Der Apostel Paulus schrieb, daß mit der Nächstenliebe „das ganze Gesetz“ erfüllt wird. Meinte er damit, daß die Liebe zu Gott weniger wichtig als Nächstenliebe ist?

Von Kurt Schmitz

Das starke Erdbeben und die anschließende Flutwelle am 26. Dezember 2004 in Teilen Südasiens brachten mehr als 200 000 Menschen den Tod und hinterließen mehrere Millionen Obdachlose und verheerende Schäden. Diese schreckliche Naturkatastrophe hat aber auch etwas anderes bewirkt: Sie hat eine sehr große Anteilnahme der ganzen Welt erkennen lassen, die sich in einer enormen Spenden- und Hilfsbereitschaft ausdrückte.

Ja, es sind viele Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz, THW oder UNICEF, die in den geschädigten Ländern tätig sind, um Menschen bei der Bewältigung ihrer verschiedenen Nöte zur Seite zu stehen. Solche Helfer finden wir aber nicht nur in Katastrophengebieten, sondern auch beispielsweise in Krankenhäusern und Altersheimen.

Sie alle vollbringen etwas wichtiges und wertvolles: Sie üben Nächstenliebe und sind deshalb zu bewundern.

Die großen Weltreligionen lehren übereinstimmend die Ausübung der Nächstenliebe. Es gibt auch Menschen, die fleißig, freundlich und hilfsbereit sind und keiner Religion angehören. Sie kümmern sich um andere bzw. üben Nächstenliebe. Wir sind manchmal sogar geneigt zu sagen, da können wir uns noch eine Scheibe von abschneiden.

Können wir uns auch zu den Menschen zählen, die Nächstenliebe ausüben? Schließlich werden wir in der Heiligen Schrift häufig dazu angehalten. Schauen wir uns zunächst einige dieser biblischen Aufforderungen an.

Matthäus 19,16-21: „Und siehe, einer [ein reicher Jüngling] trat zu ihm [Jesus] und fragte: Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe? Er aber sprach zu ihm: Was fragst du mich nach dem, was gut ist? Gut ist nur Einer. Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote. Da fragte er ihn: Welche? Jesus aber sprach: Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; ehre Vater und Mutter; und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Da sprach der Jüngling zu ihm: Das habe ich alles gehalten; was fehlt mir noch? Jesus antwortete ihm: Willst du vollkommen sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach“ (alle Hervorhebungen durch uns).

Römer 13,8-10: „Seid niemand etwas schuldig, außer, daß ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefaßt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“

Galater 5,14: „Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, in dem: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“

In allen drei angeführten Bibelstellen können wir feststellen, daß die Nächstenliebe in Gottes Augen sehr wichtig ist. Gott legt auf Nächstenliebe großen Wert. Nächstenliebe zu üben ist für uns sehr vorteilhaft. Wie wir gerade in Matthäus 19 gelesen haben, hatte der Jüngling Jesus gefragt: „Was muß ich Gutes tun, um das ewige leben zu erlangen?“ Jesus hatte darauf mit „Nächstenliebe üben“ geantwortet. Gutes tun bringt also ewiges Leben.

Auch in Römer 2, Verse 5-10 erfahren wir, was Gutes tun bewirkt: „Du aber mit deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir selbst Zorn an auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, der einem jeden geben wird nach seinen Werken: ewiges Leben denen, die in aller Geduld mit guten Werken trachten nach Herrlichkeit, Ehre und unvergänglichem Leben; Ungnade und Zorn aber denen, die streitsüchtig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die Böses tun, zuerst der Juden und ebenso der Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden allen denen, die Gutes tun, zuerst den Juden und ebenso den Griechen.“

Wir sehen also, wir dürfen und sollen nach Herrlichkeit und Ehre und unvergänglichem Leben trachten, und zwar mit guten Werken. Und Nächstenliebe üben ist ganz sicher ein gutes Werk.

Aus dem, was wir bis jetzt gelesen haben, ist es somit sehr verständlich, daß solche Religionsgemeinschaften bzw. Kirchen, die sich zur Nachfolge Jesu Christi bekennen, die Nächstenliebe als Schwerpunkt ihres Christseins ansehen. Ja, es ist sehr verständlich, denn schließlich erfüllt man doch auch mit der Liebe zum Nächsten das ganze Gesetz. Dies wird in den schon gelesenen Bibelstellen von Römer 13 und Galater 5 sehr deutlich gesagt.

Ist mit Nächstenliebe wirklich das ganze Gesetz erfüllt?

Nun ist der Gehorsam gegenüber Gott, also das Halten des ganzen Gesetzes, wie wir noch sehen werden, die Voraussetzung für das Erlangen des ewigen Lebens. Deshalb ist ganz sicher wichtig, die Antwort auf die eben gestellte Frage zu kennen.

In der Brockhaus Enzyklopädie (17. Ausgabe) lesen wir unter dem Stichwort „Nächstenliebe“ folgendes: „Die dem Wohl des Nächsten zugewandte, aktive Gefühlshaltung.“ Und auch noch: „Die Nächstenliebe ist die Summe der göttlichen Gebote.“

Dies hat Ähnlichkeit mit den Aussagen in Römer 13 und Galater 5, wie wir schon gelesen haben, nämlich, daß die Nächstenliebe die Erfüllung des ganzen Gesetzes ist.

Zwei Gebote der Liebe

In Markus Kapitel 12 klärte Jesus die Sadduzäer über die Auferstehung auf, denn diese glaubten nicht an eine Auferstehung. Jesu Ausführungen gefielen einem Schriftgelehrten, der an die Auferstehung glaubte und es dann wagte, Jesus anzusprechen.

„Und es trat zu ihm [Jesus] einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, daß er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen? Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften. Das andre ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es ist kein anderes Gebot größer als diese“ (Verse 28-31).

Nehmen wir aus der Parallelstelle im Matthäusevangelium, Kapitel 22, den Vers 40 noch dazu, dann sehen wir zusätzlich folgendes: „In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“

In Matthäus 22 und in Markus 12 spricht Jesus von zwei Geboten der Liebe: einmal von der Liebe zu Gott und zum anderen von der Liebe zum Nächsten. Und dann sagt Jesus in Matthäus 22, Vers 40, daß in diesen beiden Geboten das ganze Gesetz und die Propheten hängt.

Diese zwei Gebote der Liebe umfassen also das ganze Gesetz, nämlich alle zehn Gebote. Das bedeutet doch wohl, daß jedes der beiden großen Gebote einen Teil des Gesetzes umfaßt. Die zehn einzelnen Gebote dieses Gesetzes zeigen uns ja, wie wir einerseits unsere Liebe zu Gott und andererseits unsere Liebe zu den Menschen zum Ausdruck bringen sollen.

Wenn wir uns die Zehn Gebote anschauen, können wir sagen, daß beispielsweise das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ bzw. „Du sollst nicht stehlen“ nicht direkt mit der Liebe zu Gott zu tun hat, aber direkt mit der Liebe zum Nächsten.

Im Gegensatz dazu haben Gebote wie „Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen“ oder „Du sollst den Namen deines Gottes nicht mißbrauchen“ direkt mit der Liebe zu Gott zu tun. Sie haben hingegen keinen direkten Bezug zur Nächstenliebe.

Wenn Gott uns aber auffordert, sowohl ihn als auch den Nächsten zu lieben, dann bedeutet das für uns, all das zu tun, was sich damit verbindet. Wenn wir das nicht tun, was Gott sagt, so lieben wir Gott nicht. Dies läßt sich aus 1. Johannes 5, Vers 3 folgern: „Denn das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer.“

Halten wir die Gebote nicht, ist das also keine Liebe zu Gott.

Im Jakobusbrief erfahren wir dann noch, daß durch das Nichthalten auch nur eines Gebotes sogar das ganze Gesetz gebrochen wird: „Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig.“ Eines der Zehn Gebote nicht zu halten, bedeutet also bereits, Gott nicht zu lieben, und damit am ganzen Gesetz schuldig zu sein.

Ungehorsam hat aber auch noch zur Folge, daß wir den heiligen Geist gar nicht bekommen können, bzw. daß er uns verloren geht, wenn wir ihn von Gott bereits bekommen haben, denn der Geist Gottes wird gemäß Apostelgeschichte 5, Vers 32 nur denen gegeben, die Gott gehorchen.

Wenn wir hier vom Halten der Gebote sprechen, heißt das nicht, daß wir das alles perfekt machen. Es heißt vielmehr, sich aufrichtig zu bemühen, die Gebote so zu befolgen, wie es nach Gottes Willen ist.

Die Nächstenliebe im Sinne Gottes

Fällt Ihnen dabei etwas Merkwürdiges auf?

Obwohl wir jetzt gesehen haben, daß das Gesetz zweiteilig aus der Liebe zu Gott und aus der Liebe zum Nächsten besteht, wird dennoch, wie wir ja gesehen haben, in verschiedenen Bibelstellen des Neuen Testaments die Ausübung der Nächstenliebe allein als die Erfüllung des ganzen Gesetzes bezeichnet. Ein solches Beispiel finden wir in Galater 5, Vers 14: „Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, in dem: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Auch die Bibelstelle in Römer 13, Vers 8, die wir bereits gelesen haben, teilt uns das mit.

Wie läßt sich das aber erklären? Einerseits besteht das Gesetz aus zwei Teilen, die wir halten sollen und die das ganze Gesetz bedeuten. Andererseits ist die Liebe zum Nächsten – der zweite Teil des Gesetzes – die Erfüllung des ganzen Gesetzes. Wie paßt das zusammen? Handelt es sich hier etwa um einen Widerspruch in der Bibel?

In Matthäus 19 fordert uns Jesus auf, wenn wir „zum Leben eingehen“ wollen, die Gebote zu halten, und nennt dann nur Gebote der Nächstenliebe. Sind die ersten vier der Zehn Gebote, die die Liebe zu Gott ausdrücken, nicht ebenfalls wichtig, wenn es um die Frage geht, ins ewige Leben einzugehen?

Nun kann man unterstellen, daß die Juden gerade die ersten vier Gebote stark betonten, bei der Nächstenliebe dagegen ihre Probleme hatten. Darauf weist ja auch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter im Lukasevangelium, Kapitel 10 hin. Dieses Gleichnis zeigt uns, daß Jesu Hinweis auf die letzten sechs Gebote besonders notwendig war.

An dem Erlebnis mit den zehn Aussätzigen in Lukas 17 können wir jedoch erkennen, daß die Juden bei den ersten vier Geboten ebenfalls Nachholbedarf hatten. Wäre es deshalb nicht sinnvoll gewesen, daß Jesus auch auf die Wichtigkeit der ersten vier Gebote hingewiesen hätte?

Man könnte durchaus meinen, daß es auch sinnvoll gewesen wäre. Warum tat Jesus es denn nicht? Oder tat er es doch? Ja, Jesus tat es tatsächlich. Er erwähnte auch die ersten vier Gebote. Aber wodurch tat er es?

Welche Liebe ist gemeint?

Um diesen Fragenkomplex zu lösen, müssen wir ein Wort näher betrachten, und zwar das hier verwendete Wort für „Liebe“. Wir stellen dabei fest, daß für dieses Wort Liebe im Urtext nicht eros, die sexuelle Liebe, auch nicht philia, die brüderliche Liebe, sondern das Wort agape steht. Dies ist die göttliche Liebe, die bedingungslose, selbstlose Liebe. Es ist die Liebe, die es uns auch ermöglicht, unsere Feinde zu lieben.

Wieso hängt das Problem aber mit diesem Wort Liebe zusammen?

Diese göttliche Liebe ist ein Geschenk Gottes. Sie gehört nämlich zu der Frucht des heiligen Geistes, wie wir in Galater 5, Vers 22 erfahren. Und diese Liebe bekommen wir nur, wenn uns der heilige Geist geschenkt wurde.

Die Voraussetzung für den Empfang des Geistes in Verbindung mit der Taufe ist jedoch das ernsthafte Wollen, alle Gebote Gottes zu halten, also sowohl die Gebote, die die Liebe zu Gott, als auch die Gebote, die die Liebe zu dem Nächsten beschreiben. Es ist also der Gehorsam gegenüber Gott, wie wir schon festgestellt haben, die Voraussetzung für den Erhalt des heiligen Geistes und damit der göttlichen Liebe ist.

Würden wir uns weigern, die ersten Gebote zu halten, und statt dessen nur die Gebote der Nächstenliebe halten wollen, dann würde Gott uns den heiligen Geist gar nicht geben und damit auch nicht seine göttliche Liebe.

Haben wir aber die agape-Liebe durch den heiligen Geist bekommen, dann heißt das, daß wir gewillt sind und uns auch aufrichtig bemühen, sowohl die Liebe zu Gott als auch die Liebe zu unserem Nächsten zu üben. Wir sind bemüht, die zu beiden Liebesgeboten jeweils zugehörigen einzelnen Geboten aus den Zehn Geboten zu halten.

Aufgrund dieser Tatsache können wir Bibelstellen wie in Matthäus 19, Vers 17 und auch in Römer 13, Verse 8-10 verstehen. Hier geht es nämlich auch jeweils um die göttliche Liebe, die agape-Liebe, so daß die Aufforderung in den genannten Bibelstellen, den Nächsten zu lieben, immer zwingend in Verbindung mit der gleichzeitigen Beachtung der Liebe zu Gott steht.

Es ist also ganz wichtig zu verstehen, daß es in den zitierten Bibelstellen demnach in Wirklichkeit gar nicht alleine um die sechs Gebote der Nächstenliebe geht. Die agape-Liebe schließt ganz eindeutig stets das Halten der ersten vier Gebote mit ein.

Und deshalb ist es auch völlig richtig, wenn in Galater 5, Vers 14 gesagt wird, daß „das ganze Gesetz ... in einem Wort erfüllt“ ist, nämlich „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Hier spricht Paulus ebenfalls von der göttlichen Liebe, die sich in ihrem Wirken nicht auf nur den einen oder anderen Teil der großen Gebote einschränken läßt.

Wäre hier nur die philia bzw. die menschliche oder brüderliche Liebe gemeint, dann könnte mit dem Halten der Gebote der Nächstenliebe das ganze Gesetz nicht erfüllt werden. Dann wären die Aussagen in Galater 5 oder auch in Römer 13 falsch.

Das Besondere an der agape-Liebe ist, daß sie das ganze Gesetz umfaßt.

Die brüderliche Liebe, die uns Menschen von Natur ansatzweise für den zwischenmenschlichen Bereich gegeben wurde, ist gewiß wichtig und notwendig. Ja, auch sie sollen wir in uns festigen (Hebräer 13,1). Sie bewegt sich aber eben auf der rein menschlichen Ebene. Sie schließt deshalb die göttliche Liebe nicht mit ein. Die göttliche Liebe aber, die agape, geht dagegen über die brüderliche Liebe hinaus.

Wir sehen, wie außerordentlich wichtig die göttliche Liebe ist. Diese Frucht des heiligen Geistes soll sich in unserem Leben zeigen. Sie muß in unserem Verhalten deutlich werden.

Wenn man der Meinung ist, es wäre notwendig, nur die Gebote der Nächstenliebe zu halten, weil die verschiedenen Bibelstellen aussagen, daß mit den Geboten der Nächstenliebe das ganze Gesetz erfüllt ist, so ist das aufgrund der nicht verstandenen tiefen Bedeutung der agape-Liebe falsch und unbiblisch. Aus diesem falschen Verständnis heraus sagen manche leider auch, daß in der heutigen Zeit z. B. das Halten des Sabbats im Vergleich zum Gebot der Nächstenliebe nicht mehr wichtig sei.

Zwei gleiche Gebote?

In diesem Licht können wir nun auch die Aussage von Jesus in Matthäus 22, Verse 37-39 verstehen: „Jesus aber antwortete ihm [dem Schriftgelehrten]: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Wie kann Jesus in Matthäus 22, Vers 39 denn nun sagen, daß das Gebot der Nächstenliebe dem Gebot der Liebe zu Gott gleich ist, obwohl er das Gebot der Liebe zu Gott in Vers 38 als das größte und höchste Gebot bezeichnet? Auch hier geht es darum, wodurch das Halten der Gebote der Nächstenliebe das ganze Gesetz erfüllt. Es ist die besondere Liebe, die uns durch den heiligen Geist geschenkt wird: die agape-Liebe.

In 1. Johannes 4, Vers 20 lesen wir: „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und haßt seinen Bruder, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er gesehen hat, kann nicht Gott lieben, den er nicht gesehen hat.“

Umgekehrt bedeutet das aber auch: Wer seinen Bruder liebt, der liebt auch Gott. Auch hier kommt es auf die Liebe an, die gemeint ist – die göttliche Liebe. Wenn wir also die göttliche Liebe durch die Frucht des heiligen Geistes empfangen haben, ist die Liebe zu Gott und die göttliche Nächstenliebe gleichzeitig darin enthalten.

Noch einmal: Haben wir den Geist Gottes, dann haben wir auch die göttliche Liebe und somit lieben wir auch Gott, sonst würde uns diese Liebe nicht zuteil werden. Lieben wir aber Gott, dann lieben wir auch unseren Bruder. Lieben wir also unseren Nächsten mit der in uns vorhandenen göttlichen Liebe, dann bedeutet dies auch: Wir lieben Gott.

So sind dann die beiden großen Gebote der Liebe praktisch auswechselbar bzw. austauschbar, denn sie sind vom Ergebnis praktisch gleich. Nur die Reihenfolge ist eine andere. Zunächst ist die Verbindung zu Gott gegeben, durch die sich dann die agape-Liebe in Richtung des Nächsten entwickelt. Ich kann nämlich nicht die göttliche Liebe haben und zuerst meinen Nächsten lieben und dann erst Gott. Das geht nur umgekehrt.

Wer also Gott mit der göttlichen Liebe liebt, der liebt auch seinen Bruder mit der göttlichen Liebe. Und wer seinen Bruder mit der göttlichen Liebe liebt, der liebt auch Gott mit der göttlichen Liebe. So kann Jesus auch sagen, daß das Gebot der Nächstenliebe auch dem Gebot der Gottesliebe gleich ist.

Die Nächstenliebe ist die Erfüllung des Gesetzes und damit auch dem Gebot Gott zu lieben gleich, wenn diese Liebe die göttliche Liebe ist. Ja, wir können sagen, daß das Gebot der Nächstenliebe sogar das Gebot der Liebe zu Gott einschließt und umgekehrt, wenn für die Nächstenliebe die göttliche Liebe die Basis ist.

Es gibt viele Menschen, die sich um andere kümmern. Natürlich sollen wir auch in der brüderlichen Liebe wachsen. Wie eingangs gesagt, gibt es Menschen, die keiner Religion angehören und sich trotzdem in der brüderlichen Liebe engagieren. Gott sieht diese tätige Nächstenliebe gewiß sehr positiv.

Aber ohne die rechte Sicht auf Gott ist diese Nächstenliebe, wenn auch sehr lobenswert, nicht die Erfüllung des Gesetzes. Mit der menschlichen, also mit der brüderlichen Liebe allein, können wir das ganze Gesetz Gottes nicht erfüllen und das tun, was Gott insgesamt von uns erwartet.

Hilfsbereitschaft ohne agape?

Wie wichtig die göttliche Liebe im Hinblick auf das Erreichen des ewigen Lebens ist, macht Paulus deutlich: „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe [= agape] nicht, so wäre mir’s nichts nütze“ (1. Korinther 13,3).

Hatte Jesus nicht dem reichen Jüngling in Matthäus 19, Vers 21 geraten, genau dies zu tun, um vollkommen zu werden? Und doch nützt uns diese Nächstenliebe nichts im Hinblick auf die Erlangung des ewigen Lebens, wenn die Liebe, und zwar die göttliche Liebe, nicht da ist.

Es geht uns doch um das Ziel, das ewige Leben bzw. das Reich Gottes. Die Voraussetzung, Gott gehorsam zu sein und Gottes Gesetz insgesamt zu halten, ist uns ohne die göttliche Liebe nicht möglich.

Durch die sexuelle und brüderliche Liebe alleine schaffen wir das nicht. Diese beiden Liebesarten sind in diesem Sinne nichts nütze.

Im menschlichen Sinne ist das „sich-um-andere-Kümmern“ auf jeden Fall richtig und notwendig und auch von Gott gewollt, wie wir das am Anfang herausgestellt haben. Ich bin davon überzeugt, daß alle diejenigen, die heute wahre Nächstenliebe üben, ohne den wahren Schöpfergott zu kennen, es später sicher leichter haben, wenn sie begreifen dürfen, was es bedeutet, auch die vier ersten Gebote zu halten. Gewiß kommt es bei all unseren Taten auf die Motivation an. Gott wird dies alles gerecht beurteilen.

Zusammenfassung

Für Gott ist die Nächstenliebe ein wichtiges Anliegen. Nicht umsonst hat Jesus dies in Matthäus 22, Verse 36-40 deutlich gemacht. Auch in anderen Stellen, wie z. B. in Matthäus 19, Vers 17, fordert Jesus uns auf, die Liebe zum Nächsten zu üben. Dabei nennt er mit dem Wort Liebe jeweils die göttliche Liebe.

Diese Liebe wird uns aber nur in Verbindung mit dem heiligen Geist zuteil, der uns wiederum nur gegeben wird, wenn wir das ganze Gesetz, also alle zehn Gebote zu halten gewillt und bemüht sind. Das bedeutet, daß Jesus durch den Ausdruck der göttlichen Liebe zu erkennen gibt, daß er in seinen verschiedenen Aussagen nicht nur die Gebote der Nächstenliebe meint, sondern auch die Gebote, die die Liebe zu Gott zum Inhalt haben.

Somit stimmt die Aussage von Galater 5, Vers 14: „Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, in dem: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Hier ist die göttliche und nicht die menschliche Liebe gemeint.

Die sehr wichtige Nächstenliebe kann also nur in Verbindung mit der göttlichen Liebe das ganze Gesetz erfüllen. Unter der gleichen Voraussetzung konnte Jesus in Matthäus 22, Verse 36-40 das Gebote der Nächstenliebe dem Gebot der Liebe zu Gott gleichsetzen.

Die göttliche Liebe ist, wie wir gesehen haben, ein wichtiger Faktor, um viele biblische Aussagen richtig zu verstehen. Sie ist aber nicht nur notwendig zum Verständnis, sondern auch erforderlich, um das ganze Gesetz erfüllen zu können. Und das ganze Gesetz zu erfüllen ist die Bedingung, um das Geschenk des ewigen Lebens empfangen zu können.

Wir sollten uns nicht von einer einseitigen Argumentation dazu verleiten lassen, irgendeines der Zehn Gebote als unwichtig anzusehen. Mit einer solchen inneren Haltung würden wir dem heiligen Geist nicht folgsam sein, und die Liebe Gottes wäre folglich nicht in uns wirksam. Jesus warnt uns, daß in der Zeit vor seiner Wiederkehr die agape-Liebe in vielen erkalten wird (Matthäus 24,12).

Haben wir den heiligen Geist und damit die Liebe Gottes in uns, dann ist auch Christus in uns und wir in ihm, so daß wir mit seiner Hilfe den Willen Gottes tun können. Lassen wir deshalb diese Liebe nicht in der Schublade verkümmern, sondern arbeiten wir mit ihr, lassen wir sie in uns mit der Kraft Gottes zur Entfaltung kommen, in Richtung Gott und unser Nächster.

Mit dieser Liebe können wir ihn wie uns selbst lieben und „das ganze Gesetz“ erfüllen. So wird die Nächstenliebe uns tatsächlich ins Reich Gottes führen.