Manche Christen meinen, dass Jesus mit seinem Tod das Gesetz Gottes abgeschafft hat. Was wurde wirklich mit Jesu Tod ans Kreuz genagelt?
Von Roger Foster
In manchen Bibelübersetzungen wird Kolosser 2 teilweise auf falsche und irreführende Weise übersetzt. Das wird dann oft unberechtigterweise als Beleg dafür benutzt, dass Christus das Gesetz Gottes „ausgelöscht“ habe bzw. dass er die „Satzungen . . . aus dem Weg geschafft [habe], indem er sie ans Kreuz heftete“ (Schlachter-Bibel).
Der betreffende Vers ist Kolosser 2, Vers 14, in dem es heißt: Christus „hat die gegen uns gerichtete Schuldschrift ausgelöscht, die durch Satzungen uns entgegenstand, und hat sie aus dem Weg geschafft, indem er sie ans Kreuz heftete“ (Schlachter-Bibel). Heißt das, dass Gottes Gesetz ausgelöscht oder ans Kreuz genagelt wurde, wie viele behaupten?
Als Erstes sollten wir beachten, dass Gottes Gesetz nicht etwas ist, was „gegen uns“ gerichtet ist. Im Gegenteil, es ist „heilig, gerecht und gut“ (Römer 7,12). Die Bibel bezeichnet es immer als einen Segen für die Menschheit.
Christus hat in der Tat etwas abgeschafft, etwas, das an sein Kreuz genagelt wurde. Aber dieses Etwas war das Verzeichnis unserer Sünden – unserer Übertretungen –, nicht Gottes Gesetz. Ein sorgfältiger Blick auf Paulus’ Wortwahl in der griechischen Originalsprache belegt das.
Das griechische Wort, das in Kolosser 2, Vers 14 als „getilgt“ (Lutherbibel), „durchgestrichen“ (Einheitsübersetzung) oder „ausgelöscht“ (Schlachter-Bibel) übersetzt wird, ist exaleipho. Es bedeutet, „etwas zu waschen oder völlig zu verschmieren . . . wegwischen, abwischen, ausradieren“ (Vine’s Complete Expository Dictionary of Old and New Testament Words, 1985, Stichwort „blot out“).
Die Bibel benutzt exaleipho immer in Bezug auf das Wegwischen der Sünde, nicht des Gesetzes. In Apostelgeschichte 3, Vers 19 verwendet Petrus das Wort, als er seine Zuhörer dazu drängt: „Geht also in euch und kehrt um, damit Gott eure Schuld auslöscht!“ (Gute Nachricht Bibel).
Im Alten Testament wird das hebräische Wort machah – als „wegwischen“ oder „auslöschen“ übersetzt – (wie exaleipho) für Übertretungen und Sünden benutzt. Jesaja zitiert Gott mit den Worten: „Ich, ich tilge [machah] deine Übertretungen um meinetwillen“ (Jesaja 43,25; alle Hervorhebungen durch uns; vgl. 2. Mose 32,31-33). Nur Sünden, oder Menschen, die darauf bestehen, Sünder zu bleiben, werden ausgelöscht, nicht aber Gottes Gesetz. Das wird deutlich, wenn wir einen weiteren Ausdruck untersuchen, den Paulus in Kolosser 2, Vers 14 verwendet.
Die Schuldschrift
Was nagelten die Römer ans Kreuz, als Jesus gekreuzigt wurde? Sie nagelten zwei Dinge ans Kreuz: Jesus selbst und eine Inschrift, dass er der „König der Juden“ sei – die Anklage des Verrates gegenüber Rom, für den er hingerichtet wurde.
Aber Paulus fügt hinzu, dass, bildlich gesprochen, noch etwas anderes an Jesu Christi Kreuz genagelt wurde – „die gegen uns gerichtete Schuldschrift . . ., die durch Satzungen uns entgegenstand“ (Schlachter-Bibel).
Der Ausdruck, der als „Schuldschrift . . . die durch Satzungen uns entgegenstand“ übersetzt wird, ist cheirographon tois dogmasin in der griechischen Originalsprache. Das ist die einzige Stelle im Neuen Testament, an der dieser Ausdruck vorkommt.
Das Lexikon Friberg erklärt cheirographon dogma als ein „grundsätzlich handgeschriebenes Dokument; im Rahmen von legalen Angelegenheiten ein Schuldschein, ein Schuldenverzeichnis, eine Schuldschrift; Schuldverschreibung; bildlich gesprochen in [Kolosser] 2,14 nicht das Gesetz selbst, sondern ein Verzeichnis von Anklagen . . ., die gegen uns stand und die Gott symbolisch entfernte, indem er sie ,ans Kreuz nagelte‘ “ (Bible Works Software; Hervorhebung durch uns).
Vine’s Complete Expository Dictionary of Old and New Testament Words erläutert ergänzend: „Dies bedeutet ein Schuldenverzeichnis, eine ,Schrift von Hand‘, die bei öffentlichen und privaten Verträgen benutzt wurde. Es ist in den griechischen Papyri ein Fachausdruck. Es wurde eine große Anzahl solcher antiken handschriftlichen Aufzeichnungen veröffentlicht. Über diese sagt Dr. Deissmann: Eine stereotypische Formel ist bei diesen Dokumenten das Versprechen, das geborgte Geld zurückzuzahlen. ,Ich werde es zurückzahlen‘, und sie sind alle von dem Schuldner eigenhändig verfasst oder, wenn er nicht schreiben konnte, in der Handschrift eines anderen, der hier für ihn handelt, mit dem ausdrücklichen Hinweis ,Ich habe das für ihn geschrieben‘.
In dem berühmten florentinischen Papyrus aus dem Jahre 85 n. Chr. gibt der Statthalter von Ägypten im Verlauf einer Gerichtsverhandlung folgenden Befehl: ,Die Handschrift soll ausgestrichen werden‘, was dem ,auslöschen‘ von Kolosser 2,14 entspricht“ (Graham Scroggie, Vine’s, 1997).
Das Theological Dictionary of the New Testament fügt hinzu: „Der Zweck der Metapher des Schuldscheins besteht vielmehr darin, die vorhergehende Aussage zu betonen, dass Gott die Sünden vergeben hat. Er hat den Schuldschein getilgt, indem er ihn genommen und am Kreuz Christi befestigt hat“ (Gerhard Kittel, 1995, Band 9, Seite 436, Hervorhebung durch uns).
Zur Zeit des Apostels Paulus wurde dieses Wort sprachlich mit einer handschriftlich verfassten legalen Schuld oder einer geschuldeten Strafe in Verbindung gebracht, aber nicht mit Gottes Gesetz.
Das letzte Wort, das wir uns hier ansehen wollen, ist „Satzungen“ (Schlachter-Bibel) bzw. „Forderungen“ (Lutherbibel). Das griechische Wort hierfür ist dogmasin, was „eine Stellungnahme, (eine öffentliche) Verfügung“ bedeutet (Robert Thomas, New American Standard Hebrew-Aramaic and Greek Dictionaries, 1999). Dieser Ausdruck wurde für ein amtliches Urteil oder eine Anklage gegen jemanden benutzt, der das Gesetz gebrochen hatte.
Daher bietet die Lutherbibel folgende Übersetzung des Verses: „Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet.“
In der Einheitsübersetzung lautet dieser Vers: „Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben. Er hat ihn dadurch getilgt, dass er ihn an das Kreuz geheftet hat.“
In der Gute Nachricht Bibel wird der Vers folgendermaßen übersetzt: „Den Schuldschein, der uns wegen der nicht befolgten Gesetzesvorschriften belastete, hat er für ungültig erklärt. Er hat ihn ans Kreuz genagelt und damit für immer beseitigt.“
Was bei der Kreuzigung geschah
Man kann sich das gut anhand eines Details des Geschehens bei der Kreuzigung Christi vor Augen führen: „Und sie brachten oben über seinem Haupt seine Beschuldigungsschrift an: Dies ist Jesus, der König der Juden“ (Matthäus 27,37; Elberfelder Bibel). Die Einheitsübersetzung gibt den Vers folgendermaßen wieder: „Über seinem Kopf hatten sie eine Aufschrift angebracht, die seine Schuld angab: Das ist Jesus, der König der Juden.“
Die jüdischen religiösen Führer beschuldigten Jesus, die Ablösung des römischen Kaisers als der König der Juden anzustreben. Ihre wörtliche Anschuldigung vor Pilatus war: „Denn wer sich zum König macht, der ist gegen den Kaiser“ (Johannes 19,12).
Das erklärt, warum Pilatus Jesus gefragt hat: „Bist du der König der Juden?“ (Matthäus 27,11). Als Jesus sich weigerte, sich zu verteidigen, willigte Pilatus ein, die von den jüdischen Führern gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen zuzulassen und ließ sie danach auch bei der Kreuzigung an Christi Kreuz nageln.
Das handschriftlich verfasste Urteil, das über Christi Haupt befestigt wurde, verkündete die offizielle Anklage, auf Grund derer Christus gekreuzigt wurde. Dabei wurde fälschlicherweise angedeutet, dass Jesus des Verrats gegen den Kaiser schuldig wäre.
Jesus wurde daher offiziell als Gesetzesbrecher hingerichtet. Diese Anschuldigung war falsch. Aber indem er die Todesstrafe für diese falsche Anschuldigung auf sich nahm, übernahm er an unserer Statt die Sündenschuld, die Gott uns berechtigterweise zur Last legen kann. Er „tilgte“ die Anklage, die für uns den Tod aufgrund unserer Gesetzesübertretungen bedeutet hätte, indem er diese Schuld auf sich selbst nahm. Indem er dies tat, ermöglichte er die Vergebung unserer Sünden (Kolosser 2,13).