Seit Generationen gehört die Geschichte von Israels Befreiung von der Sklaverei in Ägypten zu den beliebtesten Erzählungen für Bibelkenner. Was hat die Archäologie über den Auszug aus Ägypten entdeckt?
Von Mario Seiglie
In der letzten Ausgabe haben wir archäologische Funde behandelt, die Teile des zweiten Buches Mose erleuchten. Weitere Entdeckungen, die das zweite Buch Mose in neuem Licht erscheinen lassen, sind Gegenstand dieses Artikels. Die erste handelt von der Anbetung des goldenen Kalbes.
Das goldene Kalb
Nach der abenteuerlichen Überquerung des Roten Meeres (siehe Kasten: „Rotes Meer oder Schilfmeer?“ auf Seite 21) zogen die Israeliten zum Berg Sinai. Die Geschichte von der Anbetung eines goldenen Kalbes durch die Israeliten wurde von nichtgläubigen Forschern lange in Frage gestellt. Es hieß, die Anbetung von Bullen sei damals sowohl in Kanaan als auch in Ägypten gängiger Brauch gewesen, nicht aber die Anbetung von Kälbern. Aber im Jahre 1991 wurde die silberne Statue eines Kalbes in der Küstenstadt Aschkelon im südlichen Israel ausgegraben. Die Wissenschaftler datierten den Fund in eine Zeit, die um mindestens hundert Jahre vor dem Auszug der Israeliten aus Ägypten lag.
Als Aaron dem Volk zurief: „Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat!“ (2. Mose 32,4), wusste er, wie beliebt die Anbetung von Kälbern war. Vierhundert Jahre später ließ der israelitische König Jerobeam zwei goldene Kälber gießen und dem Volk ausrichten: „[Siehe], da ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat“ (1. Könige 12,28). Die Parallele zu Aaron ist augenfällig. Der Autor eines längeren Fachaufsatzes über die Entdeckung des silbernen Kalbes vermutet: „Das goldene Kalb, das die ungeduldigen Israeliten am Fuß des Berges Sinai angebetet haben (2. Mose 32), kann dieser Statuette ähnlich gewesen sein“ (Biblical Archaeology Review, März-April 1991, Seite 1).
Das Wachtelmahl
Während ihrer Wanderung durch die Wüste klagten die Israeliten zu Gott über das Manna: „Da fingen auch die Israeliten wieder an zu weinen und sprachen: Wer wird uns Fleisch zu essen geben?“ (4. Mose 11,4-6).
Diese Beschwerde war eine von zehn hauptsächlichen Klagen, welche die Israeliten gegen Gott und Mose richteten (4. Mose 14,22). Und Gott entsprach ihrem Wunsch: „Darum wird euch der Herr Fleisch zu essen geben, nicht nur einen Tag, nicht zwei, nicht fünf, nicht zehn, nicht zwanzig Tage lang, sondern einen Monat lang, bis ihr’s nicht mehr riechen könnt und es euch zum Ekel wird, weil ihr den Herrn verworfen habt, der unter euch ist, und weil ihr vor ihm geweint und gesagt habt: Warum sind wir aus Ägypten gegangen?“ (4. Mose 11,18-20).
Am nächsten Tag fielen Wachteln auf das israelitische Lager herab, und zwar so viele, dass sie eine dreißig Zentimeter hohe Schicht bildeten. Diese Vögel sind damals wie heute im Nahen Osten in sehr großer Zahl vorhanden. Diese Zugvögel fliegen nach dem Ende des europäischen Sommers zur Halbinsel Sinai, wo sie sechs Monate lang bleiben.
„Die europäische Wachtel, ein kleiner, brauner, gesprenkelter, 18 cm langer Vogel, ist der einzige Zugvogel von der Art der Fasanen. Er zieht von Südeuropa die östliche Mittelmeerküste entlang, überquert die Halbinsel Sinai und dann weiter nach Saudi-Arabien oder Westafrika. Im Spätsommer fliegt er nach Süden, im Frühling (der Jahreszeit des Auszugs der Israeliten aus Ägypten) nach Norden . . . Noch in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts erbeuteten die Ägypter zwei Millionen Wachteln pro Jahr. Im Jahre 1920 stieg diese Ziffer sogar auf drei Millionen“ (The International Standard Bible Encyclopedia, Eerdmans, Grand Rapids, 1988, Band 4, Seite 4-5).
Das Wunder Gottes bestand darin, eine riesige Menge Wachteln direkt zum israelitischen Lager zu bringen und sie dort niedergehen zu lassen.
Beweise von der Existenz des Propheten Bileam
Auf der letzten Etappe ihrer Reise ins Gelobte Land zogen die Israeliten durch das Gebiet der Ammoniter und wollten auch das angrenzende Territorium der Moabiter durchqueren, um Kanaan über Jericho zu erreichen. Doch Balak, der König der Moabiter, verweigerte den Israeliten die Durchreise. Er verdingte einen bekannten heidnischen Propheten namens Bileam, um den Einzug Israels in das verheißene Land zu verhindern: „Und er sandte Boten aus zu Bileam, dem Sohn Beors . . . und ließ ihm sagen: Siehe, es ist ein Volk aus Ägypten gezogen, das bedeckt das ganze Land und lagert mir gegenüber. So komm nun und verfluche mir das Volk, denn es ist mir zu mächtig“ (4. Mose 22,5-6).
Der Ruhm Bileams war offensichtlich so groß, dass ein moabitischer König bereit war, eine große Summe für seine Dienste zu zahlen. Im Jahre 1967 fanden Archäologen bei der Ausgrabung der antiken ammonitischen Stadt Deir Alla am östlichen Ufer des Jordans eine Inschrift, in der Bileam, der Sohn Beors, namentlich erwähnt wird. Die übrig gebliebenen sechzehn Zeilen der Wandinschrift erwiesen sich als Teil einer Weissagung Bileams, die mit der Bileam zugeschriebenen Sprache im vierten Buch Mose verblüffende Ähnlichkeiten aufweist.
Die Bibel beschreibt, wie Gott den Bileam zurechtweist. Eines Nachts verbietet er ihm, die Israeliten zu verfluchen. Enttäuscht teilt Bileam den moabitischen Boten mit, er dürfe ihnen nicht helfen. „Da stand Bileam am Morgen auf und sprach zu den Fürsten Balaks: Geht hin in euer Land; denn der Herr will’s nicht gestatten, dass ich mit euch ziehe“ (4. Mose 22,13).
Etwas später zwingt Gott Bileam, Segnungen und Siege für Israel anzukündigen: „[Und] er hob an mit seinem Spruch und sprach: Es sagt Bileam, der Sohn Beors . . . es sagt der Hörer göttlicher Rede, der des Allmächtigen Offenbarung sieht, dem die Augen geöffnet werden, wenn er niederkniet: Wie fein sind deine Zelte, Jakob, und deine Wohnungen, Israel! . . . Gott, der ihn aus Ägypten geführt hat, ist für ihn wie das Horn des Wildstiers. Er wird die Völker, seine Verfolger, auffressen und ihre Gebeine zermalmen und mit seinen Pfeilen zerschmettern“ (4. Mose 24,3-5. 8).
Kurz nach diesen Ereignissen half der geldgierige Bileam (siehe 2. Petrus 2,15) den Moabitern, die Israeliten zur Sünde zu verführen. Es überrascht daher nicht, dass er ums Leben kam, als Israel im bewaffneten Kampf über die Moabiter und Midianiter siegte (4. Mose 31,8).
Der restaurierte Text der in Deir Alla gefundenen Inschrift lautet: „Eine Inschrift Bileams, des Beorsohnes, des Sehers der Götter: Siehe, die Götter kamen des Nachts und sprachen mit ihm. Sie sprachen zu Bileam, dem Sohn Beors, nach diesen Worten: ,Die letzte Flamme, ein Straffeuer, ist erschienen!‘ Als dann der Bileam am nächsten Tag aufstand, hatte er keinen Appetit und weinte sehr. Da kam sein Volk zu ihm und fragte Bileam, den Sohn Beors: ,Warum fastest du? Warum weinst du?‘ Da antwortete er ihnen: ,Setzt euch hin! Ich werde euch zeigen, wie schlimm die Katastrophe ist! Und kommt, seht die Taten der Götter!‘ “
Die Ähnlichkeit zwischen diesen Worten und den in der Bibel überlieferten Reden Bileams ist nicht zu übersehen. Das Schicksal dieses Sehers ist wohl im Gedächtnis der Ammoniter geblieben und für die Nachwelt in der genannten Inschrift festgehalten worden.
Der Archäologe Andre Lemaire, der die lückenhafte Inschrift zusammenstellte, stellt fest: „Die Deir-Alla-Inschrift, die vermutlich um die Mitte des achten Jahrhunderts vor Christus entstanden ist, könnte das früheste Beispiel eines noch erhaltenen prophetischen Textes sein. Die Wand, in die sie eingeritzt wurde, dürfte einer Religionsschule gehört haben. Die Hauptrolle in dem Deir-Alla-Text spielt der Seher Bileam, der Sohn Beors, der uns durch die Geschichten im vierten Buch Mose bekannt ist“ (Biblical Archaeology Review, September-Oktober 1985, Seite 39). Es handelt sich also auch hier um eine biblische Persönlichkeit, die sich nicht als Mythengestalt abtun lässt.
Der Weg aus Ägypten
Ein weiterer Gegenstand eines Gelehrtenstreites ist die Strecke, welche die Israeliten auf ihrem Weg zum Gelobten Land nahmen. „Die Orte, an denen die Israeliten auf der letzten Etappe ihrer Wüstenwanderung vorbeikamen, sind in der Bibel namentlich genannt. Gerade in dieser Konkretheit haben manche Forscher Zündstoff zur Kritik an der Bibel gewittert. Viele der genannten Lagerplätze hat es nach ihrer Meinung noch gar nicht gegeben, als der Auszug aus Ägypten stattgefunden haben soll“ (Biblical Archaeology Review, September-Oktober 1994, Seite 5).
Dennoch erstaunlich: In ägyptischen Grabmälern wurden drei Listen gefunden, in denen die Route der Israeliten zum Gelobten Land genau beschrieben ist!
In 4. Mose 33, Verse 45-49 lesen wir davon, dass die Israeliten auf dem Weg zum Jordan unter anderem an folgenden Orten vorbeikamen: Ije-Abarim, Dibon-Gad, Almon-Diblatajim, Nebo und Abel-Schittim. Die Strecke, auf der die ägyptischen Aufseher zogen, wenn sie in diesem Gebiet nach dem Rechten sehen wollten (denn es gehörte jahrhundertelang zu Ägypten), führte durch sieben Orte, von denen fünf in der gleichen Reihenfolge in der Bibel – hauptsächlich in 4. Mose 33 – erwähnt sind: Melach, Ije-Abarim, die Steige von Heres (in der Bibel nur in Richter 8,13 erwähnt), Dibon-Gad, und Abel-Schittim und zuletzt zum Jordan.
Charles Krahmalkov, Professor für semitische Sprachen und Orientalistik an der Universität Michigan, stellt zur Zuverlässigkeit der biblischen Berichte Folgendes fest: „Zusammenfassend kann man sagen, dass die biblische Version der Einnahme des Transjordanlandes, mit der die Bühne für die Eroberung ganz Palästinas bereitet wurde, in einen Rahmen eingebettet ist, der aus historischer Sicht der Wahrheit entspricht. Die in 4. Mose 33, Verse 45-50 beschriebene Strecke, auf der die Israeliten vor ihrem Einfall in das Gelobte Land zogen, war eine bekannte und stark benutzte ägyptische Straße“ (Biblical Archaeology Review, September-Oktober 1994, Seite 58).
Somit bestätigt die Archäologie einen weiteren Teil der biblischen Geschichte. In der nächsten Ausgabe setzen wir unsere Untersuchung archäologischer Funde im Buch Josua fort. Weitere Beweise für die Glaubwürdigkeit der Bibel finden Sie in unserer kostenlosen Broschüre Die Bibel – Wahrheit oder Legende?, die wir Ihnen auf Anfrage gerne zusenden.
Rotes Meer oder Schilfmeer?
Welches Meer war es, das die fliehenden Israeliten trockenen Fußes durchquerten, in dem aber die ihnen nachsetzenden ägyptischen Elitetruppen den Tod durch Ertrinken fanden? Seit Jahren sorgt diese Frage in der Fachwelt für Streit. Die Auseinandersetzung dreht sich in erster Linie um drei Strecken, auf denen die Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägypten gezogen sein konnten.
Nach einer These seien die Israeliten zuerst nach Norden gezogen. Das „Meer“, das sie überquerten, sei der Sirbonissee gewesen, eine Bucht an der Mittelmeerküste. Nach der Überquerung dieses Sees seien die Israeliten nach Süden in Richtung der Halbinsel Sinai abgebogen.
Eine zweite Theorie besagt, die Israeliten seien direkt ostwärts gezogen und hätten einen flachen See nördlich des Roten Meeres, das Schilfmeer, überquert. Der hebräische Name dieses Sees heißt jam suf. Es ist bekannt, dass jam „Meer“ bedeutet, aber der Sinn von suf ist umstritten. Vorgeschlagen wurden schon „Schilf“ und „Tang“. Dementsprechend benutzen unter anderen die gängigsten deutschen Bibelübersetzungen den Ausdruck „Schilfmeer“ statt „Rotes Meer“ (siehe zum Beispiel 2. Mose 15,4).
Ein Grund, warum manche Wissenschaftler den Ausdruck „Schilfmeer“ vorziehen, ist, dass die Seen nördlich des Roten Meeres äußerst schilfreich sind. Diese Gelehrten vermuten, dass die Israeliten durch einen dieser flachen Seen gezogen sind. Die ägyptischen Truppen, die ihnen nachjagten, seien wohl durch die Schwere ihrer Kriegswagen in das Wasser hinuntergezogen worden und irgendwie ertrunken.
Die Vertreter der dritten Meinung gehen davon aus, dass die Israeliten zuerst nach Süden gezogen sind. Sie sehen in der Wendung jam suf eine Bezeichnung für „das Meer am Ende der Welt“. Wie Bernard F. Batto, Professor für alttestamentliche Studien an der Universität Dallas (Texas, USA), schreibt, „hielten die Menschen der Antike das Rote Meer für das Meer am Ende der Welt. Interessanterweise haben die alten Griechen den Namen ,Rotes Meer‘ nicht nur für das auch von uns so genannte Gewässer reserviert, sondern damit auch jeweils den Indischen Ozean und den Persischen Golf bezeichnet . . . Als später die Israeliten das Rote Meer jam suf nannten, haben sie es, wie andere Völker der damaligen Zeit, nicht von weiter südlich liegenden Meeren unterschieden. Für ihre Begriffe war das Rote Meer – jam suf – das Meer am Ende der Erde“ (Biblical Archaeology Review, Juli-August 1984, Seite 59).
In der Bibel wird der Ausdruck jam suf nicht nur für das Rote Meer, sondern auch für seine Arme, den Golf von Suez und den Golf von Akaba, verwendet. In 1. Könige 9, Vers 26 lesen wir zum Beispiel: „Und Salomo baute auch Schiffe in Ezjon-Geber, das bei Elat liegt am Ufer des Schilfmeers im Lande der Edomiter.“ Wenn hier von einem See in der Nähe von Ägypten die Rede wäre, müsste man über die Wahl des Flottenhafens schon staunen. Aber, wie alle Geografen wissen, liegt die Hafenstadt Elat am nördlichen Zipfel des Golf von Akaba.
In 4. Mose 33 sind die Lagerplätze der Israeliten in der Wüste Sinai aufgeführt. Nach der Überquerung des „Meeres“ lagerten sie sich zuerst in Mara, dann in Elim (Verse 8-9). In Vers 10 heißt es dann: „Von Elim zogen sie aus und lagerten sich am Schilfmeer (jam suf).“ Nach der Überquerung des jam suf und einer mehrtägigen Wanderung waren sie immer noch am jam suf. Bei diesem jam suf muss es sich also um ein weitläufiges Gewässer gehandelt haben. In der betreffenden Gegend kommt dafür nur das Rote Meer in Frage. Andere Stellen, die darauf schließen lassen, dass mit jam suf das Rote Meer gemeint ist, sind 4. Mose 21, Vers 4 und Jeremia 49, Vers 21.
Welchen Weg sind die Israeliten gezogen, und wo haben sie das Meer überquert? Wir werden es nie hundertprozentig wissen. Wir können aber mit einem Autor mehrerer Bücher über biblische Geschichte Folgendes festhalten: „Israels Überquerung . . . kann man nicht mit der Durchquerung eines Sumpfes vergleichen. Es muss von einem Wunder Gottes begleitet worden sein, das einen so starken Eindruck auf die Israeliten machte, dass es im Laufe ihrer langen Geschichte zum Maßstab wurde, mit dem sämtliche weiteren göttlichen Rettungstaten gemessen wurden“ (Eugene Merrill, Kingdom of Priests, Baker Book House, Grand Rapids, 1987, Seite 66).