Wie oft wurden Sie als Kind gelobt? Sind Sie heute in der Lage, andere zu loben?

Von Paul Kieffer

Man weiß, daß unsere Erfahrungen im Kindesalter uns für das Leben als Erwachsene formen. Als Erwachsene können wir auf viele Faktoren und Ereignisse blicken, die uns beeinflußt haben. In diesem Artikel hebe ich einen Aspekt hervor, der einen positiven Einfluß auf meine Persönlichkeit und meine Sicht des Lebens gehabt hat. Da ich selbst Vater dreier Kinder bin, hoffe ich, daß meine Worte anderen Eltern bei der Bewältigung der großen Herausforderung der Kindererziehung helfen werden.

Es ist ein wunderbares, jedoch auch ernüchterndes Erlebnis, ein Kind in die Welt zu bringen. Die frischgebackenen Eltern wünschen sich nur das Beste für ihr Kind. Was können Eltern tun, um die Entwicklung ihrer Kinder so zu lenken, daß sie zu positiven, produktiven Erwachsenen werden?

Unsere Kinder zu ermutigen ist eines der größten Geschenke, das wir ihnen geben können. Es rangiert gleich hinter der Erziehung in Liebe und der Vermittlung der Wahrheit Gottes. Ich bin überzeugt, daß unsere Ermutigung die spätere Lebensauffassung und die zwischenmenschlichen Fähigkeiten unserer Kinder entscheidend formt. Ermutigung – oder der Mangel daran – beeinflußt ihr Selbstwertgefühl mehr als irgendein anderer Faktor in ihrem Leben.

Positive Eltern

Wenn ich an meine Beziehung zu meinem Vater denke, erinnere ich mich, wie er mich immer bei der ersten Begegnung an jedem neuen Tag anlächelte. Je nach den Aufgaben, die er während des Tages zu bewältigen hatte, konnte er auch ernst gestimmt sein. Der nächste Tag begann aber wieder mit einem Lächeln, das mir das Gefühl der Wertschätzung vermittelte.

Bei einem Betriebsausflug mit Familienangehörigen stellte er mich einmal seinen Kollegen vor: „Ich möchte Euch meinen Sohn vorstellen.“ Ich fühlte mich dabei richtig wohl. Wahrscheinlich ohne es zu wissen, gab mir mein Vater die Ermutigung, die ich brauchte. Ich habe heute, Jahre nach seinem Tod, nur positive Erinnerungen an meinen Vater.

Meine Mutter erzählte mir und meinen Schwestern immer wieder, daß wir das schaffen können, was wir uns vornehmen, daß wir genauso intelligent und fähig waren wie unsere Schulfreunde und Spielkameraden. Sie schärfte uns ein, daß wir, um erfolgreich zu sein, uns nur entsprechend einzusetzen brauchten. Ich rechne es meinen Eltern hoch an, daß ich mich aufgrund ihrer Erziehung nie niedergeschlagen oder gedemütigt fühlte. Ich wußte immer, daß sie mich liebten und mir Glück und Erfolg im Leben wünschten.

Was Therapeuten meinen

Therapeuten auf dem Gebiet der Familienberatung erkennen die Wichtigkeit der Ermutigung in der Kindererziehung. Sie melden sich wie folgt zu Wort:

• Christina Raley, die die Webseite www.momtomom.com gestaltet („Mütter für Mütter“), meint: „Es gibt wahrscheinlich nichts Wichtigeres bei der Entwicklung des Kindes als die Entwicklung seines Selbstwertgefühls. Das Selbstwertgefühl ist ein Produkt der ,bedingungslosen Liebe‘ und wird durch Ermutigung, Bestätigung und Anerkennung der besonderen Eigenschaften Ihres Kindes gefördert.“

• In seinem Buch Children: The Challenge („Kinder: die Herausforderung“) betont Rudolf Dreikurs, daß „Kinder Ermutigung brauchen, wie eine Pflanze Wasser braucht“.

• In seinem Artikel „Classic Parenting: Encouragement, Praise, Acceptance and Responsibility“ schreibt Dr. Douglas Cowan: „Sie ermutigen, indem Sie sich auf die Fähigkeiten und Stärken Ihres Kindes konzentrieren, um sein Selbstwertgefühl zu fördern. Das resultiert, wenn man das Positive sieht.“

Viele andere Therapeuten betonen ebenfalls die Wichtigkeit der Ermutigung für Kinder. Es ermutigt Kinder, wenn sie von den Menschen, die sie am meisten lieben – ihre Eltern –, hören, wie sie geliebt und geschätzt werden. Es ermutigt ein Kind sehr, wenn es hört, wie stolz seine Eltern auf es sind.

Meine Erfahrung als Pastor

Leider erfuhren manche Eltern in ihrer Kindheit eine andere Behandlung durch ihre Eltern. Als Pastor kann ich mich nicht erinnern, wie oft ich in den letzten 32 Jahren Menschen zugehört habe, die von ihrer schwierigen Kindheit berichteten. Ihre Eltern ermutigten sie kaum, sondern hatten häufig nur Negatives über sie zu sagen. Ganz gleich wie sie sich bemühten, konnten diese Kinder ihren Eltern nicht gefallen. Es ist demoralisierend, oft kritisiert zu werden und nur ganz selten – wenn überhaupt – ein Wort des Lobes zu hören.

In meinen Beratungen mit solchen Menschen hörte ich, wie sie als Kinder von ihren Eltern verbal mißbraucht wurden. Von den Eltern bekamen sie vermittelt, daß sie wertlos waren und nie etwas würden leisten können. Ihre Schwächen und Fehler wurden betont. Obwohl in vielen Fällen Jahre zwischen diesen Erlebnissen und meinen Gesprächen mit den Betroffenen vergangen waren, konnte ich ihnen den Schmerz und die Enttäuschung den Augen ablesen.

Als Erwachsene haben manche von uns Vorgesetzte erlebt, die kaum ein positives Wort über unsere Arbeit über die Lippen zu bringen vermochten. Auch wenn unsere Kindheit anders war als die geschilderte, können wir daher nachempfinden, wie es ist, wenn man häufig kritisiert und kaum gelobt wird. Diejenigen, die dieses Verhalten praktizieren, rechtfertigen oft ihre Vorgehensweise mit der Begründung: „Wenn man nicht kritisiert, vermittelt man den Eindruck, daß alles in Ordnung ist.“ In bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen ist diese Philosophie fehl am Platz, besonders wenn es um die Kindererziehung geht.

Eine traurige Geschichte

Vor einigen Jahren hatte ich ein Gespräch mit einem Mann, der über 70 Jahre alt war. Mit Tränen in den Augen erzählte er mir, daß er seine Frau und seine Kinder liebte, es ihnen jedoch nicht sagen konnte. Ich hatte ihn und seine Familie jahrelang gekannt und wußte daher aus eigener Erfahrung, daß er seine Kinder nicht ermutigt hatte. „Es liegt mir nicht“ war seine Begründung.

Einige von Ihnen, die diesen Artikel lesen, mögen Ähnliches erlebt haben. Als Kind wurden Sie nicht ermutigt, und als Erwachsener fällt es Ihnen schwer, andere zu loben. Gott sei Dank, daß es den heiligen Geist gibt, der uns verändern kann. Bei der Taufe wurde unser „alter Mensch“ mit Christus begraben. Dadurch wurden wir zu „einer neuen Kreatur“ in Christus. Unsere ganze Lebensausrichtung haben wir auf Jesus umgestellt, und mit seiner Hilfe können wir lernen, unsere Enttäuschung zu überwinden und anderen durch Lob zu dienen.

Viele Bibelstellen zeugen von der Liebe Gottes, die sich u. a. durch seine Bereitschaft zeigt, uns zu stärken – zu ermutigen: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit“ (Jesaja 40,10; alle Hervorhebungen durch uns).

Gott ließ seine Diener wissen, daß sie sich auf ihn verlassen konnten: „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen ... Laß dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst“ (Josua 1,5. 9; vgl. dazu Hebräer 13,5). In Psalm 55, Vers 23 ermahnt uns König David: „Wirf dein Anliegen auf den Herrn; der wird dich versorgen und wird den Gerechten in Ewigkeit nicht wanken lassen.“

Tips für Eltern: positiv sein!

Wie können Eltern ihre Kinder ermutigen? Die nachfolgenden Vorschläge sind als Anregung gedacht:

• Suchen Sie bewußt nach Gelegenheiten, Ihr Kind durch Ihre Worte und Taten zu loben. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, geht es nicht darum, falsches Benehmen zu ignorieren. Natürlich muß man falsches Benehmen tadeln, aber meiden Sie überflüssige negative Kommentare. Schaffen Sie ein Umfeld, in dem Ihre lobenden Worte überwiegen.

• Seien Sie bemüht, in Ihrem Verhalten dem Kind gegenüber eine positive Haltung auszustrahlen. Munter sein vermittelt dem Kind die Vergewisserung, daß es für seine Eltern keine Belastung ist. Durch gewohnheitsmäßige schlechte Laune vermitteln Eltern ihren Kindern Schuldgefühle, denn ein Kind neigt dazu, sich für die schlechte Laune seiner Eltern verantwortlich zu fühlen.

• „Erwischen“ Sie Ihr Kind bei Taten, die lobenswert sind, und loben Sie es dafür! Die Haltung „Mein Kind weiß schon, was ich von ihm erwarte“ führt dazu, daß man sich Gelegenheiten entgehen läßt, die in dem Kind erwünschten Eigenschaften und Haltungen zu bestätigen und so ihm zu vermitteln, daß man sein Verhalten nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern auch schätzt.

• Seien Sie beim Lob aufrichtig, und leugnen Sie Schwierigkeiten und Hindernisse nicht. Kinder haben sehr empfindliche „Antennen“ und können Heuchelei schnell erkennen. Sätze wie „Ich weiß, daß Deine Hausaufgaben schwer sind, aber ich bin stolz auf Dich, daß Du nicht aufgibst!“ oder „Ich weiß, daß Du heute beim Aufräumen helfen mußtest und deshalb nicht mit Deinen Freunden spielen konntest, aber Du warst mir wirklich eine große Hilfe“ täuschen nicht über Umstände hinweg, die für das Kind unangenehm sein können, enthalten aber auch ein echtes Lob.

Vergessen wir nicht: „Kinder brauchen Ermutigung, wie eine Pflanze Wasser braucht.“ Nutzen wir die Gelegenheit, die Gott uns als Eltern gibt, durch unsere Ermutigung zur Entstehung eines positiven Selbstwertgefühls in unseren Kindern beizutragen.