Das Reich Gottes war das Thema, das in den Gesprächen, die Jesus Christus mit den Menschen seiner Zeit führte, am häufigsten vorkam. Jesus lebte für seine Botschaft vom Reich Gottes. Aber nachdem er sich als König dieses kommenden Reiches offenbart hatte, musste er auch dafür sterben.
Von Victor Kubik
Aus welchem Grund wurde Jesus Christus angeklagt? Hatte er sich etwa durch seine Weissagungen oder durch seine Lehrtätigkeit des Todes schuldig gemacht? Wurde er hingerichtet, weil er den Massen zu essen gab, weil er die Kranken heilte oder weil er die Niedergeschlagenen wieder aufrichtete? Nein. Die anerkannten Würdenträger im Judentum taten sich schwer mit seinen Lehren und waren wegen seiner Beliebtheit im Volk auf ihn eifersüchtig. Manche von ihnen hassten ihn sogar.
Doch wegen seiner guten Taten hätten sie kein Todesurteil gegen ihn herbeiführen können. Sie brauchten einen besseren Vorwand. In den letzten Stunden seines irdischen Daseins wurde ein schwer mitgenommener, zugerichteter Jesus von den jüdischen Führern zum römischen Statthalter Pontius Pilatus gebracht. Ihre Hoffnung war, dass die verhasste Besatzungsmacht Jesus beseitigen würde.
Dafür mussten sie aber Klage gegen ihn vorbringen. Also „fingen [sie] an, ihn zu verklagen, und sprachen: Wir haben gefunden, dass dieser unser Volk aufhetzt und verbietet, dem Kaiser Steuern zu geben [was eine Lüge war], und spricht, er sei Christus, ein König“ (Lukas 23,2).
Christus ist ein Titel mit der Bedeutung „Gesalbter“ und entspricht dem hebräischen Begriff Messias. Mit beiden ist ein künftiger König gemeint, der vom König David abstammt.
Jesu Gegner wussten, dass dieser Vorwurf Pilatus aufhorchen lassen würde. Wir lesen von der Begegnung zwischen Jesus und Pilatus in Johannes 18. Bei diesem schicksalsschweren Anlass richtete Pilatus die Frage an Jesus: „Bist du der König der Juden?“ (Vers 33). Jesus widersprach nicht. Aber dann sagte er: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Daraufhin fragte ihn Pilatus: „So bist du dennoch ein König?“
Jesus antwortete: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll.Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme“ (Johannes 18,37; alle Hervorhebungen durch uns).
Diese markante Antwort fasst das ganze Evangelium zusammen: die Sendung Christi und seine Botschaft. Für uns, die wir die Wahrheit suchen, ist es äußerst wichtig zu begreifen, was Jesus hier sagt.
„Seht, das ist euer König!“
Pilatus begriff nicht, was Jesus ihm sagte. Aber der Vorwurf, Jesus sei ein Umstürzler, überzeugte ihn nicht. Er stichelte gegen die Juden mit der provozierenden Frage: „[Wollt] ihr nun, dass ich euch den König der Juden losgebe?“ (Johannes 18,39).
Die versammelte Menge lehnte aber Pilatus’ Angebot ab. Im nächsten Kapitel lesen wir davon, dass Pilatus Jesus geißeln ließ und die römischen Soldaten ihn als König der Juden verspotteten (Johannes 19,3).
Nachdem Jesus noch mehr gequält worden war, forderte die Menge seine Kreuzigung. Als dann Pilatus sagte: „Seht, das ist euer König!“, schrien die Versammelten noch mehr. Pilatus fragte: „Soll ich euren König kreuzigen?“ Die Hohepriester aber antworteten: „Wir haben keinen König als den Kaiser“ (Vers 15). Daraufhin wurde Jesus zur Kreuzigung abgeführt.
An seinem Kreuz hing ein Schild mit Angaben über sein angebliches Verbrechen. Pilatus hatte ihn nicht für schuldig befunden. Stattdessen gab er dem Druck der schreienden Menge nach, Jesus wegen Hochverrats zu kreuzigen. Pilatus gab Befehl, auf dem Schild die Aufschrift „Jesus von Nazareth, der König der Juden“ anzubringen (Vers 19).
Die Hohepriester wollten den Text nicht so stehen lassen und drängten Pilatus anzumerken, dass Jesus nur von sich behauptet hatte, der König der Juden zu sein. Aber Pilatus ließ sich nicht umstimmen (Verse 21-22). Die Aufschrift an seinem Kreuz gab an, dass Jesus wegen eines politischen Vergehens hingerichtet wurde: weil er ein König war bzw. ist.
Aber in welchem Sinne sollte Christus ein König werden? War der Titel lediglich als Bezeichnung einer überragenden Persönlichkeit gedacht? Oder war ein König im buchstäblichen Sinne gemeint – jemand, der über ganze Völker herrschen und Regierungsgewalt ausüben sollte?
„Ich bin dazu geboren“
Jesus wurde nicht erst am Ende seines irdischen Lebens als König bezeichnet. Diese hohe Bestimmung stand schon lange vor seiner Geburt fest. Wie er es Pilatus erklärte, kam er überhaupt deswegen in die Welt. Als der Engel Gabriel der Maria von ihrer bevorstehenden Schwangerschaft mit Jesus erzählte, sagte er:
„Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben“ (Lukas 1,32-33).
Diese Ankündigung entsprach einer Prophezeiung, die Jahrhunderte zuvor ausgesprochen worden war:
„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit“ (Jesaja 9,5-6).
In diesen beiden Abschnitten ist offensichtlich von einer buchstäblichen Herrschaft über Menschen auf der Erde die Rede. Als Christus in die Welt kam, sehnten sich die Menschen nach mehr als einer geistlichen Erweckung. Sie warteten auf einen Helden, der das Joch der römischen Fremdherrschaft abschütteln würde.
Als die Weisen aus dem Morgenland (d. h. dem Osten, wo die Sonne am Morgen steht) kamen, um Jesus zu huldigen, fragten sie: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten“ (Matthäus 2,2).
Aus der Prophezeiung in Micha 5, Vers 1 wussten sie, dass der Messias, der Herrscher und Hirte Israels, in Bethlehem geboren werden sollte, und das haben sie dem König Herodes auch gesagt. Herodes fühlte sich durch diese Nachricht derart bedroht, dass er alle Kinder in Bethlehem und Umgebung im Alter von unter drei Jahren ums Leben bringen ließ: „Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte“ (Matthäus 2,16).
Das kommende Reich – eine einheitliche Botschaft
Aber wie Jesus dem Pilatus erklärte, war sein Reich nicht von dieser Welt, das heißt, nicht von der gegenwärtigen, menschlichen Herrschaftsordnung. Es sollte erst in der Zukunft erscheinen. Und es sollte nicht nur Israel und Juda, sondern die ganze Welt umfassen. Wie der Prophet Daniel aus einer Vision berichtet:
„[Es] kam einer mit den Wolken des Himmels wie eines Menschen Sohn und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Der gab ihm Macht, Ehre und Reich, dass ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende“ (Daniel 7,13-14).
Wo immer er hinkam, verkündete Jesus das Kommen dieses Reiches, über das er im Namen des Vaters herrschen sollte, und forderte die Menschen auf, seine Botschaft zu glauben und ihre Sünden zu bereuen:
„Nachdem man Johannes gefangen genommen hatte, kam Jesus nach Galiläa und verkündigte das Evangelium Gottes: Erfüllt ist die Zeit, und nahe gekommen ist das Reich Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,14-15; Zürcher Bibel).
Er machte keinen Hehl aus den Aufnahmebedingungen, die für dieses Reich galten. Notwendig war nicht nur sein eigenes Opfer, sondern auch seine Herrschaft in unserem Leben heute. Jesus erklärte, welche Gesinnungen und Verhaltensweisen für die Aufnahme in sein Reich Voraussetzung waren, und das waren Gesinnungen und Verhaltensweisen, deren Fehlen in den Staatsgebilden der Menschen zu all dem Leid, das es in dieser Welt gibt, geführt hat.
Nach Abschluss seiner Tätigkeit als Mensch auf Erden sandte Jesus seine Jünger in die Welt, um die Botschaft weiterzugeben. Kurz vor seiner Himmelfahrt fragten ihn diese Jünger: „Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel?“ (Apostelgeschichte 1,6).
Selbst zu diesem späten Zeitpunkt glaubten sie an die Errichtung einer Herrschaft auf der Erde. Es ist bezeichnend, dass Jesus ihnen in keiner Weise widerspricht. Er sagt ihnen lediglich, dass es ihnen nicht zusteht zu wissen, wann alles geschehen soll, dass sie aber in der Verkündigungsarbeit beharren sollen (Verse 7-8).
Es war ihnen klar, dass die einzige Hoffnung für die Menschheit in der Errichtung des Reiches Gottes als Herrschaft auf der Erde besteht, mit Christus als König.
Der Wechsel von der Herrschaft des Menschen zur Herrschaft Gottes wird in den letzten Kapiteln der Bibel plastisch dargestellt. Nachdem er die gegen ihn aufgebotenen Truppenverbände bei seiner Wiederkehr getötet hat (Offenbarung 19,19-21), regiert Jesus die rebellischen Völker mit einem eisernen Stab (vermutlich ein Bild für ein Szepter).
Dieser Stab steht nicht nur für die Macht, Gehorsam zu erzwingen, sondern auch für den Schutz, den der allmächtige Hirte seinen menschlichen Schafen bieten wird. Sein Titel wird lauten: „König aller Könige und Herr aller Herren“ (Offenbarung 19,16).
Der verdorbenen, verkehrten Herrschaft des Menschen wird Jesus ein für alle Mal ein Ende setzen. Dann wird ein Zeitalter dauerhafter Gerechtigkeit anbrechen – das Zeitalter der Herrschaft des Königs der Könige, Jesus Christus!