Fällt es Ihnen manchmal schwer, Ihren Mitmenschen zu vergeben? Wären Sie bereit zu vergeben, wenn Ihr Leben davon abhinge? In Wirklichkeit ist das der Fall!

Von Roy Fouch

Mit seinem Unvermögen, anderen zu vergeben, hat sich der Mensch im Verlauf der Geschichte viel Leid zugefügt. Jeder Mensch erlebt Situationen, in denen seine Bereitschaft zum Vergeben geprüft wird. Wenn es um dieses Thema geht, haben alle Menschen eines gemeinsam: Vor Gott sind wir alle Sünder. Wir haben Gottes Gesetz übertreten und verdienen damit den Sold der Sünde – den ewigen Tod (Römer 3,23; 6,23).

Gott hat eine Lösung für unser Dilemma. Als Sühneopfer nimmt Jesus unsere Schuld auf sich. Diese Befreiung von der Todesstrafe nehmen wir in Anspruch, indem wir unsere Sünden bereuen und Gott um Vergebung bitten (Apostelgeschichte 2,38). In seinem Mustergebet, das wir allgemein das Vaterunser nennen, sagte Jesus: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ (Matthäus 6,12). Haben Sie sich jemals überlegt, daß Jesus uns mit seiner Aufforderung vor eine Wahl stellt?

Wie wichtig ist es, daß wir die Sündenvergebung erlangen? Ohne diese Vergebung werden wir nicht in das ewige Leben eingehen. Wären Sie bereit zu vergeben, wenn Ihr Leben davon abhinge? Tatsächlich ist dies der Fall!

Gott ist bereit, uns zu vergeben und von den Konsequenzen unserer Sünden zu befreien. Eine Voraussetzung dafür ist aber unsere Bereitschaft, auch anderen zu vergeben. In Sprüche 19, Vers 11 lesen wir, daß es die Menschen ehrt, die „bei Kränkungen Nachsicht“ üben können.

„Liebt eure Feinde“

In der Fortsetzung der Bergpredigt fügte Jesus der Vergebung eine wichtige zusätzliche Dimension hinzu: „Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen“ (Lukas 6,27-28; alle Hervorhebungen durch uns). Jesu Ermahnung steht im starken Kontrast zum heutigen Zeitgeist. Einzelpersonen, Familien, Gruppen und ganze Nationen wollen nicht vergeben. In manchen Fällen liegt der Auslöser der Entfremdung bzw. Verfeindung um Generationen zurück. Auf vielfältige Weise sinnt der Mensch über Rache nach. Möchten wir, daß Gott so mit uns umgeht?

Wir wollen jedoch das schreckliche Leid, das der Mensch durch Krieg, Gewaltverbrechen und andere Übel seinen Mitmenschen zugefügt hat, keineswegs verneinen. Psychische Wunden aus solchen Erlebnissen können uns ein Leben lang zeichnen. Wie soll man jemandem beispielsweise einen jahrelang ausgeübten sexuellen Mißbrauch vergeben? Wie sieht es bei den Menschen in bezug auf Vergebung aus, deren Angehörige durch „ethnische Säuberungen“ – wie sie vor nur zehn Jahren in Europa und Afrika geschahen – getötet wurden?

Es scheint eine natürliche Reaktion des Menschen zu sein, andere verletzen zu wollen, die uns verletzt haben. Als Christen dient uns die Bibel als Anleitung in unseren Bemühungen, die Themen Vergebung und Rache aus der Perspektive Gottes zu verstehen.

Rache üben – warum nicht?

Gottes Standpunkt ist klar. Wir sollen uns nicht rächen: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr“ (Römer 12,19). Manche mögen fragen, warum wir keine Rache üben sollen. Zum einen kann nur Gott in vollkommen gerechter Weise urteilen. Wir können nicht wissen, welche Konsequenzen einem Menschen oder einer Gruppe von Menschen am besten dienen.

Gott sieht immer das große Bild. Er möchte nicht, daß irgendeines seiner Menschenkinder den ewigen Tod erleiden muß. Es kann vorkommen, daß er als ein liebevoller Vater uns zu unserem Wohlergehen zurechtweisen muß. Im Gegensatz zu ihm können wir in das Herz derjenigen, die uns verletzen, nicht hineinsehen. Wir können ihre Beweggründe nicht wirklich ergründen. Darüber hinaus können wir nicht erkennen, ob sie ihre Taten bzw. Worte bereuen. Auf jeden Fall bleibt ihr Verhalten Gott nicht verborgen, denn er sagt: „Rache ist mein; ich will vergelten“ (Römer 12,19).

Jedes Land hat sein Rechtssystem, das Verstöße gegen Gesetze ahndet bzw. bestraft. Manchmal sind diese Systeme korrupt. Es kommt vor, daß ein Verbrecher unbestraft bleibt oder ein Unschuldiger zu Unrecht verurteilt wird. Solche Ungerechtigkeiten sind das Resultat der Unvollkommenheit menschlicher Urteile.

Gott hingegen sieht und weiß alles genau, auch kann er nicht von Umständen oder persönlicher Vorteilnahme zu einem verkehrten Urteil bewegt werden. Unser Gott ist ein absolut gerechter Gott. Selbst wenn sich sein Urteil lange hinzuziehen scheint, ist dieser Umstand nur vorübergehend. Zu gegebener Zeit wird jeder Mensch von Gott zur Rechenschaft gezogen.

König David hatte ein reumütiges Herz und wandte sich von Begierde und Ehebruch ab. Dennoch mußte er eine Strafe für seine Sünden zahlen. Gott vergab ihm seine Sünden und befreite ihn so von der Todesstrafe. Trotzdem gab es eine Strafe in seinem Leben. In ähnlicher Weise müssen alle, die schreckliche Verbrechen begehen, eine „diesseitliche“ Strafe zahlen.

Echte Reue, nicht die Traurigkeit der Welt

Jeder Mensch wird sich den eigenen Sünden stellen und sie bereuen müssen. Reue umfaßt drei grundlegende Schritte. Als erstes ist es notwendig, die Sünde überhaupt zu erkennen. Darauf folgt ein tief empfundenes Schuldbewußtsein und ein Bedauern für die Sünde. Das ist viel mehr als die „Traurigkeit der Welt“ (2. Korinther 7,10), die manche empfinden, wenn sie sozusagen erwischt werden. Zur wahren Reue gehört auch die Erkenntnis des Schadens, den man anderen Menschen durch die Mißachtung der Liebe zugefügt hat.

Ist man an diesem Punkt in dem Prozeß der Reue angelangt, wendet man sich als nächstes von dem Fehlverhalten – Sünde – ab. Dafür ist Gottes Hilfe erforderlich. Viele Sünden, die uns und anderen schaden, werden zu Gewohnheiten – eine Obsession oder Sucht. Sie sind selbstzerstörerisch und werden durch die „dunklen Mächte“ – Satan und seine Dämonen – gefördert.

Unter den hervorstechenden Wesensmerkmalen Satans findet sich auch die Rachsucht. Seit dem Verlust seiner Stellung durch seine Rebellion gegen Gottes Herrschaft (Jesaja 14,13) will er sich rächen. Für Christen ist es überaus wichtig, dieser Geisteshaltung nicht nachzugeben. Rache zu üben wird nur noch zusätzliches Herzeleid auslösen, für uns und unsere Angehörigen.

Damit soll nicht gesagt werden, daß Christen das Rechtssystem nicht in Anspruch nehmen dürfen, um sich zu verteidigen. Das Beispiel des Apostels Paulus zeigt, daß es in bestimmten Situationen angebracht ist, sich mittels der Gerichtsbarkeit vor Angriffen zu schützen. In solchen Fällen ist es ratsam, Gott im Gebet um seine Hilfe zu bitten, damit das Rechtssystem in der vorgesehenen Weise funktioniert. Auf jeden Fall haben wir die Gewißheit, daß wahre Gerechtigkeit und Barmherzigkeit im Reich Gottes walten werden.

Das Gegenteil der Rache

Der Apostel Petrus nennt einen weiteren Grund, warum wir uns vor Rachegefühlen schützen sollen: „Vergeltet Böses nicht mit Bösem, und gebt Beleidigungen nicht wieder zurück! Im Gegenteil, segnet eure Beleidiger, denn Gott hat euch dazu berufen, seinen Segen zu empfangen“ (1. Petrus 3,9; Gute Nachricht Bibel).

Wir sollen einen Segen von Gott empfangen. Das Wissen um diesen Segen kann uns eine Motivation sein, mit den Menschen, die uns beleidigen, anders umzugehen, als wir es wahrscheinlich sonst getan hätten. Wir sollen nicht Rache üben, sondern das Gegenteil: Böses mit Gutem vergelten. Das widerspricht der natürlichen Reaktion des Menschen, wenn andere uns verletzen bzw. Schmerzen verursachen.

Grundsätzlich gilt, daß wir Gottes Hilfe brauchen, um unsere Feinde lieben zu können. Das schaffen wir nicht alleine. Petrus bestätigt diesen Aspekt unseres christlichen Wandels. Wollen wir Christen sein, gilt es, die Menschen mit Liebe zu behandeln, die uns beleidigen und verletzen.

Wie reagieren wir mit einem Segen auf eine Beleidigung? Wir beginnen damit, daß wir denen vergeben, die uns verletzt haben, und für sie beten. Wir bitten Gott, daß er ihnen seine Gnade zuteil werden läßt. Wir beten für eine Änderung der Umstände in ihrem Leben, die dazu geführt haben, daß sie andere verletzen mußten. Wir bitten Gott um geistige Heilung von der Verletzung, damit wir nicht versucht sind, andere zu verletzen. Wir vertrauen auf Gottes Hilfe, daß er unser Gebet erhören wird.

Manchmal wird die Frage gestellt, ob der andere uns seine Reue mitteilen muß, bevor wir ihm vergeben. Die Antwort auf diese Frage ist komplex.

In der Bergpredigt betont Jesus die Wichtigkeit der Versöhnung unter Menschen, damit unsere Anbetung Gottes nicht beeinträchtigt wird. In Matthäus 5, Verse 23-24 lesen wir: „Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder und dann komm und opfere deine Gabe.“ Das Wort „versöhne“ in diesem Abschnitt ist diallasso, das „eine Änderung herbeiführen, austauschen“ bedeutet (Vine’s Expository Dictionary of New Testament Words). In diesem Fall mahnt Jesus gegenseitigen Frieden nach gegenseitiger Ablehnung an.

Haben wir jemanden gekränkt, sollen wir die Person aufsuchen in der Absicht, die Störfaktoren bei dem Verhältnis durch Liebe und gegenseitiges Interesse am beiderseitigen Wohlergehen zu ersetzen. Wir sollen die Verletzungen, gleich welcher Art, wieder in Ordnung bringen. Haben wir das getan, ist die Gabe, die wir Gott opfern wollen, ihm wohlgefällig.

In Lukas 17, Vers 3 lesen wir: „Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht; und wenn er es bereut, vergib ihm. Und wenn er siebenmal am Tag an dir sündigen würde und siebenmal wieder zu dir käme und spräche: Es reut mich!, so sollst du ihm vergeben.“ Hier könnte man fragen: „Implizieren diese Verse nicht, daß unser Bruder erst bereuen muß, bevor wir ihm vergeben?“ Sehen wir uns die Stelle näher an, um die Antwort zu verstehen.

Mit „zurechtweisen“ ist gemeint, daß wir unseren Bruder aufsuchen, ihm sein Fehlverhalten vorhalten und ihn um eine Erklärung bitten. Teilen Sie ihm mit, wie sein Verhalten Sie beeinflußt hat. So bekommt er die Gelegenheit, das Problem zu beheben und sein Bedauern auszudrücken. Diese Vorgehensweise ist immer dem Hegen von Haß und Ablehnung vorzuziehen, die eine Mauer zwischen uns und unserem Bruder entstehen lassen. Darüber hinaus können so unbeabsichtigte Kränkungen geklärt und aus der Welt geschafft werden. Gottes Methode trägt zur Stärkung der Beziehung zu unserem Bruder bei. Hat man das Fehlverhalten vergeben, so sollten wir nicht mehr daran denken oder darüber sprechen.

Ist unser Bruder, wenn wir ihm seine Verfehlungen vorhalten, nicht bereit zu bereuen, sollen wir ihn dennoch lieben. Seine Verweigerung der Reue ist eine Angelegenheit zwischen ihm und Gott. Unsere Verantwortung haben wir auf jeden Fall getan. Wir sollen keinen Groll hegen, Rache suchen oder Böses über ihn reden. Statt dessen sollen wir ihm Liebe und guten Willen zeigen. Ohne seine Reue kann die Beziehung nicht harmonisch gestaltet werden, aber wir sollen ihn trotzdem lieben. Wenn unser Bruder dann sein Fehlverhalten uns gegenüber bereut, sollen wir ihm sofort vergeben und uns mit ihm versöhnen.

Das griechische Wort aphiemi bedeutet nicht nur vergeben, sondern auch beiseite legen, allein lassen, zurückgeben bzw. darauf verzichten. Ein weiteres griechisches Wort, apoluo, bedeutet vollständig befreien, erlösen, begnadigen, freilassen oder in die Freiheit entlassen. Wir sollen uns von negativen Gedanken und Gefühlen befreien, die an die Verletzung geknüpft sind, und den Bruder von seiner Schuld uns gegenüber erlösen. Wir müssen dagegen ankämpfen, uns mit der Verletzung weiter zu beschäftigen.

Gottes Vorbild ist die Entfernung der Sünde von sich in dem Abstand, wie der Osten dem Westen ferne ist (Psalm 103,12). So ist Gott in der Lage, uns in seiner Gnade zu vergeben und nicht wieder an unsere Verfehlungen zu denken. Gott hat verschiedene Möglichkeiten, uns auf unsere Sünden aufmerksam zu machen. Tut er dies, obliegen wir der Verpflichtung zur Reue.

Es gibt wenigstens zwei Beispiele von Menschen, die Gott um Vergebung für andere baten, obwohl die anderen noch nicht bereut hatten. Das eine Beispiel handelt von Stephanus, der gesteinigt wurde und Gott bat, seinen Tod den Verantwortlichen nicht anzurechnen. Nur jemand, der bereit zu vergeben war, hätte so beten können.

Das andere dramatische Beispiel ist die Kreuzigung Jesu. In Lukas 23, Vers 34 sagte Jesus: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Können Sie sich vorstellen, daß Jesus so gebetet hätte, ohne seinen Peinigern selbst vergeben zu haben? Welchem Zweck dient es, Zorn, Schmerz, Verbitterung und Feindseligkeit zu nähren? Paulus warnt uns, auf der Hut zu sein, „damit wir nicht übervorteilt werden vom Satan; denn uns ist wohl bewußt, was er im Sinn hat“ (2. Korinther 2,11). Satan freut sich, wenn wir nicht vergeben, denn das hat direkte Auswirkungen auf unsere Errettung.

Vergebung hilft uns

Es liegt also auf der Hand, daß unsere eigene Vergebung durch Gott gefährdet ist, wenn wir nicht bereit sind, anderen zu vergeben. Jesus sagte: „Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“ (Matthäus 6,15).

Über die Vergebung hinaus hat unser Unvermögen, anderen zu vergeben, auch andere Konsequenzen. Können wir jemals wirklich glücklich sein, wenn wir uns von Zorn, Neid und Rachegefühlen beherrschen lassen? Können wir in diesem Zustand wirklich Liebe für andere Menschen empfinden und ausdrücken? Vergebung hat also auch mit unserem persönlichen Wohlergehen zu tun.

In den Sprüchen finden wir zusätzliche Hinweise für unser Verhalten gegenüber denen, die uns beleidigen. Sprüche 24, Vers 17 warnt uns vor Freude, wenn es unserem Feind schlecht geht.

Sprüche 25, Vers 21 legt uns nahe, für die Bedürfnisse unseres Feindes zu sorgen. Gott hebt das Prinzip hervor, Böses mit Gutem zu vergelten. Die Metapher in Vers 22, daß wir „feurige Kohlen auf sein Haupt häufen“, ruft das Bild des Schmelzens und möglicherweise auch des Reinigens der Härte ihres Herzens hervor. Gute Taten als Reaktion auf böse Taten werden eines Tages, wenn auch nicht sofort, gute Taten hervorrufen. In Vers 22 erfahren wir außerdem, daß Gott uns dieses Verhalten „vergelten“ wird.

Wie bereits erwähnt, gab Jesus uns das große Beispiel des Vergebens, als er am Kreuz seinen Vater bat, denen zu vergeben, die ihn gekreuzigt hatten. Jesus bat nicht nur für die an jenem verhängnisvollen Tag Anwesenden, sondern auch für uns alle. Schließlich tragen alle Menschen die Schuld an Jesu Tod. Er hat uns vergeben für den Anteil unserer Schuld an der brutalen Mißhandlung und an seinem leidvollen Tod. Sollen wir nicht in ähnlicher Weise bereit sein, den Verfehlungen anderer zu vergeben?

Wahre Geschichten über Vergebung

Corrie ten Boom, die ihr Leben aufs Spiel setzte, um Juden die Flucht vor den Nazis zu ermöglichen und deshalb in einem Konzentrationslager landete, beschrieb ihre Erlebnisse in ihrem Buch Die Zuflucht (Corrie Ten Boom mit John und Elisabeth Sherrill, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal, 2004, Seite 237):

„In einem Gottesdienst in München sah ich ihn, den früheren SS-Mann, der vor der Tür zum Duschraum in Ravensbrück Wache gestanden hatte. Er war der erste unserer wirklichen Kerkermeister, den ich seit damals wiedersah. Und plötzlich war das alles wieder lebendig – der Raum voll spottender Männer, die Kleiderhaufen, Betsies vom Schmerz gezeichnetes Gesicht.

Als die Kirche sich leerte, kam er strahlend und sich verbeugend auf mich zu. ,Wie dankbar bin ich Ihnen für Ihre Botschaft, Fräulein‘, sagte er. ,Mir vorzustellen, daß er, wie Sie sagen, meine Sünden abgewaschen hat!‘

Er streckte die Hand aus, um meine zu schütteln, aber ich, die ich in Bloemendaal den Menschen so oft gepredigt hatte, daß sie vergeben müßten, ließ meine Hand herunterhängen.

Selbst als die bitteren Rachegedanken in mir kochten, erkannte ich, daß es Sünde war. Jesus Christus war für diesen Mann gestorben; wollte ich mehr verlangen? ,Herr Jesus‘, betete ich, ,vergib mir und hilf, ihm zu vergeben.‘

Ich versuchte zu lächeln, bemühte mich krampfhaft, meine Hand zu heben. Ich konnte es nicht. Ich fühlte nichts, nicht den kleinsten Funken Wärme oder Erbarmen. Und so hauchte ich wieder ein stummes Gebet. ,Jesus, ich kann ihm nicht vergeben. Schenke mir deine Vergebung.‘

Und als ich seine Hand nahm, geschah etwas ganz Unglaubliches. Von meiner Schulter herunter, an meinem Arm entlang und durch meine Hand schien ein Strom von mir auf ihn überzugehen, während in meinem Herzen eine Liebe zu diesem Fremden aufloderte, die mich fast überwältigte.

Und so entdeckte ich, daß die Heilung der Welt weder von unserer Vergebung noch von unserer Güte abhängt, sondern allein von seiner. Wenn er uns sagt, daß wir unsere Feinde lieben sollen, dann schenkt er uns mit dem Gebot die Liebe selbst.“

• „Ich bin Wade Pfarr“, sagte er mit einer so leisen Stimme, als würde er flüstern. „Ich war betrunken und habe mich hinters Steuer gesetzt. Deshalb mußten zwei gute Menschen sterben. Wegen meines Fehlers werden Sie Ihren Ehemann und Ihre Tochter nie wieder sehen.“

Elisabeth Parrow erzählte ihre Geschichte in der Zeitschrift Guideposts (November 2000). Ca. sechs Wochen nach dem schrecklichen Unfall, dem ihr Mann und ihre Tochter zum Opfer fielen, rief ein Freund des Todesfahrers bei ihr an. „Wade möchte Ihnen unter vier Augen sagen, wie leid es ihm tut. Ich weiß, daß er damit viel von Ihnen verlangt, aber wären Sie bereit, ihn zu treffen?“

„Mit großem Vorbehalt erklärte ich mich bereit, Wade am nächsten Wochenende in meiner Kirche nach dem Gottesdienst zu treffen. Als er mir gegenüberstand, sah ich die Tränen in seinem Gesicht. Ich empfand keinen Zorn, sondern Mitlied. ,Es tut mir so schrecklich leid, Frau Parrow‘, konnte er nur stammeln. Er senkte seinen Kopf.“

In jenem Augenblick traf Elisabeth Parrow die erstaunliche Entscheidung, dem Mann, der ihre Angehörigen getötet hatte, zu sagen, daß sie ihm vergab.

Wade Pfarr schluchzte um so lauter. „Ich verdiene es nicht. Wie können Sie mir vergeben, nachdem ich Ihnen so viel genommen habe?“

„Ich faßte ihn an der Hand und sagte: ,Nur mit Gottes Hilfe‘.“