Die Auseinandersetzung um die Entwaffnung Iraks ist lediglich die neueste Meinungsverschiedenheit in einer Reihe von vielen, die auf einen wachsenden Abstand hinweisen.
Von Paul Kieffer und Melvin Rhodes
Es ist nicht das erste Mal, daß es in der NATO kriselt. 1956 hatten sich die Vereinigten Staaten dem Vorgehen Frankreichs und Großbritanniens in der Suez-Krise nicht angeschlossen, und 1966 zog sich Frankreich aus der integrierten Militärstruktur des Bündnisses zurück. Bei diesen und anderen weniger wichtigen Krisen überwog jedoch das beiderseitige Interesse, das Europa und die USA in der Zeit des kalten Krieges miteinander verband: die gemeinsame Sicherheit.
Diesmal ist es aber anders. Drei europäische NATO-Staaten lehnten die Gewährung eines vorbeugenden Schutzes für die Türkei für den Fall eines Irak-Kriegs mit dem Argument ab, man dürfe nicht handeln, bevor die UNO einen Militärschlag gegen das Regime in Bagdad genehmigt habe. Die Weigerung Belgiens, Deutschlands und Frankreichs spiegelte die unterschiedliche Beurteilung in der Irak-Krise zwischen Europäern und Amerikanern wider und ließ für die transatlantische Partnerschaft ungewöhnlich deutliche gegenseitige Kritik laut werden.
Am 8. Februar meinte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei der jährlich stattfindenden Sicherheitskonferenz in München, das Verhalten der drei Länder sei „schändlich“. Später nannte sein Kabinettskollege, US-Außenminister Colin Powell, das Veto „unentschuldbar“.
Bundesaußenminister Joschka Fischer, auch geladener Gast bei der Münchner Konferenz, antwortete auf Rumsfelds Vorhaltungen mit der Feststellung, man könne nicht von ihm erwarten, gegenüber der Öffentlichkeit ein Vorgehen gutzuheißen, von dem er nicht überzeugt sei. Fischers Ausführungen, in perfektem Englisch vorgetragen, wurden von den amerikanischen Medien in den Abendnachrichten ausgestrahlt. Die Vehemenz, mit der er seine Ablehnung vortrug, überraschte manchen Beobachter in den USA.
Die NATO konnte sich eine Woche später auf einen Kompromiß einigen, der die Bereitstellung der von der Türkei gewünschten „Patriot“-Luftabwehrraketen ermöglichte. Die Verärgerung in den USA über die Haltung Frankreichs und Deutschlands wird man hingegen nicht so schnell vergessen. Auf der Titelseite einer Ausgabe veröffentlichte die Tageszeitung The New York Post das Foto eines amerikanischen Soldatenfriedhofs in Frankreich mit der Bildunterschrift „Sie starben für Frankreich, aber Frankreich hat vergessen“. Mehrere US-Kongreßabgeordnete dachten laut darüber nach, ob es nicht kostengünstigere Möglichkeiten für die Verteidigung als die fortgesetzte Stationierung so vieler Soldaten in dem teuren Deutschland gäbe.
Andere Stimmen heben die Gemeinsamkeiten hervor, die Amerika und Europa verbinden und die deshalb eine nachhaltige Verschlechterung der Beziehungen verhindern werden. In seiner Regierungserklärung am 13. Februar betonte Bundeskanzler Gerhard Schröder, die NATO sei nicht in Gefahr und die transatlantische Freundschaft bleibe trotz unterschiedlicher Meinungen zu Irak eine Wertegemeinschaft. In einem Interview mit dem Spiegel nannte Altbundeskanzler Helmut Schmidt die Vorstellung, daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierenden auch gleichzeitig das Verhältnis zwischen den Völkern leiden müsse, „groben Unfug“ (Ausgabe Nr. 6 vom 3. Februar 2003). Trotz solcher Beteuerungen gibt die veränderte Weltlage heute Anlaß zum Nachdenken.
NATO und gemeinsame Interessen
Als zehn europäische Länder mit Kanada und den USA die NATO am 4. April 1949 ins Leben riefen, war das gemeinsame Interesse der beteiligten Länder offensichtlich. Der Beistandspakt zur gegenseitigen Verteidigung setzte der militärischen Präsenz der Sowjetunion im östlichen Europa, welche als Bedrohung empfunden wurde, ein Gegengewicht entgegen.
Als das sowjetische System zusammenbrach, war es nur logisch, die Notwendigkeit der Fortsetzung der NATO in Frage zu stellen. Die gemeinsame Gefahr, die zur Gründung des Bündnisses geführt hatte, existierte ja nicht mehr. Doch die NATO blieb bestehen, und mit dem Prager Gipfel des vergangenen Jahres wurde sogar die Brücke nach Osteuropa geschlagen. Ohne das Gebot der gegenseitigen Bereitschaft zur gemeinsamen Verteidigung stellt sich aber nach wie vor die Frage, wovon die transatlantischen Beziehungen in Zukunft getragen werden.
In seinem Buch Diplomacy beschreibt der ehemalige amerikanische Außenminister Henry Kissinger die veränderte Weltlage nach dem Ende des kalten Krieges und dem Zusammenbruch des sowjetischen Bündnissystems: „Nie zuvor haben sich die Bestandteile einer Weltordnung, ihr Reaktionsvermögen und ihre Ziele so schnell, so tiefgreifend und so weitreichend verändert. Wenn immer sich der Charakter der Einheiten, die ein internationales System darstellen, ändert, gibt es anschließend eine unvermeidbare Phase der Unruhe ... Große globale Kräfte wirken derzeit, die im Laufe der Zeit die USA weniger herausragend sein lassen werden.
In den kommenden Jahren werden sich alle traditionellen transatlantischen Beziehungen ändern. Europa wird die bisherige Notwendigkeit für amerikanischen Schutz nicht mehr empfinden und seine eigenen wirtschaftlichen Interessen entschiedener verfolgen. Amerikaner werden nicht mehr so bereitwillig Opfer für die Sicherheit Europas bringen und werden vom Isolationismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen versucht werden. Deutschland wird auf dem politischen Einfluß bestehen, der ihm aufgrund seiner militärischen und wirtschaftlichen Macht zusteht“ (Seite 806, 809-810, 821).
Alte Weisheit fehl am Platz
Ein faszinierender Artikel in der Novemberausgabe der in Boston erscheinenden Zeitschrift Atlantic Monthly warnt, daß „der nächste Zusammenprall der Zivilisationen nicht zwischen dem Westen und der übrigen Welt, sondern zwischen den USA und Europa stattfinden wird – wobei die Amerikaner bezüglich dieser Möglichkeit weitgehend ahnungslos bleiben“.
Diese Alarmglocke schlägt Charles Kupchan, Professor an der Georgetown University und Autor des neuen Buches The End of the American Era: U.S. Foreign Policy and the Geopolitics of the 21st Century [„Das Ende der amerikanischen Ära: US-Außenpolitik und die geopolitische Lage des 21. Jahrhunderts“].
In seinem Artikel beschreibt Dr. Kupchan die allgemeine Vorstellung in den USA zum jetzigen Zeitpunkt: „Die amerikanische Ära scheint am Leben zu sein und zu gedeihen. Die Volkswirtschaft der USA ist mehr als doppelt so groß wie die des zweitplazierten Japans, und die amerikanischen Verteidigungsausgaben sind höher als die der anderen führenden Mächte zusammengerechnet. China gilt als Amerikas nächster Herausforderer, aber beim gegenwärtigen Tempo seiner Entwicklung braucht das Land noch Jahrzehnte, bis seine Wirtschaft der der westlichen Industrieländer ebenbürtig ist.
Obwohl die Terroranschläge in New York und Washington das Sicherheitsbewußtsein, das aus dem Ende des kalten Krieges und dem Triumph des Westens resultierte, verletzt haben, haben sie die Hegemonie der USA kaum beeinflußt. Im Gegenteil: Sie haben Amerikas Appetit für globales Engagement neu entfacht. In der absehbaren Zukunft werden die USA ihre Vormachtstellung behalten, den islamischen Terrorismus bekämpfen und ein wachsames Auge auf China richten.
Damit ist die konventionelle Weisheit zusammengefaßt, die jedoch das Ziel einer realistischen Einschätzung total verfehlt. Die amerikanische Vorrangstellung ist nicht nur viel weniger solide als man meint, sie beginnt schon zu bröckeln. Und der kommende Herausforderer ist weder China noch die islamische Welt, sondern die Europäische Union, die dabei ist, die beträchtlichen Ressourcen und die historischen Ambitionen der einzelnen Staaten Europas zu bündeln.“
Europäische Supermacht in spe
In seinem Kommentar zur Entwicklung in Europa fährt Dr. Kupchan fort: „Das jährliche Volumen der EU-Wirtschaft beträgt ca. 8 Billionen Euro im Vergleich zu Amerikas 10 Billionen, und der Euro wird bald die globale Dominanz des Dollars bedrohen. Gleichzeitig wächst das kollektive Bewußtsein Europas mit dem Resultat, daß die europäische Erkenntnis seiner Interessen und Werte klarer wird, die sich von denen der USA deutlich unterscheiden. Die EU-Mitgliedsstaaten arbeiten an einer europäischen Verfassung, die sich mehr als Zweidrittel der EU-Bevölkerung wünscht.
Der Ruf nach Streitkräften, die unabhängig vom US-Militär eingesetzt werden können, wird lauter. Die Einsicht wächst, daß Europa in seiner Außenpolitik mit einer Stimme sprechen muß. Die Arbeit an der Straffung ihrer Institutionen und der Beitritt neuer Mitglieder im nächsten Jahr läßt die EU als ernstzunehmendes Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten erscheinen. Die transatlantische Rivalität, jetzt schon im Gange, wird sich zwangsläufig intensivieren.
Der kommende Zusammenprall zwischen den USA und der EU wird bestimmt kaum Ähnlichkeit mit dem aufwendigen Patt des kalten Krieges haben. Auch wenn eine militärische Auseinandersetzung wenig wahrscheinlich erscheint, wird das Konfliktpotential zwischen Europa und Amerika weit über den Bereich Handel hinausgehen.
Die US-Notenbank und die Europäische Zentralbank werden Konkurrenten um die Kontrolle des internationalen Währungssystems sein. Washington und Brüssel werden wahrscheinlich unterschiedliche Standpunkte zum Nahen Osten vertreten. Europa wird der amerikanischen Führung widerstehen, statt sie zu fördern, mit dem Resultat, daß die Weltbank, die Vereinten Nationen und andere Institutionen, die seit dem Zweiten Weltkrieg auf transatlantische Zusammenarbeit für ihr wirksames Funktionieren angewiesen waren, paralysiert werden.
Eine aufsteigende EU wird bestimmt ihre Muskeln gegenüber Amerika testen, besonders dann, wenn sich der Trend zum Alleingang in der amerikanischen Außenpolitik fortsetzt. Ein ehemals geeinter Westen scheint auf dem Weg zur Aufteilung in konkurrierende Hälften voranzuschreiten. Zur Zeit nimmt Amerika die Herausforderungen eines aufsteigenden Europas kaum wahr“ (Seite 42-44).
Die Europäische Union, jetzt schon das größte Handelssystem der Welt, erweitert sich um zehn neue Mitglieder im Mai 2004. Die Herausforderung der Wirtschaftsmacht Amerika durch die EU wird nur noch stärker. Gleichzeitig wird die Volkswirtschaft der USA durch die nach dem 11. September 2001 eingeleiteten Abwehrmaßnahmen zunehmend belastet, die das Resultat eines „neuartigen Krieges“ sind, so US-Präsident Bush, gegen den internationalen Terrorismus. Die Kosten der Bekämpfung des Terrorismus schmälern die sogenannte Friedensdividende, die aus dem erfolgreichen Abschluß des kalten Kriegs hervorging, und drohen sogar, sie ganz verschwinden zu lassen.
Vorsicht: Amerika!
Ernüchterung über und sogar Angst vor der US-Außenpolitik nährt die Entschlossenheit unter führenden Europäern, Europa zu einer Supermacht und damit zu einem Gegenpol zu den USA zu gestalten. Amerikas außenpolitisches Handeln unter Präsident Bush, der in Karikaturen als Cowboy dargestellt wird, gilt zunehmend als einseitig.
„Lange nicht mehr war uns ein Präsident der Vereinigten Staaten so fremd wie dieser, und noch nie haben die Bundesbürger die Politik des mächtigsten Verbündeten so mißtrauisch betrachtet wie heute“, kommentierte Holger Schmale die Lage vor dem Berlin-Besuch des US-Präsidenten im vergangenen Mai. Er fuhr fort: „Die USA haben die solidarische Grundstimmung in der Welt [nach dem 11. September] eben nicht zum Anlaß für eine Umkehr hin zu einer kooperativeren, auch den Interessen anderer Völker zugeneigten Politik genommen. Sie haben sie vielmehr ausgenutzt, um ihre Position als nur im eigenen Interesse handelnde Supermacht zu stärken. Es gibt seither nicht mehr multilaterale Zusammenarbeit, sondern weniger“ (Berliner Zeitung, 21. Mai 2002). Als Beispiele für amerikanische Alleingänge in der Amtszeit von Präsident Bush nannte Schmale den Ausstieg aus dem Kyoto-Abkommen, das Gerangel um eine Sonderstellung von US-Soldaten beim internationalen Gerichtshof und das protektionistische Vorgehen der USA in der Wirtschafts- und Handelspolitik.
Vor diesem Hintergrund hebt Dr. Kupchan den Ruf innerhalb Europas nach stärkerer Integration und größerem außenpolitischem Einfluß, um Amerikas langanhaltende Führung auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet auszugleichen, hervor. „Früher waren die Franzosen die einzigen, die in der EU ein Gegengewicht zu Amerika sahen, aber jetzt haben sich andere Mitgliedsstaaten ihnen angeschlossen“, stellt er fest.
„Bundeskanzler Gerhard Schröder fordert ,ein integrierteres und erweitertes Europa‘ als Ausgleich zur US-Vormachtstellung. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi sieht eines der Hauptziele der Union in der Schaffung ,einer Supermacht auf dem europäischen Kontinent, die den Vereinigten Staaten ebenbürtig ist‘. Schwedens Premierminister Goran Persson – ein Land, das schon lange auf Machtpolitik verzichtet – meinte kürzlich, daß die EU ,eine der wenigen Institutionen ist, die wir [Europäer] zum Ausgleich der US-Weltvorherrschaft‘ entwickeln können.“
Der Abstand zwischen Europa und Amerika ist echt und wächst. Es stimmt, daß die Europäer bei der Beurteilung der amerikanischen Irak-Politik kein Bild der Einigkeit geboten haben. Mit dem Streit um das Vorgehen gegenüber Irak „hat sich der wahre Zustand Europas offenbart: Der Kontinent ist gespalten“, so Die Welt am 31. Januar 2003. Um so mehr sahen sich die Europäer bestätigt, die schon seit Jahren eine gemeinsame europäische Außenpolitik fordern. Auf dem EU-Sondergipfel Mitte Februar in Brüssel zum Thema Irak war man bemüht, „die transatlantischen Differenzen durch strenge Forderungen an Saddam Hussein herunterzuspielen, aber mit einem deutlichen europäischen Standpunkt, der auf eine friedliche Lösung abzielt“ (The New York Times, 18. Februar 2003, Hervorhebung durch uns).
Im Gegensatz zur Irak-Krise sind sich die Europäer in ihrer Kritik an der amerikanischen Nahost-Politik einig. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz kritisierte Bundesaußenminister Fischer die Strategie der USA im Kampf gegen den internationalen Terror nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Zusätzlich zum Kampf gegen die Terrororganisation El Kaida hätte der Friedensprozeß zwischen Israelis und Palästinensern vorangetrieben werden müssen, so Fischer, womit er auch den Standpunkt der EU-Außenminister darlegte. Zum Schluß des Sondergipfels in Brüssel meinte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi: „Lassen Sie uns den Irak entwaffnen und die Nahostkrise ein für alle Mal lösen.“
Über die Nahostpolitik hinaus sieht Dr. Kupchan weiteres Konfliktpotential, z. B. in „Handelsdisputen, besonders über Stahl und Landwirtschaft“. Auch beim Kyoto-Protokoll, aus dem Amerika ausscherte, „schritt die EU mit mehr als 100 Unterzeichnerstaaten voran und ließ Washington als einsamen und allem Anschein nach auch als in Umweltfragen verantwortungslos handelnden Zuschauer zurück. Im vergangenen Jahr zahlten EU-Mitgliedsstaaten den USA ihre [außenpolitischen] Alleingänge heim, indem sie eine Führungsrolle bei Abstimmungen, bei denen US-Vertreter von zwei UNO-Kommissionen abgewählt wurden, übernahmen.“
Nach Dr. Kupchan ist die Realität der Zukunft die, daß „der fortgesetzte Aufstieg der EU zu einer Kollision ihrer wirtschaftlichen und politischen Interessen mit denen der USA führen wird, was zur Verstärkung der schlechten Stimmungslage beitragen wird“.
Ein neues „Römisches Reich“?
1957 gründeten sechs Länder in Rom, der ehemaligen Hauptstadt des Römischen Reiches, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die Unterzeichner der Römischen Verträge waren sich der Wichtigkeit ihres Handelns bewußt. In einem Interview mit dem britischen Sender BBC beschrieb Henri Spaak, der Belgien in Rom vertrat und später NATO-Generalsekretär wurde, die Atmosphäre bei der historischen Unterzeichnung: „An jenem Tag fühlten wir uns wie Römer ... Wir erschufen bewußt das Römische Reich wieder.“
Freilich mit einem Unterschied: Seit dem Niedergang Roms 476 n. Chr. gelangen alle Bemühungen um ein geeintes Europa nur deshalb, weil europäische Völker und Nationen von ihren Nachbarn besiegt wurden. Napoleon und Hitler sind Beispiele aus den letzten Jahrhunderten. Nach den verheerenden Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs sollte das neue Europa ein freiwilliger Zusammenschluß der beteiligten Länder sein.
Anfang 1973 ergänzten sich die sechs Gründerstaaten – Belgien, Deutschland, Frankreich Italien, Luxemburg und die Niederlande – durch die neuen Mitglieder Dänemark, Großbritannien und Irland. Später kamen Finnland, Griechenland, Österreich, Portugal, Spanien und Schweden hinzu. Im Mai 2004 nimmt die Europäische Union zehn neue Mitglieder auf: acht Staaten aus dem früheren kommunistischen Ostblock sowie Malta und Zypern.
Unmittelbar nach der EWG-Gründung lehnten die Briten einen Beitritt ab. Nach fünf Jahren klopften sie jedoch erstmalig an die Tür zur EWG, wurden aber vom französischen Präsidenten Charles de Gaulle abgewiesen. Vielleicht erinnerte sich de Gaulle an die Worte seines ehemaligen Alliierten Winston Churchill, der meinte, Großbritannien „würde sich immer für das Meer entscheiden“, müßte es eine Wahl zwischen Europa und dem Meer treffen.
Auf jeden Fall meinte Präsident de Gaulle, durch eine Mitgliedschaft Großbritanniens würde amerikanischem Einfluß auf die EWG Tür und Tor geöffnet. De Gaulle hätte sich durch den jüngsten europäischen Zwiespalt gegenüber Irak bestätigt gesehen, da der britische Premierminister Tony Blair von Anfang an eindeutig auf den Kurs Washingtons eingeschwenkt ist.
Deutschland als Motor der EU
De Gaulles Nachfolger Georges Pompidou beurteilte die Frage nach einer britischen Mitgliedschaft in der EWG anders. Für ihn war Großbritannien als Mitglied willkommen, auch als zusätzliches Gegengewicht zu Deutschland, das bevölkerungsreichste Land in der EWG, das in der Zwischenzeit durch sein „Wirtschaftswunder“ zum gewichtigsten Mitglied der Gemeinschaft geworden war.
Hier muß man den Punkt offen nennen: Angst vor dem wiedervereinigten Deutschland ist für einige immer noch eine starke Motivation für den europäischen Integrationsprozeß. Darunter vermuten manche auch Frankreich, dessen Einwilligung zur deutschen Wiedervereinigung inoffiziell an die deutsche Zustimmung zur Einführung des Euro – und damit zum Ende der starken D-Mark – geknüpft gewesen sein soll.
Auch wenn die deutsche Volkswirtschaft derzeit kränkelt, bleibt sie mit Abstand die größte unter den EU-Mitgliedsstaaten. Innerhalb der EU ist Deutschland der wichtigste Handelspartner eines jeden Mitgliedslandes. Die Überwindung der Wirtschaftsflaute in Europa ohne ein Wiedererstarken der deutschen Konjunktur ist deshalb nur schwer vorstellbar.
Die Schaffung eines politischen geeinten Europas ohne deutsche Beteiligung ist ebenfalls nur schwer vorstellbar. Dazu nochmals Dr. Kupchan: „Deutschlands wachsende Anfreundung mit einer Führungsrolle stärkt den politischen Willen der Union. Als Teil seiner auf Beruhigung und Versöhnung angelegten Außenpolitik in der Nachkriegszeit trat Bonn vorsichtig auf den Gebieten Diplomatie und Verteidigung auf. Seit der Verlegung des Regierungssitzes 1999 nach Berlin, die ein erneuertes Selbstbewußtsein symbolisierte, mischt Deutschland mit Anregungen für die weitere Entwicklung der EU mit und schlägt damit einen möglichen Rahmen für die Schaffung eines föderativen Europas vor.“
Die Zukunft Europas
Wie wird das Europa der Zukunft aussehen? Wird es ein föderativer Staat sein, in dem die einzelnen Mitgliedsstaaten einen guten Teil ihrer Souveränität an europäische Institutionen abtreten? In der jetzigen EU gehen die Meinungen darüber auseinander. Beispielsweise begeistern sich die Briten bekanntlich nicht für den Ausbau der EU zu einer föderativen Staatengemeinschaft. In ihrer Ablehnung des Euro und einer Ausweitung des europäischen Rechtswesens ist die Sorge um den Verlust der Souveränität vordergründig.
Mit der Osterweiterung der EU im nächsten Jahr ist eine Voraussage über die Kursrichtung auf dem Weg zur politischen Einheit der Union noch komplizierter geworden. Die Prognosen der politischen Beobachter möchten wir durch unsere Antwort auf die Frage nach der Zukunft Europas ergänzen: Die heutige Europäische Union scheint den Weg für eine letzte Wiederbelebung des Römischen Reiches zu ebnen.
Wie in der letzten Ausgabe berichtet, sah der biblische Prophet Daniel das Wiederaufleben des Römischen Reiches voraus. Daniel lebte ca. 600 Jahre vor Jesu Geburt, und seine Voraussage war die Deutung eines Traums des babylonischen Königs Nebukadnezar, in welchem der König eine menschliche Gestalt sah. Die Gestalt bestand aus vier unterschiedlichen Teilen, wobei jeder Teil durch ein anderes Metall versinnbildlicht wurde.
Das Bildnis versinnbildlichte vier aufeinanderfolgende große Reiche, die die politische Bühne der zivilisierten Welt über Jahrhunderte hinweg bestimmen würden. Zeitlich gesehen soll der letzte Teil des vierten Reiches zur Zeit der in der Bibel verheißenen Rückkehr Jesu Christi zur Erde bestehen. Angefangen mit dem babylonischen Reich (Nebukadnezar) gibt uns Daniels Prophezeiung „die vorbestimmte Nachfolge der Weltmächte, die den Nahen Osten bis zum endgültigen Sieg des Messias in den letzten Tagen beherrschen sollen“ (The Expositor’s Bible Commentary, Band 7, Seite 39, 46).
Die Füße des Bildnisses sind Teil des vierten „Weltreichs“, des Römischen Reiches. Der Expositor’s Bible Commentary sieht in den Füßen und Zehen von Nebukadnezars Standbild „eine spätere Phase oder Erweiterung dieses vierten Reiches“ (Seite 46). Die Füße und ihre zehn Zehen stellen also eine endzeitliche Phase des Römischen Reiches dar. In dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung, finden wir weitere Details über diese kommende Supermacht:
„Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, das sind zehn Könige, die ihr Reich noch nicht empfangen haben; aber wie Könige werden sie für eine Stunde Macht empfangen zusammen mit dem Tier. Diese sind eines Sinnes und geben ihre Kraft und Macht dem Tier. Die werden gegen das Lamm kämpfen, und das Lamm wird sie überwinden, denn es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige“ (Offenbarung 17,12-14).
Die Beschreibung in der Offenbarung zeigt, daß sich die endgültige Gestalt des endzeitlichen Römischen Reiches von der heutigen Europäischen Union klar unterscheiden wird. Zum Schluß werden zehn Führer, die zehn Staaten – oder Staatengemeinschaften – vorstehen, ihren gemeinsamen Einfluß einer zentralen Macht übertragen. In ihrer symbolischen Sprache nennt die Bibel diese Machtfigur „das Tier“.
Die Generation, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hat und für die daher die europäische Einigung ursprünglich eine Friedensinitiative war, stirbt langsam aus. Dr. Kupchan stellt dazu fest: „Die junge Generation in Europa kennt weder den Zweiten Weltkrieg noch den kalten Krieg und hat daher keine Vergangenheit, der sie entfliehen möchte. Das Resultat? Eine neue politische Richtung entsteht, in der Integration ein Mittel zur Steigerung europäischen Einflusses und zur Durchsetzung ... internationaler Ambitionen ist.“
In seiner Außenpolitik befaßt sich Amerika jetzt vordergründig mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Die Gefahr dabei ist, daß die USA die Stimmungslage im Ausland nicht wahrnehmen. Gibt es keine Trendwende für den wachsenden Abstand zwischen Amerika und Europa, kommt eines Tages die Krise, bei der sich die transatlantische Freundschaft nicht mehr kitten läßt.