Die Bekehrung der Heidenchristen löste einen Streit unter den ersten Christen aus. Zur Klärung gegensätzlicher Standpunkte trafen sich die Apostel in Jerusalem.

Von Roger Foster

Manche Christen meinen, dass die in Jerusalem versammelten Ältesten die Entscheidung trafen, Christen fortan von der Notwendigkeit der Einhaltung des alttestamentlichen Gesetzes zu befreien. Stimmt das aber? Um verstehen zu können, was damals wirklich entschieden wurde, müssen wir den historischen, kulturellen und biblischen Hintergrund berücksichtigen und verstehen.

Als sich die Heiden zu Christus bekehrten und getauft wurden, bestanden „einige Leute von Judäa“ darauf, dass die neubekehrten Heiden wie Juden leben sollten: „Wenn ihr euch nicht nach dem Brauch des Mose beschneiden lasst, könnt ihr nicht gerettet werden“ (Apostelgeschichte 15,1; Einheitsübersetzung). Beachten Sie hier, dass sie die Beschneidung zu einer Heilsfrage erhoben. Für die Heidenchristen war das eine Frage von enormer Bedeutung!

Paulus trug diese Angelegenheit deshalb der Kirchenführung vor, damit sie offiziell geklärt werden konnte (Vers 2). „Da traten einige von der Partei der Pharisäer auf, die gläubig geworden waren, und sprachen: Man muss sie beschneiden und ihnen gebieten, das Gesetz des Mose zu halten“ (Vers 5). Mit dem „Gesetz des Mose“ meinten sie die Anordnungen des Sinai-Bundes, die vielleicht auch einige der Rituale und Zeremonien mit eingeschlossen hätten – und auf jeden Fall die Beschneidung.

Auf dem Kirchenkonzil in Jerusalem sprachen sowohl Petrus als auch Paulus zu den versammelten Ältesten. Petrus merkte dabei an, dass Gott selbst die Frage der Beschneidung bereits geklärt hatte: „Ihr Männer, liebe Brüder, ihr wisst, dass Gott vor langer Zeit unter euch bestimmt hat, dass durch meinen Mund die Heiden das Wort des Evangeliums hörten und glaubten. Und Gott, der die Herzen kennt, hat es bezeugt und ihnen den heiligen Geist gegeben wie auch uns, und er hat keinen Unterschied gemacht zwischen uns und ihnen, nachdem er ihre Herzen gereinigt hatte durch den Glauben“ (Verse 7-9). Petrus’ Zeugnis belegte, dass Gott den heiligen Geist den Heiden gegeben hatte, die unbeschnitten waren (Apostelgeschichte 10,44-48). Daraus konnten sie nur folgern, dass Gott die Beschneidung von männlichen Bekehrten aus dem Heidentum nicht fordert.

Dann sprachen Paulus und Barnabas und schilderten, wie Gott durch sie Wunder gewirkt hatte, als er Heiden in die Kirche berief (Vers 12).

Vier Beschränkungen für neubekehrte Heidenchristen

Jakobus, der Halbbruder Jesu Christi, gab dann eine abschließende Erklärung ab: „Darum meine ich, dass man denen von den Heiden, die sich zu Gott bekehren, nicht Unruhe mache, sondern ihnen vorschreibe, dass sie sich enthalten sollen von Befleckung durch Götzen und von Unzucht und vom Erstickten und vom Blut“ (Verse 19-20).

Es gibt einige Christen, die aufgrund dieser Worte des Jakobus argumentieren, dass von den ersten Christen nichts Weiteres gefordert wurde. Sie meinen, dass die Christen damals und auch wir heute die anderen Gesetze, die wir im Alten Testament finden, nicht zu halten hätten.

Aber ist diese Sichtweise wirklich stichhaltig? Jakobus hat nichts von Mord, Stehlen, Lügen, Missbrauch des Namens Gottes und einer ganzen Reihe anderer Sünden gesagt. Sollten wir aufgrund dieser Argumentation also zu dem Schluss kommen, dass es Christen nun freisteht, all diese bösen Dinge zu tun? Natürlich nicht!

In seinen Briefen an die Gemeinden, in denen die Heidenchristen vertreten waren, hat der Apostel Paulus wiederholt auf die Notwendigkeit der Beachtung der Gebote Gottes hingewiesen. In seinem Brief an die Gemeinde zu Korinth kontrastierte Paulus die Beschneidung mit dem Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes: „Ist jemand als Beschnittener berufen, der bleibe bei der Beschneidung. Ist jemand als Unbeschnittener berufen, der lasse sich nicht beschneiden. Beschnitten sein ist nichts und unbeschnitten sein ist nichts, sondern: Gottes Gebote halten“ (1. Korinther 7,18-19).

Paulus betonte gegenüber den römischen Christen, dass den Nachfolgern Jesu – ob Juden- oder Heidenchristen – kein Freipass zum Sündigen gegeben ist: „Sollen wir denn in der Sünde beharren, damit die Gnade umso mächtiger werde? Das sei ferne! Wie sollten wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind?“ (Römer 6,1-2). Da die Sünde die Übertretung des Gesetzes ist (vgl. dazu 1. Johannes 3,4), wird damit klar, dass das Jerusalemer Konzil nicht alle alttestamentlichen Gebote bis auf vier aufgehoben hat.

Warum erwähnte Jakobus dann aber nur diese vier Beschränkungen – „dass sie sich enthalten sollen von Befleckung durch Götzen und von Unzucht und vom Erstickten und vom Blut“?

Das verbindende Element bei diesen vier Beschränkungen ist der heidnische Götzendienst. Jede von ihnen stand in direktem Zusammenhang mit heidnischen Anbetungsformen, die in den Gebieten üblich waren, aus denen Gott Heiden in seine Kirche berufen hat. Jede von ihnen verletzte auch spezifische biblische Gebote (2. Mose 20,2-6; 3. Mose 20,10-20; 1. Mose 9,4; 3. Mose 7,26-27).

Es ist aber auch offensichtlich, dass die Apostel einen weiteren Grund hatten, diese Verbindungen zum Götzendienst in besonderer Weise herauszustellen. Sie wollten sicherstellen, dass die neuen nicht jüdischen Bekehrten direkten Zugang zu den Lehren von Gottes Wort – den Heiligen Schriften – hatten (Römer 15,4; 2. Timotheus 3,15).

Beachten Sie hier den Grund, den Jakobus dafür angegeben hat, dass er diese konkreten Beschränkungen aufgelistet hat: „Denn Mose hat von alten Zeiten her in allen Städten solche, die ihn predigen, und wird alle Sabbattage in den Synagogen gelesen“ (Apostelgeschichte 15,21). Dadurch wird der Zweck für diese etwas rätselhaften Schlussbemerkungen deutlich: Die Apostel wollten sicherstellen, dass jeder neue Bekehrte aus dem Heidentum in der Lage sein würde, diese Unterweisungen zu erhalten, denn die Worte Moses wurden „alle Sabbattage . . . gelesen“.

Zugang zur Heiligen Schrift

Zu jener Zeit hatte niemand seine eigene Kopie der Bibel. Schriftrollen waren von Hand geschrieben und extrem teuer. Nur die sehr Reichen konnten sich irgendeine Form von persönlicher Bibliothek leisten. Die einzigen Orte, wo man regelmäßig eine Lesung aus der Bibel erfahren konnte, waren der Tempel in Jerusalem oder die jüdischen Synagogen, die es in größeren Städten des Römischen Reiches gab.

Indem sie sich von jeder Verbindung mit Götzendienst lossagten und sich dazu bekannten, nur den wahren Gott der Bibel zu verehren, war es diesen neuen heidnischen Bekehrten möglich, eine jüdische Synagoge zu besuchen. Dort konnten sie jeden Sabbat die grundlegenden Lehren der Heiligen Schrift hören. In Gegenden, in denen es noch keine christlichen Gemeinden gab, war die Synagoge das einzige organisierte „Ausbildungszentrum“, wo man aus den hebräischen Schriften lernen konnte.

Paulus bestätigt klar die Bedeutung der Unterweisung Neubekehrter aus der Schrift. In seinem Brief an Timotheus – ein junger Prediger, der ihm dabei half, diesen Bekehrten aus dem Heidentum zu dienen – betont Paulus: „Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nützlich . . . zur Erziehung in der Gerechtigkeit“ (2. Timotheus 3,16).

Er sagte sogar den heidnischen Bekehrten in Rom: „Demnach kommt der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort“ (Römer 10,17; Schlachter-Bibel). Zu jener Zeit waren die einzigen „Schriften“ bzw. das „Wort Gottes“, das sie kannten, das, was wir heute das Alte Testament nennen. Das Neue Testament gab es damals noch nicht.

Paulus erwartete offenbar, dass die Neubekehrten aus dem Heidentum sich darum bemühen würden, das inspirierte Wort Gottes zu hören und zu erlernen. Als die Kirche aber begann, heidnische Bekehrte zu akzeptieren, hatte sie noch nicht die Möglichkeit, nichtjüdische Bekehrte in jeder Stadt in der Schrift zu unterrichten – vor allem diejenigen nicht, die in Städten lebten, in denen es noch keine christlichen Gemeinden gab. Ein Beispiel dieser Art wäre die Stadt Rom, die anscheinend ca. 55 n. Chr. immer noch keine organisierte christliche Gemeinde hatte.

Aber die Juden hießen unbeschnittene Heiden in der Synagoge willkommen, wo sie Gottes Wahrheit erlernen konnten – solange sie sich dazu verpflichteten, allein dem wahren und lebendigen Gott der Bibel zu dienen.

Das Neue Testament zeigt, dass diese frühesten Bekehrten aus dem Heidentum schnell mit diesen Schriften vertraut wurden. Weil die Schriften, die die Juden und die Christen benutzten, identisch waren, sahen die Apostel kein Problem darin, dass die neuen heidnischen Gläubigen gemeinsam mit den Juden und den jüdischen Christen jeden Sabbat an den Gottesdiensten in den Synagogen teilnahmen.

Die Bibel selbst berichtet, dass viele Heiden die Predigten von Paulus zum ersten Mal in der Synagoge gehört hatten, die sie am Sabbat gemeinsam mit den Juden besuchten (Apostelgeschichte 17,1-4. 10-12. 16-17). Sowohl die Synagoge als auch die Heilige Schrift hatten eine zentrale Funktion bei der Verkündigungsarbeit von Paulus unter den Juden und Heiden.

Paulus und durch seine Arbeit Bekehrten sahen die Heilige Schrift – wie sie von den Juden in den Synagogen gelehrt wurde – als die Grundlage ihres Glaubens an. Deshalb musste er auch nicht ständig jedes Detail der Lebensweise, die diese Neubekehrten erlernen sollten, erklären. Wenn sich Paulus nur für eine kurze Zeit in einer Stadt aufhielt, konnte er seine Bemühungen darauf konzentrieren, die Rolle und die Aufgabe Jesu Christi zu erklären, bevor er dann in die nächste Stadt weiterreiste.

Er wusste, dass die Bekehrten aus dem Heidentum weiterhin grundlegende Unterweisung in der Schrift und Gottes Lebensweise dadurch erhalten konnten, dass sie den üblichen Gottesdiensten in den Synagogen beiwohnten. Und die Tatsache, dass er in seinen Briefen an nichtjüdische Gemeinden ausführlich aus diesen Schriften, die die Juden verwendeten, zitierte, bietet klare Belege dafür, dass alle heidnischen Bekehrten Zugang zu dieser Unterweisung hatten, unabhängig von ihrem Wohnort.