Manche Theologen verbinden das Gesetz Gottes mit Sklaverei. Nach der Bibel hingegen ist Gottes königliches Gesetz der fehlende Schlüssel zu wahrer Freiheit.
Von Noel Horner
Einige der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Unmenschlichkeit der Menschen ihren Mitmenschen gegenüber haben mit Sklaverei zu tun. Heute gibt es immer noch die Brutalität der Sklaverei.
Vor nur einem Jahrzehnt stellte das Nachrichtenmagazin Time fest: „Die internationale Organisation für Arbeit (ILO) in Genf berichtet, daß weltweit Millionen von Menschen – darunter sind auch Kinder im Alter von nur sechs Jahren – als Sklaven arbeiten. Die Arbeitsbedingungen sind gefährlich und entwürdigend und bedeuten nicht selten 18stündige Arbeitstage, Folter und sexuelle Mißhandlungen“ (11. März 1993, Seite 26).
Die Nachrichtenagentur World Press Review malte ein schreckliches Bild der Sklaverei unserer Zeit: „Männer, Frauen und Kinder, an den Beinen gekettet, hacken unter der heißen Mittagssonne Zuckerrohr nieder. Bewaffnete Wachen schlagen mit ihren Gewehren auf diejenigen Arbeiter ein, die bei ihrer Arbeit nachlassen. Zu essen gibt es nur Getreide und Wasser. Bei Einbruch der Dunkelheit kettet man die Männer an Bäume, und die Frauen schlafen entweder alleine oder mit Kindern in provisorischen Hütten. Bei Anbruch des Tageslichts am nächsten Tag dienen Tritte als Wecker“ (Ausgabe Juni 1996, Seite 44). Die Misere des Vortags wiederholt sich dann abermals.
Eine Sage der Sklaverei
Vor etwa 2500 Jahren wurde eine ganze Nation als Sklaven gehalten. Bei unserer ersten Begegnung mit Israel als Nation in der Bibel erfahren wir, daß die Israeliten, die einst als Gleichberechtigte die Fülle Ägyptens mit dessen Bürgern genossen hatten, zu Sklaven gemacht worden waren.
Die Ägypter setzten Aufseher ein, die die Israeliten „mit Zwangsarbeit bedrücken sollten. Und sie bauten dem Pharao die Städte Pitom und Ramses als Vorratsstädte“ (2. Mose 1,11). In seiner Behandlung der Israeliten war der Pharao so brutal, daß er die Tötung der männlichen Neugeborenen Israels anordnete (Vers 22).
Das Leiden von Sklaven in Ägypten wurde durch archäologische Entdeckungen bestätigt. „Das berühmte Mauergemälde des Grabes von Rekmire in Theben ... stellt den Aufseher über Sklaven dar, die zur Zeit von Thutmose III. Ziegel herstellten“ (Expositor’s Bible Commentary, Zondervan-Verlag, 1990, Band 2, Seite 304).
Das Gemälde am Grabmal Rekmires zeigt „Aufseher, die mit schweren Peitschen ausgestattet sind“ (ebenda). Mißhandlungen und Schwerstarbeit gehörten zur Tagesordnung für die Israeliten: „Zu der Zeit, als Mose groß geworden war, ging er hinaus zu seinen Brüdern und sah ihren Frondienst und nahm wahr, daß ein Ägypter einen seiner hebräischen Brüder schlug“ (2. Mose 2,11). Später sagte Gott Mose, er hätte das Geschrei der Israeliten gehört: „Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt“ (2. Mose 3,7).
Befreiung von Sklaverei
Gott erwählte Mose, um das Volk Israel aus der Knechtschaft in Ägypten zu führen (2. Mose 3,10). Durch eine Reihe dramatischer Ereignisse vollzog Gott diese Befreiung und etablierte Israel als unabhängige und freie Nation. Israels Auszug aus Ägypten gipfelte in der Trennung des Wassers vom Roten Meer, wodurch den Israeliten das Entkommen vor dem heranrückenden Heer des Pharaos möglich wurde (2. Mose 14,21-31).
Nachdem Gott die Israeliten von der Knechtschaft befreit hatte, gab er ihnen sein Gesetz. Dieses Gesetz sollte für sie der Maßstab gerechten Verhaltens sein. Statt wieder in die vertraute Lebensweise der Ägypter zu verfallen oder die Praktiken der Kanaaniter zu übernehmen (3. Mose 18,1-4), sollten die Israeliten ihre Freiheit durch die Annahme und Umsetzung der Wege Gottes bewahren.
An dieser Stelle gelangen viele Theologen und manche Christen zu einer äußerst merkwürdigen Schlußfolgerung: Gott führte Israel aus der Knechtschaft Ägyptens in eine neue Knechtschaft des Gesetzes. Aus dieser Schlußfolgerung leitet sich die Sichtweise ab, daß dieses Gesetz nur dem Volk Israel galt und daß Christen diesem Gesetz nicht untertan sind, weil Jesus das Gesetz des Alten Testamentes abschaffte.
Finden wir eine klare Aussage Jesu zum Gesetz des Alten Testamentes? In seiner Bergpredigt gibt es eine klare Stellungnahme Jesu zum Alten Testament: „Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht“ (Matthäus 5,17-18; alle Hervorhebungen durch uns).
Was meinte Jesus, als er „das Gesetz“ und „die Propheten“ erwähnte? „Jesus gibt sich Mühe, um seine Lehre und Stellung in der Heilsgeschichte in einen Bezug zum Alten Testament zu setzen. Das ist die Bedeutung von ,Gesetz‘ und ,Propheten‘ in dieser Stelle: die Heilige Schrift“ (ebenda, Band 8, Seite 142).
Jesu Worte zum Gesetz
Jesu Absicht war nicht, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen. „Jesus hatte nicht vor, das Gesetz zu verändern, geschweige denn abzuschaffen, sondern die volle Bedeutung, die in dem Gesetz enthalten ist, zu offenbaren“ (John R. Stott, The Bible Speaks Today, Inter-Varsity Press, 1978, Seite 72).
In einem Gespräch mit dem reichen Jüngling betonte Jesus, daß das Gesetz zu halten ist. Jesus wurde gefragt: „Meister, was soll ich Gutes tun, damit ich das ewige Leben habe?“ Jesu Antwort darauf lautete: „Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote“ (Matthäus 19,16-17). Die nächsten beiden Verse machen klar, daß Jesus aus den Zehn Geboten zitierte.
Trotz dieser deutlichen Worte Jesu haben manche Christen seine Lehre falsch verstanden. „In jeder Generation der christlichen Ära gab es diejenigen, die sich mit der Haltung Jesu zum Gesetz nicht anfreunden konnten ... Sie erklären, daß genau das Gesetz für Christen abgeschafft ist ... und daß es für Christen außer dem Gesetz der Liebe kein Gesetz gibt“ (ebenda).
Diejenigen, die an die Abschaffung des Gesetzes glauben, sehen in dem Gehorsam gegenüber dem Gesetz eine Art Knechtschaft. Davon, so ihre Meinung, sei der Christ befreit: Der Christ sei frei.
Steht ein Gesetz im Gegensatz zur Freiheit?
Gehorsam gegenüber einem Gesetz an sich ist wohl keine Knechtschaft. Jedes Land auf Erden, darunter Demokratien, in denen Vertreter des Volkes Gesetze beschließen, hat seine Gesetze. Macht man sich zum Sklaven, wenn man ein guter Staatsbürger ist? Oder garantiert ein funktionierender Rechtsstaat nicht gerade eine gewisse Freiheit für alle Bürger?
Viele Einwanderer sahen beispielsweise in der Möglichkeit, in den USA zu leben, eine Gelegenheit für größere Freiheit. Vielen von ihnen – besonders politisch oder religiös Verfolgten – galt „Amerika als das Gelobte Land“ (Alistair Cooke, America, 1980, Seite 278). Bei ihrer Einbürgerung als neue US-Bürger verpflichteten sich diese Einwanderer in einem Eid, „die Verfassung und die Gesetze der Vereinigten Staaten zu unterstützen“ und „ihnen zu gehorchen“.
Sehen diese Menschen, die sich durch ihre Einbürgerung freiwillig einem Gesetz unterstellen, ihr Handeln als Entscheidung für die Knechtschaft? Kaum. Sie entschieden sich für die Einbürgerung, um gesetzlich verbürgte Freiheiten zu haben.
Gottes Gesetz ist keine Knechtschaft
Wahre Freiheit ist nicht Freiheit von dem Gesetz. Ein gerechtes Gesetz richtet Freiheit auf und sichert sie. „Anders der Mensch, der tief und anhaltend in das vollkommene Gesetz Gottes blickt, das uns frei macht. Er hört nicht nur hin, um es gleich wieder zu vergessen, sondern handelt danach. Freuen darf sich, wer das wirklich tut“ (Jakobus 1,25; Gute Nachricht Bibel).
Das Gesetz Gottes ist keine Zwangsjacke, die Freiheit verhindert. Statt dessen ist es der Rahmen für eine Lebensweise, die das Wohlergehen des einzelnen und der Gesellschaft garantiert: „Wer dein Gesetz liebt, der hat Glück und Frieden, kein Hindernis kann ihn zum Straucheln bringen“ (Psalm 119,165; Gute Nachricht Bibel).
Statt die Israeliten von der Knechtschaft in Ägypten in eine weitere Form der Knechtschaft zu führen, befreite Gott sie von einer Gesellschaft, in der sie nicht vor Mißhandlungen geschützt waren. Der Gesetzeskodex der Ägypter bot den Israeliten weder Schutz noch Freiheit. Nach ihrer Befreiung erhielten sie ein Gesetz von Gott, das ihnen gerade diese Dinge gab: „Und nun höre, Israel, die Gebote und Rechte, die ich euch lehre, daß ihr sie tun sollt, auf daß ihr lebet“ (5. Mose 4,1). Es war ein vollkommenes Gesetz (Psalm 19,8). Israel „brauchte keine weiteren Vorschriften, und keine der ihnen gegebenen Vorschriften war überflüssig“ (Expositor’s, Band 3, Seite 42).
Gott beruft Christen zu einer Lebensweise der Liebe, die sich in dem Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes ausdrückt. Zur Zeit ihrer Berufung führen alle Menschen mehr oder weniger eine Lebensweise des Ungehorsams. Gott ruft uns auf, diesen Wandel zu bereuen und abzustellen: „Ihr habt euch ja lange genug an dem Treiben der Menschen beteiligt, die Gott nicht kennen; ihr habt euch hemmungsloser Gier und Ausschweifung hingegeben, habt an wüsten Freß- und Saufgelagen teilgenommen und an einem abscheulichen Götzendienst“ (1. Petrus 4,3).
Das Gesetz dient als Wegweiser zur Erkennung von Verhaltensweisen, die Sünde sind und uns versklaven: „Behaupte ich damit, daß Gesetz und Sünde dasselbe sind? Das ganz gewiß nicht! Aber ohne das Gesetz hätten wir Menschen die Sünde nie kennen gelernt. Die Begehrlichkeit wäre nicht in uns erwacht, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: Du sollst nicht begehren!“ (Römer 7,7; Gute Nachricht Bibel).
Unser neues Leben als Christen ist ein Leben der Freiheit. Unsere Freiheit ist eine Freiheit von den Konsequenzen der Sünde. Sie beginnt damit, daß wir unseren Erlöser Jesus Christus annehmen und durch ihn die Vergebung der Sünden erlangen – eine Befreiung von der Strafe des ewigen Todes, die wir sonst durch unsere Mißachtung der Lebensweise Gottes „verdient“ hatten (Römer 6,23). Wie sollen wir nach dieser Befreiung leben? Das „Gesetz der Freiheit“ weist uns den Weg!