allmählich in den Wahnsinn, und mit der Zeit wurden ihm Senecas und Gallios Integrität und ihre Anwesenheit unerträglich, woraufhin er beide im Jahre 65 n. Chr. hinrichten ließ.
F. F. Bruce schreibt über Gallio: „Er verließ Achaja wegen eines Fiebers und unternahm aus Gesundheitsgründen eine Kreuzfahrt (Seneca, Moral Epistles, 14.1) . . . Im Jahre 65 fiel er zusammen mit Seneca und anderen Mitgliedern seiner Familie Neros Misstrauen zum Opfer“ (The International Commentary of the New Testament, 1974, Seite 374).
Derart waren die Zeiten in Rom. Zur gleichen Zeit begann Nero auch seine mörderische Verfolgung der Christen in Rom, nachdem er sie fälschlicherweise beschuldigt hatte, die Stadt in Brand gesteckt zu haben, eine Tat, die Historiker in der Regel Nero selbst zuschreiben.
Wir werden im nächsten Artikel dieser Serie mit unserem Überblick über die Apostelgeschichte fortfahren.