Der letzte Lebensabschnitt sollte der schönste sein. Wie können wir dafür sorgen, daß der Herbst des Lebens angenehm und produktiv wird?
Von Graemme Marshall
Als der amerikanische Astronaut John Glenn 77jährig mit der Raumfähre Discovery ins Weltall startete, gab er ein weit sichtbares Beispiel, daß ein Alterungsprozeß mit Würde seine schönen Seiten haben kann.
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hatte 1999 zum Internationalen Jahr älterer Menschen ausgerufen, was eine bedeutsame Zunahme des Mitgefühls in der westlichen Welt für die ältere Generation markiert. Diese Anerkennung des Wertes älterer Menschen ist längst überfällig.
Eine wachsende Zahl grauer Häupter
Der immer frühere Eintritt in den Ruhestand zieht weitreichende Folgen nach sich. Während der Staat mehr ausgibt, als er einnimmt und dadurch den Wert staatlicher Renten vermindert, kommen immer mehr – auch neunzigjährige – graue Häupter hinzu, von denen etliche für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Manche suchen ihr Leben durch Teilzeitarbeit, andere durch das Betreiben eines eigenen Geschäftes mit Sinn zu erfüllen.
In anderen Teilen der Welt – vor allem im indischen Subkontinent, in Asien, China und Lateinamerika – scheint der wirtschaftliche Wert älterer Menschen höher eingeschätzt zu werden. Weil es die Kultur oder die wirtschaftliche Not erfordert, werden Senioren in vielen sogenannten Entwicklungsländern noch hoch geachtet. Selbst in der Abenddämmerung des Lebens bleiben viele körperlich und geistig fit und gesund.
Vielleicht sollte sich der im Überfluß schwelgende Westen an diesen Ländern ein Beispiel nehmen. Unsere Gesellschaft sollte Menschen in den goldenen Jahren ihres Lebens mit mehr Würde behandeln, statt sie in Altersheime abzuschieben.
Die wissenschaftliche Untersuchung des Alterungsprozesses
Zum zweiten Mal Astronaut, ist John Glenn ein glänzendes Beispiel für das, was die Sozialwissenschaftler über Alterung mit Würde gelernt haben. Glenn, der früher auch Mitglied des amerikanischen Senats war, startete im Oktober 1998 zur neuntägigen Reise in den Weltraum, 36 Jahre nach dem Flug, in dessen Verlauf er der erste Amerikaner wurde, der die Erde umkreiste. Heute hat er auch die Ehre, der älteste Raumfahrer zu sein.
„Warum sollte man einen 77jährigen in den Weltraum schicken?“, fragt Robert Luchi, Mitarbeiter einer Universitätsklinik in Houston. „Wir haben es hier mit einem Mann zu tun, der alles richtig gemacht hat: Er hat sich Bewegung verschafft, hat auf seine Ernährung und seinen Salzverzehr geachtet und hat beim Trinken Mäßigkeit walten lassen.“
Von der Untersuchung des Alterungsprozesses im Weltraum versprechen sich Luchi und andere Wissenschaftler wichtige Erkenntnisse, weil dieser Prozeß bei Schwerelosigkeit beschleunigt wird. Die Experimente, an denen Glenn teilnahm, hatten mit Problemen zu tun, die sowohl bei Raumfahrten als auch beim Alterungsprozeß häufig vorkommen.
Dazu gehören Muskelabbau, Knochenschwund, Schlaf- und Gleichgewichtsstörungen. Durch die Versuche an einem alternden Astronauten sind die Wissenschaftler besser in der Lage, die Auswirkungen des Alters mit denen der Raumfahrt zu vergleichen. Wissenschaftler hoffen, daß Glenns Reise mit der Raumfähre zu weiteren Untersuchungen des Alterungsprozesses im Weltraum führen wird.
Zu welchen Ergebnissen die Wissenschaftler auch kommen, eines steht fest: Ein 77jähriger Mann war körperlich und geistig derart auf der Höhe, daß er die strengen Anforderungen der NASA erfüllen und in die Mannschaft einer Raumfähre aufgenommen werden konnte.
Niedergeschlagenheit meiden
Die meisten von uns werden es zu einem höheren Lebensalter bringen als unsere Eltern. Wie können wir also dafür sorgen, daß unsere letzten Jahre möglichst nutzbringend und produktiv sind?
Viele fühlen sich schlecht, wenn sie an die bevorstehende Rentenzeit denken. Denn das plötzliche Ausscheiden aus dem Arbeitsleben führt manchmal zu einem markanten Identitätsverlust und häufig zu Langeweile.
Der Eintritt in den Ruhestand ist oft mit Unruhe verbunden und gilt als eine der schwierigsten Übergangsphasen im Leben eines Erwachsenen. Je mehr man aus dem Ansehen des eigenen Berufes geschöpft hat, desto steiler und beängstigender ist der Fall in die Anonymität. Dazu kommt, daß Rentnern häufig mit kulturell bedingter Verachtung begegnet wird, daß sie mit Bezeichnungen wie „alter Knacker“ beleidigt werden. Senioren, die solche Verunglimpfungen auf sich sitzen lassen, unterschätzen meistens die eigenen geistigen Kapazitäten. Wer meint, der Alterungsprozeß habe die Gaben der Sprache und der Kombinationsfähigkeit eingeschränkt, kann leicht dem Pessimismus verfallen und sich vom Ehepartner, von den Kindern oder von der Ärzteschaft abhängig machen. Das muß aber nicht so sein.
So schlimm ist das Alter nicht
Es ist kein Naturgesetz, daß Einschränkungen und Behinderungen nur ältere Menschen betreffen. Krankheiten und sonstige körperliche Belastungen können einen Menschen in jedem Alter befallen. Leider werden manche schon behindert geboren. Behinderungen sind also nicht immer die Folge eines fortgeschrittenen Alters.
Neueste Untersuchungen haben ergeben, daß die Gehirnzellen entgegen bisherigen Meinungen nicht in großer Zahl absterben, wenn man älter wird. Sie können freilich schrumpfen oder „einschlafen“, wenn sie nicht benutzt werden. Aber das ist kein unabwendbares Schicksal. Es ist möglich, bis ins hohe Alter geistig rege zu bleiben.
Ein älterer Mensch, der seinen Geist täglich fordert, bleibt auch geistig fit. Deswegen muß man keinen großen Aufwand betreiben. Wenn man Kreuzworträtsel löst, Tageserlebnisse und -gedanken aufschreibt, über die Familienfinanzen Buch führt, Bücher und Zeitungen liest, tut man schon das Nötige. Fernsehen allerdings ist weniger förderlich.
Freilich kann das Auffassungs- und Erinnerungsvermögen abnehmen. Aber auch Kinder lassen Kleidungsstücke, Spielzeug und Schulbücher liegen. Wie oft möchten Eltern schimpfen: „Du würdest auch deinen Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wäre!“? Also: Ob alt oder jung, das Gedächtnis kann trainiert werden.
Die positive Seite sehen
Vernünftige Bewegung sorgt für Spannkraft und geistige Schärfe. Sie scheint sogar das beste nichtmedizinische Mittel gegen die nachteiligen Folgen des Alterungsprozesses zu sein. Sehr zu empfehlen ist tägliches Spazierengehen.
In einer Studie wurden Männer und Frauen untersucht, deren körperliche Verfassung dem Durchschnitt von Altersheimbewohnern entsprach. Sie haben dreimal in der Woche jeweils 45 Minuten hart trainiert, um die Beinmuskeln zu stärken. Nach wenigen Wochen konnten diese Menschen, die alle um die neunzig Jahre alt waren, besser gehen, besser Treppen steigen, und in manchen Fällen sogar auf ihre Gehhilfen verzichten. Körperliche Anstrengung ist nicht nur für die Muskeln, sondern auch für andere Aspekte des Lebens gut.
Achtzigjährige, die zu trainieren begannen, zeigten sich weniger deprimiert und waren eher bereit als vorher, ohne fremde Hilfe zu gehen und an gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen. Körperliche Bewegung fördert die Sauerstoffaufnahme des Blutes, steigert die Ausschüttung von stimmungsbelebenden Hormonen und stellt dem Gehirn mehr Sauerstoff und Zucker zur Verfügung. Fitneßtraining stärkt auch den Mut, weil es beweist, daß man sich noch zum Leben bekennt.
Es ist aber Vorsicht geboten: Bevor mit einem intensiven Training begonnen wird, sollte ärztlicher Rat eingeholt werden. Dies gilt besonders für diejenigen, die an einer chronischen Krankheit oder einem ausgeprägten Kräfteverfall leiden.
Hilfreich kann auch sein, ein Haustier aufzunehmen. Obwohl das nicht für jeden zu empfehlen ist, werden Katzen, Hunde und Kanarienvögel in manchen amerikanischen Krankenhäusern und Altersheimen zur Unterhaltung und Rehabilitation der Patienten eingesetzt. Haustiere leisten seelische Unterstützung, weil sie Menschen von ihren Problemen ablenken. Sie können uns zum Lachen bringen oder Erinnerungen an geliebte Tiere aus alten Zeiten wachrufen. Ein Haustier kann die Einsamkeit zerstreuen helfen und auch für etwas Sicherheit sorgen.
Der Ansporn neuer Herausforderungen
Man sollte den Ruhestand nicht als das automatische Ende angenehmer, produktiver Tätigkeiten ansehen. Die Bibel macht klar, daß neue Möglichkeiten bevorstehen, die nur die Älteren richtig würdigen können. Die Worte des 92. Psalms sind hier besonders ermutigend. Von den Gerechten heißt es: „Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein“ (Vers 15).
Senioren müssen sich neue Ziele setzen, damit auch dieser Lebensabschnitt produktiv und fruchtbar wird. Selbst wenn das bisherige Leben nicht so glänzend war, haben wir es selbst in der Hand, unsere Zukunft zu gestalten.
Sinnvoll kann auch eine Änderung bestimmter Ansichten sein. Anstatt an die Kürze der verbleibenden Zeit zu denken, sollte man überlegen, wie man aus jedem Tag das beste herausholen kann. Gegen Ende des Lebens verschieben sich unsere Prioritäten. Da gibt es z. B. die Geschichte des aufdringlichen Versicherungsvertreters, der einem 95jährigen eine Lebensversicherung aufschwatzen wollte. Schließlich sagte der Senior: „Junger Mann, Sie sind wohl schwer von Begriff. In meinem Alter kauft man noch nicht einmal grüne Bananen!“
Wenn Sie jeden Tag als Geschenk annehmen, werden Sie sich nie zu alt fühlen. Sie werden vielmehr immer reifer werden und immer wieder neue Entwicklungsmöglichkeiten finden.
Das Alter kann schön sein
Im fortgeschrittenen Alter haben wir sozusagen ein zweites Erwachsenendasein, das uns neue Möglichkeiten eröffnet. Wir müssen uns nicht vom Leben herumstoßen lassen. Vielmehr können wir unser Schicksal selber in die Hand nehmen. Uns stehen grundsätzlich zwei Wege zur Auswahl: passives Älterwerden oder weitere Reifung. Die passive Haltung ist dadurch gekennzeichnet, daß man den Verfall der Gesundheit und der Körperkraft als unausweichlich hinnimmt und sich davon beherrschen läßt. Man kann sich aber bewußt dafür entscheiden, weiter vorwärts zu kommen. Wie ein Berufswechsel kann es Glauben, Risikobereitschaft und harte Selbstdisziplin erfordern.
Je näher unser Ende rückt, desto intensiver stellt sich die Frage: Ist der Alterungsprozeß ein sadistischer Schlag, den der Schöpfer gegen uns führt? Oder steckt vielleicht eine gütige Absicht dahinter? Können wir aus der Erfahrung des Älterwerdens etwas lernen?
Haben wir nicht gerade jetzt, gegen Ende unseres Lebens, die Zeit für die Grundfragen unserer Existenz? Wozu wurden wir geboren? Warum leben wir überhaupt? Gibt es ein Leben nach dem Tod?
Im Alter entwickelt man ein schärferes Bewußtsein für die Existenz Gottes. Man merkt, wie nötig es ist, jeden Tag voll auszuschöpfen und Gott nahe zu sein. Hinter dem Grab wartet nämlich eine neue, bessere Welt auf uns. Diese Einsicht läßt Trübsinn und Pessimismus verschwinden. Der Augenblick des Todes ist keineswegs das Ende, sondern ein großartiger neuer Anfang in einer neuen, besseren Weltordnung. Wenn wir die Beschäftigung mit dieser neuen Weltordnung, dem Reich Gottes, an die erste Stelle setzen (Matthäus 6,33), wird auch unser gegenwärtiges Leben schöner und sinnvoller, ganz gleich, wie alt wir sind.
Das Alter: eine Auszeichnung
In der Heiligen Schrift wird die jüngere Generation ermahnt: „Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren und sollst dich fürchten vor deinem Gott“ (3. Mose 19,32). Wichtig ist dabei, daß die grauen Haare „auf dem Weg der Gerechtigkeit“ gefunden werden (Sprüche 16,31). Wenn weiße oder graue Haare mit göttlicher Weisheit einhergehen, können sie als Auszeichnung angesehen werden.
Das Internationale Jahr älterer Menschen spiegelt die Erkenntnis wider, daß das Alter kein Abstellgleis sein muß. Vielmehr sollte es ein Neuanfang sein. Dieser Neuanfang muß aus biblischer Sicht betrachtet werden. Der Tod ist nicht der Punkt am Ende eines Satzes, sondern ein Komma, dem weitere Aussagen folgen.
Mit Erfolg Älterwerden
Der Grundsatz westlicher Wirtschaftslehre „Jede Ware wird irgendwann durch eine neue ersetzt“ wird leider auch auf den Menschen im Ruhestand angewandt. Die Konsequenz ist die Abschiebung ins Alters- oder Pflegeheim. Es sind aber Verschiebungen in der Altersstruktur im Gange, die kein westlicher Staat ignorieren kann. Mit dem zunehmenden Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung zeichnet sich eine Zunahme „grauer Macht“ ab.
In den USA bildet sich ein „graues Heer“ aus Handwerkern zwischen 45 und 70, die sich selbständig machen mußten, weil sie niemand einstellen wollte. Als Installateure, Elektriker, Fliesenleger, Zimmerleute und Maler bieten sie den Privathaushalten Reparaturarbeiten an. Sie zeichnen sich durch Berufserfahrung, Zuverlässigkeit und Kompetenz zu erschwinglichen Stundensätzen aus.
Solange man gesund bleibt, nehmen die beruflichen Fähigkeiten mit zunehmendem Alter nicht sonderlich ab. Gail Sheehy, eine amerikanische Autorin, stellt fest: „Zum ersten Mal in der Weltgeschichte haben die meisten Menschen in den fortgeschrittenen Gesellschaften eine sehr hohe Lebenserwartung.“
Studien über den Alterungsprozeß zeigten, so Sheehy, „daß eine Frau, die heute 50 wird und nicht an Krebs oder einer Herzstörung erkrankt, damit rechnen kann, ihren 92. Geburtstag zu feiern“. Die Lebenserwartung der Männer hat sich ebenfalls erhöht.
Es hat schon immer Achtzigjährige gegeben, die aufgefallen sind. Der berühmte Geiger Jehudi Menuhin ging noch mit 82 Jahren in Australien, fern seiner englischen Heimat, auf Tournee. Noch in diesem Alter erteilte er talentierten jungen Leuten Musikunterricht.
Die übersehenen Vorteile des Alters
Das Alter bringt manche Vorteile mit sich, unter anderem Großmut, geistige und seelische Selbstbeherrschung, eine tiefere Erkenntnis der Komplexität des Lebens und eine erhöhte Vergebungsbereitschaft. Es ist eine Zeit, in der Gedanken, Anekdoten und auch Scherze zur Erbauung und Erheiterung weitergegeben werden.
Die Selbstbeherrschung des Alters rührt zum Teil daher, daß man nicht mehr darauf angewiesen ist, einen bestimmten Standpunkt auf Biegen und Brechen zu verteidigen. Denn was kann der andere einem schon antun? Entlassen? Man kann außerdem in der Sicherheit ruhen, kein Spielball mehr von Modeerscheinungen und Gruppendruck zu sein.
Mit einem reichen Schatz an Lebenserfahrung ausgestattet ist man nicht mehr so leicht aus der Ruhe zu bringen. Man hat auch weniger zu verlieren, will man etwas Neues ausprobieren, und ist vielleicht dadurch mutiger. Die eigene Meinung ohne Umschweife zu vertreten, fällt in dieser Lebensphase leichter. Man weiß besser, wie man mit anderen umgehen soll.
Man kennt sich aus. Das führt zu Gelassenheit und schränkt die Schwankungen zwischen Höhen und Tiefen ein. Man empfindet vielleicht mehr Lebensfreude und weniger Niedergeschlagenheit. Mit der Reife kommt das Gefühl, das Ruder des eigenen Lebens fest in der eigenen Hand zu haben.
Man akzeptiert das Leben, so wie es ist, und gewinnt daraus inneren Frieden. Auf vergangene Leistungen blickt man mit Zufriedenheit, auf Mißerfolge mit Gnade zurück. Ab einem gewissen Alter ist man mit seinem Platz auf der Karriereleiter zufrieden. In diesem Stadium achtet ein Mann mehr auf die Notwendigkeit, seiner Frau und seinen Kindern Zuneigung zu zeigen, und lernt besser zu schätzen, wieviel seine Partnerin bei der Kindererziehung geleistet hat, während er selbst mit seiner Karriere beschäftigt war.
Sogar die romantische Liebe kann im Alter blühen und reifen. Denn was sucht eine Frau bei ihrem Mann, wenn sie 60, 70 oder älter ist? Die gleiche Zuneigung und Wärme, die sie als junger Mensch begehrt hat. Wenn Mann und Frau jahrelang durch dick und dünn gegangen sind, werden sie echte Freunde und Verbündete. Lebenslange Treue und Liebe in der Ehe sind eine Investition mit unschätzbar hohem Ertrag.