Energiefachleute und Politiker machen sich Gedanken zur Frage, wie abhängig die Europäische Union von Energielieferungen aus dem Ausland werden darf.
Von Paul Kieffer
Als EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, EU-Chefdiplomat Javier Solana und der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel den russischen Präsidenten Vladimir Putin am 25. Mai im Ferienort Sotschi am Schwarzen Meer aufsuchten, war ihnen nicht nach Ferien zumute. Statt dessen gab es zwei wichtige Punkte auf der Tagesordnung für ihre Beratungen mit dem russischen Führer: Wie wird sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der EU und Rußland in Zukunft gestalten, und wie zuverlässig sind russische Energielieferungen an die EU?
Das Treffen zwischen Putin und seinen EU-Gästen spiegelt Europas wachsende Abhängigkeit von Energieeinfuhren wider, hauptsächlich aus dem Persischen Golf und Rußland. In den letzten Monaten war Rußland als Energielieferant ins kritische Visier der Europäer gerückt. Manche Beobachter meinen, Rußland strebe wieder den Status einer Supermacht an, basierend auf seinen reichhaltigen Energieressourcen.
Im November 2000 warnte die EU-Kommission vor den steigenden Energieimporten der Union. Halten die gegenwärtigen Trends an, so wird die EU bis zum Jahr 2030 90 Prozent ihres Ölbedarfs durch Einfuhren decken – derzeit sind es 76 Prozent. Ähnliches sagte die Kommission beim Erdgas voraus, dem anderen Hauptenergieträger Europas. In diesem Jahr wird die EU ca. 40 Prozent ihres Erdgases importieren. Drei Viertel dieser Importe kommen aus Rußland, und der Rest kommt hauptsächlich aus dem Nahen Osten.
Die europäischen Erdgasvorräte in den Niederlanden und in der Nordsee gehen langsam zur Neige mit der Folge, daß die Europäer bis zum Jahr 2030 fast 80 Prozent ihres Erdgasbedarfs importieren werden. In nur 24 Jahren wird Rußland voraussichtlich weit mehr als die Hälfte des gesamten Erdgases liefern, das Europa verbraucht.
Der russische Energieriese Gazprom hat als Erdgas-Lieferant für einige neue EU-Mitgliedsländer in Osteuropa bereits eine dominante Marktposition inne. In den baltischen Staaten und der Slowakei hat Gazprom einen Marktanteil von 100 Prozent, 99 Prozent in Polen und 82 Prozent in Tschechien. Ab 2010 wird Gazproms jetziger Marktanteil von 35 Prozent in Deutschland sprunghaft ansteigen, wenn die neue Ostsee-Gasleitung, die Deutschland direkt mit dem russischen Lieferanten verbinden wird, in Betrieb genommen wird.
Welche Möglichkeiten hat Europa zur Reduzierung seiner Abhängigkeit von Energieimporten? Der Anteil an Öl und Erdgas bei Europas Gesamtenergieverbrauch beträgt 60 Prozent. Der Rest verteilt sich auf Kernkraft (15 Prozent), Kohle (18 Prozent) und erneuerbare Energien (ca. 7 Prozent). Der Schutz der Umwelt verhindert eine Verstärkung der Energiegewinnung durch Kohle und Atomkraft, und der Ausbau der erneuerbaren Energien wird nicht ausreichen, um den vorauszusehenden Mehrbedarf zu decken. Die Folge ist, daß die Nachfrage nach Öl und Erdgas und damit auch die Einfuhren dieser beiden Energieträger steigen werden.
Es gibt Stimmen, die in der wachsenden Abhängigkeit Europas von russischem Erdgas keine Gefahr sehen. Schließlich ist Europa Gazproms größter Abnehmer und damit, so argumentieren sie, ist Gazprom auch von Europa abhängig. Europa bekommt derzeit ca. drei Viertel aller russischen Erdgasexporte. Die ehemaligen Sowjetrepubliken, die die meisten der übrigen Exporte bekommen, zahlen in der Regel Preise für ihr Erdgas, die zum Teil weit unter dem Preis für europäische Kunden liegen. 2005 machte der EU-Anteil an den Gesamteinnahmen Gazproms 65 Prozent aus.
Anfang Dezember 2005 bestätigte Gazprom-Chef Alexej Miller auf einer Pressekonferenz in Hannover die enge Verknüpfung zwischen seiner Firma und Europas Energiebedürfnissen. Zum Bau der „North European Gas Pipeline“, der Erdgasleitung, die Rußland direkt mit Deutschland verbinden wird, meinte Miller: „In diesem Jahrhundert wird es keine Probleme mit der Befriedigung des Gasbedarfs Europas geben. Die russischen Gasvorräte sind so groß, daß der Konsum sogar erhöht werden kann. Wieviel Gas Europa braucht, soviel wird Gazprom liefern.“
Der erste Teil der neuen Gasleitung wurde am 9. Dezember 2005 bei einer Zeremonie in Babajewo, rund 400 Kilometer nordöstlich von Moskau, im Beisein von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und Gazprom-Funktionären gelegt. Glos bezeichnete die Pipeline als einen Meilenstein der Energie-Kooperation: „Ich betrachte es als eine wichtige gemeinsame Aufgabe, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Unternehmen unserer beiden Länder diese Energiepartnerschaft ausbauen können.“ E.on-Chef Wulf Bernotat beschrieb die Pipeline als „zuverlässige Anbindung an die riesigen russischen Erdgasvorkommen“ (Hamburger Abendblatt, 10. Dezember 2005).
Vor diesem Hintergrund scheinen die Sorgen nur fünf Monate späer um die Zuverlässigkeit der russischen Erdgaslieferungen seltsam. Was löste die Sorgen aus?
Als die Heizung in der Ukraine ausfiel
Als Teil der ehemaligen Sowjetunion gehörte die Ukraine zu Gazproms Sonderkunden und zahlte jahrelang einen Preis für Gazprom-Erdgas, der weit unter dem Weltmarktpreis lag. Als Gazprom lange vor Januar 2006 die Kündigung des Liefervertrags bekanntgab und neue Preise anbot – die immer noch unter dem Weltmarktpreis lagen –, machte die Ukraine zunächst nicht mit. Ende Dezember 2005 konnte in letzter Minute keine Vereinbarung getroffen werden. Am 1. Januar 2006 stoppten Gazprom-Techniker die Erdgaslieferungen in den beiden für die Ukraine bestimmten Pipelines.
Gazprom führt jedoch drei weitere Erdgasleitungen durch die Ukraine, um europäische Kunden zu beliefern. Zur Zeit fließt die Mehrheit des für Europa bestimmten Gazprom-Erdgases durch diese Pipelines. Als der Druck auch in diesen Leitungen nachließ, beschuldigte Gazprom die Ukraine des Diebstahls. Ukrainische Beamte erwiderten mit der Feststellung, ihr Land hätte trotz der Krise immer noch Anspruch auf die Transitgebühren für das durch die Ukraine geleitete Erdgas. Da diese Gebühren nicht in bar, sondern in Erdgas „bezahlt“ würden und die Ukraine selbst keine Lieferungen mehr erhielte, mit denen eine Verrechnung der Gebühren möglich gewesen wäre, müsse man sie auf sonstige Weise eintreiben.
Der nachlassende Druck in den Leitungen nach Europa – besonders in Österreich – ließ EU-Politiker an Rußland und die Ukraine appellieren, ihren Disput beizulegen. Wenige Tage später verständigten sich Gazprom und die Ukraine auf einen neuen Liefervertrag zu neuen Preisen, und der Gashahn für die Ukraine wurde wieder aufgedreht. Diese kleine Energiekrise mitten im Winter ließ einige Kommentatoren von einem kalten Krieg einer anderen Art reden, da Erdgas auch als Brennstoff für Heizungen eingesetzt wird.
In den Wochen nach der ukrainischen Erdgaskrise fragen sich manche Europäer, wie zuverlässig Gazprom wirklich ist. Gazproms Vorgehensweise gegenüber der Ukraine erinnerte an die Reaktion Moskaus auf die erste Unabhängigkeitserklärung einer Sowjetrepublik – Litauen. 1990 ließ Michail Gorbatschow sämtliche Erdgas- und Erdöllieferungen an Litauen einfach einstellen, auch mitten im Winter. Solche Fakten sind ein nüchterner Gegenpol für die Feststellung, daß sowjetische Erdgaslieferungen an Westeuropa in der ganzen Zeit des „Kalten Krieges“ nie unterbrochen wurden.
Keine einheitliche EU-Energiepolitik
Das Fehlen einer gemeinsamen EU-Energiepolitik hilft nicht, Europas Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren. Das ist sonderbar, zumal die EU der größte Energieimporteur der Welt ist – sogar vor den USA. Wie in anderen kritischen Bereichen – beispielsweise die Steuer- und Wirtschaftspolitik – wird innerhalb der EU die Energiepolitik auf nationaler Ebene entschieden.
Das Resultat ist, daß Europa kein gemeinsames Konzept für den Umgang mit Gazprom hat. Jedes EU-Land, das Gazprom-Kunde ist, handelt seine eigenen Lieferverträge mit dem russischen Energiegiganten aus. Das ermöglicht Gazprom eine „teile und herrsche“-Politik auf dem europäischen Markt.
Das Fehlen einer gemeinsamen EU-Energiepolitik führt zu widersprüchlichen Energiestrategien in den einzelnen Mitgliedsländern. Als Beispiel auf dem Strommarkt sollen bis 2020 in Deutschland alle Atommeiler stillgelegt werden. Auf der anderen Seite der Grenze wird in Frankreich der größte Teil des Stroms mit Kernkraft erzeugt, und keine Änderung der französischen Energiepolitik bezüglich Atomstroms ist in Sicht. Da europäische Stromerzeuger ihre überschüssigen Kapazitäten innerhalb Europas „verkaufen“, kann es nach 2020 durchaus vorkommen, daß ein Teil des in Deutschland verbrauchten Stroms gelegentlich von ausländischen Kernkraftwerken geliefert werden wird.
Darüber hinaus führt das Fehlen einer gemeinsamen energiepolitischen Strategie dazu, daß Europa in den letzten Jahren nicht geschlossen nach anderen möglichen Energielieferanten suchte. Hätte man das getan, wäre man heute nicht so stark angewiesen auf nur zwei Regionen als Energieexporteure. Heute setzt sich die Ernüchterung durch, daß Europa viel zu lange auf die Dynamik des freien Marktes setzte.
Im Gegensatz dazu bestimmt die wachsende Nachfrage in der Volksrepublik China ihr außenwirtschaftliches Vorgehen. China ist dabei, langfristige Verträge mit Lieferanten abzuschließen, die bislang nicht zu den großen traditionellen Energiequellen Europas gehörten. Auch Indien braucht immer mehr importierte Energie. Manche Analysten reden sogar von einem beginnenden Kampf weltweit um die verbleibenden Energieressourcen.
Mit der wachsenden Abhängigkeit Europas von Energieimporten und die vorauszusehenden Engpässe auf dem Weltmarkt wäre es keine große Überraschung, wenn die Mitgliedsländer der EU in Zukunft ihre Energiepolitik gemeinsam abstimmen bzw. festlegen. Es ist wahrscheinlich, daß Europas Energieabhängigkeit seine Außenpolitik gegenüber den beiden Regionen, die den größten Teil seiner Energieimporte liefern – Rußland und der Persische Golf – zumindest beeinflussen, wenn nicht gar bestimmen wird.
Der endzeitliche „König des Nordens“ und Energie
Der endzeitliche „König des Nordens“ bzw. „König des Südens“, die der Prophet Daniel erwähnte (Daniel 11), sind die Nachfolger von Syrien bzw. Ägypten, zwei der vier Mächte, die bei der Aufteilung des Reiches von Alexander dem Großen entstanden sind. Das Römische Reich eroberte Syrien und wurde damit zum König des Nordens. Das Römische Reich ist zwar später gefallen, wurde aber in diversen Erscheinungsformen im Laufe der Jahrhunderte wiederbelebt.
Bei seiner letzten Auferstehung wird das Römische Reich, wie es auch beim ursprünglichen Reich der Fall gewesen ist, sein Zentrum in Europa haben. Dies scheint sich in einem embryonalen Stadium in der Europäischen Union anzudeuten. Das soll nicht heißen, daß alle gegenwärtigen EU-Nationen Teil dieser letzten Wiederbelebung sein werden. Diejenigen aber, die sich zur Teilnahme entschließen werden, werden sich vereinen und eine machtvolle militärische Kraft darstellen, die im Nahen Osten eingreifen wird.
Der in Daniel 11 erwähnte endzeitliche König des Nordens scheint also der letzte Herrscher dieser endzeitlichen europazentrierten Supermacht zu sein, der gleiche, der in Offenbarung 17 „das Tier“ genannt wird.
Daniel 11, Verse 40-43 zeigen, daß der endzeitliche König des Nordens, nach einer Provokation durch den König des Südens, mit einem Großeinsatz in den Nahen Osten eindringen wird. Es gibt Prophezeiungen, die auf endzeitliche religiöse Ereignisse in Jerusalem hinweisen. Die Geschichte zeigt jedoch, daß wirtschaftliche Gründe eine Hauptursache des Kriegs sind, was vom Apostel Jakobus bestätigt wird (Jakobus 4,1-3).
Europas Wirtschaft hängt zunehmend von Ölimporten aus dem Persischen Golf ab, und eine Unterbrechung dieser Lieferungen – wie 1973 nach dem Jom-Kippur-Krieg – hätte verheerende Auswirkungen für die EU. Ist das das Mittel, dessen sich der König des Südens bedienen wird, um sich mit dem König des Nordens „zu messen“ (Daniel 11,40)?
Hat der König des Nordens einen Teil des Nahen Ostens besetzt, werden ihn Nachrichten aus dem Nordosten (vom Heiligen Land aus gesehen) erschrecken (Vers 44). Gibt es für Europa einen wichtigen Wirtschaftsfaktor nordöstlich von Jerusalem? Ja – die riesigen Erdgasvorkommen Rußlands, die hauptsächlich in Sibirien zu finden sind.