Die meisten Christen sehen die Gültigkeit der biblischen Speiesegesetze auf die Zeit des Alten Bundes beschränkt. Wann gab es erstmalig die unreinen Tiere?
Von Paul Kieffer
Für die meisten Christen, die überhaupt wissen, was die biblischen Speisegesetze sind, gilt die Sichtweise, dass diese Bestimmungen sowieso nur den Juden galten und im Neuen Bund, der durch Jesus Christus eingeführt wurde, nicht länger bindend gültig sind. Nach dieser Auslegung wurde das Gebot, sich in Bezug auf die Ernährung bestimmter Tierarten zu enthalten, als Teil des Alten Bundes eingeführt. Folglich soll es mit dem Ende des Alten Bundes seine Gültigkeit verloren haben.
Manche Christen meinen sogar, dass es verkehrt ist, sich mit solchen Dingen überhaupt zu beschäftigen. Sie berufen sich auf den Apostel Paulus, der in seinem Brief an die Gemeinde zu Rom Folgendes schrieb: „Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem heiligen Geist“ (Römer 14,17).
Wie ist es nun? Sind die biblischen Speisegesetze hinfällig? Hat Gott bei der Schöpfung beabsichtigt, dass die in der Bibel als unrein bezeichneten Tiere für die menschliche Ernährung bestimmt sind? Wann wurden die Tiere unrein, die die Bibel unrein nennt? Sind sie heute nicht länger unrein?
Grundsätze biblischer Interpretation
Bei der Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen, bei denen es um das Ergründen der Lebensweise geht, die Gott von Christen erwartet, gilt es, vier wichtige Grundsätze über Gott und die Heilige Schrift zu verstehen.
• Gott ist kein Gott der Willkür. Gott ist kein Diktator, der seinen menschlichen Geschöpfen Schikanen auferlegt, nur um ihren Gehorsam bzw. ihre Treue zu prüfen. Alles, was Gott von uns Menschen erwartet, dient einem Zweck, der im Sinne der Liebe verstanden werden kann, „denn Gott ist die Liebe“ (1. Johannes 4,8). Alle Anordnungen Gottes dienen unserem Wohlergehen – körperlich oder geistlich. Da Gott immer in Liebe handelt, bedeutet unser Nichtverständnis bzw. Nichterkennen eines hinter einem Gesetz liegenden Sinnes nicht, dass es ihn nicht gibt, sondern es bedeutet nur, dass wir ihn noch nicht erkannt haben.
• Wir sollen keine unnützen Knechte sein. Nach Jesu Worten ist ein unnützer Knecht jemand, der nur das tut, was ihm befohlen wurde (Lukas 17,7-10). Im christlichen Sinne wäre das jemand, der sich allein an dem Buchstaben des Gesetzes orientiert. Diese Haltung drückt sich wie folgt aus: „Ich will genau wissen, was Gott von mir verlangt, denn ich werde nur das tun und sonst nichts.“
Nütze Knechte sind wir hingegen, wenn wir uns mit dem Geist des Gesetzes befassen, der weit über den reinen Buchstaben hinausgeht und sich in genauen Vorschriften sowieso nicht festhalten lässt.
• Für Christen ist die ganze Bibel verbindlich. Gottes Willen für uns Menschen finden wir in der gesamten Bibel, zusammengesetzt aus dem Alten und Neuen Testament. Dieser Wille ist nicht immer in einem ausdrücklichen Ge- bzw. Verbot formuliert, sondern orientiert sich an dem Geist der Schrift.
• Die Gültigkeit von Gottes Gesetzen hängt nicht davon ab, dass sie als solche bereits „offiziell“ verkündet worden sind. In seiner Bibelauslegung geht der „unnütze Knecht“ davon aus, dass kein Gesetz existiert bzw. rechtskräftig ist, ohne dass es in der Bibel bereits erwähnt worden ist. In 1. Mose 4, Vers 7 ist jedoch von der Möglichkeit der Sünde die Rede. Sünde ist die Übertretung des Gesetzes (1. Johannes 3,4; Schlachter-Bibel), folglich muss es zu diesem Zeitpunkt bereits ein Gesetz gegeben haben, denn ohne Gesetz gibt es keine Sünde. Doch in den vorhergehenden Versen war noch kein ausdrückliches Gesetz erwähnt worden.
Die Anwendung dieser Grundsätze hilft uns, den Willen Gottes zu verstehen. Sie lassen uns beispielsweise erkennen, dass die Polygamie, obwohl es in der Bibel kein ausdrückliches Gebot dagegen gibt, nicht dem Willen Gottes für uns Menschen entspricht und daher für einen Christen eine unakzeptable Lebensweise darstellt. Diese Schlussfolgerung leiten wir aus der Schöpfungsgeschichte der Bibel ab, die von Jesus Christus bestätigt wurde: „Habt ihr nicht gelesen: Der im Anfang den Menschen geschaffen hat, schuf sie als Mann und Frau und sprach: Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein? So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!“ (Matthäus 19,4-6).
Hat Gott alles zum menschlichen Verzehr geschaffen?
Diejenigen, die von der Aufhebung der biblischen Speisegesetze ausgehen, argumentieren manchmal, dass Gott ursprünglich alles Fleisch – wie bei den Pflanzen – für den menschlichen Verzehr vorgesehen hat, jedoch den Verzehr bestimmter Fleischsorten zum Zweck der kultischen Reinigung vorübergehend einschränkte. Sie führen 1. Mose 9, Vers 3 als Beweis für diesen Vergleich zwischen fleischlicher und pflanzlicher Nahrung an: „Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich’s euch alles gegeben.“ Über die pflanzliche Ernährung hatte Gott bei der Erschaffung des Menschen gesagt: „Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise“ (1. Mose 1,29; alle Hervorhebungen durch uns).
(Anmerkung: Daraus, dass Fleisch als Möglichkeit für die Ernährung des Menschen erstmalig in 1. Mose 9 erwähnt wird, ziehen einige den Schluss, dass der Verzehr von Fleisch ursprünglich verboten war. Ein Verbot dieser Art gibt es vor 1. Mose 9 jedoch nicht. Wie wir sehen werden, gab es bereits lange vor Noahs Lebzeiten Tieropfer. Wir wissen, dass es bei den späteren levitischen Tierfopfern den Priestern gestattet war, bestimmte Teile von geopferten Tieren zu essen. Auf jeden Fall sagen die Bibelstellen in 1. Mose 1 und 1. Mose 9 nicht ausdrücklich aus, dass zwischen der Erschaffung des Menschen und der Sintflut kein Fleisch gegessen wurde.)
Die Frage ist, ob der Vergleich zwischen Pflanzen und Tieren wirklich aufgeht. Kann man behaupten, dass Gott in der Tat alles Pflanzliche, was er in der Natur erschaffen hat, zum menschlichen Verzehr geschaffen hat?
Laut 1. Mose 1, Vers 29 darf der Menschen „alle Pflanzen“ essen, „die Samen bringen“. Als Gott sagte, dass er dem Menschen alles grüne Gewächs (das ist die Bedeutung des Hebräischen), das Samen trägt, zur Nahrung gab, meinte er damit auch solche giftigen Pflanzen, die Samen tragen? Gott schuf uns Menschen mit der grundlegenden Eigenschaft zu beobachten und zu klassifizieren. So weiß der Mensch über sein Umfeld in der Natur, was für ihn nützlich und was schädlich ist. Er weiß z. B., dass es Pflanzen gibt, deren Verzehr tödliche Folgen haben kann.
Da diese Folgen bei giftigen Pflanzen recht schnell eintreten, musste Gott den Menschen nicht besonders darauf hinweisen. Der Mensch war selbst in der Lage, die negativen Folgen des Verzehrs solcher Pflanzen zu erkennen und von deren Verzehr abzusehen.
So gesehen ist es nicht der Fall, dass Gott alle Pflanzen für den menschlichen Verzehr vorgesehen hat. Wenn nun der Mensch Fleisch in der Weise wie „das grüne Kraut“ verwenden darf, kann man von vornherein ausschließen, dass es auch unter den Tieren bestimmte Arten geben könnte, deren Verzehr negative Auswirkungen hätte? Wenn solche negativen Folgen erst längerfristig eintreten würden – im Gegensatz zum Verzehr giftiger Pflanzen –, würde die Beobachtungsgabe des Menschen ihm wenig nützen. In diesem Fall könnte man vom Schöpfer einen Hinweis erwarten, dass man solche Fleischsorten nicht essen sollte.
Wann gab es die ersten unreinen Tiere?
Manche sind überrascht zu erfahren, dass es die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren nicht erst zur Zeit des Alten Bundes gab. Fast eintausend Jahre früher, als sich der Patriarch Noah auf die Sintflut vorbereitete, waren die unreinen Tiere bereits bekannt.
Gott wies Noah an: „Und der Herr sprach zu Noah: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus; denn dich habe ich gerecht erfunden vor mir zu dieser Zeit. Von allen reinen Tieren nimm zu dir je sieben, das Männchen und sein Weibchen, von den unreinen Tieren aber je ein Paar, das Männchen und sein Weibchen“ (1. Mose 7,1-2).
In der Erzählung ist keine Rede davon, dass Gott Noah zuerst darüber aufklären musste, was reine und unreine Tiere sind. Der Unterschied scheint Noah bereits bekannt gewesen zu sein. Darüber hinaus finden wir hier keinen Hinweis darauf, dass Gott erst zu diesem Zeitpunkt die unreinen Tiere für unrein erklärte.
Wie wir bei dem Begriff „Sünde“ bereits festgestellt haben, bedeutet das Nichterwähnen einer göttlichen Bestimmung nicht unbedingt, dass es sie noch gar nicht gab. Da Gott gegenüber Noah nicht festgestellt hat, dass er nun bestimmte Tiere für unrein erklärte, muss man davon ausgehen, dass es von der Schöpfung an eine von Gott gewollte Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren gegeben hat.
An dieser Stelle wenden einige ein, dass die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren zur Zeit Noahs nichts mit Nahrung bzw. Speisegesetzen, sondern eher mit Tieropfern zu tun hatte. In der Tat brachte Noah unmittelbar nach der Sintflut ein Dankopfer: „Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar“ (1. Mose 8,20). Warum verwendete Noah für sein Dankopfer nur reine Tiere und Vögel? Die Unterscheidung zwischen rein und unrein gab es bereits, und Noah brauchte keine Unterweisung von Gott zu erhalten (jedenfalls ist keine festgehalten), dass er nur von den reinen Tieren opfern durfte. Dies scheint ihm bereits bekannt gewesen zu sein. (In der Bibel fnden wir kein einziges Beispiel eines gerechten Dieners Gottes, der unreine Tiere geopfert hat.)
Die Logik hinter der Annahme, dass es sich bei der Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren nur um Tieropfer handelte, ist jedoch fadenscheinig. Wie wir in 1. Mose 9, Vers 3 gesehen haben, wies Gott Noah und seine Familie nach der Sintflut ausdrücklich auf die Möglichkeit des Fleischverzehrs hin.
Wenn Noah die Aufforderung Gottes, bei der Sintflut jeweils nur ein Paar der unreinen Tiere mitzunehmen, dahin gehend verstanden hätte, dass die unreinen Tiere zwar nicht geopfert, aber doch gegessen werden durften, wäre wahrscheinlich bald nach der Sintflut eine dieser Tierarten ausgestorben. Hätte Noah nun auch nur eines der unreinen Tiere gegessen, hätte er damit ein Spezies ausgerottet, denn dem verbleibenden unreinen Tier hätte der Partner zur Vermehrung gefehlt.
Tieropfer gab es übrigens schon lange vor der Sintflut. Nach der Bibel war Abel ein Schafhirte (1. Mose 4,2; Elberfelder Bibel). Abel brachte Gott ein Opfer von den Erstlingen seiner Herde (Vers 4). (Das Wort „Herde“ wird im Alten Testament kein einziges Mal in Verbindung mit unreinen Tieren benutzt.) Wie Noah opferte Abel nur reine Tiere.
Gesundheit und Gräuel
Die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren gab es also bereits lange vor der Einführung des Alten Bundes. Da Gott keine Anordnungen aus reiner Willkür erlässt, sehen einige in dieser Unterscheidung einen Hinweis des Schöpfers, dass bestimmte Tierarten für den menschlichen Verzehr ungeeignet sind – wie bei den giftigen Pflanzen, die zum „grünen Gewächs“ gehören.
Andere lehnen diese Sichtweise mit der Begründung ab, die Speisegesetze des Alten Bundes seien den Israeliten willkürlich auferlegt worden und dienten allein der Aussonderung bzw. dem „heilig sein“ der Israeliten gegenüber anderen Völkern. Damit wird jedoch nicht erklärt, warum es bereits lange vor dem Alten Bund die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren gegeben hat.
Stimmt es, dass die Speisegesetze allein der kultischen Reinheit bzw. Aussonderung dienten? Gott formulierte seine Aufforderung an Israel, keine unreinen Tiere zu essen, auf eine sehr interessante Weise: „Du sollst nichts essen, was dem Herrn ein Gräuel ist“ (5. Mose 14,3). Hier erkennen wir, warum dies so wichtig ist – diese Tiere sind für Gott selbst, wenn es um die Ernährung geht, ein Gräuel! Der Schluss liegt daher nahe, dass ihre Verwendung als Nahrung dem Zweck zu widersprechen scheint, zu dem der Schöpfer sie erschaffen hat. Deshalb ist ihm ihr Verzehr ein Gräuel!
Denjenigen, die von der Aufhebung der biblischen Speisegesetze durch Jesu Tod überzeugt sind, bereitet eine Prophezeiung des Propheten Jesaja einige Schwierigkeiten. In einem Kontext, der eindeutig von der Welt von morgen nach der Wiederkehr Jesu handelt (Jesaja 66,15), sagt Gott ein Strafgericht über diejenigen voraus, die „gräuliches Getier“ essen (Jesaja 66,17). In diesem Zusammenhang wird übrigens Schweinefleisch erwähnt. Hier geht es, wie bei den Israeliten, um den Verzehr der Tierarten, die Gott unrein nennt.
Wenn die unreinen Tiere durch Jesu Tod rein geworden sind, warum gibt es dann Jahrtausende später immer noch diese Unterscheidung? Offensichtlich gehört die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren nicht zu den „äußerlichen Satzungen“, die „bis zu der Zeit einer besseren Ordnung auferlegt sind“ (Hebräer 9,10).
Im Neuen Testament ist das Wort „unrein“ in Verbindung mit Tieren dasselbe Wort, das in Verbindung mit unreinen Geistern – Dämonen – benutzt wird. In Bezug auf die Endzeit bedient sich Gott der Analogie unreiner Vögel, um das endzeitliche Babylon – Satans falsches religiöses System – als Behausung der Dämonen zu beschreiben. Wenn es keine unreinen Vögel mehr gibt – so die Auslegung derjenigen, die mit Jesu Tod die Aufhebung der unreinen Tiere sehen –, ist dieser Vergleich unsinnig (Offenbarung 18,1-2).
Die Aufhebung der Speisegesetze würde in etwa bedeuten, dass Gott sagt: „Jetzt dürft ihr das essen, was mir ein Gräuel ist. Ich habe mir die Sache anders überlegt. Dass diese Tiere für mich ein Gräuel sind, muss nicht unbedingt bedeuten, dass ihr sie nicht essen dürft! Da war ich wohl zu streng, und ich sollte euch meine Vorstellungen nicht aufzwingen!“
Hob nicht Jesus die Speisegesetze auf?
In der Lutherbibel lautet der letzte Teil von Markus 7, Vers 19: „Damit erklärte er alle Speisen für rein.“
Dieser Wortlaut aus der Lutherbibel von 1984, der kein Zitat Jesu, sondern ein angeblicher Kommentar über die Worte Jesu sein soll, steht im starken Kontrast zu der ursprünglichen Übersetzung des großen Reformators. Luther hatte Vers 19 ursprünglich so übersetzt: „Denn es gehet nicht in sein Herz, sondern in den Bauch und geht aus durch den natürlichen Gang, der alle Speise ausfeget.“ Auch die Übersetzung von Franz Eugen Schlachter enthält einen ähnlichen Wortlaut: „Denn es geht nicht in sein Herz, sondern in den Bauch und wird auf dem natürlichen Wege, der alle Speisen reinigt, ausgeschieden.“
Andere Übersetzungen und die letzte Revision des Luthertextes hingegen enthalten die fragliche Feststellung, Jesu habe alle Speisen für rein erklärt.
Bei dem sehr unterschiedlichen Wortlaut dieses Verses in früheren bzw. späteren Übersetzungen könnte man meinen, dass auch unterschiedliche Manuskripte benutzt wurden. Diese Annahme ist richtig.
Die ersten Übersetzungen des Neuen Testamentes in heutige Sprachen – Deutsch, Englisch usw. – wurden allgemein in dem gleichen Zeitraum wie die Arbeit Martin Luthers angefertigt und beruhten auf dem traditionellen griechischen Text der griechisch sprechenden Kirche. Diesen Text nennt man Textus Receptus. Im vergangenen Jahrhundert behaupteten die Gelehrten B. Wescott und F. Hort, der Textus Receptus sei im 4. Jahrhundert n. Chr. von der Kirche überarbeitet worden und stelle daher nicht den ursprünglichen Text dar. Diese Theorie gewann schnell an Beliebtheit, musste aber wegen eines totalen Mangels an geschichtlichen Beweisen revidiert werden. Heute ist die Sichtweise weitverbreitet, dass der byzantinische Text, der den Wortlaut des Textus Receptus weitgehend bestätigt, bei einer Untersuchung fraglicher Texte die gleiche Gewichtung erhalten soll wie der alexandrinische Text oder andere Texte.
Seit der Jahrhundertwende wurde bei neuen Übersetzungen des Neuen Testamentes immer mehr auf verhältnismäßig wenige Manuskripte zurückgegriffen, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt wurden. Es sind hauptsächlich zwei Manuskripte, die aufgrund ihres höheren Alters im Vergleich zu dem Textus Receptus herangezogen werden: Codex Vaticanus und Codex Sinaiticus. Der griechische Text, der mit diesen Manuskripten und anderen Papyri zusammengestellt wird, ist als der alexandrinische Text bekannt. Es gibt jedoch einige Gelehrte, die die Glaubwürdigkeit von Vaticanus und Sinaiticus in Frage stellen, weil sie oft nicht miteinander übereinstimmen und der Sinaiticus beträchtliche Auslassungen aufweist.
Der heutige Wortlaut von Markus 7, Vers 19 in der Lutherbibel beruht auf dem alexandrinischen Text, statt dem byzantischen Text. Welcher Text ist richtig? Nachfolgend ein paar Anmerkungen, die aus der Bibel selbst stammen, als mögliche Hinweise auf die Antwort.
Zu bedenken ist, dass der Satz „Damit erklärte er alle Speisen für rein“ kein wörtliches Zitat Jesu ist, sondern ein Einschub, den wir anscheinend Markus, dem Verfasser des gleichnamigen Evangeliums, zuschreiben sollen. Markus und Jesus waren jedoch Juden, und für Juden waren die Fleischsorten, die Gott für den menschlichen Verzehr verboten hatte, gar keine „Speisen“. Es ist daher unlogisch zu meinen, Markus hätte etwas, das für ihn ohnehin keine Speise war, als Speise bezeichnet und zudem auch noch als „rein“ im Sinne einer Aufhebung des göttlichen Gebots.
Eine weitere Überlegung ist, dass auch Petrus als Jünger Christi dabei war, als Jesus auf den Vorwurf der Pharisäer, seine Jünger würden mit ungewaschenen Händen essen, einging. Das Erlebnis von Petrus in Apostelgeschichte 10 zeigt, dass Petrus ca. zehn Jahre nach Jesu Tod seine an die Pharisäer gerichteten Worte nicht als Aufhebung der göttlichen Speisegesetze verstanden hatte. Außerdem gibt es im ganzen Neuen Testament keinen einzigen Beweis dafür, dass die Gläubigen der Urkirche jemals unreines Fleisch gegessen haben. Wenn Jesus wirklich gemeint haben sollte, man dürfe alles Fleisch essen, könnte man annehmen, wenigstens ein praktisches Beispiel dafür in den ca. 60 Jahren der aufgeschriebenen Geschichte des Neuen Testamentes zu finden.
Aussagen des Neuen Testamentes zeigen, dass der in modernen Übersetzungen benutzte Wortlaut bei Markus 7, Vers 19 sehr fraglich ist. Nach allem, was wir gelesen haben, waren die von Gott als unrein erklärten Tiere nicht allein zur Zeit des Alten Bundes unrein. Lange vor Mose war das Schwein unrein, und das bleibt es auch heute und morgen.