Was meinte der Apostel Paulus mit der Bezeichnung „Ungläubiger“?

Von Fred Kellers

Was meint Paulus in 1. Korinther 7, Verse 12-15 mit dem Begriff „Ungläubiger“? Geht es dabei um jemanden, dessen Verhalten Merkmale der fleischlichen Gesinnung aufweist? Nach dieser Definition hätte ein großer Teil der Gemeinde zu Korinth zu den Ungläubigen gehört.

In 1. Korinther 7, Verse 8-16 werden drei Kategorien des Familienstandes erwähnt: die „Unverheirateten“ in Verse 8-9; die „Verheirateten“ in Verse 10-11 und in Verse 12-16 die „Übrigen“. Die Kirche ist zu dem Verständnis gelangt, daß Paulus in Verse 10-11 zu Paaren spricht, wo beide Ehepartner Gläubige sind, und in Verse 12-16 zu Paaren, wo ein Ehepartner ein Gläubiger und der andere kein Gläubiger ist.

Paulus weist die erste Gruppe – wo beide Ehepartner Gläubige sind – an, daß sie sich nicht trennen dürfen, und wenn sie es doch tun, sollen sie sich wieder versöhnen. Was geschieht, wenn einer oder beide sich nicht versöhnen können oder wollen? Das heißt, wenn es einem oder beiden nicht mehr gefällt, beieinander zu wohnen? Paulus sagt, daß diese Leute unverheiratet bleiben sollen. Das ist eine harte Aussage – für manche ein unerfreulicher Gedanke.

Die Jünger Jesu fanden den Gedanken, dauerhaft an eine unversöhnliche Beziehung gebunden zu sein, so grauenhaft, daß ihre erste Reaktion die war, es sei besser, überhaupt nicht zu heiraten (Matthäus 19,9-10).

Diejenigen jedoch aus der zweiten Gruppe – jene, die einen ungläubigen Partner haben – sind frei und nicht an ihre Ehe gebunden, wenn der Ungläubige die eheliche Gemeinschaft nicht mehr aufrechterhalten möchte.

Wer will schon von sich glauben, daß er zu der ersten Gruppe gehört und damit nicht wieder heiraten kann – daß er vielleicht für den Rest des Lebens alleinstehend bleiben muß? Ist es nicht logisch zu argumentieren, daß es nie zu einer Trennung gekommen wäre, wenn der Ehepartner ein tief bekehrter Gläubiger gewesen wäre?

Oder, selbst wenn es zu einer Trennung gekommen ist, hätte die Versöhnung dann nicht wieder eingeleitet werden können? Bedeuten schwerwiegende Probleme in einer Ehebeziehung, daß der eine oder der andere Partner – oder beide – Ungläubige sind?

Was meinte Paulus in 1. Korinther 7, Verse 12-16 mit dem Begriff „Ungläubiger“? Im Griechischen wird das Wort apistos benutzt, ein Adjektiv. Apistos ist die Verneinung von pistos, ein weiteres Adjektiv. Pistos wird gewöhnlich mit „treu“, „gläubig“ oder „wahr“ übersetzt. Wenn der gleiche Wortstamm als Substantiv benutzt wird, pistis, wird er mit „Glaube“ übersetzt. Das verneinende Substantiv, apistia, wird mit „Unglaube“ übersetzt. Die Verbform des Wortes lautet pisteuo und wird gewöhnlich mit „glauben“ übersetzt.

Mit allen Erscheinungsformen zusammen wird diese Wortgruppe insgesamt 600mal im Neuen Testament gebraucht, 560mal als Positivum und 42mal als Negation.

Aber wie die deutschen Wörter „Glaube“, „Vertrauen“ und „Überzeugung“ wurde diese Wortgruppe auf viele verschiedene Weisen benutzt, sowohl in religiöser als auch in ziviler Hinsicht. Der griechische Dichter Homer benutzte dieses Wort, um die Verpflichtung „der Götter“ zum Einhalten eines Vertrags aufzuzeigen. Nur durch den Kontext können wir wissen, was der Autor mit diesen Vokabeln meinte.

Was meint Paulus mit dem Wort „Ungläubiger“ in dem Zusammenhang von 1. Korinther? Meint er damit jemanden, der ein fleischlich gesinntes und unbekehrtes Verhalten an den Tag legt? Wenn das der Fall ist, dann scheint es, daß eine große Zahl der korinthischen Gemeinde zu den Ungläubigen gehören würde. In 1. Korinther 3, Vers 3 lesen wir: „... weil ihr noch fleischlich seid. Denn wenn Eifersucht und Zank unter euch sind, seid ihr da nicht fleischlich und lebt nach Menschenweise?“

Sie waren untereinander uneins; einige folgten Paulus, einige Apollos usw. Paulus sagte ihnen mehrmals, daß sie aufgeblasen seien. Sie waren stolz auf einen unzüchtigen Menschen in ihrer Gemeinschaft. Ihr Wissen machte sie hochmütig. Ein Bruder zog gegen einen anderen Bruder vor Gericht. Sie aßen Fleisch, das in einem Götzentempel geopfert wurde; es war ihnen egal, ob ihre Geschwister daran Anstoß nahmen. Am Passah aßen sie vor hungrigen Brüdern und betranken sich sogar.

Es war kein Wunder, daß sich Ehepaare stritten und trennten. Es wäre sicherlich einfach gewesen, in dieser Menge einen Ehepartner als Ungläubigen zu bezeichnen. Paulus scheint aber die Meßlatte sehr tief aufzuhängen, nach der Menschen Gläubige, Heilige und Brüder genannt werden: „Sondern es streitet Bruder mit Bruder, und das vor Ungläubigen [apistos]!“ (1. Korinther 6,6; Elberfelder Bibel).

Wir nehmen an, wenn ein Gemeindemitglied einen anderen verklagte, daß zumindest einer dieser „Brüder“ sich unbekehrt verhalten haben muß. Vielleicht wäre es einfach für jemanden zu behaupten, daß der andere durch seine Taten ein Ungläubiger sei. Eine dritte Partei denkt vielleicht, daß beide in den Rechtsstreit verwickelten Mitglieder unbekehrt seien. Paulus jedoch nannte sie Brüder. Und er sagte, daß sie vor „den Ungläubigen“ vor Gericht gingen.

Das Wort „Ungläubige“ ist die Mehrzahl von apistos, das gleiche Wort, das Paulus im nächsten Kapitel bezüglich des ungläubigen Ehepartners gebraucht. Es scheint offensichtlich zu sein, daß, wenn Paulus in 1. Korinther 6, Vers 6 apistos benutzt, er damit jemanden bezeichnet, der völlig in der Welt lebt – jemand, der überhaupt nicht berufen ist. Natürlich erkennt die Kirche, daß eine Person, die ihre Berufung verworfen hat und zur Welt zurückgekehrt ist, wieder zum Ungläubigen geworden ist. Paulus gebraucht das Wort apistos in 1. Korinther elfmal und in 2. Korinther dreimal. In keinem dieser Fälle ist damit eine Person gemeint, die als Mitglied der Gemeinde bezeichnet werden könnte. Für Paulus sind Menschen, die apistos sind, von der Welt. Hier sind einige Beispiele:

• „den Ungläubigen [apistos], denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes“ (2. Korinther 4,4).

• „Zieht nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen [apistos]. Denn was hat die Gerechtigkeit zu schaffen mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? Wie stimmt Christus überein mit Beliar? Oder was für ein Teil hat der Gläubige mit dem Ungläubigen [apistos]?“ (2. Korinther 6,14-15).

Im Kontext gesehen gebraucht Paulus den Begriff „Ungläubiger“, apistos, um eine Person aus dieser Welt zu bezeichnen, ob sie nun nie aus ihr herausgerufen wurde oder zu ihr zurückgekehrt ist.

Gemeindemitglieder können durch ihre gutgemeinte, aber in Wirklichkeit zwieträchtige Nachfolge – „ich bin des Paulus, ich aber des Apollos“ – gespalten und trotzdem Gläubige sein – und damit gebunden. Heute könnte es heißen: „Ich gehöre zur Kirche Gottes“ oder „Ich gehöre zu diesen oder jenen Berufenen.“

Geschwister können ein Alkoholproblem haben, sogar am Passa, und trotzdem Gläubige sein. Gläubige können sich weigern, sich wieder zu versöhnen oder ein anderes Mitglied der Gemeinde verklagen. Gläubige können aufgeblasen sein wie ein Pfau, und doch können sie Gläubige sein. Ein Mitglied kann sich auf sehr fleischliche Weise aufführen und immer noch der Definition eines „Gläubigen“ entsprechen.

Und deshalb können wir in der Ehe an „einen fleischlich gesinnten Gläubigen“ gebunden sein. Dieses Konzept kann sehr schwer zu akzeptieren bzw. nachzuvollziehen sein. Wie schon erwähnt, meinten die Jünger Christi, daß es ein schwieriges Konzept sei. Sehen wir uns einmal die Unterhaltung zwischen Jesus und seinen Jüngern an:

„Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, und heiratet eine andere, der bricht die Ehe. Da sprachen seine Jünger zu ihm: Steht die Sache eines Mannes mit seiner Frau so, dann ist’s nicht gut zu heiraten“ (Matthäus 19,9-10).

Die Jünger wollten nicht glauben, daß sie vielleicht für den Rest ihres Lebens an eine unversöhnliche Person gebunden sein mußten. Vielleicht getrennt oder geschieden und damit unfähig, sich wieder zu versöhnen, aber nicht, nie wieder in der Lage zu sein, erneut zu heiraten. Deshalb sagte Jesus ihnen:

„Dies Wort fassen nicht alle, sondern nur die, denen es gegeben ist. Denn einige sind von Geburt an zur Ehe unfähig; andere sind von Menschen zur Ehe unfähig gemacht; und wieder andere haben sich selbst zur Ehe unfähig gemacht um des Himmelreichs willen. Wer es fassen kann, der fasse es!“ (Matthäus 19,11-12).

Einige werden sich für das Reich Gottes zur Ehe unfähig machen müssen, d. h., wenn sie sich nicht mit ihrem Ehepartner versöhnen können, werden sie für den Rest ihres Lebens alleine bleiben müssen. Sie werden keinen Ehebruch durch eine Scheidung oder eine Wiederheirat begehen.

Warum sollte Gott dies wollen? Ganz sicherlich möchte Gott, daß jeder glücklich verheiratet ist. Aber Gott möchte auch, daß wir unseren Versprechen treu bleiben. Gott sagt, daß er Scheidung haßt (Maleachi 2,16). In den Psalmen wird betont, daß wir unseren Versprechen treu bleiben sollten: „Herr, wer darf weilen in deinem Zelt? Wer darf wohnen auf deinem heiligen Berge? ... wer seinen Eid hält, auch wenn es ihm schadet“ (Psalm 15,1. 4).

Hier sind zwei andere Übersetzungen von Vers 4:

• „der, hat er zum Schaden geschworen, es nicht ändert“ (Elberfelder Bibel).

• „wer, auch wenn er sich selbst zum Schaden geschworen hat, es dennoch hält“ (Schlachter-Bibel).

In 1. Korinther gebraucht Paulus den Begriff „Ungläubiger“, um Leute zu beschreiben, die zu der Zeit noch nicht einmal von Gott berufen waren. Im Prinzip schließt diese Bezeichnung auch diejenigen mit ein, die ihre Berufung verworfen haben und in die Welt zurückgekehrt sind.

Gott sagt uns durch Paulus, daß, wenn wir mit einem Gläubigen verheiratet sind, wir uns von diesem Gläubigen nicht trennen sollen, oder wenn wir uns getrennt haben sollten, wir auf eine Versöhnung hinarbeiten müssen. Gott fordert von zwei gläubigen Ehepartnern, daß sie ihrem Versprechen treu sind.

Wenn sie ihr Versprechen nicht einhalten können, sollen sie für den Rest ihres Lebens alleinstehend bzw. unverheiratet bleiben. Wenn ein Gläubiger mit einem Ungläubigen verheiratet ist – jemand, der nicht berufen ist oder der seine Berufung verworfen hat –, und diese Person nicht mehr mit dem gläubigen Partner wohnen möchte, ist der gläubige Partner nicht an die Ehe gebunden. Der Gläubige ist dann frei, erneut – im Glauben – zu heiraten.

Gott prüft uns, um zu sehen, ob wir ihm und unserem Ehepartner treu sein können. Wenn wir heiraten, versprechen wir für den Rest unseres Lebens treu zu bleiben – „bis der Tod Euch scheidet“. Dieses physische Leben ist freilich von sehr kurzer Dauer. Das Leben in Gottes Reich hingegen wird ewig andauern.

Möge Gott uns die Weisheit und die Kraft geben, um bereitwillig über unsere Ziele in diesem Leben hinwegzusehen und uns auf das Leben zu konzentrieren, das ewig andauern wird.