Viele Christen in Amerika scheinen die Überzeugung zu vertreten, daß Glaube hauptsächlich mit persönlichem Trost zu tun habe. Stimmt das?

Von Paul Kieffer

Ganz gleich, was die Texte der Schlager in der Hitparade aussagen, scheint das Lieblingslied Amerikas, sieht man sich die Kleinanzeigen der diversen Kirchen und Konfessionen in den Gelben Seiten an, „Ich bin einsam“ zu sein. Die verschiedenen Konfessionen der USA erkennen, daß es viele einsame Menschen gibt. Deshalb versprechen sie in ihrer Werbung, freundlich, familienorientiert und fürsorglich zu sein. Anscheinend ist das überhaupt das Hauptlockmittel der christlichen Religion Amerikas. Wenn man neue Reifen braucht, sucht man einen Reifenhändler auf; ist man einsam, sieht man sich nach einer Kirche um.

Interessanterweise hören in diesem einen Punkt die konfessionellen und doktrinären Unterschiede auf. Kirchen jeglicher Gattung geben sich als fürsorglich aus, wobei jede ihre eigene Werbemethode hat. Die „Stiftshütte“-Kirche beispielsweise, die sich als „geisterfüllte, multikulturelle Kirche“ beschreibt, fordert Interessenten auf: „Lassen Sie uns Sie lieben!“, während „Der biblische Tempel“ einen formelleren, aber vielleicht seltsamen Ton an den Tag legt: „Eine Kirche, in der sich kein neuer Besucher fremd fühlen muß.“

Eine Werbung in South Carolina kündigt an: „Wo Jesus der Herr und jedes Mitglied etwas Besonderes ist“, als wäre man damit in etwa der Zweitplazierte hinter Jesus. Und eine Kirche versucht, alle, die sonst nicht erreicht werden können, zusammenzufassen: „Eine an Christus orientierte Kirche, in der Sie neue Freundschaften schließen und dauerhafte Beziehungen mit Menschen, die fürsorglich mit Ihnen umgehen werden, erleben können.“

Als Jesus predigte, widmete er sich jedoch zunächst nicht hauptsächlich der „Fürsorge“. In seiner ersten Botschaft rief er seine Zuhörer zur Umkehr auf: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15; alle Hervorhebungen durch uns). Von da an ist die Aufforderung zur Umkehr der beständigste Teil seiner Botschaft vom Reich Gottes.

Es stimmt schon, daß er auch tröstliche Worte sprach, wie zum Beispiel: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“ (Matthäus 11,28). Viele Christen lieben dieses Jesuswort. Sie wiederholen es oft und bedrucken es als Aufkleber für die Stoßstange und den Haftmagneten am Kühlschrank.

Häufiger forderte aber Jesus seine Zuhörer auf, sich Gott in Demut und Reue zuzuwenden. Bezeichnend dafür ist Jesu Reaktion auf die Beschreibung eines Unglücks mit tödlichem Ausgang: „Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, daß diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen“ (Lukas 13,1-3). Jesusworte wie dieses sind unter manchen Christen weniger beliebt, womit mehr über solche Christen als über Jesus ausgesagt wird.

Wir leben in einer Zeit, in der es schwer ist, überhaupt über den Glauben zu reden, geschweige denn über herausfordernde Themen wie Reue. Für keine Generation war Reue ein einfaches Thema, obwohl man in vergangenen Generationen wahrscheinlich weniger Mühe hatte, darüber zu sprechen. Paradoxerweise leben wir in einer sehr „einfachen“ Zeit. In der westlichen Welt sind wir die wohlhabendste und am bequemsten lebende Generation der Geschichte. Wir müssen nicht ums Überleben kämpfen, und deshalb können wir uns am Genuß des Lebens orientieren. Diese allzu natürliche Handlungsweise einigt uns. Wir mögen in anderen Dingen unterschiedlicher Meinung sein, aber wenn es um die Wichtigkeit der Freizeitgestaltung und des Urlaubs geht, schwinden die Meinungsverschiedenheiten.

Ablenkungen und Ausreden

In dieser Haltung werden wir durch eine nie endende Welle von Werbebotschaften bestätigt. Diese sagen uns, daß wir besondere Leute sind, die es verdient haben, mehr zu besitzen, als wir uns wirklich leisten können. In Anzeigen und Werbespots erfahren wir, daß unser Chef [oder Kollege, Ehepartner usw.] uns vielleicht nicht versteht, der Werbeträger aber schon, und deshalb sollten wir sein Produkt kaufen, damit wir uns wohl fühlen können. Eigentlich fordert uns die Werbung auf, in materiellen Dingen wie nie zufriedenzustellende Kleinkinder zu sein – eine Versuchung, der die menschliche Natur erfahrungsgemäß nur schwer widerstehen kann.

Stellen Sie sich vor, man würde versuchen, jemanden, der sich mit seinen unbefriedigten materiellen Wünschen beschäftigt, über die Sünde aufzuklären. Vor 100 Jahren hätte ein Prediger mit einer solchen Botschaft nickende Köpfe der Zustimmung vor sich gesehen. In der heutigen Welt wäre der Zuhörer eher geschockt und verwirrt. Wie könnte er denn ein Sünder sein? Er weiß wohl, daß er unglücklich ist, aber nur deshalb, weil seine materiellen Wünsche noch nicht befriedigt worden sind und seine Mitmenschen ihm nicht die notwendige Wertschätzung entgegenbringen.

Aber er als Sünder? Statt dessen wird er eher mit der Feststellung einverstanden sein, daß andere Menschen ihn immer wieder enttäuschen. Aber daß er in Wirklichkeit der Entfremdete ist, der sich durch seine Sünden von Gott getrennt hat? Der Angesprochene würde wahrscheinlich damit kontern, daß man damit den moralischen Zeigefinger auf ihn richtet! In einer Gesellschaft, die keine absoluten moralischen Maßstäbe akzeptieren will, möchte niemand mit dem Vorwurf „Moralapostel“ etikettiert werden.

Will man solche Menschen auf geistlicher Ebene mit dem Evangelium erreichen, scheint man kaum Möglichkeiten zu haben. Diese Menschen meinen, für ihre Lebenslage ausschließlich Trost zu brauchen. Nun, dieses Bedürfnis ist nicht unecht, wenn man weiß, was in Wirklichkeit der wahre Trost ist, den alle Menschen brauchen. Ein starkes Empfinden der Isolation und des allgemeinen geistigen Unwohlseins ist wohl Teil des menschlichen Bewußtseins.

Diesen Zustand gibt es deshalb, nicht weil die materiellen Wünsche der Leute unbefriedigt bleiben, sondern weil Sünde die Menschen von Gott trennt. „Ich bin Mr. Einsam“ ist daher nicht ohne Grund das Lied, das alle von ihrem Schöpfer isolierten Menschen anstimmen können. Gottes Kirche hat die einzige authentische Lösung zu diesem Problem. Sie predigt nämlich die gute Nachricht über die Möglichkeit der Versöhnung mit Gott durch Jesus Christus.

Das Problem für die Kirche kann darin bestehen, daß ein Teil der Evangeliumsbotschaft für die Zuhörer schmerzhaft ist. Die Versöhnung mit Gott findet nämlich nicht ohne ein Schuldgeständnis und eine daraus resultierende Umkehr statt: Man hat gesündigt, und man muß sich von dem Weg der Sünde abwenden. Noch problematischer ist es für die Kirche, wenn ihre Mitglieder diesen absolut notwendigen Lebenswandel herunterspielen und anfangen zu glauben, Jesus sei hauptsächlich deshalb gekommen, um die Menschen in ihrer gegenwärtigen Lebenslage zu trösten.

Die „Aufarbeitung“ unserer Sündenschuld erforderte jedoch viel mehr als nur eine herzliche Umarmung, sie bedeutete Jesu Tod am Kreuz! Wir leben in einer Gesellschaft, in der die persönliche Verantwortung eines Menschen für seine Lebenssituation heruntergespielt wird. Statt dessen sind wir unschuldige Opfer des Systems, des Bildungswesens, der falschen Kindererziehung unserer Eltern oder was auch immer.

Daß unsere Sünden zu unserer unglücklichen Lage beigetragen haben könnten, ist für den durchschnittlichen Menschen heute keine Vorstellung, mit der er sich anfreunden möchte. Wir halten lieber an der Sichtweise fest, daß wir Opfer einer ungerechten Gesellschaft sind, statt darüber nachzudenken, daß wir selbst mit unseren Sünden zur Ungerechtigkeit in der Welt beitragen.

Darüber hinaus können wir gar nicht so schlecht sein, denn wir wissen, wie sich die wirklich bösen Menschen verhalten – sie werden jeden Tag in den Schlagzeilen der Tagespresse beschrieben, in denen es um Raub, Mord und Totschlag geht. Im Vergleich zu ihnen könnte Gott uns sogar als angenehme Abwechselung empfinden! Außerdem weiß er bestimmt, wie wir in den Jahren unseres Lebens verletzt worden sind, und wer verletzt wurde, kann eigentlich nicht so schlecht sein. Wenn wir dieser Meinung sind, haben wir uns – wahrscheinlich unbewußt – der Denkweise „Opfer sind ohne Sünde“ angeschlossen, die heute überall anzutreffen ist.

Mit diesen und vielen anderen Ablenkungen und Ausreden versteckt sich der Durchschnittsmensch vor seinem wahren geistlichen Zustand. Vor Gott ist er kein Opfer, sondern er hat ein Opfer nötig!

Reue bringt Freude

Jesus kam zur Erde, nicht nur um uns von der Strafe für unsere Sünden zu retten, sondern auch um uns aus der Sünde heraus zu retten. Das setzt voraus, daß wir die Herausforderung annehmen und uns von Gott führen bzw. verändern lassen. Eine Gemeinde geistlich reifer, demütiger und zuversichtlicher Christen mit einer klaren Zielsetzung in der persönlichen Lebensführung ist eine viel bessere Werbung für das Evangelium als klug formulierte Selbsthilfesprüche, die man zwar auszusprechen weiß, denen aber keine Taten folgen.

Gott ruft uns nicht, weil wir gerechte Menschen sind. Jesus antwortete seinerzeit auf die Kritik der Pharisäer, er würde Umgang mit Sündern pflegen: „Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten“ (Lukas 5,31-32).

Wir dürfen deshalb nie vergessen, daß dies die Ausgangslage für unsere Beziehung mit Gott war. Reue war ein wichtiger Bestandteil der Botschaft Jesu und der frühen Kirche. Das griechische Wort für Reue, metanoia, bedeutet einen Sinneswandel. Es ergänzt das hebräische Wort für Reue, shub, mit seiner Bedeutung eines Wechsels vom verkehrten zum richtigen Weg.

Metanoia ist ein zusammengesetztes Wort: meta ist eine vielseitige Präposition, die in diesem Fall eine Verwandlung andeutet. Zum Vergleich: metamorphosis ist eine Veränderung der Gestalt bzw. Form; metanoia ist eine Veränderung des nous bzw. des inwendigsten Bewußtseins. „Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes [nous]“, ermahnt uns der Apostel Paulus (Römer 12,1).

Reue ist nicht Selbstmitleid oder Selbstverachtung. Reue ist die Erkenntnis unserer Unzulänglichkeit in geistlichen Dingen, ein Bekenntnis unseres wahren Zustandes. Wir fangen an, uns so zu sehen, wie Gott uns sieht. Mit der Zeit erkennen wir immer mehr, wie tief die Sünde in unserem Herzen verwurzelt ist. Dieses Bewußtsein wächst mit den Jahren, denn in seiner großen Gnade zeigt Gott uns nicht alles auf einmal, sondern Stück für Stück. Gott hat aber das vollständige Bild stets vor Augen. Er ist wie der Arzt, der den Entzündungsherd tief in unserem Innern sieht und bemüht ist, sich Schritt für Schritt daran heranzuarbeiten. Wie bei einer Krankheit kann die Behandlung unserer geistlichen Mängel Schmerzen verursachen. Ernst ist es jedoch nur dann, wenn der Arzt sagt: „Es gibt nichts mehr, was wir für ihn tun können. Versuchen wir, seine Schmerzen zu lindern und so ihn zu trösten.“

Es gibt Menschen, die an dieser Stelle einwenden: „Aber ich sehe mich nicht als gute Person. Ich verabscheue mich und schäme mich dauernd und fühle mich wie ein Versager.“ In anderen Fällen drückt sich die Selbstverabscheuung durch ein Empfinden der Hoffnungslosigkeit aus. Wir alle haben viele, viele Fehler gemacht – große und kleine. Wir können in dieser Erkenntnis auf der Stelle treten, obwohl wir wissen, daß es bei Gott Vergebung gibt.

Das ist nicht Reue, sondern Verzweiflung! Paulus mußte die Christen in der Gemeinde zu Korinth auf den sehr wichtigen Unterschied zwischen diesen beiden Geisteshaltungen hinweisen. Die eine, die der gesunden, von Gott gewollten Reue, tut zwar weh, führt aber zu einer veränderten Lebensweise und vermittelt Hoffnung. Die andere, die der Verzweiflung, lähmt und macht eine echte Beziehung zu Gott unmöglich: „Die Traurigkeit der Welt ... wirkt den Tod“ (2. Korinther 7,10).

„Die Traurigkeit nach Gottes Willen“ hingegen bringt Freude. Von Natur aus wollen wir uns nicht mit der Realität unserer Sünden auseinandersetzen, vielleicht aus Angst davor, wir würden überwältigt. Das Gegenteil ist wahr. Je tiefer die von Gott geschenkte Einsicht in die Notwendigkeit der Umkehr in unserem Leben, um so größer ist unser Verständnis der Liebe Gottes. Der ständige Begleiter der Reue ist nämlich die Dankbarkeit. Wie bei der sündhaften Frau, die Jesu Füße mit ihren Tränen wusch, soll die Sündenvergebung in uns einen großen Motivationsschub auslösen: „Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben“ (Lukas 7,47-48).

Das Wissen um unsere Sünden, um die Notwendigkeit der Umkehr und um die Vergebung Gottes läßt uns unser Leben hauptsächlich an Gott orientieren, statt an unseren Mitmenschen. Wir dürfen erkennen, daß wir Gott nichts vormachen können; er kennt uns genau. Es ist daher nicht länger nötig, andere Menschen zu beeindrucken – entweder mit unserem Verhalten oder mit unserem Eigentum.

So können wir für andere Menschen beten, die, wie wir, Sünder sind. Wir sind sogar frei, für die Menschen zu beten, die uns verletzen, da wir wissen, daß sie uns keinen ewig bleibenden Schaden zufügen können. All das und noch vieles andere mehr wird möglich, weil wir Reue, den allerersten Teil der Botschaft Jesu, annehmen und so zulassen, daß Gott uns aus unserem anfänglichen Zustand der Sündhaftigkeit herauszuführen beginnt.

Ein Evangelium hingegen, das sich hauptsächlich an Trost für leidende Menschen orientiert, deren Leid durch noch nicht bereute Sünden verursacht wurde, entpuppt sich später als Evangelium der Minimalanforderungen. In seinen Briefen beschrieb Paulus etwas anderes, das im Leben von Christen stattfindet: eine Verwandlung, die möglich gemacht wird, indem Jesus Christus in uns lebt. Somit ist die christliche Lebensweise Ausdruck des kraftvollsten Einflusses, der auf die Lebensführung eines Menschen einwirken kann: der heilige Geist.

Dieser Geist, den Gott uns nach unserer Reue und der Taufe schenkt, verändert uns im Laufe der Jahre und läßt uns zum Schluß, wenn Gott uns ewiges Leben schenkt und wir ausschließlich Geist sind, die Sünde vollständig überwinden: „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist“ (1. Johannes 3,9; Elberfelder Bibel). Mit der Verwandlung von Fleisch und Blut in Geist wird die Befreiung von der Sünde in unserem Leben abgeschlossen sein.

Diese Befreiung ist der wahre Trost, den unsere Welt so dringend braucht. In diesem Sinne nannte Jesus den heiligen Geist den „Tröster“, der uns bei der Überwindung der Sünde und auch in Ewigkeit zur Verfügung stehen wird: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit ... der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren“ (Johannes 14,15-16. 26).

Die Botschaft, die wir heute der Welt predigen, soll dieselbe sein, die Jesus gepredigt hat und bei seiner Rückkehr weiter predigen wird. Es ist die Botschaft wahren Trostes, den die Welt dringend braucht: „Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, daß ihre Knechtschaft ein Ende hat, daß ihre Schuld vergeben ist“ (Jesaja 40,1-2).