Ist das Gesetz Gottes von Natur aus im Herzen von Nichtchristen? Ist ein gutes Gewissen ein Ersatz für das bewußte Halten der Zehn Gebote?

Von der Redaktion

Es gibt viele nette Leute in dieser Welt. Sie tun gute Werke: Sie arbeiten als ehrenamtliche Helfer in ihrer Stadt oder Gemeinde, spenden für wohltätige Zwecke, adoptieren Waisen oder kümmern sich um den Tier- bzw. Umweltschutz.

In den nichtchristlichen Religionen gibt es Gesetze, die den Zehn Geboten – besonders den letzten sechs – ähneln. Für diese Religionen ist jedoch die Heilige Schrift nicht der Maßstab zur Definition gerechten Verhaltens. Beispielsweise ist der Koran für den Islam maßgebend, in welchem der Verzehr von Schweinefleisch und Ehebruch verboten werden. Es gibt Chinesen, die sich an die Lehre von Konfuzius halten, der die sogenannte „silberne Regel“ vertrat: „Tue anderen das nicht an, was du nicht von ihnen angetan werden möchtest.“ Stammesreligionen achten Gesetze gegen Diebstahl und Mord. Selbst Atheisten verurteilen Mord, Diebstahl und sonstige Verletzungen unserer Mitmenschen und deren Privatsphäre.

Das Gesetz von Natur aus halten?

Es gibt eine Bibelstelle, die einige in dem Bemühen zitieren, zu belegen, daß alle Menschen von Natur aus „sich selbst ein Gesetz“ sein können: Römer 2, Verse 14-15. Nachfolgend der Wortlaut dieser Bibelstelle:

„Denn wenn Nationen, die kein Gesetz haben, von Natur dem Gesetz entsprechend handeln, so sind diese, die kein Gesetz haben, sich selbst ein Gesetz. Sie beweisen, daß das Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben ist, indem ihr Gewissen mit Zeugnis gibt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch entschuldigen“ (Elberfelder Bibel; alle Hervorhebungen durch uns).

Wie soll man diese beiden Verse verstehen? Üblicherweise werden sie folgendermaßen interpretiert:

„Alle werden gerichtet, entweder vom Gesetz Gottes oder von ihrem eigenen [Gesetz]. Das Gericht gilt gleichermaßen Juden und Heiden. Beide werden von ihrem jeweiligen Gesetz gerichtet: die Juden vom Gesetz des Mose (besonders den Zehn Geboten), die Heiden vom Gesetz, das Gott ihnen in ihr eigenes Gewissen geschrieben hat“ (Harold L. Willmington, Willmington’s Bible Handbook, 1997).

„Viele der [im Gesetz enthaltenen] Dinge mögen die Heiden tun: Eltern respektieren, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit. Insofern zeigen sie, daß sie für sich ein Gesetz hatten“ (Albert Barnes, Barnes’ Notes, Biblesoft, 1997).

„Durch das Licht, das Gott jedem Menschen zuteilt, sind die im Gesetz enthaltenen Dinge wie Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Mäßigung und Wahrheit, deren Ausübung das Gesetz so klar vorschreibt, ein Gesetz für sich. Die Heiden verantworten sich keinem anderen Gesetz und sollen von keinem anderen als dem gerichtet werden, unter dem sie leben“ (Adam Clarke’s Commentary, Biblesoft, 1996).

Die Sichtweise, daß ein Mensch, der Gott nicht kennt, nicht vom Gesetz Gottes, sondern sozusagen vom eigenen Instinkt gerichtet wird, läßt einige den Schluß ziehen, daß ein liebevoller Gott gute Menschen – ganz gleich, welche Religion sie praktiziert haben – nicht in die Hölle schicken wird.

In diesem Sinne stellte Robert Brinsmead fest: „Die Welt hat es nötig, von dem Sauerteig des Geistes Jesu durchsäuert zu werden, der alle Religionen ignorieren und übersteigen wird ..., der keinen Unterschied zwischen Jude und Heide, Christ und Muslim macht. Manchmal erkennen die Menschen seinen [Jesu] Geist und zeigen auf ihre Weise, daß sie wirklich an ihn glauben, obwohl sie die Geschichte von seinem Tod und seiner Auferstehung noch nicht gehört haben“ (The Christian Verdict, Christian Research Institute, Sonderausgabe vom 19. November 1993).

Widerspricht sich die Bibel?

Für Christen ist die Frage, ob sich die Bibel widerspricht, von fundamentaler Wichtigkeit. Jesus stellte fest, daß Gottes Wort „die Wahrheit“ ist und daß es – die Heilige Schrift – „nicht gebrochen werden“ kann (Johannes 17,17; 10,35). Würde sich die Bibel widersprechen, wären ihre Wahrhaftigkeit und damit auch ihre Glaubwürdigkeit bzw. Zuverlässigkeit in Frage zu stellen. Für den Glauben an Dinge, die man noch nicht sehen kann, die aber für unsere Zukunft verheißen sind (Hebräer 11,1), wäre das ein äußerst wackliges Fundament.

Vor diesem Hintergrund fragen wir: Wie verhält es sich mit der Sichtweise, daß sich der nichtberufene Mensch von Natur aus an dem ihm unbekannten Gesetz Gottes orientiert? Hatte der alte chinesische Lehrer Konfuzius das Gesetz Gottes in seinem Herzen? Sind diejenigen, die Gott nicht kennen, dem Gesetz Gottes keine Rechenschaft schuldig, weil sie das Gesetz sowieso instinktiv halten?

Wenn ja, so könnte man meinen, daß man auf eine Art „Christ“ sein könnte, ohne das Gesetz Gottes, die Bibel oder gar Gott selbst kennen zu müssen. Darüber hinaus könnte man die Notwendigkeit, das Evangelium zu predigen, in Frage stellen, denn die Heiden, die „sich selbst ein Gesetz“ sind, wären in diesem Zustand auf eine Art bereits „in Ordnung“ und hätten kein zusätzliches Gesetz nötig. Dann wäre auch der heilige Geist nicht notwendig, denn solche Menschen würden ohne die Hilfe dieses Geistes bereits „gehorchen“ (vgl. Apostelgeschichte 5,32) und hätten die Belehrung durch den Geist nicht nötig (Johannes 14,26).

Damit können wir bereits einen Widerspruch zu der zitierten Interpretation der Bibelstelle in Römer 2 ableiten. Gottes Plan sieht vor, daß alle Menschen das Evangelium hören werden, ob in diesem gegenwärtigen Leben oder beim Gericht vor dem Großen Weißen Thron (dargestellt durch das letzte der Jahresfeste Gottes, den Letzten Großen Tag). Nach Jesu eigenen Worten werden diejenigen gerettet, die an das Evangelium glauben und ihre eigene Lebensführung entsprechend der Anforderungen des Evangeliums ausrichten (Markus 1,14-15; 16,16).

Wer die Feste Gottes und ihre symbolische Bedeutung nicht kennt, weiß auch nicht, wie Gott es für alle Menschen möglich machen wird, das wahre Evangelium kennenzulernen und damit die Gelegenheit zur Reue zu bekommen. Deshalb könnte man meinen, daß für einige die Bibelstelle in Römer 2, Verse 14-15 eine Antwort auf die Frage ist, wie den Menschen, die Gott nicht kennen bzw. kannten, doch noch eine positive Zukunft bevorstehen könnte.

Und die ersten vier Gebote?

Warum hält der Mensch von Instinkt aus nicht die ersten vier der Zehn Gebote? Warum kommt er nicht von selbst auf den Gedanken, keine anderen „Götter“ vor dem wahren Gott zu haben, keine Bildnisse anzubeten oder als Anbetungshilfe einzusetzen, Gottes Namen nicht zu mißbrauchen und den siebten Tag der Woche als von Gott geheiligten Ruhetag zu halten?

Im Gegenteil: In bezug auf diesen Teil des Gesetzes Gottes ist der Mensch „sich selbst“ eben kein Gesetz! In heidnischen Religionen werden Götzen benutzt, und den Sabbat halten eigentlich nur diejenigen, die Gottes Wort kennen.

Die Bibel zeigt uns, daß der natürliche Mensch nicht in der Lage ist, das Gesetz Gottes zu halten: „Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag’s auch nicht. Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen“ (Römer 8,7-8). Wann hört man auf, „fleischlich gesinnt“ zu sein? Wenn der heilige Geist in uns wohnt: „Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt“ (Vers 9).

Das griechische Wort physis, das in Römer 2, Vers 14 mit „Natur“ übersetzt wurde, hat mehrere Anwendungen: „die natürliche Ordnung, die Geburt, physische Herkunft, Gewohnheiten, Wachstum, linealische Abstammung“ usw. (Thayer’s Greek Lexicon, Biblesoft, 2000 und Strong’s Concordance, 1994).

Wie wird dieses Wort in anderen Bibelstellen benutzt? Hier sind zwei Beispiele: „Hat Gott die natürlichen [physis] Zweige nicht verschont, wird er dich doch wohl auch nicht verschonen“ (Römer 11,21) und „Denn wenn du aus dem Ölbaum, der von Natur [physis] wild war, abgehauen und wider die Natur [physis] in den edlen Ölbaum eingepfropft worden bist, wieviel mehr werden die natürlichen Zweige wieder eingepfropft werden in ihren eigenen Ölbaum“ (Römer 11,24).

Diejenigen, die jüdischer Abstammung waren, waren in der Hinsicht die „natürlichen Zweige“, indem Gott zunächst mit ihnen arbeitete. Aufgrund ihrer natürlichen Abstammung als Juden hörten sie gewohnheitsmäßig in Synagogen und im Tempel das Gesetz: „Mose hat von alten Zeiten her in allen Städten solche, die ihn predigen, und wird alle Sabbattage in den Synagogen gelesen“ (Apostelgeschichte 15,21).

Das Gesetz verlieh ihrer Gesellschaft eine gewisse Struktur und wurde so in einem Sinne zu ihrer gewohnheitsmäßigen Sichtweise, denn den Juden war „anvertraut, was Gott geredet hat“ (Römer 3,2). Der durchschnittliche Jude hatte so viel mehr Berührung mit richtigen moralischen Prinzipien als der durchschnittliche Heide: „Wir sind von Geburt [physis, „von Natur“ (Elberfelder Bibel)] Juden und nicht Sünder aus den Heiden“ (Galater 2,15).

Reue ist notwendig, nicht Instinkt

Für die Juden war das Gesetz jedoch etwas Äußerliches. Das Gesetz zu kennen bzw. zu hören reichte nicht aus: „Denn vor Gott sind nicht gerecht, die das Gesetz hören, sondern die das Gesetz tun, werden gerecht sein“ (Römer 2,13).

Das Thema setzt sich in Vers 14 fort: „Denn wenn Heiden ... tun, was das Gesetz fordert ...“ Das Wort „denn“ in diesem Vers „liefert den Grund für die vorangegangene Feststellung oder Meinung“, so Thayer’s Greek Lexicon. Die vorangegangene Feststellung – Vers 13 – besagt, daß die Täter des Gesetzes „gerecht sein“ werden. Zu den potentiellen Tätern des Gesetzes gehören auch die Heiden (Vers 14), mit dem Resultat, daß das Gesetz „in ihr Herz geschrieben ist“.

Juden und Heiden, die nicht reumütig sind, werden hingegen nicht gerecht sein; folglich wird das Gesetz auch nicht in ihr Herz geschrieben sein. Bestimmt hielten unreumütige Juden (Hörer des Gesetzes) einige der Gesetze Gottes. Trotzdem war das Gesetz nicht in ihr Herz geschrieben. Wie konnte denn das Gesetz in den Herzen unreumütiger Heiden sein, die das Gesetz nicht einmal hörten?

In Kapitel 1 beschreibt Paulus unreumütige Heiden: „Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn ihre Frauen haben den natürlichen [physikos] Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen; desgleichen haben auch die Männer den natürlichen [physis] Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihrer Verirrung, wie es ja sein mußte, an sich selbst empfangen“ (Verse 26-27).

In diesen Versen wird eine Eigenschaft genannt, die instinktiv bzw. „angeboren“ ist. Es ist eine von Gott gewollte natürliche Eigenschaft von Männern und Frauen, daß sie sich vom jeweils anderen Geschlecht angezogen fühlen. Die Fähigkeit hingegen, diese geschlechtliche Anziehung in richtige Bahnen zu lenken, ist nicht instinktiv: „Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen“ (Matthäus 5,28).

Ist das Gesetz dann in die Herzen von allen Heiden geschrieben, die nur zufällig einige der Gesetze Gottes halten? Wäre das nicht eine Form des Legalismus – der Versuch, die Rechtfertigung ohne Christus zu erlangen?

Der Expositor’s Bible Commentary erklärt, welche Heiden Paulus in Römer 2, Vers 14 gemeint hat: „Er scheint bestrebt zu sein, den Eindruck zu meiden, daß er die Heiden in ihrer Gesamtheit behandelt (er schreibt ,Heiden‘ und nicht ,die Heiden‘). Er hat Einzelfälle im Sinn, nicht die Masse der Heiden. Darüber hinaus wäre der Kontrast mit Kapitel 1, würde er in Vers 14 alle Menschen außer den Juden meinen, derart groß sein, daß damit ein Widerspruch angedeutet würde“ (Zondervan Reference Software, 1998).

Bei diesen „Einzelfällen“, die Paulus in Vers 14 meint, handelte es sich um bekehrte Heiden und nicht um alle Heiden, deren natürlicher Instinkt die Befolgung des Gesetzes wäre. Durch den Prozeß der Bekehrung kann das Gesetz in die Herzen von Juden und Heiden geschrieben werden. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wiederholt Paulus die Gegenüberstellung von unbekehrten Juden und bekehrten Heiden:

„Und so wird der, der von Natur [physis] unbeschnitten ist und das Gesetz erfüllt, dir ein Richter sein, der du unter dem Buchstaben und der Beschneidung stehst und das Gesetz übertrittst. Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist, auch ist nicht das die Beschneidung, die äußerlich am Fleisch geschieht; sondern der ist ein Jude, der es inwendig verborgen ist, und das ist die Beschneidung des Herzens, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht. Das Lob eines solchen ist nicht von Menschen, sondern von Gott“ (Römer 2,27-29).

In diesem Abschnitt wird klar gezeigt, daß die Heiden von Natur aus unbeschnitten sind. Ihr Halten des Gesetzes geschah nicht instinktiv, sondern durch den Geist Gottes, durch den sie die Beschneidung des Herzens erfahren hatten.

Die „geistliche Beschneidung“ ist eine Veränderung des natürlichen Herzens, genauso wie die körperliche Beschneidung eine Veränderung des natürlichen Körpers ist. Voraussetzung für diese geistliche Beschneidung ist Reue.

Die Prophezeiungen über den Neuen Bund zeigen, daß Gott das Herz des Menschen verändern wird: „Denn das ist der Bund, den ich schließen will mit dem Haus Israel nach diesen Tagen, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz geben in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich es schreiben und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein“ (Hebräer 8,10). „Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun“ (Hesekiel 36,26-27).

Da Gott den Menschen im Neuen Bund ein neues Herz schenken wird, damit sie seine Gebote halten, können die Menschen, die noch nicht in den Neuen Bund mit Gott eingetreten sind, unmöglich sein Gesetz instinktiv halten – sonst müßte Gott ihnen kein neues Herz schenken!

Satzzeichen falsch gesetzt?

In dem bisher Behandelten wurde deutlich, wie andere Bibelstellen die These widerlegen, der Mensch würde instinktiv das Gesetz Gottes halten. Vor diesem Hintergrund sehen wir uns nun eine andere, zwar weniger populäre Interpretation von Römer 2, Vers 14 an, die jedoch nach Meinung der Kommentatoren möglich ist. Diese andere Lesart stellt die traditionelle Punktion in Vers 14 in Frage.

Der griechische Urtext enthält weder eine Einteilung nach Versen noch Satzzeichen. Es waren Bibelübersetzer und Drucker, die sie später einfügten. In den allermeisten Fällen ändert die Stellung der Satzzeichen nicht den von Gott beabsichtigten Sinn des Verses. In einigen Fällen jedoch spiegelt die Stellung eines Satzzeichens die Vorurteile des Übersetzers über die vermeintlich richtige Bedeutung des Textes wider.

Als Beispiel lesen wir Lukas 23, Vers 43: „Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Die traditionelle Punktion in diesem Vers weist auf die Überzeugung hin, der zusammen mit Christus gekreuzigte Übeltäter wäre noch am Tag seines Todes ins Paradies gekommen. Statt dessen wird dieser Mann erst beim Gericht vor dem großen weißen Thron wieder leben (Offenbarung 20,11-12). Vers 43 mit der Punktion, die den Sinn richtig wiedergibt, lautet also: „Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir heute: Du wirst mit mir im Paradies sein.“

In Römer 2, Vers 14 gehen die Übersetzer davon aus, daß das zweite Komma vor „von Natur“ zu setzen ist, wie nachfolgend aus der Elberfelder Bibel zitiert: „Denn wenn Nationen, die kein Gesetz haben, von Natur dem Gesetz entsprechend handeln, so sind diese, die kein Gesetz haben, sich selbst ein Gesetz.“

Setzt man das Komma jedoch nach „von Natur“, so ergibt sich ein völlig anderer Sinn: „Denn wenn Nationen, die kein Gesetz haben von Natur, dem Gesetz entsprechend handeln, so sind diese, die kein Gesetz haben, sich selbst ein Gesetz.“ In seinem Kommentar The Epistle to the Romans schreibt Leon Morris: „Die Frage ist, ob es [das Komma] zum Vorhergehenden gehört (‚die kein Gesetz haben‘) oder dem Nachfolgenden zuzuordnen ist (‚dem Gesetz entsprechend handeln‘). Gewöhnlich wird angenommen, daß letzteres richtig ist, aber das erste ist ebenfalls möglich ... Schlußendlich müssen wir beide Möglichkeiten offen lassen“ (1988, Seite 124).

Diese andere Lesart besagt, daß die Heiden das Gesetz nicht von Natur aus besitzen bzw. halten, was mit anderen Aussagen der Bibel übereinstimmt. Es ist freilich möglich, daß die Heiden Teile von dem Gesetz Gottes halten, was nicht bedeutet, daß sie dies instinktiv tun.

Warum haben Übersetzer das fragliche Komma in diesem Vers vor „von Natur“ gesetzt und damit die Sichtweise vermittelt, daß man Gott von Natur aus gehorcht? Vielleicht wurden sie von der gesetzesfeindlichen Vorstellung beeinflußt, wonach man nicht dem Gesetz Gottes, sondern nur dem eigenen Gewissen zu folgen braucht.

Dazu wieder Leon Morris: „Viele Kommentatoren sehen in dieser Auslegung eine Ähnlichkeit mit dem ‚ungeschriebenen Gesetz‘ mancher heidnischer Autoren. Damit meinen sie etwas in den Menschen, das ihnen den richtigen Weg weist ... und das sie oft als wichtiger betrachten als irgendein geschriebenes Gesetz“ (Morris, Seite 125). Aristoteles wird als Beispiel angeführt: „Der kultivierte und freidenkende Mensch ist sich selbst ein Gesetz ... d. h., er hat es nicht nötig, daß ihm Regeln von außen auferlegt werden, sondern hat seine eigene selbstauferlegte Disziplin“ (ebenda).

Die menschliche Natur akzeptiert gerne die Verhaltensmaßstäbe, die ihr recht erscheinen, während andere Gesetze, die unbequem sind, ignoriert werden. Es mag sein, daß viele Menschen Diebstahl, Mord und Lüge für falsch halten, was jedoch nicht bedeutet, daß sie annähernd bekehrt sind oder das Gesetz in ihr Herz geschrieben haben. Aus diesem Grund ist die andere Punktion von Vers 14 die bessere Alternative, die die Bibel mit sich selbst im Einklang sein läßt.

Nach der Gnade Gottes kommt die Zeit, wenn die überwiegende Mehrheit der Menschheit bereuen wird. Durch die Bekehrung werden sich diese Menschen das Gesetz Gottes in ihr Herz schreiben lassen: „Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde! Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen. Hört mir zu, die ihr die Gerechtigkeit kennt, du Volk, in dessen Herzen mein Gesetz ist!“ (Jesaja 51,6-7). Freuen wir uns auf diese Zeit!