Von der Redaktion
Es gibt Tage und Ereignisse, die sich aufgrund ihrer Bedeutung in das öffentliche Bewußtsein einprägen. Der zweite Weihnachtstag des Jahres 2004 ist ein solches Datum. In den Morgenstunden des 26. Dezembers Ortszeit breitete sich ein gewaltiger Tsunami in den Gewässern Südasiens aus, ausgelöst durch das stärkste Erdbeben seit 40 Jahren. Als dieser Tag wenige Stunden später für die Menschen in Europa begann, lagen bereits knappe Meldungen über diese gewaltige Naturkatastrophe des neuen Jahrhunderts vor.
Das volle Ausmaß der Zerstörung und das Leiden so vieler Menschen wurden sozusagen zeitversetzt bekannt. Damit begannen die großen Kontraste, die den Riesentsunami begleiteten. Aus Gebieten wie den von Europäern bevorzugten Stränden Thailands gab es bald Fernsehbilder, aus entlegenen oder rückständigen Regionen dauerte es Tage, bis man einen Eindruck von der dortigen Not bekam.
Verletzte und verstörte Urlauber wollten möglichst bald nach Hause fliegen. Andere hatten sich für eine Fortsetzung ihres Urlaubs entschieden. So sah man eine Woche nach der Katastrophe wieder sich sonnende Europäer am Strand in Thailand, während man in der Nähe mit Planierraupen und Baggern die Trümmer beseitigte. Europäische Gerichtsmediziner flogen nach Bangkok, um bei der Identifizierung der Toten zu helfen. Zeitgleich begrüßte der thailändische Ministerpräsident persönlich die ersten neuen Touristen im Land, und sein Innenminister gab bekannt, wie viele Bars und Lokale in den Tagen nach der Flutwelle in den betroffenen Gebieten wieder geöffnet hatten.
Einer der interessantesten Kontraste hatte jedoch nichts mit Touristen zu tun, sondern mit der Bereitschaft zu helfen. Das Land, das mit mehr als 100 000 Personen die weitaus meisten Toten zu beklagen hatte, ist auch das Land mit der größten islamischen Bevölkerung der Welt: Indonesien. Über 85 Prozent der ca. 212 Millionen Indonesier sind Muslime. Es verwundert daher schon, daß mehr als eine Woche nach der katastrophalen Flutwelle islamische Länder wie Ägypten und Syrien – um einige zu nennen –, sich noch nicht zur Teilnahme am humanitären Einsatz für die Opfer des Tsunamis verpflichtet hatten. Unter den Nationen, die Gelder für die Rettungsaktion versprochen hatten, rangierten die großzügigsten islamischen Länder erst im Mittelfeld der Geberliste.
Die großzügigsten Geber hingegen sind bis auf Japan alles christliche Länder mit einem geringen muslimischen Bevölkerungsanteil. Einige mögen einwenden, daß es sich bei ihnen um die reichsten Länder der Erde handelt, und das stimmt. Die ölreichen Staaten des Nahen Osten sind jedoch nicht arm und haben anscheinend genügend Geld zur Sicherung des Komforts für ihre Führungsschicht und deren Familien.
Der Tsunami, der elf Länder Südasiens heimsuchte, traf alle. Er ignorierte religiöse, ethnische, politische und wirtschaftliche Unterschiede. Die Hilfsbereitschaft aller, anderen zu helfen, ganz gleich welcher Herkunft und welchen Standes die Opfer sind, ist lobenswert. Angesichts der Übermacht der Natur erkennt man die dringende Notwendigkeit der Zusammenarbeit und der Nächstenliebe. Wir freuen uns auf eine Welt, in der diese Eigenschaften selbstverständlich sind und nicht erst bei einer Naturkatastrophe angemahnt werden müssen.