Wurden die Zehn Gebote mit dem Tod Jesu Christi außer Kraft gesetzt? Das meinen diejenigen, für die der Alte Bund und die Zehn Gebote identisch sind.

Von Paul Kieffer

Unter Theologen herrscht weitgehende Übereinstimmung in der Sichtweise, daß der mosaische Bund, der am Berg Sinai beschlossen wurde und auch als Alter Bund bekannt ist, durch den Tod Jesu Christi und die Gründung der neutestamentlichen Kirche außer Kraft gesetzt wurde. Heute leben Christen nach dem Geist des Neuen Bundes. Der Hebräerbrief betont, daß wir – im Gegensatz zu den Israeliten, die unter dem Alten Bund lebten – für die Sündenvergebung keine Tieropfer nötig haben. Statt Tieropfer haben wir das vollkommene Opfer Jesu Christi: „Denn mit einem Opfer hat er [Jesus] für immer die vollendet, die geheiligt werden ... Wo aber Vergebung der Sünden ist, da geschieht kein Opfer mehr für die Sünde“ (Hebräer 10,14. 18).

Der Autor des Hebräerbriefs verdeutlicht, daß die Gültigkeit der Ritualopfer im Alten Bund zeitlich befristet war: „Der vordere Teil des Zeltes ist ein Sinnbild für die gegenwärtige Zeit und den in ihr herrschenden Zustand: Da werden Opfer und Gaben dargebracht, die nicht die Kraft haben, die Menschen, die sie darbringen, in ihrem Innern vollkommen zu machen, so daß ihr Gewissen sie nicht mehr anklagt. Da geht es allein um Vorschriften über Essen und Trinken und über religiöse Waschungen, also um äußerliche, irdisch-vergängliche Vorschriften, die nur auferlegt waren bis zu dem Zeitpunkt, an dem Gott die wahre Ordnung aufrichten würde“ (Hebräer 9,9-10; Gute Nachricht Bibel, alle Hervorhebungen durch uns).

„Jetzt aber ist Christus gekommen als der Oberste Priester“ (Vers 11) und hat durch seinen Opfertod die Notwendigkeit von Tieropfern und die zu ihnen gehörenden Vorschriften über Ritualopfer und -waschungen aufgehoben. Dank diesen klaren Aussagen vertritt heute niemand die Ansicht, daß Christen der Pflicht unterliegen, Tiere, Mehlspeisen oder Wein zu opfern.

Gibt es andere Gesetze bzw. Vorschriften des Alten Testaments, die zum Alten Bund gehörten und durch Jesu Opfertod ebenfalls außer Kraft gesetzt wurden? Einige Theologen sind der Meinung, daß die Zehn Gebote, die Gott am Berg Sinai den Israeliten verkündete, mit den Alten Bund identisch seien. Stimmt diese Meinung, dann wären mit dem Tod Jesu Christi die Zehn Gebote als Kodex ebenfalls außer Kraft gesetzt worden.

Gott geht nach Plan vor

Die Vorstellung, daß Gott bestimmte Gesetzte in Kraft treten läßt und sie dann wieder außer Kraft setzt, läßt ihn wie ein Gott erscheinen, der nach der Trial-and-Error-Methode arbeitet. So soll Gott den Israeliten Gesetze gegeben haben, die sich als unwirksam erwiesen und die er später, als er dies einsah, durch andere Gesetze ablöste.

Diese Vorstellung ist äußerst problematisch. Der Alte Bund war eine Vereinbarung zwischen Gott und Israel. Diese Vereinbarung gründete sich auf Gottes Treue und Bereitschaft, Israel zu segnen. Die Israeliten verpflichteten sich, Gott zu gehorchen und die Bestimmungen des Bundes einzuhalten. Darin versagten sie.

Der Fehler beim Alten Bund lag also nicht beim Bund selbst oder seinen Bestimmungen, sondern beim Volk Israel: „Denn wenn der erste Bund untadelig gewesen wäre, würde nicht Raum für einen andern gesucht. Denn Gott tadelt sie [Israel] ... Denn sie sind nicht geblieben in meinem Bund“ (Hebräer 8,7-9). Interessant ist, daß das Gesetz Gottes auch ein wesentlicher Aspekt des Neuen Bundes ist: „Ich will mein Gesetz geben in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich es schreiben und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein“ (Vers 10).

Darüber hinaus hatte Gott das Opfer seines Sohnes lange vor dem Inkrafttreten des Alten Bundes vorgesehen. Darüber berichtet uns u. a. der Apostel Petrus: „Ihr [seid] nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst ... von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen“ (1. Petrus 1,18-20).

Somit waren auch die Veränderungen über Tieropfer und Waschungen, die im Hebräerbrief erwähnt werden, nicht ein genialer Einfall Gottes in letzter Minute, um sich aus dem gescheiterten Alten Bund zu „retten“! Gott hatte sie von vornherein vorgesehen: Er arbeitet nach Plan.

Auf diesen Plan ist Verlaß, denn Gott ist absolut zuverlässig. Der Apostel Jakobus schreibt: „Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis“ (Jakobus 1,17). In der Bibel ist Licht ein Sinnbild für Gerechtigkeit, und Finsternis ein Symbol für Ungerechtigkeit. In bezug auf gerechtes Verhalten ändert Gott sich nicht! Seine Gebote, die seine Gerechtigkeit definieren (Psalm 119,172), sind nicht heute gut und morgen schlecht. Sonst wäre Gott nicht unwandelbar, und auf ihn wäre überhaupt kein Verlaß.

Welche Bibelstellen gelten als Beweis?

Die Behauptung, die Zehn Gebote seien der Alte Bund, stützt sich auf bestimmte Bibelstellen im Alten Testament, die zur Begründung dieser Interpretation immer wieder angeführt werden. Es gilt daher, diese Abschnitte zu kennen und richtig zu verstehen.

Die erste Stelle finden wir in 5. Mose 4, Verse 11-13: „Da tratet ihr herzu und standet unten an dem Berge; der Berg aber stand in Flammen bis in den Himmel hinein, und da war Finsternis, Wolken und Dunkel. Und der Herr redete mit euch mitten aus dem Feuer. Seine Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt, nur eine Stimme war da. Und er verkündigte euch seinen Bund, den er euch gebot zu halten, nämlich die Zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln.“ In diesen Versen beschreibt Mose das Erscheinen Gottes am Berg Sinai. Die steinernen Tafeln sind diejenigen, die Mose während seines Aufenthaltes auf Sinai von Gott erhielt. Auf diesen Tafeln stand der Wortlaut der Zehn Gebote, „beschrieben mit dem Finger Gottes“ (2. Mose 31,18; Elberfelder Bibel).

In 5. Mose 9, Verse 8-11 finden wir eine ähnliche Beschreibung dieser Ereignisse: „Denn am Horeb erzürntet ihr den Herrn so, daß er vor Zorn euch vertilgen wollte, als ich auf den Berg gegangen war, die steinernen Tafeln zu empfangen, die Tafeln des Bundes, den der Herr mit euch schloß, und ich vierzig Tage und vierzig Nächte auf dem Berge blieb und kein Brot aß und kein Wasser trank und mir der Herr die zwei steinernen Tafeln gab, mit dem Finger Gottes beschrieben, und darauf alle Worte, die der Herr mit euch aus dem Feuer auf dem Berge geredet hatte am Tage der Versammlung. Und nach den vierzig Tagen und vierzig Nächten gab mir der Herr die zwei steinernen Tafeln des Bundes.“

Im Hebräischen werden die Zehn Gebote die zehn „Worte“ Gottes genannt. Im Urtext der Bibel kommt in diesem Zusammenhang das Wort „Gebot“ nicht vor. Es ist jedoch klar, daß mit den zehn „Worten“ die Zehn Gebote gemeint sind: Gott hatte ihren Wortlaut auf die beiden Steintafeln eingetragen, die er Mose übergab.

In 1. Könige 8, Vers 9 und auch in Vers 21 werden diese zwei steinernen Tafeln ebenfalls die „Tafeln des Bundes“ genannt. In diesen Bibelstellen sehen manche Theologen eine unzertrennliche Verknüpfung zwischen dem Alten Bund und den Zehn Geboten. Ist der Alte Bund „veraltet und überlebt“ (Hebräer 8,13), so sind es nach dieser Verknüpfung auch die Zehn Gebote.

Mit den „Tafeln des Bundes“ befassen wir uns im weiteren Verlauf dieses Artikels nochmals. Zunächst ist es hilfreich zu verstehen, was beim Bundesschluß am Berg Sinai geschehen ist.

Israel am Berg Sinai

Den Wortlaut der Zehn Gebote finden wir bekanntlich in 2. Mose, Kapitel 20. Die ersten „Verhandlungen“ über den Alten Bund fanden jedoch vorher statt, und zwar unmittelbar nach der Ankunft der Israeliten in der Wüste Sinai, dem Berg Sinai gegenüber (2. Mose 19,1). Gott wies Mose an, den Israeliten sein Angebot eines besonderen Bundes vorzulegen: „So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern“ (Verse 3-5).

Mose berichtete den Ältesten Israels und den Israeliten von Gottes Angebot, und das Volk Israel akzeptierte es: „Mose kam und berief die Ältesten des Volks und legte ihnen alle diese Worte vor, die ihm der Herr geboten hatte. Und alles Volk antwortete einmütig und sprach: Alles, was der Herr geredet hat, wollen wir tun“ (2. Mose 19,7-8). Danach sollten sich Israeliten auf die Begegnung mit Gott vorbereiten, denn drei Tage später wollte er „vor allem Volk herabfahren auf den Berg Sinai“ (Vers 11).

Die Feststellung ist wichtig, daß Israel seine Bereitschaft erklärt hatte, den Bund mit Gott einzugehen, bevor Gott vom Berg Sinai aus die Zehn Gebote verkündete. An anderen Stellen im Alten Testament wird die Beziehung Gottes zu Israel im Alten Bund mit einer Ehe verglichen (Jeremia 3,6-9). So gesehen könnte das Geschehen in 2. Mose 19 wie ein „Heiratsantrag“ sein: Gott bot Israel die Ehe an, und Israel erklärte sich dazu bereit.

Gottes Angebot an Israel beinhaltete zwei Bedingungen: Israel sollte ihm gehorchen („meiner Stimme gehorchen“), und ihm treu sein („meinen Bund halten“). Das Wort für Bund im hebräischen Urtext ist dasselbe Wort, das im Alten Testament auch für Bünde zwischen Menschen und Nationen verwendet wird. Es bedeutet eine Vereinbarung, die solange gilt, wie die Bedingungen der Vereinbarung eingehalten werden. In solchen Fällen sind die Bedingungen der Vereinbarung nicht gleichbedeutend mit der Vereinbarung selbst.

Gottes Bund mit Israel gründete sich auf die Bereitschaft der Israeliten, der Stimme Gottes zu gehorchen. In 2. Mose 34, Verse 27-28 finden wir eine Bestätigung dieser Sichtweise: „Der Herr sagte zu Mose: Schreib alle diese Anordnungen auf! Auf ihrer Grundlage schließe ich meinen Bund mit dir und dem Volk Israel. Vierzig Tage und vierzig Nächte blieb Mose auf dem Berg beim Herrn, ohne zu essen und zu trinken. Er schrieb auf die Steintafeln die Grundregeln des Bundes zwischen Gott und seinem Volk, die Zehn Gebote“ (Gute Nachricht Bibel).

Während seines Aufenthaltes auf dem Berg Sinai sollte Mose die diversen Anweisungen Gottes notieren. Diese Anweisungen waren Details, die auf den Prinzipien und dem Geist der Zehn Gebote fußten. Zusammen mit den Zehn Geboten bildeten sie die Grundlage für die Vereinbarung, die Gott mit Israel schloß.

Wie beschreibt Gott den Alten Bund und die Zehn Gebote?

Wie wir im Jakobusbrief gelesen haben, ist Gott konsequent. Logisch gesehen muß daher Gottes Beschreibung des Alten Bundes und der Zehn Gebote, sofern die Zehn Gebote der Alte Bund sind, die gleiche sein. Wäre sie unterschiedlich oder gar gegensätzlich, dann würde Gott sich widersprechen, und auf die Bibel wäre kein Verlaß. In Johannes 10, Vers 35 hat Jesus gesagt: „Die Schrift kann doch nicht gebrochen werden.“

Wie werden die Zehn Gebote bzw. das Gesetz Gottes in der Bibel beschrieben? In Psalm 119, Vers 172 lesen wir dazu: „Meine Zunge soll singen von deinem Wort; denn alle deine Gebote sind gerecht.“ In Psalm 19 schrieb David: „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und erquickt die Seele“ (Vers 8). Im Neuen Testament verwendete der Apostel Paulus ähnliche Worte, um das Gesetz Gottes zu beschreiben: „So ist also das Gesetz heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut“ (Römer 7,12).

Der Zusammenhang, in dem Paulus das Gebot Gottes „heilig, gerecht und gut“ nennt, ist besonders wichtig. Er zeigt uns, daß sich Paulus direkt auf eines der Zehn Gebote bezieht – das zehnte Gebot gegen Begehren: „Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde erkannte ich nicht außer durchs Gesetz. Denn ich wußte nichts von der Begierde, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: Du sollst nicht begehren!“ (Römer 7,7). Damit zitiert Paulus die Worte, die Gott am Berg Sinai gesprochen hatte. Das Gebot, das in diesem Satz enthalten ist, ist „heilig, gerecht und gut“.

Die Attribute, die in den zitierten Bibelstellen benutzt werden, um das Gesetz bzw. die Gebote Gottes zu beschreiben, spiegeln auch die Wesensart Gottes wider. Gott ist gerecht, vollkommen, heilig, gut und wahrhaftig. Gottes Gesetz ist also nicht lediglich eine Auflistung diverser Vorschriften, sondern Ausdruck seines Wesens bzw. seiner Gesinnung.

Wie wir im Jakobusbrief bereits gelesen haben, ist Gott unwandelbar – in seiner Wesensart ändert er sich nicht. Was er heute „heilig, gerecht und gut“ nennt, wird nicht morgen schlecht und ungerecht sein. Das gilt besonders für Gottes Gebote, die seine Wesensart der Liebe widerspiegeln.

Wie beschreibt nun das Neue Testament den Alten Bund? Im Hebräerbrief lesen wir, daß der Alte Bund sozusagen fehlerhaft war: „Nun aber hat er [Jesus] ein höheres Amt empfangen, wie er ja auch der Mittler eines besseren Bundes ist, der auf bessere Verheißungen gegründet ist. Denn wenn der erste Bund untadelig gewesen wäre, würde nicht Raum für einen andern gesucht“ (Hebräer 8,6-7).

Wenn die Gleichung stimmt, daß die Zehn Gebote der Alten Bund sind, dann dürfen wir in diesen beiden Versen die Gebote anstelle des Bundes erwähnen. Verse 6-7 lesen sich dann in etwa so: „Nun aber hat er [Jesus] ein höheres Amt empfangen, wie er ja auch der Mittler besserer Gebote ist, die auf bessere Verheißungen gegründet sind. Denn wenn die ersten Gebote untadelig gewesen wären, würde nicht Raum für andere gesucht.“

Da sowohl Altes als auch Neues Testament bestätigen, daß die Gebote Gottes vollkommen, gerecht und gut sind, ist diese Lesart völlig abwegig! Die Sichtweise, wonach die Zehn Gebote der Alte Bund sind, läßt Gott sich widersprechen und macht ihn so zum Lügner, obwohl die Bibel klar sagt, daß Gott nicht lügt (Titus 1,2).

An dieser Stelle hören die Widersprüche aber nicht auf. In Hebräer 8, Vers 8 erfahren wir, daß Gottes Tadel beim Alten Bund dem Volk Israel galt: „Denn Gott tadelt sie [die Israeliten] und sagt: Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, da will ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen.“ Der Tadel beim Alten Bund lag daran, daß die Israeliten nicht in der Lage waren, sich an ihre Vereinbarung mit Gott zu halten.

Wie wird Gott dies ihnen im Neuen Bund ermöglichen? Statt sein Gesetz abzuschaffen, wird Gott sein Gesetz den Israeliten in den Sinn und ins Herz schreiben: „Denn das ist der Bund, den ich schließen will mit dem Haus Israel nach diesen Tagen, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz geben in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich es schreiben und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein“ (Hebräer 8,10).

An dieser Stelle zitiert der Autor des Hebräerbriefs den Propheten Jeremia (Jeremia 31,33). Im hebräischen Urtext der Bibelstelle bei Jeremia wird für Gesetz das Wort „Thora“ verwendet. Nach ihrer Tradition hatten die Juden die ersten fünf Bücher des Alten Testamentes die Thora genannt. In diesen Büchern finden wir die Zehn Gebote und die Gesetze Gottes. Wenn die Zehn Gebote der Alte Bund sein sollen, warum inspirierte Gott dann den Propheten Jeremia zu der Vorhersage, daß Gott beim Neuen Bund seinem Volk die Thora in den Sinn und ins Herz schreiben wird?

Problematische Aussagen im Alten und Neuen Testament

Diejenigen, für welche die Zehn Gebote der Alte Bund sind, unterliegen auch bei anderen Aussagen der Bibel der Erklärungsnot. Ein Beispiel finden wir in Römer 3, Vers 31: „Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.“ Da die Zehn Gebote Teil des Gesetzes Gottes sind, würde Paulus mit dieser Aussage auch aussagen, daß „wir den Alten Bund aufrichten“. Da Paulus diese Feststellung nach dem Opfertod Jesu trifft, stellt sich dann die Frage, wieso man den Alten Bund aufrichtet, der durch den Tod Jesu veraltet ist.

Ein weiteres Beispiel einer problematischen Aussage gibt es bei der Beschreibung des formellen Bundesschlusses in 2. Mose 24. In Vers 3 wiederholt das Volk Israel seine Bereitschaft, die es in 2. Mose 19 bereits kundgetan hatte, die Anordnungen Gottes als Grundlage für den Alten Bund anzunehmen: „Mose kam und sagte dem Volk alle Worte des Herrn und alle Rechtsordnungen. Da antwortete alles Volk wie aus einem Munde: Alle Worte, die der Herr gesagt hat, wollen wir tun.“

Die Worte, die Gott selbst gesprochen hatte, waren die Zehn Gebote. Die anderen Gesetze und Rechtsordnungen stammten ebenfalls von Gott, wurden jedoch dem Volk durch Mose übermittelt (vgl. dazu 2. Mose 20,19). Mose schrieb „alle Worte des Herrn nieder“ (2. Mose 24,4), und diese Worte werden „das Buch des Bundes“ genannt (Vers 7).

Der formelle Bundesschluß erfolgte, als Mose diese Worte wiederholte, das Volk nochmals seine Bereitschaft zum Gehorsam kundtat und der Bund durch das Besprengen von Blut besiegelt wurde: „Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volks. Und sie sprachen: Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun und darauf hören. Da nahm Mose das Blut und besprengte das Volk damit und sprach: Seht, das ist das Blut des Bundes, den der Herr mit euch geschlossen hat auf Grund aller dieser Worte“ (2. Mose 24,7-8).

Mose nannte das Blut der Opfertiere, mit dem das Volk besprengt wurde, „das Blut des Bundes“. Wer die Interpretation vertritt, daß der Ausdruck „die Tafeln des Bundes“ die Bedeutung hat, daß die Zehn Gebote – die auf den Steintafeln standen – der Alte Bund sind, muß konsequenterweise auch die Interpretation annehmen, daß nicht nur die Zehn Gebote, sondern auch das Blut der Opfertiere ebenfalls der Alte Bund war.

Vers 8 zeigt uns hingegen, wie man die Sache richtig verstehen soll: Die Worte Gottes waren die Grundlage für die Vereinbarung zwischen Israel und Gott, die wir als den Alten Bund kennen. In der ganzen Bibel gibt es keine eindeutige Aussage, wonach die Zehn Gebote der Alte Bund sind und daher heute abgeschafft sind. Im Gegenteil: Die Prophezeiungen über den Neuen Bund zeigen, daß das Gesetz Gottes nach wie vor zur Grundlage der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk gehören wird.

Worum geht es wirklich?

Für viele, die sich der Theorie verschrieben haben, daß die Zehn Gebote der Alte Bund sind, geht es in Wirklichkeit um nur eines der Zehn Gebote. An den anderen neun Geboten haben sie im Prinzip nichts auszusetzen. Welches Gebot ist das problematische?

Es ist das vierte Gebot, das Sabbatgebot. Von den Zehn Geboten wird dieses eine Gebot am meisten mißverstanden und mißachtet. Darin sehen manche lediglich ein Überbleibsel aus der jüdischen Geschichte, das keine Geltung für Nichtjuden hat und in unserer heutigen schnellebigen Zeit sowieso kaum praktikabel ist. Die Schlußfolgerung, die sich aus dieser Denkweise ergibt, ist, daß der Sabbat kein Teil des Neuen Bundes ist.

Die Prophezeiungen der Bibel über die Zeit, in der Gott den Neuen Bund mit Israel schließt, beschreiben Jesus als Haupt einer buchstäblichen Regierung, die über materielle Nationen auf Erden herrschen wird (Psalm 22,27-28; Daniel 2,34-35; Sacharja 14,8-9). Zu jener Zeit werden alle Nationen die Gesetze Gottes kennen und halten (Micha 4,2; Jesaja 2,2-3).

In dieser Zeit werden alle Menschen den Sabbat kennenlernen und halten: „Und alles Fleisch wird einen Neumond nach dem andern und einen Sabbat nach dem andern kommen, um vor mir anzubeten, spricht der Herr“ (Jesaja 66,23). Der Sabbat wird also von den Heiden, die nie Teil der physischen Nation Israel waren, gehalten werden: „So spricht der Herr: Wahret das Recht und übt Gerechtigkeit; denn mein Heil ist nahe, daß es komme, und meine Gerechtigkeit, daß sie offenbart werde. Wohl dem Menschen, der dies tut, und dem Menschenkind, das daran festhält, das den Sabbat hält und nicht entheiligt und seine Hand hütet, nichts Arges zu tun ...

Den Verschnittenen, die meine Sabbate halten und erwählen, was mir wohlgefällt, und an meinem Bund festhalten, denen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben; das ist besser als Söhne und Töchter. Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll. Und die Fremden, die sich dem Herrn zugewandt haben, ihm zu dienen und seinen Namen zu lieben, damit sie seine Knechte seien, alle, die den Sabbat halten, daß sie ihn nicht entheiligen, und die an meinem Bund festhalten, die will ich zu meinem heiligen Berge bringen und will sie erfreuen in meinem Bethaus“ (Jesaja 56,1-2. 4 -7).

Das Halten des Sabbats wird also als Teil des Bundes erwähnt, den Gott zu dieser Zeit mit allen Völkern schließen wird. Jesus, der König der Welt von morgen und „Herr über den Sabbat“ (Markus 2,28), ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit (Hebräer 13,8). Es ist daher unlogisch zu glauben, daß der Sabbat im Alten Bund – gestern – zu halten war und im Neuen Bund – im Millennium – zu halten sein wird, aber heute nicht zu halten ist.