Unsere Welt erlebt zurzeit eine Wissensexplosion, die in der Geschichte des Menschen ohne Beispiel ist. Sind wir aber dadurch weiser geworden?
Von Robert Dick
Eine Prophezeiung über die Endzeit kommt mir jedes Mal in den Sinn, wenn ich zum Flughafen fahre oder eine Zeitung in die Hand nehme und die neuesten Meldungen über die Informationstechnologie lese: „Und du, Daniel, halte die Worte geheim und versiegle das Buch bis zur Zeit des Endes! Viele werden umherstreifen, und die Erkenntnis wird sich mehren“ (Daniel 12,4; Elberfelder Bibel).
„Viele werden umherstreifen“ – wer heute per Flugzeug reist, muss über die Massen staunen, die an jedem Tag der Woche zu den entferntesten Ecken dieser Erde unterwegs sind. Flugreisen haben ihren Reiz verloren – versäumte, verspätete und überbuchte Flüge sind für viele zur Routine geworden.
„Die Erkenntnis wird sich mehren“ – die Worte Daniels beinhalten keinen Kommentar darüber, ob dieses Phänomen gut oder schlecht wäre. Sie sagen nur voraus, dass dieser Zustand zur Zeit des Endes existieren wird.
Das Streben des Menschen nach Erkenntnis
Der Mensch scheint mit einem unersättlichen Wunsch nach Erkenntnis, der vor nichts Halt macht, erschaffen worden zu sein. Gott gibt uns die Herausforderung, diesen Wunsch nach Erkenntnis in richtige Bahnen zu lenken, als eine der Gelegenheiten im Leben, Charakter zu entwickeln. In die Mitte vom Garten Eden setzte Gott einen Baum, der Erkenntnis vermittelte – Erkenntnis des Guten und Bösen. Die Frage bleibt nicht aus, ob dieser Baum als Prüfung für den Menschen gedacht war. Schließlich sagte Gott selbst: „Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm issest, musst du des Todes sterben“ (1. Mose 2,16-17).
Selbst eine Warnung vor den tödlichen Folgen der Einnahme der Frucht dieses Baums hielten Eva, und später auch ihren Mann Adam, nicht davon ab, seine Frucht zu kosten. Warum? Eine Boulevard-Zeitung in den USA verkündet: „Wissbegierige wollen es wissen.“ Die Bibel berichtet wie folgt darüber: „Und das Weib sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß“ (1. Mose 3,6; Hervorhebung durch uns). Beim Lesen dieses Verses kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, dass Eva von Bäumen umgeben war, deren Frucht „gut zu essen“ war. Die Feststellung ist wichtig, dass Gott diesen Baum den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse und nicht den Baum der Weisheit nannte. Da gibt es nämlich einen großen Unterschied!
Erkenntnis ist nicht das Gleiche wie Weisheit
Salomo stellte fest, dass derjenige, der viel lernen will, auch viel leiden wird (Prediger 1,18). Wie die meisten von Ihnen kann auch ich die Wahrheit seiner Feststellung bestätigen. Zeigen Sie mir den Mann, der die Grausamkeit des Krieges erlebt hat, und ich werde Ihnen einen Mann zeigen, der nur allzu gerne die „Erkenntnis“ solcher Erlebnisse aus seinem Gedächtnis löschen möchte. In den Jahren meiner seelsorgerischen Tätigkeit habe ich viele Dinge gehört und erlebt, die ich viel lieber nie erfahren hätte. Diese Erkenntnisse haben mir Leid gebracht, genauso wie Salomo es vorausgesagt hatte.
Wenn man die Erfahrungen des Menschen der Unterweisung Gottes gegenüberstellt, stellt man fest, dass die Erkenntnis erst an dritter Stelle hinter zwei wichtigeren Eigenschaften steht – Einsicht (Verständnis) und Weisheit (Sprüche 4,5. 7; 16,16). Wir alle haben die Person kennengelernt, die wie eine „gehende“ Enzyklopädie zu sein scheint, der es jedoch an zwischenmenschlichen Fertigkeiten und „Bauernschläue“ mangelt, um ein ausgeglichenes und produktives Leben führen und mit anderen Menschen auskommen zu können. Die rein akademische Erkenntnis – ohne Bezug zu Verständnis und Weisheit – ist von zweifelhaftem Wert.
Bei meinem Bibelstudium lese ich oft Gottes Anweisungen an Israel während der 40-jährigen Ausbildungszeit in der Wüste. Dort erzog Gott ein Volk, das vorher kein Volk gewesen war, darin, wie es eine göttliche Nation sein und ihn auf ehrbare Weise nach dem Einzug ins Gelobte Land vertreten konnte. Gottes Anweisungen an Israel in dieser Zeit sind oft von grundlegender Wichtigkeit und drücken den Geist oder die Absicht seiner Unterweisung an die ganze Menschheit aus.
In diesem Sinne erwähne ich die von Gott inspirierten Worte des Mose an Israel: „Sieh, ich hab euch gelehrt Gebote und Rechte, wie mir der Herr, mein Gott, geboten hat, dass ihr danach tun sollt im Lande, in das ihr kommen werdet, um es einzunehmen. So haltet sie nun und tut sie! Denn dadurch werdet ihr als weise und verständig gelten bei allen Völkern, dass, wenn sie alle diese Gebote hören, sie sagen müssen: Ei, was für weise und verständige Leute sind das, ein herrliches Volk!“ (5. Mose 4,5-6). Gottes Gesetz ist unsere Weisheit und unsere Einsicht. Gottes Gesetz definiert richtiges Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen und erteilt uns damit Unterweisung in der weisen Anwendung von Erkenntnis.
David stellte fest: „Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Klug sind alle, die danach tun. Sein Lob bleibet ewiglich“ (Psalm 111,10). Achten Sie bitte darauf, dass Lob nicht denjenigen gilt, die Gottes Gebote kennen, sondern denen, die danach handeln. Den Weg Gottes zu kennen vermittelt uns nicht Weisheit; das Handeln nach Gottes Weg bringt uns Weisheit. Dies ist so einfach, doch sind es wenige, die es begreifen!
Was ist der Beweis wahrer Weisheit?
Die Erkenntnis wird durch die Erteilung von Informationen gezeigt. Bei den Fernsehsendungen mit Ratespielen erlebt man eine endlose Parade von Männern und Frauen, die Erkenntnis besitzen und diese durch ihre schnellen Antworten auf die Quiz-Fragen unter Beweis stellen.
Wie wird Weisheit sichtbar?
Die Antwort lasen wir in einer direkten (Psalm 111,10) und in einer indirekten (5. Mose 4,5-6) Stellungnahme. Wir stellten fest, dass das Handeln nach den Gesetzen Gottes und das Leben nach seiner Weisung Weisheit ist. Haben Sie jemals überlegt, dass es Situationen gibt, in denen Weisheit und Erkenntnis zuwiderlaufen? Ab und zu kommt es vor, dass ein Mann oder eine Frau von dem Stolz auf die eigene Erkenntnis so eingenommen ist, dass sie töricht werden. In mehr als einem seiner Briefe behandelte Paulus dieses Thema (Römer 1,21-22; 1. Korinther 1,20-27; 3,18-19).
Weisheit zeigt sich nicht nur durch das Handeln nach den Wegen Gottes, sondern auch durch eine Geisteshaltung. Zu Paulus’ Zeiten gab es Menschen, die wahrscheinlich durch das Lesen der Worte von Mose und Salomo als gerecht erscheinen wollten und gelernt hatten, göttliche Weisheit vorzutäuschen. Gegenüber den Korinthern erwähnte Paulus mehr als einmal, dass er zu ihnen nicht mit diesem Geist vorgetäuschter Weisheit kommen wollte.
Was ist der Beweis wahrer Weisheit?
Der Jakobusbrief enthält eine der tiefgreifendsten Beschreibungen der Weisheit im ganzen Neuen Testament. Sie erscheint zum Schluss des Kapitels, in dem die Beherrschung der Zunge als Hauptthema behandelt wird. Mittels der Zunge vermitteln wir Erkenntnis – gute und schlechte, wie es seit den Tagen unserer Eltern Adam und Eva der Fall gewesen ist. Jakobus stellt fest: „Mit ihr [der Zunge] loben wir den Herrn und Vater, und mit ihr fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes gemacht sind. Aus einem Munde kommt Loben und Fluchen. Das soll nicht so sein, liebe Brüder“ (Jakobus 3,9-10).
Nach diesem Kommentar über die Zunge beschreibt Jakobus wahre Weisheit: „Wer ist weise und klug unter euch? Der zeige mit seinem guten Wandel seine Werke in Sanftmut und Weisheit“ (Jakobus 3,13). Wir erkennen wieder, dass unser Wandel – nicht unsere Erkenntnis – der wahre Maßstab göttlicher Weisheit ist.
Jakobus stellt die wahre Weisheit der Weisheit des Fleisches – das Gegenteil der göttlichen Weisheit – gegenüber. Diese falsche Weisheit hat auch ihre Früchte, aber diese Früchte stellen einen starken Kontrast zur göttlichen Weisheit dar: „Habt ihr aber bittern Neid und Streit in eurem Herzen, so rühmt euch nicht und lügt nicht der Wahrheit zuwider. Das ist nicht die Weisheit, die von oben herabkommt, sondern sie ist irdisch, niedrig und teuflisch“ (Jakobus 3,14-15).
Jakobus erkannte, dass bestimmte Früchte die Existenz göttlicher Weisheit beweisen: „Die Weisheit aber von oben her ist zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei“ (Jakobus 3,17). Interessanterweise wies Paulus auf viele der gleichen Früchte als Beweis für den einem Menschen innewohnenden heiligen Geist hin (Galater 5,22-23).
Jakobus eröffnete das dritte Kapitel mit einer Ermahnung an Lehrer. So gesehen, ermahnt uns Jakobus, dass unsere Worte zwar einen bestimmten Erkenntnisstand widerspiegeln, aber nur unsere Handlungen dienen der Klärung der Frage, ob wir göttliche Weisheit besitzen und praktizieren.
In dieser Welt der Endzeit mehrt sich die Erkenntnis unglaublich schnell. Es ist aber interessant, dass die von Jakobus beschriebene göttliche Weisheit eine schmerzlich vermisste Mangelware ist, wie man heute allgemein an dem Verhalten der Menschen erkennen kann.
Jakobus beschloss seinen Kommentar über die göttliche Weisheit wie folgt: „Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird gesät in Frieden für die, die Frieden stiften“ (Jakobus 3,17). Mögen wir sowohl göttliche Weisheit als auch wahre Erkenntnis in unserem täglichen Leben erkennen und anwenden!