Die Fülle des Materials über die assyrische Geschichte sollte vermuten lassen, daß hierin auch Hinweise auf die langjährigen Beziehungen zwischen Israel und Assyrien sein würden. Tatsächlich wurden solche Zeichen gefunden.
Von Mario Seiglie
In bisherigen Ausgaben der Zeitschrift Gute Nachrichten wurden archäologische Funde untersucht, die den biblischen Bericht vom Anfang des Alten Testaments bis zum Ende der Herrschaft Salomos erhellen und bestätigen. Nach Salomos Tod spaltete sich Israel in zwei Königreiche. In dieser Folge betrachten wir archäologisches Material, das mit dem nördlichen aus zehn Stämmen bestehenden Reich und seinen Herrschern in Verbindung steht. Dem Königreich Juda, das über 100 Jahre länger als das nördliche Reich Israel bestand, werden wir unsere Aufmerksamkeit in einer späteren Untersuchung widmen.
Nach dem Tod des Königs Salomo nahm Gott dem Volk Israel die nationale Einheit. Dem künftigen Herrscher des sogenannten Nordreichs ließ Gott folgendes durch einen Propheten ausrichten: „Siehe, ich will das Königtum aus der Hand Salomos reißen und dir zehn Stämme geben – einen Stamm soll er haben um meines Knechts David willen und um der Stadt Jerusalem willen ...–, weil er [Salomo] mich verlassen hat und angebetet die Astarte, die Göttin der Sidonier ... und nicht in meinen Wegen gewandelt ist“ (1. Könige 11,31-33).
Die Spaltung des Reiches geschah um 930 v. Chr. Jerobeam herrschte im Norden über zehn Stämme, und Rehabeam, der Sohn Salomos, regierte die Stämme Juda und Benjamin im Süden. Jerobeam und Rehabeam waren beides frevelhafte Könige. Gegen Ende ihrer Herrschaft drohte Gefahr von einem nördlichen Nachbarn, denn für Ungehorsam hatte Gott ein Strafgericht angekündigt. Der neue Feind war nun das erwachende Assyrien.
„Schon um 900 [vor Christus] war unter den kleinen westlich gelegenen Völkern der Aufstieg Assyriens zu spüren. Es sollte aber noch 50 Jahre dauern, bis diese Völker unter die assyrische Herrschaft gerieten“ (Eugene Merrill, Kingdom of Priests, Baker Book House, Grand Rapids, 1996, Seite 336).
Mit der Ausdehnung der assyrischen Herrschaft über Palästina geht eine Zunahme archäologischer Zeugnisse israelitischer Geschichte einher. Die Assyrer meißelten ausführliche Aufzeichnungen über ihr politisches und religiöses Leben in steinerne Bilder, mit denen sie die Wände ihrer Paläste schmückten.
Im 19. Jahrhundert legten britische Archäologen mehrere führende assyrische Städte frei. Eine davon, Ninive, war zeitweise die Hauptstadt und wurde von den Wissenschaftlern intensiv untersucht. In einer weiteren Stadt wurde eine Bibliothek mit einer umfassenden Sammlung von Keilschrifttafeln entdeckt. Die Bibliothek gehörte einem der letzten Herrscher Assyriens, Assurbanipal (ca. 669-627 v. Chr.).
Die Fülle des Materials über die assyrische Geschichte sollte vermuten lassen, daß hierin auch Hinweise auf die langjährigen Beziehungen zwischen Assyrien und Israel und auf dessen Eroberung sein würden. Tatsächlich wurden solche Zeichen gefunden.
Omri, König des Hauses Israel
Auf den schnellen Untergang des Hauses Jerobeam um 905 v. Chr. folgte als nächstes die bedeutende Dynastie des Königs Omri (881-870 v. Chr.). In assyrischen Inschriften wird Omri als Feldherr und Erbauer der weitläufigen Festung Samaria, die zur Hauptstadt des israelitischen Nordreichs wurde, erwähnt. Beeindruckt durch seine Feldzüge und politischen Leistungen sowie seine Linie mächtiger Nachfolger, betrachteten die Assyrer Israel auch lange nach dessen Untergang als „das Land Omris“.
„Der Ruhm, den sich Omri erwarb“, berichtet das Bibellexikon The Interpreter’s Dictionary of the Bible, „ist daraus abzulesen, daß noch ein Jahrhundert nach seinem Tode die Assyrer Samaria das ,Haus Omris‘ und Israel das ,Land Omris‘ nennen“ (Abingdon Press, Nashville, 1962, Seite 601).
König Omri wird nicht nur in assyrischen Aufzeichnungen erwähnt. Sein Name steht auch auf einer Gedenktafel der Moabiter, eines weiteren Nachbarvolks Israels.
Der Stein der Moabiter
Vor über einem Jahrhundert zeigte ein arabischer Stammeshäuptling einem anglikanischen Missionar eine schöne schwarze Steinplatte. Diese stammte aus der Gegend um Dibon, östlich des Jordans im Gebiet des biblischen Moab. Die Entdeckung hatte einen scharfen Konkurrenzkampf unter den westlichen Nationen ausgelöst, die alle diesen Stein der Moabiter (auch Mescha-Stele genannt) aus dem neunten vorchristlichen Jahrhundert erwerben wollten. Das, was bis heute von dem Stein erhalten ist, kann man im Louvre in Paris bewundern. Der Stein enthält eine Inschrift, in der Mescha, der König Moabs, von seinem erfolgreichen Versuch berichtet, die Oberherrschaft der Israeliten über Moab, die mit Omri begann und von seinem Sohn Ahab fortgeführt wurde, abzuschütteln.
Als Omris Enkel Joram den Thron Israels bestieg, witterten die Moabiter eine Gelegenheit zu rebellieren. Der Versuch, von Israel unabhängig zu werden, glückte.
Die ersten Zeilen der Inschrift bezeugen den Stolz des moabitischen Königs: „Ich bin Mescha, Sohn des Kemosch, König von Moab, der Diboniter. Mein Vater herrschte über Moab dreißig Jahre, und ich trat seine Nachfolge an ... Omri, der König Israels, unterdrückte Moab viele Jahre ... Sein Sohn herrschte an seiner Statt und sagte ebenfalls: ,Ich werde Moab unterdrücken‘ ... Omri hatte unser Land in Besitz genommen ... Er wohnte darin zu seiner Zeit und zur Zeit seiner Söhne: vierzig Jahre. Doch [der Gott] Kamosch gab mir unser Land wieder“ (frei nach der englischen Übersetzung von Andre Lemaire, Biblical Archaeology Review, Mai-Juni 1994, Seite 33).
Hier finden wir eine Aussage der Bibel durch die Feinde Israels bestätigt. Die Bibel berichtet über den Abfall der Moabiter und ihren erfolgreichen Versuch, unabhängig zu werden, fügt aber etwas hinzu, was der moabitische König verschwieg: Mescha unterstützte die Unabhängigkeitsbemühungen für sein Volk dadurch, daß er seinen Sohn dem heidnischen Gott der Moabiter opferte.
Der Wendepunkt in der Schlacht wird in der Bibel ausführlich geschildert: „Mescha aber, der König der Moabiter, besaß viele Schafe und hatte dem König von Israel [d. h. zuerst Omri, dann seinem Sohn Ahab und jetzt der Enkel Omris Joram] Wolle zu entrichten von hunderttausend Lämmern und von hunderttausend Widdern. Als aber Ahab tot war, fiel der König der Moabiter ab vom König von Israel ... Als aber der König der Moabiter sah, daß ihm der Kampf zu stark war, nahm er siebenhundert Mann mit sich, die das Schwert führten, um beim König von Edom durchzubrechen; aber sie konnten’s nicht. Da nahm er seinen erstgeborenen Sohn, der an seiner Statt König werden sollte, und opferte ihn zum Brandopfer auf der Mauer. Da kam ein großer Zorn über Israel, so daß sie von ihm abzogen und in ihr Land zurückkehrten“ (2. Könige 3,4-5. 26-27, Hervorhebung durch uns).
Der König Mescha war zwar erfolgreich, aber in seiner Inschrift auf der schwarzen Steinplatte läßt er den hohen Preis unerwähnt, den er für die Unabhängigkeit seines Volks zahlte.
Es hat Kritiker gegeben, die den biblischen Bericht über das Menschenopfer König Meschas in Frage stellten, denn es kam ihnen unwahrscheinlich vor, daß ein König seinen eigenen Kronprinzen opferte. Doch im Jahre 1978 wurde in der syrischen Stadt Ugarit eine Tafel ausgegraben, auf der ein solches Opfer während einer Schlacht beschrieben ist. Der Text lautet sinngemäß: „O Baal, vertreibe die Truppen von unseren Toren, die Angreifer von unseren Mauern ... Einen Erstgeborenen wollen wir dir opfern, Baal, ein Kind wollen wir dir geben.“
Der „Zorn“, der nach der biblischen Erzählung über Israel kam, als Mescha seinen Sohn opferte, wird von Baruch Margalit, Dozent für Bibelkunde an der israelischen Universität Haifa, erklärt: „Damit ist der psychologische Zusammenbruch gemeint, den die israelitischen Kämpfer erlitten, als sie das Zeichen eines Menschenopfers auf der Mauer von Kir-Heres erblickten. Der Verfasser des ugaritischen Textes ging offenbar vom Ausbruch einer Massenhysterie aus, als er mit großer Zuversicht den Rückzug der angreifenden Truppe voraussagte ... Wir können also davon ausgehen, daß Meschas Opferung seines Sohnes keineswegs ein einmaliges Ereignis war. Vielmehr hat er ein religiöses Mittel benutzt, das die Kanaaniter seit langem, wenn auch selten, bei Kampfhandlungen einsetzten“ (Biblical Archaeology Review, November-Dezember 1986, Seite 63).
Ahabs Kampf gegen die Assyrer
Die Assyrer hatten nicht nur vor König Omri, sondern auch vor seinem Sohn Ahab, der ein geschickter und mächtiger Heerführer war, einen hohen Respekt. Ahabs Feldzügen widmet die Bibel aber weitaus weniger Aufmerksamkeit als der von ihm veranlaßten Einführung der Anbetung Baals in Israel nach seiner Vermählung mit Isebel, der Tochter des phönizischen Königs.
Das Bibellexikon The International Standard Bible Encyclopedia berichtet: „Ahab ging in seiner Verteidigungspolitik klug vor, indem er sich mit den Phöniziern, den Juden und sogar seinen einstigen Feinden, den Aramäern, verbündete. Er fiel aber unter den Einfluß seiner fanatischen, heidnischen Königin Isebel, die ihn dazu brachte, Baal gleichermaßen wie Jahwe, den Gott Israels, zu verehren. Das hatte folgende Auswirkungen für das Volk: Tyrannei (1. Könige 21), religiöse Verfolgung (18,4) und Menschenopfer (16,34)“ Eerdmans, Grand Rapids, 1979, Band 1, Seite 75, Stichwort „Ahab“).
Obwohl die Bibel einiges am sittlichen Verhalten Ahabs auszusetzen hat, erkennt sie seine kriegerischen Fähigkeiten an und läßt nicht unerwähnt, daß er mehrere Siege gegen die Aramäer und Syrer errang. So bezeugen die Aufzeichnungen der Assyrer eine große Schlacht mit Ahab und einer Koalition von Nachbarvölkern. Auch wenn die Assyrer Ahab und seinen Verbündeten schwere Verluste beibrachten, hat dieser Kampf ihren Vormarsch nach Westen vorläufig gestoppt.
„Ahab wird in einer Inschrift des [assyrischen Königs] Salmanassar III. (858-824 v. Chr.) erwähnt. Die Erzählung handelt von einer großen Schlacht bei Qarqar, in der Salmanassar gegen ein aramäisch-israelitisches Bündnis kämpft ... und Ahab soll 2000 Streitwagen und zehntausend Fußsoldaten beigesteuert haben. Zehn unbedeutendere Könige leisteten ebenfalls wichtige Beiträge an Soldaten und Reitern“ (ebenda, Seite 76).
Das Elfenbeinhaus Ahabs
Die Archäologen verfügen nicht nur über assyrische Zeugnisse der Existenz des Königs Ahab. Ausgrabungen in Samaria ergaben viele Belege, die unweigerlich Ahabs Elfenbeinhaus in Erinnerung rufen. Die Bibel berichtet: „Was mehr von Ahab zu sagen ist und alles, was er getan hat, und das Elfenbeinhaus, das er baute, und alle Städte, die er ausgebaut hat, siehe, das steht geschrieben in der Chronik der Könige von Israel“ (1. Könige 22,39).
Herschel Shanks, Herausgeber der Zeitschrift Biblical Archaeology Review, schreibt: „In Ahabs Hauptstadt Samaria wurden über fünfhundert Elfenbeinfragmente aus der Eisenzeit gefunden ... Die Bibel erwähnt ein solches ,Elfenbeinhaus‘ Ahabs (1. Könige 22,39). Unklar an der biblischen Angabe ist, ob die Wände oder die Möbel des Hauses mit Elfenbein geschmückt waren. In der Stadt Nimrud fand man Indizien dafür, daß die Räume eines assyrischen Palastes mit einer Elfenbeinvertäfelung ausgekleidet waren. Ob dies auch für Ahabs Haus in Samaria galt, ist heute schwierig festzustellen. Inwieweit Elfenbein als Wandverkleidung oder Möbelüberzug Verwendung fand, ist nicht klar. Mit Elfenbein verzierte Häuser galten jedoch in den Augen der hebräischen Propheten als ein Symbol für Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Die ,elfenbeingeschmückten Häuser‘ [siehe Amos 3,15] ließen auch auf die Teilnahme an barbarischen, heidnischen Kultpraktiken nach phönizischer Art schließen, weil dessen Verarbeitung in Phönizien erfolgte. Nach den archäologischen Funden zu urteilen, wußten die Propheten um diese Zusammenhänge“ (Biblical Archaeology Review, September-Oktober 1985, Seite 46).
Jehu kniet vor assyrischer Macht
Angesichts der frevelhaften Herrschaft des „Hauses Omri“ verurteilte Gott Ahab, seine Frau Isebel und deren Nachkommen zum Tode. Um dieses Urteil zu vollstrecken, setzte er den israelitischen General Jehu ein. Zum Propheten Elia sagte Gott: „Geh wieder ... durch die Wüste nach Damaskus und ... salbe Hasael zum König über Aram und Jehu, den Sohn Nimschis, zum König über Israel und Elisa ... zum Propheten ... Und es soll geschehen: Wer dem Schwert Hasaels entrinnt, den soll Jehu töten, und wer dem Schwert Jehus entrinnt, den soll Elisa töten“ (1. Könige 19,15-17). Gott war nicht bereit, die Verbrechen des Hauses Omri ungestraft zu lassen.
Jehu brachte Isebel und die Kinder Ahabs ums Leben, womit er die Dynastie Omris vernichtete. Obwohl Jehu zur Rute der Rache Gottes wurde, rottete er die falsche Religion nicht vollständig aus Israel aus: „So vertilgte Jehu den Baal aus Israel; aber von den Sünden Jerobeams, des Sohnes Nebats, der Israel sündigen machte, ließ Jehu nicht ab, von den goldenen Kälbern in Bethel und in Dan ... er ließ nicht ab von den Sünden Jerobeams, der Israel sündigen gemacht hatte. Zur selben Zeit fing der Herr an, Stücke von Israel abzutrennen; denn Hasaël schlug sie im ganzen Gebiet Israels“ (2. Könige 10,30-32).
Als Israel unter Jehu erneut in den Götzendienst abglitt, folgte unmittelbar die Bedrohung durch die Assyrer. Bald mußte an die Assyrer Tribut – Schutzgeld – gezahlt werden zur Abwendung von Überfall und Krieg. Zu dieser Zeit errichteten die Assyrer ihrem König Salmanassar III. ein als „Schwarzer Obelisk“ bekannt gewordenes Denkmal. Ein Bild auf diesem Obelisken zeigt den König Jehu oder einen von ihm Gesandten bei der Übergabe seines Tributs an den assyrischen Herrscher. Dies Bild ist die bisher älteste bekannte Darstellung eines Israeliten.
Der berühmte Obelisk gehört als ein Produkt des achten vorchristlichen Jahrhunderts zu den Prachtexponaten des Britischen Museums in London, entdeckt im Jahre 1846 in der assyrischen Stadt Nimrud. Abbildungen darauf zeigen auch die Träger mit den Abgaben. Auf einer Seite unterhalb der zweiten Szene von oben steht die Inschrift: „Tribut des Jaua [Jehu], Sohn des Omri. Silber, Gold, eine goldene Schale, einen goldenen Becher, goldene Kelche, Krüge aus Gold und Zinn, Stäbe aus der Hand des Königs [und] Wurfspieße habe ich [Salmanassar] von ihm bekommen“ (Biblical Archaeology Review, Januar-Februar 1995, Seite 26).
Die beschriebene Szene ist beeindruckend. Vor dem assyrischen König kniet Jehu oder einer seiner Boten nieder. Das Denkmal, das nicht nur Jehus Namen, sondern auch dieses Bild trägt, ist wieder ein bemerkenswerter Beweis dafür, daß ein biblischer König wirklich lebte.
In künftigen Folgen werden wir uns archäologischen Entdeckungen der späteren Könige Israels widmen.