Depressionen sind eine Volkskrankheit. Was löst sie aus und welche Auswirkungen haben sie auf den Kranken? Am wichtigsten: Wie kann man einem depressiven Menschen helfen?
Von Noel Horner
Die Meldung Mitte November kam überraschend und löste bei einigen Kopfschütteln aus. Sebastian Deisler, ein in den letzten Jahren von Verletzungen geplagter junger Fußball-Profi des FC Bayern München, fehlt seinem Verein wohl wieder langfristig. Diesmal ist es aber keine Verletzung gewesen, die die Zwangspause herbeiführte, sondern Depressionen. Als Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld am 21. November den Zustand des Nationalspielers bestätigte, war der 23jährige Deisler bereits neun Tage in der psychiatrischen Abteilung des Münchner Max-Planck-Instituts in stationärer Behandlung.
„Es ist eine typische Depression“, meinte Bayern-Manager Uli Hoeness auf einer Pressekonferenz in München. „Es ist eine Veränderung des Nervenstoffwechsels, für die es eine Veranlagung gibt“ (Spiegel Online, 22. November 2003). Wer sich bei dieser Meldung gefragt hat, wie ein junger Mann, der dem Anschein nach allen Grund hat, sich auf eine positive Zukunft als Profi-Fußballer bei einem erfolgreichen Verein zu freuen, depressiv werden kann, verkennt wahrscheinlich die Natur und das häufige Auftreten der Volkskrankheit Depression.
Heute schätzt man, daß jeder fünfte Bundesbürger einmal während seines Lebens mit Depressionen zu tun haben wird. Darunter leiden Frauen doppelt so oft wie Männer. Nach einer Analyse der Techniker Krankenkasse (TK) verzeichneten deutsche Arbeitnehmer 2002 ca. 18 Millionen Fehltage aufgrund von Depressionen. Sie werden zwar bei Krankmeldungen nicht so oft gemeldet wie andere Erkrankungen, führen jedoch mit 51 Tagen im Durchschnitt zu einer verhältnismäßig langen Fehlzeit. Nach Angabe der TK stieg die Zahl von depressionsbedingten Krankmeldungen gegenüber dem Vorjahr um 5,9 Prozent; Tendenz gleichbleibend.
Depressionen sind in allen Kulturen und Gesellschaften gegenwärtig. Amerikanische Therapeuten nennen sie die „gewöhnliche Erkältung“ der Psychopathologie, da man sie so oft antrifft. Nach einem Bericht der Zeitschrift Health sollen fünf Prozent der US-Amerikaner unter Depressionen leiden, und einer von acht US-Bürgern soll bereits mit Prozac, einem häufig verschriebenen Antidepressivum, behandelt worden sein.
Depressionen haben schon lange ihren dunklen Schatten auf die Menschen geworfen. In der Antike nannte man sie Melancholie: „Aretaeus, ein aus Korinth stammender Arzt des 2. Jahrhunderts n. Chr., beschrieb seine melancholischen Patienten als ,traurig, bestürzt und schlaflos ... Sie neigen aufgrund ihrer Ruhelosigkeit und des Schlafmangels zum Gewichtsverlust ... Im fortgeschrittenen Zustand beschweren sie sich über tausend Nichtigkeiten und wünschen sich den Tod‘ “ (Norman Wright, An Answer to Depression, Harvest House, Irvine, California, 1976, Seite 8).
Depressionen scheinen in bestimmten Umfeldern oder unter bestimmten Bedingungen häufiger aufzutreten. So berichtet die Techniker Krankenkasse über ein besonders hohes Risiko einer Erkrankung an Depressionen in den Städten Berlin und Hamburg, während in den neuen Bundesländern, Baden-Württemberg und Bayern ein Arbeitsausfall wegen Depression viel seltener vorkommt. Länder in Asien, die vom Lebensstil des Westens entscheidend beeinflußt werden, verzeichnen eine höhere Häufigkeit an Diagnosen auf Depression als ihre Nachbarn, wo der Einfluß der westlichen Kultur weniger stark ist.
Wie wirken sich Depressionen aus?
In seinem Buch The Last Lion, einer Biographie des britischen Staatsmanns Winston Churchill, der selbst zeitweilig unter schweren Depressionen litt, beschreibt der amerikanische Historiker William Manchester das Leben eines depressiven Menschen: „Jeden Tag meißelt er seinen Weg durch den Felsen der Zeit, um Abhilfe flehend“ (Dell Press, New York, 1983, Seite 23). Jeder Mensch erlebt zwar Gemütsschwankungen, aber Schwermut „ähnelt der Traurigkeit des durchschnittlichen Menschen genauso wenig, wie ein Krebsgeschwür einem durch Erkältung hervorgerufenen Lippengeschwür ähnelt“ (ebenda).
Der Psychiater Kenneth Wells von der Universitätsklinik der UCLA meint, daß schwer Depressive öfter bettlägerig sind und der Arbeit fernbleiben als Menschen mit Magengeschwüren, Rückenschmerzen oder Lungenkrankheiten. Nach seiner Beobachtung sind die einzigen Krankheiten, die Menschen noch stärker einschränken, Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Zusätzlich zu den körperlichen Folgen der Depression verschiebt sich auch die geistige Perspektive des depressiven Menschen immer mehr zum Negativen hin, denn er sieht das Leben durch ein entstellendes Objektiv. Er meint, daß es ihm nie wieder gutgehen wird: „Hoffnungslosigkeit durchdringt alles, eine irrationale Vorstellung, daß sich nichts, ganz gleich wie sehr man sich darum bemüht, ändern oder verbessern lassen wird. Es kann nur noch schlimmer werden“ (David B. Cohen, Out of the Blue, W. W. Norton & Co., New York, 1994, Seite 76). Die Überzeugung des depressiven Menschen, daß es in seinem Leben nie mehr wieder besser wird, wirkt wie ein Teufelskreis und verstärkt sein Krankheitsbild. Es ist daher kein Wunder, daß viele Depressive von Selbstmordgedanken geplagt werden.
Depressionen belasten nicht nur den Kranken selbst. Auch die Familie und der Freundeskreis werden in Mitleidenschaft gezogen. Ein depressiver Mensch kann zu Wutanfällen neigen, die für andere unberechenbar sind und daher wie ein Schock wirken. Besonders für Kinder ist die Belastung groß, wenn ein Elternteil – oder gar beide Eltern – depressiv sind. „Das Ausmaß der Erschöpfung und Schmerzen, die solche Familien durchmachen, läßt sich wahrscheinlich gar nicht quantifizieren“ (Dr. Demitri Papolos und Janice Papolos, Overcoming Depression, Harper Perennial, New York, 1992, Seite 249).
Die Ursachen von Depressionen
Als Krankheit ist Depression so komplex, daß nicht einmal geschulte Therapeuten und Ärzte sie voll verstehen. Allgemein wird angenommen, daß es im Gehirn zu einer Störung beim Zusammenwirken chemischer Substanzen kommt, die für die Übermittlung von Nachrichten von einer Nervenzelle zur anderen verantwortlich sind. Einer dieser Botenstoffe, das Serotonin, dient offenbar der Kontrolle unserer Gemütslage.
Bei depressiven Menschen scheint nun diese chemische Substanz erheblich reduziert zu sein, so daß auch die Nachrichtenübertragung zwischen den Nervenzellen gebremst ist und depressive Symptome in Erscheinung treten. Unter normalen Umständen regulieren sich Schwankungen im Zusammenwirken dieser chemischen Substanzen von selbst. Doch offenbar lösen Depressionen ihrerseits eine nachhaltige Senkung des Serotoninspiegels aus, so daß der Betroffene noch depressiver wird.
In anderen Fällen sehen die Experten den Auslöser von Depressionen in psychologischen oder sozialen Faktoren begründet. Dazu gehören „genetische Übertragung, Persönlichkeitsmerkmale, Erlebnisse in der frühen Kindheit – besonders der Verlust einer Bezugsperson ... und aufreibende Entwicklungsphasen im Leben“ (The New Harvard Guide to Psychiatry, herausgegeben von Dr. Armand M. Nicholi, Harvard University Press, 1988, Seite 323).
Interessant ist die Beobachtung, daß die großen Übergangsphasen im Leben Depressionen auslösen können: der Wechsel von den Teenagerjahren zum frühen Erwachsenenalter, das Rentenalter am Ende des Arbeitslebens und der Verlust eines Partners. Der Tod eines lieben Menschen wird heute als häufigste Ursache für Depressionen angesehen. „Klinische Therapeuten haben in bedeutenden Verlusten schon lange einen Auslöser für Depressionen ausfindig gemacht“ (Papolos und Papolos, Seite 202). Dr. Manfred Wolfersdorfer, ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Bayreuth, weist ebenfalls auf den unbestreitbaren Zusammenhang zwischen Trauer und Depressionen hin: „Über 60 Prozent aller Depressionen entstehen aus unverarbeiteter Trauer“ (Psychologie Heute, Januar 2004, Seite 68).
Zorn mag auch eine Ursache, aber genauso ein Symptom von Depressionen sein. Groll ist besonders gefährlich: „Wenn wir Groll hegen, werden wir eines Tages einer klinischen Depression verfallen“ (Dr. Frank B. Minirth und Dr. Paul D. Meier, Happiness Is a Choice, Baker Books, Grand Rapids, 1996, Seite 39). Einige Therapeuten sind sogar der Meinung, daß unverarbeiteter Zorn die chemische Ausgeglichenheit des Gehirns nachhaltig stören kann mit dem Resultat, daß das Unterscheidungsvermögen stark beeinträchtigt wird.
Gute Nachrichten für Depressive
Die Mehrheit der Menschen, die unter Depressionen leidet, kann sich vollständig erholen. Man schätzt sogar, daß bis zu 80 Prozent der an Depressionen Erkrankten wieder gesund werden können. Es gibt genügend Beispiele von Menschen, die diesen Weg gegangen sind. Unter ihnen war der 26. Präsident der USA, Theodore Roosevelt.
Roosevelt überstand Lebenskrisen, die andere Menschen vollständig zerstört hätten. Als junger Ehemann erlebte er den Tod seiner Frau und seiner Mutter am gleichen Tag und im gleichen Haus. Beide waren krank geworden, und zunächst erschien ihre Krankheit nicht so ernst zu sein. Ihr Zustand verschlechterte sich jedoch schlagartig und führte zu ihrem Tod nur um wenige Stunden auseinander. Zwei Tage zuvor hatte Roosevelts kranke Frau eine Tochter geboren.
Einer seiner Freunde beschrieb Roosevelt in diesen Tagen als derart von Trauer befallen, „daß er gar nicht weiß, was er tut oder sagt“ (David McCullough, Mornings on Horseback, Touchstone, New York, 1981, Seite 285). Jahre später schrieb Roosevelt selbst dazu: „Als die Liebe meines Herzens starb, erlosch für immer ein Licht in meinem Leben“ (ebenda, Seite 288).
Was tat er? Er stürzte sich in Arbeit. Nur drei Tage nach dem Tod seiner Frau saß er wieder an seinem Schreibtisch als Landtagsabgeordneter. Seine Lebensphilosophie, geschmiedet durch diese Erfahrung, beschrieb er wie folgt: „Finstere Sorgen holen selten einen Reiter ein, dessen Geschwindigkeit schnell genug ist“ (ebenda, Seite 15).
Manchen wird Roosevelts Verhalten wie eine Flucht vor der Wirklichkeit erscheinen. Für depressive Menschen ist es besonders wichtig, den Kontakt mit Menschen zu suchen bzw. aufrechtzuerhalten. Die Psychologin Dorothy Rowe stellte dazu fest: „Man muß Menschen finden, denen man sich anvertrauen kann, und man muß der Versuchung widerstehen, alles für sich selbst zu behalten“ (Depression: The Way Out of Your Prison, Routledge, London, 1996, Seite 199).
Vor ca. 3000 Jahren erkannte schon der biblische König Salomo dieses wichtige Prinzip: „So ist’s ja besser zu zweien als allein; denn sie haben guten Lohn für ihre Mühe. Fällt einer von ihnen, so hilft ihm sein Gesell auf. Weh dem, der allein ist, wenn er fällt! Dann ist kein anderer da, der ihm aufhilft“ (Prediger 4,9-10).
Was kann der Depressive selbst tun?
Die Depression ist eine Erkrankung. Und medizinisch gesehen läßt sich eine Krankheit nicht einfach durch Zusammenreißen kurieren. Wenn depressive Symptome ungemindert mehrere Wochen andauern und keine Besserung in Sicht ist, müssen Sie in Erwägung ziehen, qualifizierte Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei kann es sein, daß man als Teil der Behandlung Antidepressiva verschreibt.
Viele Leute haben eine falsche Vorstellung von Antidepressiva und meinen, es handele sich um eine Art „Glückspille“ oder ein Beruhigungsmittel. In Wirklichkeit sind moderne Antidepressiva aber kein „Beruhigungsmittel“, sondern sollen lediglich den Serotoninspiegel erhöhen und so das natürliche Zusammenwirken chemischer Substanzen im Gehirn wieder ermöglichen.
Doch davon abgesehen gibt es vieles, womit sich Menschen, die unter Depressionen leiden, helfen können. Wenn Sie gerade eine depressive Phase durchmachen, haben Sie mehrere Möglichkeiten zur Selbsthilfe:
• Probieren Sie verschiedene Entspannungsmethoden aus. Lernen Sie, die Muskeln zu entspannen und tief einzuatmen. Es gibt viele Bücher, Tonbänder und Videos, in denen verschiedene Ansätze zur Entspannung vorgestellt werden. Sie werden die Erfahrung machen, daß die Fähigkeit, sich zu entspannen, auch Ihrem Schlaf zuträglich ist.
• Widerstehen Sie der Versuchung, Ihre Sorgen in Alkohol zu ertränken. Das mag als bequemer Ausweg aus seelischen Verstimmungen erscheinen, aber in Wirklichkeit verstärkt er Ihre Depressionen. Mit extremem Alkoholkonsum wächst auch die Gefahr, daß sich Ihre negativen Selbstgespräche intensivieren.
• Ändern Sie Ihre Denkgewohnheiten. Da gerade die Grundhaltung eines Menschen bei Depressionen eine wichtige Rolle spielt, kann dies der entscheidende Aspekt sein: Sie müssen lernen zu erkennen, wann Sie negativ denken. Bemühen Sie sich um eine realistischere und positive Sichtweise.
• Für Christen ist außerdem die Bibel eine unschätzbar wertvolle Bezugsquelle positiver, erhebender Wahrheiten, die zur Entwicklung angemessener Reaktionen auf negative Muster beitragen können. Selbst wenn Sie sich nicht lange auf bestimmte Stellen in der Heiligen Schrift konzentrieren können, sollten Sie ein paar gehaltvolle Worte der Ermutigung auswählen und versuchen, sich regelmäßig daran zu erinnern. Sie sollten wissen, daß Jesus Christus immer für Sie da ist, was immer Ihr Problem auch sein mag.
Depression oder nur schlechte Laune?
Manchmal sind wir traurig. Wenn wir „nicht so gut drauf sind“, sagen wir vielleicht, daß wir deprimiert sind. Aber wahre Depression – klinische Depression – ist mehr als nur Traurigkeit oder schlechte Laune. Sie zeichnet sich durch schwerwiegende Symptome und biochemische Veränderungen aus.
Es gibt kürzere Phasen der Depression, die aus einer Enttäuschung resultieren. Hoffnungen werden zerschlagen und Frustration setzt ein. Diesen Zusammenhang erkannte man bereits vor ca. 3000 Jahren: „Hoffnung, die sich verzögert, ängstet das Herz“ (Sprüche 13,12). Wenn unsere Hoffnung unerfüllt bleibt und wir deshalb enttäuscht sind, hilft es allemal, einen klaren Kopf zu behalten, die Situation zu durchdenken und die Ursache für unsere Gefühlslage zu isolieren. So kann es uns gelingen, unsere Lage in ein positiveres Licht zu rücken.
Leider lassen einige Menschen ihre häufigen Enttäuschungen zu einer Lebensausrichtung werden. Solche Leute haben es schwer, optimistisch zu sein. Unbewußt kann ihr Verhaltensmuster im Kindesalter durch den Einfluß ähnlich negativer Eltern oder anderer Bezugspersonen entstanden sein. Nicht umsonst gibt es eine entsprechende Warnung des Apostels Paulus in der Bibel: „Ihr Väter, reizt eure Kinder nicht, damit sie nicht mutlos werden“ (Kolosser 3,21; Elberfelder Bibel).
Der klinische Therapeut Peter Breggin beschreibt die Gefühlslage eines depressiven Menschen wie folgt: „Viele Menschen leben ständig in einer sogenannten ,leichten‘ Depression. Sie wirken apathisch, und für sie ist das Leben monoton, ohne etwas, worauf sie sich freuen können. Es gibt keine Hochs mehr, nichts, was die Sinne, das Herz oder den Verstand erfreut. Ihr Leben mag nicht total dunkel sein, aber grau ist es schon. Ohne Energie und unfähig, eine Lichtquelle zu entdecken, wird ihr Leben zu einer Tretmühle der Langeweile und Trostlosigkeit“ (Talking Back to Prozac, St. Martin Press, New York, 1994, Seite 201).
Nachfolgend einige Tips, wie man mit schlechter Laune fertig werden kann:
• Ändern Sie Ihre Routine. Probieren Sie ein neues Hobby oder eine neue Freizeitbeschäftigung aus. Neue Aktivitäten können die Lebensfreude erneuern und die Mutlosigkeit vertreiben. „Die Depression reagiert positiv auf eine Veränderung der Lebensumstände ... Sie wird vertrieben, wenn man sich verliebt, eine neue Freundschaft schließt, sich ein Haustier zulegt, eine neue Fertigkeit erlernt, eine Reise unternimmt oder sich im sozialen Bereich in der Nachbarschaft oder der Kommune betätigt“ (ebenda, Seite 204).
• Sich sozial zu betätigen scheint besonderen therapeutischen Wert zu haben. In den USA berichteten 95 Prozent von 3000 Personen, die eine Testgruppe bildeten, über die positiven Impulse, die sie bei einem freiwilligen sozialen Engagement empfanden.
• Sport zu treiben kann auch helfen. Regelmäßige körperliche Bewegung hat bekanntermaßen positive physiologische und psychologische Auswirkungen wie z. B. die Anregung zur Produktion von Endorphinen. Sie steigern das Empfinden des Wohlergehens, tragen zu einem größeren Selbstbewußtsein bei und helfen, die Neigung zur Depression zu mindern (Dr. Edmund J. Bourne, The Anxiety & Phobia Workbook, New Harbinger Publications, Oakland, 1995, Seite 91-92).
• Es gilt, unsere Erfolge hervorzuheben, statt unsere Mißerfolge zu betonen. Ein Mißerfolg bedeutet nicht, daß wir ein Versager sind. Wir sollen sie als quasi Lehrgeld sehen, das uns in Zukunft zugute kommen wird. Für manche Menschen hingegen öffnet ein Mißerfolg die Tür zu Depressionen, weil sie sich für ihre Fehler selbst strafen. Statt dessen können wir von unseren Fehlern lernen und so ein potentielles Hindernis in ein Sprungbrett nach vorne umwandeln.
• Probleme der Vergangenheit zu vergessen ist ein wichtiger Schlüssel. Die Therapeutin Kathleen Powers meint dazu: „Ein Optimist hat die Fähigkeit, die Vergangenheit loszulassen, während ein Pessimist an allem festklammert. Es ist, als würde man beim Autofahren ständig in den Rückspiegel blicken. Die Straße nach hinten mag der Straße nach vorne ähnlich sein, aber in Wirklichkeit ist sie das bereits Erlebte“ (Knight-Ridder Nachrichtenagentur, 23. Februar 1996).
Die Anwendung dieser praktischen Tips kann uns eine große Hilfe sein, wenn wir durch die normalen Rückschläge im Leben enttäuscht werden.
Wie hilft man depressiven Menschen?
Menschen, die mit Depressionen ringen, leben nicht in einem Vakuum. Ihre Freunde und Familien erleben ihre Schwermut mehr oder weniger mit. Leider haben viele, die bei ihrer Familie oder im Freundeskreis Hilfe gesucht haben, keine positiven Erfahrungen gemacht. Früher galten Depressive als verrückt oder von Dämonen besessen. Oder man hat sie einfach ignoriert, was vielleicht noch schlimmer war.
Familie und Freunde können jedoch eine entscheidende Quelle der Hilfe und Unterstützung sein. Was können Angehörige und Bekannte tun, um einem depressiv veranlagten Menschen zu helfen, sich besser zu fühlen?
• Die Beziehung so normal wie möglich halten. Das Empfinden der Einsamkeit ist eine häufige Begleiterscheinung von Depressionen. Der depressive Mensch braucht in dieser Situation die Bestätigung seiner Angehörigen und Freunde, indem sie sich bemühen, sich möglichst wie gewohnt zu verhalten.
• Auf negative Gedanken in sachlicher Weise hinweisen, ohne dabei kritisch oder ablehnend zu wirken. Ein unter Depressionen leidender Mensch ringt oft mit einem geringen Selbstwertgefühl. Berechtigte Kritikpunkte sollten daher immer sachlich und nicht als gegen die Person gerichtet vorgetragen werden.
• Anerkennen, daß der Betroffene wirklich leidet. Zum Empfinden des Alleinseins kann auch die Überzeugung beitragen, man würde mit seinem Leiden nicht richtig ernst genommen. Ein depressiver Mensch leidet wirklich! Depressionen lösen andauernde Gefühle der Traurigkeit, Angst oder Leere aus, und der depressive Mensch hat unter diesen Umständen oft keine Energie, die einfachsten Tätigkeiten zu bewältigen. Wer die Geduld verliert und dem Betroffenen sagt, er solle seine Depressionen „abschütteln“ und sein Leben in die Reihe bringen, fügt ihm noch Spott zum Schaden hinzu. Das gilt auch, wenn man der depressiven Person die Schuld für ihren Zustand gibt: Sie leidet in der Regel ohnehin unter – oft unbegründeten – Schuldgefühlen.
• Zeigen, daß man für ihn Fürsorge, Achtung und Wertschätzung empfindet. Dem Empfinden der Wertlosigkeit bzw. Hilflosigkeit wirkt man entgegen, wenn man dem depressiven Menschen durch Wort und Tat vermittelt, daß er trotz seiner Erkrankung einen unantastbaren Wert als Mensch hat.
• Die depressive Person nach Möglichkeit zu guten Eßgewohnheiten und sportlicher Betätigung ermutigen. Unregelmäßige und unausgewogene Eßgewohnheiten sowie mangelnde Bewegung können eine depressive Haltung begünstigen. Heute weiß man, daß unsere Ernährung unser psychisches Wohlbefinden beeinflussen kann. Beispielsweise haben Forscher eine Verbindung zwischen denaturierten Lebensmitteln mit hohem Zuckergehalt und depressiven Tendenzen festgestellt.
Freilich kann es schwierig sein, einen Menschen, dem die Motivation für manche Dinge im Leben ganz zu fehlen scheint, zu besseren Gewohnheiten zu animieren. Ein Vorschlag wäre, daß man mit dem depressiven Menschen gemeinsam ißt, so oft es geht, oder Sport treibt. So verbindet man eine positive Anregung auch mit Gesellschaft, die dem Depressiven oft fehlt oder von ihm als fehlend empfunden wird.
• Der depressiven Person in ihrer Trauer beistehen. Dr. Manfred Wolfersdorfer, ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Bayreuth, weist auf den unbestreitbaren Zusammenhang zwischen Trauer und Depression hin: „Über 60 Prozent aller Depressionen entstehen aus unverarbeiteter Trauer“ (Psychologie Heute, Januar 2004, Seite 68). Wer einen Trauerfall erlebt, wird in der Regel bestimmte Trauerphasen durchmachen, die man durch Analyse vieler Trauerfallbeispiele beobachtet hat. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserer kostenlosen Broschüre Nach dem Tode – was dann?.
• Auf Äußerungen über Selbstmord achten. Die frühere Vorstellung, wonach derjenige, der Selbstmordabsichten kundtut, diese nur als Drohung ausspricht, hat sich längst als falsch erwiesen. Selbstmordgedanken sind immer ernst zu nehmen.
In dem Bemühen, einem depressiven Menschen zu helfen, sollte man aber eines nicht versuchen: eine Psychoanalyse durchzuführen. Eine solche Behandlung sollte allein einem geschulten Fachmann vorbehalten bleiben. Manche wohlmeinende Freunde und Angehörigen haben mit ihren Ideen und Lösungen mehr Schaden angerichtet als Hilfe geleistet. Also: Verständnis zeigen – ja, psychoanalytisch tätig werden – nein!