Der russische Bär erwacht wieder

Russlands Einmarsch in die Ukraine folgte einer langen Geschichte imperialistischer Unterdrückung. Werden wir an den Rand der nuklearen Vernichtung geführt?

Von Victor Kubik

Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2012 wurde der Kandidat Mitt Romney von vielen belächelt, als er Russland als größte außenpolitische Bedrohung Amerikas bezeichnete. War das mit dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren nicht längst Geschichte, meinten damals viele. Heute spotten nicht mehr so viele.

Zur Beunruhigung vieler hat Russland unter Präsident Wladimir Putin seine alte Rolle als destabilisierender Provokateur wieder aufgenommen und zuerst Georgien, dann die Halbinsel Krim und schließlich die Ukraine selbst angegriffen. Diese List, Täuschung und offene Kriegsführung haben die Spannungen zwischen Russland und dem Westen drastisch erhöht.

Als jemand mit engen Verbindungen und aktuellen Erfahrungen in Russland, der Ukraine und der ehemaligen Sowjetunion habe ich die Kriegswolken, die sich über Osteuropa und Asien zusammenbrauen, mit Argusaugen beobachtet.

Der Kampf um die Ukraine kostet viele Menschenleben, darunter viele Zivilisten, auch Kinder. Das Leben von Millionen weiterer Menschen hat sich in einen anonymen Flüchtlingsstatus aufgelöst. Und die düstere Möglichkeit eines globalen Konflikts, wie es ihn seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat, ist viel wahrscheinlicher geworden.

Mit der Eroberung und Besetzung der Krim im Jahr 2014 hat Russland Kriegsschiffe aus der Sowjetzeit erbeutet und einen Warmwasserhafen zurückgewonnen, der frei von dem einschränkenden Meereis an der russischen Nordküste ist und von dem aus es seine neu in Dienst gestellten Atom-U-Boote und Schlachtkreuzer starten kann. Der Frieden in der Region ist so gut wie verschwunden. Die großen Hoffnungen auf mehr Unabhängigkeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor Jahrzehnten sind verflogen.

Wie wird der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ausgehen? Greift er auf die baltischen Staaten und darüber hinaus über? Wohin wird er führen und was bedeutet das für Sie und für mich?

Führen wachsende Spannungen zu einem nuklearen Schlagabtausch?

Die Welt ist heute eine andere als zu Zeiten des Ressourcen verschlingenden Kalten Krieges in den 1950er und 1960er Jahren. Damals schien die fantasievolle Doktrin der gegenseitigen Vernichtung die nuklearen Protagonisten in Schach zu halten, obwohl sich die USA und die Sowjetunion in Konflikten auf der ganzen Welt bekämpften und bekriegten.

Anfang der 1990er Jahre schaute die Welt fassungslos zu, als die sowjetische Fahne vom Kreml heruntergenommen und an ihrer Stelle die russische Trikolore gehisst wurde. Das Undenkbare war geschehen. Die einst gefürchtete und mächtige Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) war zerfallen. Die Sowjetunion existierte nicht mehr, der Kalte Krieg war zu Ende.

Aber heute bläst uns der neue Wind einer gefährlichen Zukunft grausam ins Gesicht. Feindselige nationale Gefühle sind zurückgekehrt. Befinden wir uns in einer ähnlichen Situation wie am Vorabend des Zweiten Weltkriegs? Damals, als Adolf Hitler unter dem Jubel des deutschen Volkes seine Nachbarn bedrohte, war niemand bereit, ihn aufzuhalten. Wir alle wissen, wie diese Geschichte ausgegangen ist – ein weltweiter Flächenbrand mit 60 Millionen Toten.

Mit der Unterstützung der westlichen Staaten für die Ukraine während der russischen Invasion rasselten die russischen Atomsäbel offen wie zu Zeiten des Kalten Krieges, nur dass sie jetzt mit taktischen Waffen der neuen Generation nahe an den Grenzen der osteuropäischen und baltischen NATO-Staaten positioniert sind.

Könnten solche Waffen eingesetzt werden? Der letzte sowjetische Staatschef und Friedensnobelpreisträger von 1990, Michail Gorbatschow, hat sich Anfang Januar 2015 zu dieser Frage geäußert. In einem Interview mit dem SPIEGEL warnte er, dass die wachsenden Spannungen zwischen Russland und den europäischen Mächten wegen der Ukraine zu einem größeren Konflikt und sogar zu einem nuklearen Schlagabtausch führen könnten.