Manche Differenzen zwischen Gemeindemitgliedern und ihrem Pastor sind nicht auf Versagen des Pastors oder Persönlichkeitsunterschiede zurückzuführen.

Von Wayne Cordeiro

Ein Freund von mir hat kürzlich nach zehnjähriger Tätigkeit als Gemeindepastor den Beruf gewechselt. Ich fragte ihn, wie es mit seiner neuen Arbeitsstelle lief. „Sehr gut“, meinte er. „Jetzt sind die Leute mir nur ein- oder zweimal im Jahr böse. Als Gemeindepastor schien mir jemand jeden zweiten Tag böse zu sein.“

Ich habe ihn verstanden. Ich sehe immer noch die Eltern eines Teenagers in meinem Büro. Sie weinten, weil ihr Sohn den falschen Weg eingeschlagen hatte. Verzweifelt suchten sie nach Hilfe und erwarteten bzw. verlangten von mir, dass ich in sein Leben eingreife. „Warum hat diese Kirche keine bessere Jugendgruppe?“, schrien sie.

Ich erinnere mich an einen verärgerten Pianisten, der frustriert war, weil er im Gottesdienst nicht gemäß „seinem vollen Potenzial“ eingesetzt wurde. Er erwartete einen prominenten Einsatz im Gottesdienst, und seiner Erwartung wurde nicht entsprochen. „Ich meine, dass die Leute beim Gottesdienst mehr eingesetzt werden sollen“, sagte er.

Ich habe das Bild eines Mannes vor Augen, der Computerzubehör für die Gemeinde spenden wollte, aber nur, „wenn es richtig benutzt wird“. Ein anderer Mann spendete 50.000 Euro, verlangte aber dann mittels unauffälliger Beziehungen, dass das Geld nach seinen Vorgaben verwendet wird. Drei Wochen später, nach schlaflosen Nächten, in denen ich gedanklich mit seinen Forderungen und Drohungen gerungen hatte, habe ich unseren Buchhalter angewiesen, dem fordernden Spender seine 50.000 Euro zurückzugeben.

Solche Geschichten von der Front der pastoralen Arbeit sind endlos. Wie gehen wir mit den Erwartungen der Leute um? Lernen wir, uns nicht davon stören zu lassen, damit zu leben oder sogar von ihnen zu lernen? Manchmal haben wir sogar das Gefühl, dass diese Erwartungen von Gott kommen. Was tun wir in solchen Fällen?

Der Schlüssel besteht darin, auf Gott zu hören und von daher unsere Vision entstehen zu lassen. Oft bedeutet das, dass wir eine dicke Haut entwickeln, ohne dass wir unsere Empfindlichkeit für die echten Schmerzen und Bedürfnisse der Menschen verlieren. Jede effektive Führungskraft muss lernen, mit den Leuten auszukommen, die sie frustrieren, bis das nicht mehr der Fall ist.

Haben Sie eine Führungsfunktion übernommen, dürfen Sie in der Öffentlichkeit nie wieder zornig werden. Die Herausforderung besteht darin, beim Anhören von Kritik ausgeglichen zu bleiben, indem man die Kritik nicht persönlich nimmt, ohne abgestumpft oder zynisch zu werden. Wir sind dazu berufen, eine paradoxe Mischung von Persönlichkeiten zu sein: empfindlich, aber nicht schnell beleidigt; empathisch, aber nicht schwach; flexibel, doch mit eigenen Prinzipien.

„Sie machen mich nicht glücklich“

Der gemeinsame Nenner bei all den Geschichten, die ich hier erzählt habe, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Enttäuschung. Das ist die Wurzel all dieser ungerechtfertigten Erwartungen, der Kritik und Krisen.

Jemand braucht Hilfe und bekommt sie nicht, wie er sie erwartet; jemand braucht eine Lösung zu einem Problem, und das Problem wird nicht gelöst, jemand ist verletzt und bekommt keine Erleichterung. Alles lässt sich durch das Empfinden der Enttäuschung zusammenfassen.

Das soll uns nicht überraschen. Wir leben in einer Welt, die auf einem Irrweg ist, und deshalb funktioniert das Leben nicht, wie es sollte. Die Menschen wenden sich an die Kirche, um ihre Enttäuschung loszuwerden bzw. Hilfe zu bekommen. Doch die Realität ist, dass weder eine Kirche noch ein Pastor die Enttäuschung eines jeden Menschen aus der Welt schaffen kann.

Ich kenne Pastoren, die allzu oft auf diese Falle hereingefallen sind. Sie glauben fälschlicherweise, dass es ihre Aufgabe ist, die Leute glücklich zu machen. So mühen sie sich kontinuierlich ab, indem sie die Bedürfnisse der Leute zu befriedigen suchen, oder sie drängen ihre Mitarbeiter dazu. Es mag Ihnen komisch vorkommen, aber in einem Sinn kann ich in Wahrheit sagen, dass die Kirche nicht existiert, um den Leuten zu helfen. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Probleme der Leute zu lösen oder ihre Enttäuschung zu mildern.

Die Kirche existiert hauptsächlich aus dem Grund, Gott anzubeten und die Menschen auf Christus hinzuweisen, der letztendlich die Lösung zu ihren Problemen ist. Unsere Arbeit soll die Aufmerksamkeit auf denjenigen lenken, der uns errettet hat – denjenigen, der uns Hoffnung als Ersatz für unsere Enttäuschung geschenkt hat.

Wir leisten uns selbst einen Bärendienst, wenn wir uns als diejenigen darstellen, die die Probleme der Leute lösen können.

Bei unseren wohlmeinenden Bemühungen, das Christentum als die Antwort auf alles zu propagieren, versprechen wir manchmal beim Predigen des Evangeliums zu viel. In etwa: Unsere Gemeinden sollen glückliche Orte sein, deshalb soll der Gottesdienst mit einer positiven Note zu Ende gehen und den Eindruck vermitteln, dass Glücksgefühle immer von der Kirche ausgehen.

Oder wir möchten allen Menschen helfen können, und deshalb bietet die Kirche breite Spektren der seelsorgerischen Tätigkeit. Das Resultat ist, dass wir viele Dinge mittelmäßig machen, anstatt wenige Dinge gut zu machen. Die Lösung ist, das Evangelium auf seinen Kern zu reduzieren: Die Menschen sollen ihre Beziehung zum heiligen Gott in Ordnung bringen.

Eingedenk dessen sollten wir versuchen, den Gläubigen die nachfolgenden Wahrheiten zu vermitteln, um ihnen dabei zu helfen, realistische, gesunde Erwartungen zu entwickeln in Bezug auf die Kirche und die Fähigkeiten derjenigen in Führungsfunktionen:

• Die Kirche ist nicht die Antwort auf alle unsere Bedürfnisse.

• Wenn Sie ein Single sind, garantiert die Mitgliedschaft in der Kirche nicht, dass Sie einen Ehepartner finden werden.

• Manchmal werden uns die Geschehnisse in der Gemeinde missfallen.

• Es wird manchmal vorkommen, dass wir nach der Versammlung unglücklich sind, und zwar besonders dann, wenn wir uns im Lichte der Gerechtigkeit Gottes erkennen.

• In der Gemeinde wird uns nicht immer ein Gefühl der Behaglichkeit vermittelt.

• Die Mitgliedschaft in der Kirche garantiert nicht, dass Ihre Kinder nicht rebellieren werden.

• Die Mitgliedschaft in der Kirche ist nicht die Lösung zu all Ihren finanziellen Problemen.

• Es könnte vorkommen, dass Sie nicht mit allen Versammlungsbesuchern gut auskommen.

Von Gott enttäuscht

Wenn die Lösung zu den Enttäuschungen, die unsere Leute erleben, die Orientierung an Christus ist, indem sie ihn den großen Arzt in ihrem Leben sein lassen, dann drückt sich die Enttäuschung anders aus. Sind die Leute jetzt enttäuscht, ist es nun letztendlich Gott, von dem sie sich enttäuscht fühlen.

Gott war in Wirklichkeit derjenige, der die Eltern des Teenagers, die weinend in meinem Büro saßen, enttäuschte. Sie waren so traurig, dass ihr Sohn den falschen Weg eingeschlagen hatte. Verzweifelt erwarteten sie Hilfe von der Kirche und verlangten, dass ich mich einschalte. Doch sie beteten und flehten Gott um sein Eingreifen an. Wo war Gott also? Er ist eigentlich derjenige, mit dem sie unzufrieden sind.

Wenn man uns frustriert aufsucht und persönliches Leid und die dazugehörige Enttäuschung mit uns teilt, müssen wir tiefer schauen als nur auf die vordergründige Situation. Als die Eltern weinend in meinem Büro saßen (und ich weinte mit ihnen), drückten sie in Wirklichkeit ihre Frustration mit Gott aus, dass er die Menschen solche schlechten Entscheidungen treffen lässt. In diesem Fall war es ihr Sohn.

Die wahre Arbeit eines Pastors besteht nicht darin, die Probleme der Leute für sie zu lösen – besonders dann nicht, wenn Möglichkeiten zur sofortigen Behebung des Problems vorgeschlagen wurden, aber ignoriert werden. Die Lösung ist nicht der Ausbau der Jugendarbeit oder alles fallen zu lassen und einem rebellischen Teenager nachzujagen oder ihn in seinem Zimmer einzuschließen, bis er 30 Jahre alt wird.

Stattdessen dient die wahre Arbeit des Pastors der Vermittlung einer klareren Perspektive über das Wesen Gottes. Gott ist gut, ganz gleich was die Eltern zurzeit erleben. Gott liebt ihren Sohn, auch wenn er ihn falsche Entscheidungen treffen lässt. Die wahre Arbeit eines Pastors ist, den Menschen die Güte Gottes zu vermitteln, auch wenn wir seine Wege oft nicht verstehen.

Dann gibt es den verärgerten Pianisten, dessen volles Potenzial beim Gottesdienst nicht realisiert wurde. Er war deshalb enttäuscht. Seine wahre Enttäuschung ist aber mit Gott. Hat er nicht Gott gebeten, ihn beim Gottesdienst stärker einzusetzen? Warum antwortete Gott mit einem „Nein“?

Der weise Gemeindevorsteher erfüllt nicht sofort die Forderungen dieses Mannes, indem er ihm einen häufigeren Einsatz im Gottesdienst verspricht, wenn das nicht die beste Option ist. Der weise Gemeindevorsteher wird diesem Mann den Kontrast zwischen einem gerechten Gott und dem stolzen Herzen des Menschen vermitteln.

Die Arbeit des Pastors besteht nicht darin, die Enttäuschung dieses Mannes aus der Welt zu schaffen oder sein Bedürfnis nach mehr Anerkennung als Kirchenmusiker zu befriedigen. Die Aufgabe des Pastors ist es, dem enttäuschten Musiker ein besseres Verständnis des göttlichen Charakters zu vermitteln.

Eine Einladung zur Wehklage

Wenn die Leute übertriebene Erwartungen Ihnen gegenüber als Pastor haben, gibt es darauf eine praktische – und biblische – Reaktion, die wir beispielhaft in den Psalmen und bei Jeremia finden.

Diese Reaktion auf Enttäuschung, unbeantwortete Fragen und die daraus entstandene Anspannung, auf das Leid und den Schmerz, den die Leute mit uns teilen, lädt zur Wehklage ein. Das bedeutet, dass wir die Person, wenn sie zu uns kommt und ihr Problem sich nicht lösen lässt, auf Jesus hinweisen und sie auffordern, ihr Herz aufrichtig vor dem Herrn auszuschütten.

Wir wissen, dass Gott der „Gott allen Trostes“ ist (2. Korinther 1,3). Wenn wir wehklagen, erkennen wir an, dass Gott gut und souverän ist, unser Leben aber nicht so ist, wie wir es uns wünschen.

In unserem Wehklagen finden wir eine Bestätigung unseres Schmerzes. Wir lernen, dass unsere Emotionen und deren Ausdruck erlaubt sind, selbst wenn zu diesen Emotionen Zorn wegen ungerechter Behandlung gehört. Das biblische Wehklagen erlaubt den Menschen den Ausdruck des Unbehagens und der Enttäuschung, die sie in einer unvollkommenen Welt erleben.

Wenn wir die Leute zum Wehklagen einladen, tun wir damit kund, dass wir als Pastor sie auf ihrem Weg begleiten und mit ihnen mitfühlen. Wir versuchen nicht, sie aufzuheitern oder alle ihre Probleme zu lösen. Wir lassen sie die harte Wahrheit fühlen bzw. die rohe Emotion des Problems oder der Umstände. Und wir weisen sie zum Wehklagen auf Gott hin. David flehte Gott an. Jesus tat es auch. Er hat „Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte“.

Wie verhielt sich Gott gegenüber Hiob? Nachdem Hiob seine Familie, seine Gesundheit, sein Zuhause und seinen Ruf verloren hatte, hat Gott nicht sofort alle Tränen weggewischt. Gott versuchte nicht, alles gleich wieder in Ordnung zu bringen. Gott bot Hiob keine Lösungen zu seinen Problemen an. Gott startete keine Hilfsaktion in der örtlichen Gemeinde, um Hiob die Dinge zu ersetzen, die er verloren hatte.

Gott wies Hiob einfach auf die Realität der Situation hin: Hiob war ein Mensch, und Gott war Gott. Gott ließ Hiob wehklagen, und dann machte er Hiob auf die Fakten aufmerksam, die Hiob nicht erfassen konnte. Es ist vielleicht das beste Beispiel der pastoralen Betreuung, die je festgehalten wurde.

Vergessen Sie nicht, dass Ihre Kritiker eigentlich nur ganz selten von Ihnen enttäuscht sind. Meistens sind sie von sich selbst, ihrem Leben oder Gott enttäuscht. Sie sind lediglich eine günstige Zielschiebe.

Hinweis:Wayne Cordeiro ist der Pastor der „New Hope Christian Fellowship“ in Honolulu, Hawaii. Sein Beitrag wurde im „Leadership Journal“ der Zeitschrift „Christianity Today“ veröffentlicht. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.