Jesu Jünger lernten eine Lektion über die Wichtigkeit des Glaubens, wenn die Stürme des Lebens toben. Ihre Erfahrung dient auch uns.
Von Robin Webber
Einer der beruhigendsten Abschnitte der Bibel ist Psalm 23. Worte wie „Er lagert mich auf grünen Auen“, „Du bist bei mir, dein Stecken und Stab, sie trösten mich“ und „Er führet mich zu stillen Wassern“ vermitteln die Zuversicht, dass der große Schafshirte, Jesus Christus, für uns sorgt. So stimmen wir dem Autor dieses Psalms, König David, zu, wenn er sagt: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“ (Elberfelder Bibel).
Was geschieht aber, wenn die Wasser des Lebens nicht still, sondern stürmisch und tief sind?
Erinnern Sie sich, wie Sie als Kind an dem Ende des Schwimmbeckens spielten, wo das Wasser nicht so tief war? Die Füße konnten den Boden des Beckens berühren und sich langsam ins tiefere Wasser vortasten. Man konnte sich auch am Rande des Beckens festhalten und sich so um das ganze Becken bewegen, ohne die Komfortzone zu verlassen.
Doch wir sind keine Kinder mehr. Als Erwachsene erleben wir manchmal Situationen, in denen wir das ängstliche Gefühl haben, zu sinken und den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Umstände in unserem Leben katapultieren uns aus unserer Komfortzone. Als Christen fragen wir uns vielleicht: „Was wurde aus dem Gott der ,stillen Wasser‘?“
Die tiefen Wasser des Lebens dienen dem Zweck Gottes
Interessanterweise verbindet die Bibel tiefes Wasser mit Gottes Gegenwart und seinem Vorhaben in unserem Leben. Er will uns zu einer geistlichen Vollendung führen, die sich in den ruhigen, untiefen Wassern des Lebens nicht erreichen lässt. In solchen Zeiten sollen wir daran denken, dass „unser Herr über allen Göttern [ist]. Alles, was er will, das tut er im Himmel und auf Erden, im Meer und in allen Tiefen“ (Psalm 135,5-6).
Wenn Sie zurzeit eine Phase des sprichwörtlichen tiefen Wassers durchmachen, können Sie Trost darin finden, dass Jesu Jünger eine Lektion durch tiefes Wasser gelernt haben, die ihrer Erziehung als seine Nachfolger diente. Die Geschichte ist uns allen wahrscheinlich bekannt, doch wenn wir mit den Zehenspitzen den Boden des Beckens nicht mehr berühren können, neigen wir dazu, sie zu vergessen.
Wenn unsere Komfortzone schwindet
Am Galiläischen Meer lauschten Jesu Jünger einen ganzen Tag seinen Gleichnissen, in denen Jesus das Reich Gottes auf diverse Weise veranschaulichte (Markus 4,1-34). Sie ahnten wohl nicht, dass sie eine Gelegenheit bekommen sollten, um das zu praktizieren, was er gerade gepredigt hatte. Ihre eigene Komfortzone sollte gestört werden. Können Sie sich damit identifizieren?
Nachdem er seine Reden beendet hatte, wollte Jesus den See überqueren. Er wusste, dass der Unterricht für seine Jünger an diesem Tag noch nicht zu Ende war. Sie folgten ihm ins Boot mit der Sehnsucht nach den stillen Wassern, nachdem sie den ganzen Tag mit den Menschen verbracht hatten, die ihrem Meister zugehört hatten.
Was passierte, als sie auf dem See waren? „Es erhob sich ein großer Windwirbel und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde“ (Markus 4,37). Sie mussten nicht nur das Boot schnell ausschöpfen, sondern auch darauf achten, ihren Glauben nicht über Bord zu werfen!
Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass das Leben oft Unerwartetes bringt? Manchmal kommt es „eimerweise“ und gar nicht nach unserem Zeitplan.
Manche halten diese neutestamentliche Erzählung von einem kräftigen Sturm am Galiläischen Meer für erfunden – an einem See, der 20 km lang, 13 km breit und teilweise 50 Meter tief ist. Doch dieser See liegt ca. 220 Meter unter Meereshöhe und ist deshalb besonders anfällig für die kalten Winde, die, aus der Wüste und den Golanhöhen kommend, über die Meeresfläche hinwegfegen können. So entstehen unerwartet Stürme mit einem Wellenschlag von 6-7 Meter. Stellen Sie sich das plötzliche Auftreten solch gewaltiger Winde vor, und dabei sitzen Sie im Boot!
Die Ruhe bewahren
Wo war Jesus, als der Sturm tobte? Er schlief hinten im Boot (Vers 38). Nach dem anstrengenden Tag brauchte er vielleicht seinen Schlaf, oder vielleicht war er absichtlich eingeschlafen, weil es ihm um eine wichtige geistliche Lektion ging.
Die Jünger hatten bereits manches Wunder Jesu gesehen, doch jetzt gerieten sie in Panik. Schließlich ging es um ihr eigenes Wohlergehen. Die „stillen Wasser“ sofortiger Wunder und bewegender Lehre waren vergessen. Diese Jünger, die vor nicht allzu langer Zeit an diesem See seiner Aufforderung „Folgt mir nach“ nachgekommen waren, schrien jetzt: „Fragst du nichts danach, dass wir umkommen?“ (Vers 38).
Aus dem Schlaf erwacht, sprach Jesus eine Lektion aus, an die sich seine Nachfolger in allen Zeiten erinnern sollen. Dem brausenden Wind und den tobenden Wellen gebot er: „Schweig und verstumme!“ (Vers 39).
Das griechische Wort in diesem Vers ist siapao, dessen wörtliche Bedeutung „sei ruhig“ ist. „Und der Wind legte sich und es entstand eine große Stille“ (ebenda).
Dann schalt er seine Jünger mit der Frage: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Vers 40). Diese Geschichte geht mit der Reaktion der Jünger in Vers 41 zu Ende: „Wer ist der? Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam!“
Wie lautete die Lektion für sie – und uns? Sie hätten ihre Frage nie gestellt, noch die Antwort darauf bekommen, wären sie immer an dem Ende des Beckens geblieben, wo das Wasser nicht so tief ist. Wir auch nicht!
Die kraftvollen „Stürme“ des Lebens können plötzlich über uns hereinbrechen und unsere Komfortzone auf dramatische Weise verändern – sei es der Verlust unserer Arbeitsstelle, der Tod eines lieben Menschen, der Verrat durch einen Freund bzw. Ehepartner oder die Kopfschmerzen, die uns ein störrisches Kind bereitet.
In solchen Zeiten scheinen wir den Boden unter den Füßen zu verlieren. Jetzt sind wir im tiefen Wasser! Das Leben ist einfacher am anderen Ende des Schwimmbeckens, nicht wahr? Hinzu kommt unsere Welt des technologischen Komforts, der uns Lösungen per Mausklick bietet. Man kann den ganzen Tag die Suchergebnisse zum Thema Glauben im Internet recherchieren, aber wahren Glauben findet man nicht, indem man ihn googelt – man erlebt ihn.
„Steht fest!“
Menschlich gesehen ist es bei unserem Wandel nach Jesu Aufforderung „Folgt mir nach“ gewagt, wenn wir in einer Krisensituation anhalten und uns im Glauben an Gott üben, anstatt auf unser zitterndes Herz zu achten und panikartig zu reagieren. Das alte Israel lernte diese Lektion, als das Volk mit dem sprichwörtlichen Rücken zum Roten Meer die heranrückende Macht des ägyptischen Heeres sah. Ihnen erging es wohl nicht anders als den Jüngern Jesu beim Heraufbrausen des Windes auf dem Galiläischen Meer.
Moses Worte an die erschrockenen Israeliten machten Mut: „Fürchtet euch nicht, steht fest und seht zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird. Denn wie ihr die Ägypter heute seht, werdet ihr sie niemals wiedersehen. Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein“ (2. Mose 14,13-14).
Gott bereitete den Israeliten einen Weg durch das Meer und forderte sie auf, auf dem trockenen Meeresboden voranzuschreiten: „Sage den Israeliten, dass sie weiterziehen. Du aber hebe deinen Stab auf und recke deine Hand über das Meer und teile es mitten durch, sodass die Israeliten auf dem Trockenen mitten durch das Meer gehen . . . Und die Israeliten gingen hinein mitten ins Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken“ (2. Mose 14,15-16. 22).
Mit dem Wasser als Kulisse zur Rechten und zur Linken machten sich die Israeliten, wie die Jünger Jesu fünfzehn Jahrhunderte später, wohl einige Gedanken über das Ertrinken und lernten dabei eine wichtige Lektion über den Glauben.
Ehrlich gesagt ist die Ausübung des Glaubens unter solchen Umständen eine große Herausforderung für Christen!
Nun zurück zur Geschichte über Jesus und seine Jünger im Boot auf dem Galiläischen Meer. Für Jesus war es kein Problem, den bedrohlichen Sturm zu stillen. Schließlich ist er der Herr der Schöpfung und kann die Natur mit einem Fingerzeig beherrschen. Doch Gott stillt nicht immer die Stürme in unserem Leben. Stattdessen erwartet er, dass wir die Ruhe bewahren: „Kommt her und schauet die Werke des Herrn . . . Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin“ (Psalm 46,9. 11).
Gottes Augenmerk gilt nicht vordergründig der Herrschaft über Wind und Meer. Dem großen Hirten geht es vielmehr darum, dass die Krönung seiner Schöpfung – das sind Sie und ich – ihm ihr ganzes Leben anvertraut. Das tun wir, indem wir manchmal den Verlust unserer Komfortzone erleben, anstatt zu erwarten, dass Gott alles in unserem Leben mit einem Fingerzeig positiv regelt. Nur so sind wir in der Lage, den symbolischen Abstand zu überbrücken, der in einer Krisensituation entsteht, wenn wir meinen, den Boden des Beckens mit unseren Zehenspitzen nicht mehr berühren zu können.
Ruhe im Sturm
Wo immer sich Jesus bei seinen Reisen aufhielt – ob am Weg, auf dem Galiläischen Meer oder auf dem Feld mit einer großen Menschenmenge –, grüßte er wohl alle mit dem gewöhnlichen Gruß seiner Landsleute, schalom. Schalom bedeutet Frieden. Jesus wies seine Jünger an, diesen Gruß zu verwenden: „Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht zuerst: Friede sei diesem Hause“ (Lukas 10,5).
Für das jüdische Volk zur Zeit Jesu enthielt das Wort schalom auch einen Segenswunsch und die Erkenntnis, dass es den wahren Gott gibt. Schalom bedeutet nicht, dass das Leben ohne Probleme und Sorgen sein wird, sondern weist auf den Gott hin, der uns in den schwierigen Phasen des Lebens begleiten und die notwendige Kraft geben wird.
Jesus war mit Psalm 23 sehr vertraut. Er kannte nicht nur dessen einleitende Worte, sondern auch die Verheißung der Nähe Gottes in schwierigen Zeiten: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal [wenn wir im tiefen Wasser sind und den Boden des Beckens nicht berühren können], fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“ (Vers 4).
Wenn ein israelitischer Schafhirte seine Herde durch eine steile und gefährliche Schlucht führte, passte er auf jedes Tier auf, damit es nicht den Halt verlor bzw. verletzt wurde. Bemüht sich nicht der große Hirte der geistlichen Herde genauso, wenn seine Schafe durch eine steile Schlucht des Lebens gehen?
Die christliche Pilgerreise als Antwort auf den Aufruf „Folgt mir nach“ war nie als Leben ohne Stürme beabsichtigt. Sie sollte aber etwaige aufkommende Stürme der Zweifel in unserem Herzen besänftigen. Man sagt, dass das ganze Wasser der Welt das kleinste Boot nicht versenken kann, es sei denn, dass es ins Boot gelangt. Nur ein kleines Loch genügt, um das Eindringen des Wassers zu ermöglichen.
Zweifel können ein – zunächst nur kleines, aber dennoch gefährliches – Loch in unserem geistlichen Boot verursachen. Deshalb enthalten die Evangelien die Geschichte von Jesus, seinen Jüngern und dem tiefen Wasser des Galiläischen Meers.
Auf unserer christlichen Reise durch das Leben begleitet uns der gleiche Hirte, der seinen Jüngern vor 2000 Jahren sagte: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir“ (Johannes 10,27). Denen, die ihm nachfolgen, sagt er auch: „Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin.“