Manche Christen vertreten die Auffassung, Jesu Apostel haben das Gesetz des Alten Testaments abgeschafft. Lässt sich diese Auffassung biblisch nachweisen?

Von Roger Foster

Die Vorstellung, Jesus Christus hätte den Gehorsam gegenüber den im Alten Testament enthaltenen Gesetzen abgeschafft, ist eine der am meisten fehlgeleiteten Vorstellungen über den Neuen Bund. Diese falsche Vorstellung wird in diversen Variationen seit fast 2000 Jahren gelehrt. Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, Missverständnisse hinsichtlich der Frage zu klären, was die Apostel wirklich über die Gesetze gelehrt haben, die im Alten Testament zur Definition von Gerechtigkeit gegeben wurden.

Eine Aufstellung in der Complete Jewish Bible führt 695 unterschiedliche Stellen an, in denen Abschnitte aus dem Alten Testament im Neuen Testament zitiert wurden (David Stern, 1998, Seite 1610-1615). An Dutzenden von anderen Stellen wird auf das Alte Testament verwiesen (wie zum Beispiel in den Fällen, in denen eine Persönlichkeit des Alten Testaments erwähnt wird), ohne das eine bestimmte Schriftstelle zitiert wird.

Je nachdem, welches Werk eines Gelehrten man heranzieht, kann die Anzahl der Zitate und Verweise im Neuen Testament, die sich auf das Alte Testament beziehen, bis auf 4105 ansteigen (Roger Nicole, The Expositor’s Bible Commentary, 1979, Band 1, Seite 617). Zum Vergleich: Die Verfasser des Neuen Testaments haben sich nur viermal gegenseitig zitiert. Und doch gibt es immer noch einige, die behaupten, dass es die Lehre des Neuen Testaments sei, dass das Alte Testament überholt ist und nur für ein bestimmtes Volk während eines begrenzten Abschnitts in der Geschichte gültig war.

Der Expositor’s Bible Commentary weist darauf hin, wie sehr das Alte Testament das Denken und das Schreiben der Verfasser des Neuen Testaments beeinflusste: „Ein besonders auffallendes Merkmal des Neuen Testaments ist das Ausmaß, in dem es auf das Alte Testament verweist oder es zitiert. Es wendet sich an das Alte Testament, um Belege für gemachte Aussagen zu präsentieren, vertretene Meinungen zu untermauern, Prinzipien zu verdeutlichen und gestellte Fragen zu beantworten.

Häufig folgen die Verfasser des Neuen Testaments auch dann, wenn kein offizielles Zitat vorliegt oder vielleicht auch nicht beabsichtigt ist, der Form des Denkens und der Rede von alttestamentlichen Textstellen. Es ist offensichtlich, dass die Verfasser des Neuen Testaments und unser Herr, Jesus Christus selbst, so von der Sprache und den Wahrheiten alttestamentlicher Offenbarung durchdrungen waren, dass sie sich ganz natürlich in Begriffen ausdrückten, die daran erinnerten“ (ebenda).

Wer darauf besteht, das Neue Testament würde lehren, dass das Alte Testament veraltet sei und für heutige Christen keine Bedeutung mehr habe, ignoriert die Fülle an Belegen, die im gleichen Neuen Testament das Gegenteil beweisen.

Der einfachste Weg zum Verständnis, in welcher Weise das Alte Testament auf Christen unter dem Neuen Bund zutrifft, besteht darin, einfach zu sehen, was die Apostel zu diesem Thema gelehrt haben. Schließlich waren dies die Männer, die Christus am nächsten standen, viel Zeit mit ihm verbracht haben und von ihm persönlich belehrt wurden.

Zuerst wollen wir uns dazu Jakobus, Petrus, Johannes und Judas ansehen, deren Briefe jeweils nach ihnen benannt sind. Ihre Schriften werden als die „allgemeinen Briefe“ bezeichnet, denn sie richten sich an die Gesamtheit aller Frühchristen und enthalten allgemeine christliche Anweisungen. Dann lassen wir Paulus selbst erklären, wie er zum Gehorsam gegenüber den alttestamentlichen Schriften steht.

Wie hat Jakobus das Gesetz gesehen?

Jakobus war anscheinend der früheste dieser vier Verfasser und schrieb seinen Brief vor seinem Martyrertod im Jahr 62 n. Chr. Als Halbbruder von Jesus Christus (Matthäus 13,55) war er zweifellos eng mit Jesu Einstellung und Sichtweise gegenüber dem Alten Testament und dem Gesetz Gottes vertraut.

Jakobus hätte nicht deutlicher zum Ausdruck bringen können, wie er die Anwendung von Gottes Gesetz auf Christen sah. Er bezeichnet dieses Gesetz als „das königliche Gesetz“ (Jakobus 2,8) und als das „Gesetz der Freiheit“ (Vers 12). Er erkannte an, dass ein Gehorsam gegen dieses Gesetz uns von der Sünde und ihren schädlichen Folgen befreit. „Wer aber durchschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit und dabei beharrt und ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter, der wird selig sein in seiner Tat“, schreibt er in Jakobus 1, Vers 25 (alle Hervorhebungen durch uns).

Er hält erneut das Halten von Gottes Geboten ausdrücklich aufrecht, wenn er schreibt: „Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, so tut ihr recht“ (Jakobus 2,8). Er fährt fort zu erläutern, dass es uns nicht zusteht, uns beliebig auszusuchen, welchen von Gottes Geboten wir gehorchen wollen. Er kommt zu dem Schluss, dass wir reden und handeln müssen wie diejenigen, „die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen“ (Vers 12).

Jakobus sagt uns auch, dass es nutzlos ist, einfach zu sagen, wir hätten Glauben bzw. wir würden an Gott glauben, denn selbst die Dämonen glauben das (Vers 19). Er verweist auf die alttestamentlichen Beispiele von Abraham und Rahab, um zu zeigen, dass unserem Glauben entsprechendes Handeln folgen muss – dass der Glaube ohne Werke tot ist (Verse 17-26).

Er weist auch darauf hin, dass es nicht genügt, nur die Sünde zu meiden. Es ist ebenfalls Sünde, wenn wir Gutes zu tun wissen, es aber nicht tun (Jakobus 4,17). So wie Jesus Christus es bei der Bergpredigt getan hat (Matthäus 5,17-48), macht auch Jakobus Christen für eine höhere Verhaltensnorm verantwortlich als nur für die einfache Befolgung vom Buchstaben des Gesetzes. Er erwartet, dass wir gemäß der vollen geistlichen Absicht des Gesetzes leben.

Petrus und die Autorität des Alten Testaments

Der Apostel Petrus war führend unter den Aposteln und hatte eine wichtige Rolle in der Frühkirche inne. Von Petrus sind nur seine zwei Briefe, 1. und 2. Petrus, erhalten geblieben, die beide anscheinend in den 60er Jahren des ersten Jahrhunderts verfasst wurden, bevor Petrus dann 67 oder 68 n. Chr. den Martyrertod erlitten hat.

Was können wir diesen Briefen darüber entnehmen, wie Petrus das Alte Testament und Gottes Gesetz gesehen hat? Während das Thema des Haltens der Gesetze an keiner Stelle in den Petrusbriefen direkt angesprochen wird, wird seine Sicht trotzdem aus dem, was er geschrieben hat, überaus deutlich.

Er wiederholt Gottes Anordnung aus 3. Mose 11, Vers 44, indem er uns anweist: „Auch ihr sollt heilig sein in eurem ganzen Wandel. Denn es steht geschrieben [in den Schriften des Alten Testaments]: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, so sollt auch ihr heilig sein“ (1. Petrus 1,15-16). Jesaja 40, Vers 8 zitierend erinnert er uns daran, dass „des Herrn Wort . . . in Ewigkeit“ bleibt (Vers 25).

Er vergleicht die Kirche mit einem neuen Tempel, der von Gott erbaut wird (1. Petrus 2,5), und beschreibt die Kirchenmitglieder als eine neue Priesterschaft, die sich dem Dienst für Gott widmet (Vers 5 und 9). Er bezieht sich auf Sara, Abraham und Noah (1. Petrus 3,6. 20), um verschiedene Aussagen in seinem Brief zu veranschaulichen. In seinem ersten Brief zitiert er das Alte Testament mehr als ein Dutzend Mal als die Autorität für das, was er sagt.

In seinem zweiten Brief, der kurz vor seinem Tod verfasst wurde (2. Petrus 1,14-15; vgl. mit Johannes 21,18-19), erinnert uns Petrus daran, dass die alttestamentlichen Propheten in dem, was sie sagten (und schrieben), von der Inspiration durch Gottes heiligen Geist geleitet waren (2. Petrus 1,20-21).

Er schreibt über das schreckliche Gericht, das Gott über die Menschheit wegen ihrer Sünden verhängen wird, und zitiert dafür als Beispiel die sündhafte Welt zur Zeit Noahs und die degenerierten Städte Sodom und Gomorra, die Gott als ein Beispiel für „die Gottlosen, die hernach kommen würden“ (2. Petrus 2,5-6), ausgelöscht hat.

Petrus verwendete auch den Propheten Bileam als Beispiel des Ungehorsams gegenüber dem Gesetz Gottes, der eine entsprechende Verurteilung Gottes nach sich zog (2. Petrus 2,15). Und er erinnert uns daran, sowohl der „Worte, die zuvor gesagt sind von den heiligen Propheten“, eingedenk zu sein, der Worte aus dem Alten Testament, als auch der Worte der Apostel (2. Petrus 3,1-2).

Johannes lehrt Gehorsam gegenüber Gottes Geboten

Johannes, „der Jünger, den Jesus lieb hatte“ (siehe Johannes 21,7. 20. 24), erwähnt in seinen Briefen, die wahrscheinlich in den Jahren 85-95 n. Chr. verfasst wurden, wiederholt die Notwendigkeit, Gottes Gebote zu halten. Johannes war damals der letzte noch lebende der ursprünglichen zwölf Apostel. Seine klaren Worte sprechen für sich:

„Und daran merken wir, dass wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten. Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht“ (1. Johannes 2,3-4).

„Jeder, der die Sünde tut, handelt gesetzwidrig; denn Sünde ist Gesetzwidrigkeit“ (1. Johannes 3,4; Einheitsübersetzung).

„Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer“ (1. Johannes 5,2-3).

„Und das ist die Liebe, dass wir leben nach seinen Geboten“ (2. Johannes 1,6).

Judas und das Alte Testament

Judas war, ebenso wie Jakobus, ein Halbbruder von Jesus Christus (Matthäus 13,55) und kannte ihn seit seiner Kindheit. Obwohl sein kurzer Brief nur 25 Verse umfasst, schafft er es trotzdem, darin viele Hinweise auf das Alte Testament unterzubringen, einschließlich der Wüstenwanderung der Israeliten, Sodom und Gomorra, Mose, Kain, Bileam, Korach und Henoch.

Die Belege, die wir von den Männern erhalten, die ihre Lehren persönlich von Jesus Christus erhalten haben, ist eindeutig. Sie halten das Alte Testament als Gottes inspirierte und zeitlose Offenbarung an die Menschheit aufrecht und bestätigen, dass das Halten der Gebote Gottes auch für uns als heutige Christen Pflicht ist.

Wie die Lehren des Paulus verfälscht wurden

Paulus schrieb an den Evangelisten Timotheus: „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt“ (2. Timotheus 3,16-17).

Da Paulus im vorhergehenden Vers „Schrift“ als das definiert hat, was Timotheus „von Kind auf“ erlernt hat, konnte sich diese Aussage nur auf das Alte Testament beziehen – das Neue Testament war ja noch nicht verfasst und zusammengestellt worden. Man kann daraus Paulus’ Sicht, dass die alttestamentlichen Schriften für das christliche Verständnis und Leben erforderlich sind, klar erkennen.

Die meisten Theologen und Prediger glauben heutzutage jedoch, dass Paulus die Schriften des Alten Testaments für überholt gehalten hätte. Sie sehen ihn als denjenigen, der als Erster gelehrt hat, dass diese Schriften nicht mehr länger als eine maßgebende Anleitung für Christen benötigt werden.

Indem sie diesen Schluss ziehen, verdrehen sie einige der am schwierigsten zu verstehenden Abschnitte in Paulus’ Schriften, um ihre Behauptung zu stützen, dass Jesus Christus durch seinen Tod am Kreuz das alttestamentliche Gesetz abgeschafft hätte.

Bei dieser Beurteilung ignorieren sie Petrus’ deutliche Warnung, dass „Paulus nach der Weisheit, die ihm gegeben ist, euch geschrieben hat . . . in allen Briefen, in denen einige Dinge schwer zu verstehen sind, welche die Unwissenden und Leichtfertigen verdrehen, wie auch die anderen Schriften, zu ihrer eigenen Verdammnis“ (2. Petrus 3,15-16).

Wenn wir uns die Schriften von Paulus sorgfältig ansehen, dann erweist sich die Annahme als absurd, er hätte die Schriften als seine wichtigste Autorität benutzt, die er angeblich ablehnte. Er wendet sich ständig an die Schriften des Alten Testaments als die Hauptautorität für das, was er lehrte!

Paulus verteidigt seine Treue zur Heiligen Schrift

Die erste Anschuldigung, dass Paulus das Gesetz Gottes missachten würde, stammte von einigen Juden, die sich vehement gegen seine Lehre wandten, dass Heiden gerettet werden könnten, ohne sich dem Ritus der Beschneidung unterwerfen zu müssen. Sie beschuldigten ihn fälschlicherweise, dass er sich von Gottes Gesetz und seinem jüdischen Erbe abwenden würde. Paulus hat diese Beschuldigungen vehement zurückgewiesen und klare biblische Grundlagen für seine Lehren und sein Verhalten dargelegt.

Um Paulus die Gelegenheit zu geben, alle Beschuldigungen zu widerlegen, er würde Gottes Gesetz verschmähen, baten ihn einige der Christen in Jerusalem, vier Judenchristen bei Reinigungsritualen im Tempel, die im biblischen Gesetz vorgeschrieben waren, zu begleiten (Apostelgeschichte 21,17-26). Paulus nahm diese Gelegenheit gerne wahr, denn es lag ihm viel daran, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen und seine Treue gegenüber den Schriften öffentlich zu bekunden.

Was ist jedoch passiert? „Als aber die sieben Tage zu Ende gingen, sahen ihn die Juden aus der Provinz Asien [Gegner von Paulus] im Tempel und erregten das ganze Volk, legten die Hände an ihn und schrien: Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle Menschen an allen Enden lehrt gegen unser Volk, gegen das Gesetz und gegen diese Stätte; dazu hat er auch Griechen in den Tempel geführt und diese heilige Stätte entweiht“ (Verse 27-28).

Sie logen. Trotzdem entstand ein Tumult und der römische Kommandeur musste Paulus vor der feindseligen jüdischen Rotte retten, die versuchte, ihn zu töten.

Paulus bat um die Erlaubnis, sich selbst vor der versammelten Menge verteidigen zu dürfen. Diese Erlaubnis wurde ihm erteilt (Vers 40), und er sprach. Anschließend wurde er vor den Sanhedrin geführt, den Hohen Rat der Juden, und von dort aus in die Stadt Cäsarea an der Mittelmeerküste, damit er dem römischen Statthalter Felix vorgeführt werden konnte. Der römische Kommandeur der Garnison von Jerusalem schrieb in einem Brief an Felix folgende Erklärung:

„Diesen Mann hatten die Juden ergriffen und wollten ihn töten. Da kam ich mit Soldaten dazu und entriss ihnen den und erfuhr, dass er ein römischer Bürger ist [das heißt, Paulus besaß das römische Bürgerrecht]. Da ich aber erkunden wollte, weshalb sie ihn anklagten, führte ich ihn hinunter vor ihren Hohen Rat [der Sanhedrin]. Da fand ich, dass er beschuldigt wird wegen Fragen ihres Gesetzes, aber keine Anklage gegen sich hatte, auf die Tod oder Gefängnis steht“ (Apostelgeschichte 23,27-29).

Beachten Sie hier Paulus’ Widerlegung der gegen ihn vorgebrachten falschen Anschuldigungen: „Paulus aber antwortete, als ihm der Statthalter winkte zu reden: Weil ich weiß, dass du in diesem Volk nun viele Jahre Richter bist, will ich meine Sache unerschrocken verteidigen. Du kannst feststellen, dass es nicht mehr als zwölf Tage sind, seit ich nach Jerusalem hinaufzog, um anzubeten. Und sie haben mich weder im Tempel noch in den Synagogen noch in der Stadt dabei gefunden, wie ich mit jemandem gestritten oder einen Aufruhr im Volk gemacht hätte.

Sie können dir auch nicht beweisen, wessen sie mich jetzt verklagen. Das bekenne ich dir aber, dass ich . . . dem Gott meiner Väter so diene, dass ich allem glaube, was geschrieben steht im Gesetz und in den Propheten. Ich habe die Hoffnung zu Gott, die auch sie selbst haben, nämlich dass es eine Auferstehung der Gerechten wie der Ungerechten geben wird. Darin übe ich mich, allezeit ein unverletztes Gewissen zu haben vor Gott und den Menschen“ (Apostelgeschichte 24,10-16).

Wie unmissverständlich und klar! Jahre nachdem er zuerst Christ geworden war, konnte Paulus erklären, dass er immer noch „alles glaube, was geschrieben steht im Gesetz und in den Propheten“ – ein jüdischer Ausdruck für das gesamte Alte Testament. Dieses Zeugnis, aus Paulus’ eigenem Mund, lässt keinen Zweifel daran, welchen Standpunkt er hinsichtlich des Gesetzes Gottes einnahm.

Paulus verteidigt seine Lehren zum zweiten Mal

Zwei Jahre später wurde Paulus erneut aufgefordert, vor Porzius Festus, einem neuen römischen Statthalter, zu einer Gerichtsverhandlung zu erscheinen (Vers 27). „Als der [Paulus] aber vor ihn [Festus] kam, umringten ihn die Juden, die von Jerusalem herabgekommen waren, und brachten viele und schwere Klagen gegen ihn vor, die sie aber nicht beweisen konnten. Paulus aber verteidigte sich: Ich habe mich weder am Gesetz der Juden noch am Tempel noch am Kaiser versündigt“ (Apostelgeschichte 25,7-8).

Dieses offizielle Erscheinen vor Gericht war bedeutsam. Dadurch wird in Paulus’ eigenen Worten klargestellt, dass er sich weiterhin fest verpflichtet fühlte, alle Gesetze Gottes sowohl zu glauben, als auch danach zu handeln – die gleichen Gesetze, die auch die Juden einzuhalten behaupteten. Und keiner seiner Ankläger konnte irgendwelche nachweisbaren Belege für das Gegenteil vorbringen. Alle Anschuldigungen gegen ihn waren unwahr – genauso wie alle modernen Behauptungen, dass er sich in seinen Lehren gegen die alttestamentlichen Gesetze ausgesprochen hätte, ebenfalls unwahr sind!

Trotzdem sind diese falschen und verleumderischen Gerüchte, die vor langer Zeit von Paulus’ Anklägern in die Welt gesetzt wurden, auch noch heute im Umlauf. Sie bilden die Grundlage für das, was heute gewöhnlich als „paulinische Theologie“ bezeichnet wird.

Diese theologische Philosophie stellt Paulus immer noch als jemanden dar, dem es um eine Trennung des Christentums von seinen jüdischen Wurzeln ging. Sie lässt ihn als jemand erscheinen, der sein biblisches Erbe ablehnt und Veränderungen in der Lehre ausgelöst hat, die die Gesetze des Alten Testaments verworfen haben.

Wie wir aber bereits gesehen haben, ist das weit von dem entfernt, was Paulus tatsächlich geglaubt und gelehrt hat. Während seines ganzen Lebens hat Paulus die Schriften des Alten Testaments nicht nur als inspiriert, sondern auch als nützlich für die „Erziehung in der Gerechtigkeit“ für alle Christen verteidigt (siehe noch einmal 2. Timotheus 3,15-17).

Diese Schrift enthält Gottes Gesetz, das den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Sünde aufzeigt. Es ist also kein Wunder, dass Paulus ausrief: „Aber die Sünde erkannte ich nicht außer durchs Gesetz“ (Römer 7,7).

Jesus und Paulus betonen die wahre Absicht des Gesetzes

Zur Zeit von Jesus und Paulus hatten einige jüdische Religionslehrer den Kern von Gottes Gesetz missverstanden. Sie versuchten, Gott mit ihrer Gerechtigkeit zu beeindrucken, indem sie auf jedes noch so kleine Detail der physischen Aspekte des Gesetzes achteten, statt seine wahre geistliche Absicht zu erkennen.

Paulus brachte ihr Problem auf den Punkt: „Liebe Brüder, meines Herzens Wunsch ist und ich flehe auch zu Gott für sie, dass sie gerettet werden. Denn ich bezeuge ihnen, dass sie Eifer für Gott haben, aber ohne Einsicht. Denn sie erkennen die Gerechtigkeit nicht, die vor Gott gilt, und suchen ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten und sind so der Gerechtigkeit Gottes nicht untertan“ (Römer 10,1-3).

Jesus betonte den ursprünglichen Zweck des Gesetzes und seine geistliche Zielsetzung (Matthäus 5,17-48). Das hat viele religiöse Führer der Juden verärgert. Sie waren in die Gewohnheit verfallen, Gerechtigkeit nach dem äußeren Anschein zu bemessen. Sie betonten physische Details und zeremonielle Reinheit und vernachlässigten dabei „das Wichtigste im Gesetz“ wie Recht, Barmherzigkeit und Glauben (Matthäus 23,23-25). Jesus hat diese fehlgeleitete Schwerpunktsetzung scharf kritisiert:

„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr seid wie die übertünchten Gräber, die von außen hübsch aussehen, aber innen sind sie voller Totengebeine und lauter Unrat! So auch ihr: von außen scheint ihr vor den Menschen fromm, aber innen seid ihr voller Heuchelei und Unrecht“ (Matthäus 23,27-28).

Ihre falsche Betonung nahm dem Gesetz Gottes seine wahre Zielsetzung und seinen eigentlichen Zweck. Im Gegensatz dazu hat Christus die wahre Zielsetzung des Gesetzes betont. Paulus führte diese richtige Betonung durch Christus lediglich fort – einschließlich der Tatsache, dass die Zeremonien und Rituale im Gesetz lediglich als vorübergehende Hinweise auf bessere, zukünftige Dinge dienten.

Sowohl Jesus als auch Paulus hielten die Lehren des Gesetzes, die unser Herz, unseren Verstand und unser Verhalten betreffen, aufrecht. Diese Aspekte des Gesetzes bleiben für alle Ewigkeit gültig. Sie offenbaren nicht nur, was sündhaft ist, sondern auch die wahre Gerechtigkeit, die Gott in unser Herz und unseren Verstand schreiben möchte. Christen werden angewiesen, die wahre Absicht des Gesetzes richtig zu verstehen und bereitwillig in ihrem eigenen Leben zur Geltung zu bringen.

Paulus berief sich auf das Alte Testament als Autorität für seine Lehren

In vielen Bibelausgaben ist es oft schwierig zu erkennen, wann ein Verfasser des Neuen Testaments aus dem Alten Testament zitiert. Einige Bibelübersetzungen jedoch wie die Complete Jewish Bible verdeutlichen diese Verweise in voller Klarheit.

Diese Bibelausgabe verweist auf 183 Abschnitte aus dem Alten Testament, die Paulus in seinen Schriften entweder direkt zitiert oder umschreibt. Und diese Zahl schließt die Dutzenden zusätzlicher Erwähnungen von Personen, Orten und Ereignissen im Alten Testament nicht mit ein.

Seltsamerweise sind die beiden Briefe, die fehlgeleitete Theologen am häufigsten anführen, wenn sie behaupten, dass Paulus das Alte Testament ablehnt, gleichzeitig diejenigen, die die meisten Zitate aus dem Alten Testament enthalten: Der Römerbrief, mit Zitaten oder Umschreibungen von 84 Stellen aus dem Alten Testament, und der Hebräerbrief (von dem viele Gelehrte annehmen, dass er von Paulus verfasst wurde) mit 83.

Paulus’ andere Briefe mit der jeweiligen Anzahl an Hinweisen auf Abschnitte des Alten Testaments sind Folgende: 1. Korinther (26); 2. Korinther (18); Galater (14); Epheser (12); Philipper (6); Kolosser (3); 1. Thessalonicher (1); 2. Thessalonicher (7); 1. Timotheus (4) und 2. Timotheus (9). Nur die beiden kürzesten Briefe von Paulus, Titus und Philemon, enthalten keine Zitate aus dem Alten Testament.

Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass Paulus die hebräischen Schriften genutzt hat, um seine Lehre zu belegen. Er hat das Alte Testament im Grunde ständig als Autorität für seine Lehre benutzt!

Was hat Paulus ausdrücklich über diese Schriften gesagt?

• In 2. Timotheus 3, Verse 16-17 schreibt er: „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben [wörtlich: ,von Gott eingehaucht‘], ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu allem guten Werk geschickt.“ Diese „Schrift“, mit der Timotheus von Kindheit auf vertraut war (Vers 15), konnte nur das Alte Testament gewesen sein.

• In Römer 3, Vers 2 sagt Paulus, sich auf das Alte Testament beziehend, dass dem jüdischen Volk anvertraut sei, „was Gott geredet hat“.

• Indem er auf verschiedene Ereignisse, die im Alten Testament verzeichnet sind, hinweist, sagt er uns in 1. Korinther 10, Vers 11: „Dies widerfuhr ihnen als ein Vorbild. Es ist aber geschrieben uns zur Warnung, auf die das Ende der Zeiten gekommen ist.“

• In Hebräer 3, Vers 7 spricht er davon, dass der heilige Geist direkt die Worte des Alten Testaments inspirierte.

• In Hebräer 4, Vers 12 schreibt er in Bezug auf das Alte Testament: „Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“

Klingen diese Passagen wie die Aussagen eines Mannes, der gelehrt hat, dass das Alte Testament überholt und nicht länger von Bedeutung sei? Die Antwort ist offensichtlich!

Lehrte Paulus die Korinther das Gegenteil von dem, was er die Römer lehrte?

In Römer 14, Verse 5-6 schrieb der Apostel Paulus: „Dieser hält einen Tag höher als den anderen, jener hält alle Tage gleich; jeder sei seiner Meinung gewiss! Wer auf den Tag achtet, der achtet darauf für den Herrn, und wer nicht auf den Tag achtet, der achtet nicht darauf für den Herrn“ (Schlachter-Bibel). Viele Menschen nehmen an, dass Paulus damit die Notwendigkeit der Sabbatheiligung und der Heiligung der biblischen Festtage als abgeschafft verkündet habe.

Solche Menschen gehen ohne Beweise davon aus, dass der Sabbat und die heiligen Festtage die Tage sind, auf die sich Paulus bezieht. Der Sabbat wird jedoch an keiner Stelle des gesamten Kapitels auch nur erwähnt. Paulus und die anderen neutestamentlichen Autoren haben mit Ausdrücken wie „ein Tag“ nicht auf solch zweideutige Weise auf den Sabbat verwiesen. Die Vertreter einer solchen Sicht übersehen die Tatsache, dass Paulus in diesem Brief 84-mal aus dem Alten Testament zitiert, um seine Lehren zu begründen. Das ist kaum die Vorgehensweise eines Mannes, der versucht, die alttestamentlichen Gebote abzuschaffen!

Die Apostelgeschichte vermittelt wichtige Eindrücke über das Denken von Paulus in der Zeit, als er den Römerbrief verfasste. Die meisten Gelehrten stimmen darin überein, dass Paulus diesen Brief im oder um das Jahr 56 n. Chr. während seines Besuchs in der griechischen Stadt Korinth schrieb. Was berichtet die Apostelgeschichte über das Verhalten von Paulus in jener Stadt?

Wir erfahren, dass Paulus, als er in Korinth war, „in der Synagoge an allen Sabbaten lehrte und überzeugte Juden und Griechen“ (Apostelgeschichte 18,4). Paulus verhielt sich also auf diese Weise, während er den Römerbrief schrieb. Schrieb er an die Gemeindemitglieder in Rom, um ihnen mitzuteilen, dass das Halten des Sabbats bedeutungslos wäre, während er gleichzeitig die Juden und Heiden gemeinsam „an allen Sabbaten“ in Korinth belehrte?

Offensichtlich stimmt etwas nicht mit der Meinung, die viele vom Römerbrief haben, wenn diese ernsthaft glauben, Paulus habe dies in seinem Brief an die Römer so gelehrt. Wie die Apostelgeschichte zeigt, war es für Paulus üblich bzw. eine regelmäßige Gewohnheit, ganz gleich in welcher Stadt er sich gerade befand, im Einklang mit dem Gebot Gottes den Sabbat zu halten (Apostelgeschichte 17,2).

Einen weiteren Beleg dafür, dass diese weitverbreitete Auslegung von Römer 14 falsch ist, können wir dem ersten Korintherbrief von Paulus entnehmen. Er schrieb diesen Brief im oder um das Jahr 55 n. Chr., kurz vor seinem Besuch in Korinth (1. Korinther 16,5-6) – dem Besuch, bei dem er dann den Römerbrief schreiben sollte.

Was hat er den Korinthern in diesem Brief mitgeteilt?

• Er weist sie an, das biblische Fest der Ungesäuerten Brote auf die rechte Weise mit einem Verständnis der dahinter stehenden geistlichen Absicht zu begehen (1. Korinther 5,7-8; vgl. 3. Mose 23,6).

• Er unterweist sie darin, wie sie die das neutestamentliche Passah als eine Gedenkfeier für den Tod Jesu Christi halten sollen (1. Korinther 11,23-30).

• Er erinnert sie daran, dass wir „ein Passahlamm, das ist Christus, der geopfert ist“, haben.

• Er schreibt, dass er beabsichtigt, sie aufzusuchen, dass er aber bis nach Ende des biblischen Pfingstfestes noch in Ephesus bleiben wird (1. Korinther 16,8).

Wenn man die übliche Fehlinterpretation des Römerbriefes akzeptiert, dann müsste man zu dem Schluss kommen, dass Paulus die Korinther darin unterwiesen hat, wie das Passah richtig zu halten sei, dass er ihnen gebot, das biblische Fest der Ungesäuerten Brote zu begehen, und dass er anmerkte, er würde bis nach dem biblischen Pfingstfest in Ephesus bleiben. Dann soll er nur ein Jahr später an die Römer geschrieben haben, dass das alles keine Rolle spiele und unnötig sei.

Wenn man auf der anderen Seite Paulus’ Lehren für die Römer so versteht, wie sie wahrheitsgemäß in diesem Kapitel des Römerbriefes aufgezeichnet sind, dann kann man eine völlige Übereinstimmung zwischen seinem Handeln und den Briefen erkennen, die er an die Gemeindemitglieder in Rom und Korinth schrieb.

Welchen Kalender haben die ersten Heidenchristen verwendet?

Das folgende Zitat über den Kolosserbrief des Paulus aus dem Buch von Dr. Troy Martin, Professor für religiöse Studien an der Saint Xavier University in Chicago, bietet ein glaubwürdiges Argument gegen die oft vorgebrachte Meinung, dass Paulus die Heidenchristen angeleitet hätte, die biblischen Festtage nicht zu halten.

„Nur indem sie entweder gar keine Zeiten beachteten oder indem sie den jüdischen Kalender annahmen, konnten die paulinischen Gemeinden götzendienerischen Alternativen entgehen. Anderweitige Zeitrechnungssysteme benennen die Tage und Monate nach heidnischen Gottheiten und gestalten die Jahreszeiten gemäß heidnischer Bräuche.

Im Gegensatz dazu unterscheiden die Juden die Jahreszeiten anhand von Festen, die keinerlei Bezug zum Heidentum haben. Sie unterscheiden die Monate anhand von Neumonden und benennen sie anhand von landwirtschaftlichen Begriffen. Sie bestimmen ihre Wochen anhand von Sabbaten und nummerieren ihre Wochentage, vom Sabbat angefangen, von eins bis sechs, statt mit Namen. Die einzige Wahl, die Paulus und seine Gemeinschaften haben, sind jüdisch, heidnisch oder kein System der Zeitrechnung. Die Belege deuten darauf hin, dass sie das Erstere wählen.

In seinem Hinweis auf die zeitlichen Umstände in seinem Korintherbrief weist Paulus eine Annahme des jüdischen Kalenders auf. Sogar an einem Ort wie Korinth spricht Paulus vom ersten Tag nach dem Sabbat (1. Korinther 16,2), nicht von den Tagen der Sonne. Er argumentiert ausführlich auf der Grundlage der Feste des Passahs und der Ungesäuerten Brote, um die Korinther damit zu ermahnen, ,Darum lasst uns das Fest feiern‘ (1. Korinther 5,8).

Obwohl die zeitlichen Hinweise in den Paulusbriefen selten sind, bietet 1. Korinther einen starken Beleg dafür, dass Paulus den jüdischen Kalender übernommen hat. Zusätzlich zu 1. Korinther zeigt auch die Beschreibung von Paulus und den christlichen Gemeinden in der Apostelgeschichte, dass die [Heiden]Christen sich an den jüdischen Kalender hielten“ (By Philosophy and Empty Deceit: Colossians as Response to a Cynic Critique, 1996, Seite 125-127). Ohne gute Kenntnisse des jüdischen Kalendars wären Paulus’ Worte im 1. Korintherbrief für die dortigen Heidenchristen nicht nachvollziehbar gewesen.