Mitte Oktober verfolgte die Welt die Friedensverhandlungen auf dem Nahostgipfel in Wye Plantation nahe der amerikanischen Hauptstadt. Die tagelangen Gespräche gipfelten in einer 21stündigen Marathonsitzung, mit der eine Vereinbarung über die Fortsetzung des zum Stillstand gekommenen Friedensprozesses im Nahen Osten erreicht wurde.
Seit der Ausrufung des israelischen Staates vor mehr als 50 Jahren sind mehrere bewaffnete Konflikte um Palästina und den jüdischen Staat geführt worden. Selbst in „Friedenszeiten“ hat es Terroranschläge, Unruhen in den von Israel besetzten Gebieten und Militäraktionen wie das Eingreifen Israels 1982 in dem Libanon gegeben. Die Lage im Nahen Osten hat großen Einfluß auf die Welt, wie der Journalist William Rees-Mogg in der Londoner Times zu Beginn der jetzigen Phase der Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern feststellte: „Es kann gut sein, daß die Zukunft der ganzen Welt von den Nahostgesprächen abhängt, die heute in Washington beginnen.“
Wie ist es möglich, daß die friedliche Zukunft unserer Welt von den Geschicken eines derart kleinen Landes wie Israel überhaupt berührt wird? Der moderne Staat Israel hat in seinen international anerkannten Grenzen ein Hoheitsgebiet von etwa 22 000 km², etwa so groß wie das deutsche Bundesland Hessen. Israel ist nur 60 km breit und 500 km lang. Die Bedeutung dieses Landes steht also in keinem Verhältnis zu seiner geographischen Größe. Die neuere Weltgeschichte zeugt von anderen Fällen dieser Art.
Klein kann gefährlich sein
Seit Jahrtausenden stellen kleine Nationen und Inseln die jeweils vorherrschenden Mächte vor große Probleme. In unserem Jahrhundert wäre es mehrmals durch Konflikte über winzige Staaten und Gebiete beinahe zum Weltkrieg gekommen. Da war zum Beispiel die Kubakrise im Jahre 1962. Damals entging die Welt um Haaresbreite einem atomaren Schlagabtausch zwischen den USA und der Sowjetunion. Zum Glück konnte die Katastrophe aber durch Verhandlungen abgewendet werden.
Im Jahre 1982 führten Großbritannien und Argentinien einen kurzen Krieg über die Falklandinseln. Ein Jahr später kam es zu einer heftigen Mißstimmung zwischen den USA und Großbritannien, als die Amerikaner die Karibikinsel Grenada, deren Staatsoberhaupt die britische Königin ist, befreiten. Vor wenigen Jahren wurde der Golfkrieg geführt, teilweise um das kleine arabische Land Kuwait zu befreien.
Ein Bericht des britischen Parlaments aus dem Jahre 1984 faßt das Problem folgendermaßen zusammen: „Wie die Welt so oft und zu einem sehr hohen Preis lernen mußte, kommt es selten durch bewußte Entscheidungen seitens der Großmächte zum Kriegsausbruch und Bündniszerfall. Vielmehr liegt die Ursache solcher Geschehnisse in der Unfähigkeit der Großmächte und der von ihnen angeführten Bündnisse, mit den Problemen kleiner, abgelegener Länder fertig zu werden“ (Small is Dangerous: Micro States in a Macro World, herausgegeben von Sheila Harden, Verlag Frances Printer, London, 1985).
Der ehemalige Generalsekretär des britischen Commonwealth, Shridath Ramphal, brachte es auf den Punkt: „Die Weltgemeinschaft hat sich wohl noch zu wenig Gedanken über die Entstehung so vieler winziger Staaten am Ende dieses Jahrhunderts gemacht“ („Small is beautiful but wonderful“, Rede in London am 18. Juli 1984).
Israel ist dabei keine Ausnahmeerscheinung. Manche seiner Probleme sind ihm zwar eigen, doch manche – wie die Sicherung der eigenen territorialen Integrität – beschäftigen zahlreiche andere kleine Staaten ebenfalls. Auch Israel ist für die Großmächte ein Zankapfel gewesen. Anfang der siebziger Jahre versetzte der US-Präsident Richard Nixon die amerikanischen Atomstreitkräfte in höchste Alarmbereitschaft, weil er das kleine Land Israel durch russische Ambitionen im Nahen Osten bedroht sah.
Mit dem Verfall der Sowjetunion und ihren Bündnissen scheint jedoch diese Art Bedrohung für den Weltfrieden vorerst gebannt zu sein. Um so erstaunlicher ist deshalb die Wichtigkeit der Friedenssituation des kleinen Landes Israel und ihrer Nachbarn für den Frieden der ganzen Welt.
Das Heilige Land in der biblischen Geschichte
Palästina ist nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg ein Zankapfel der Großmächte gewesen. Der britische Historiker Paul Johnson stellt zur strategischen Bedeutung dieses Gebiets fest: „Ein Blick auf eine Weltkarte macht verständlich, warum die Geschichte des Heiligen Landes derart verwickelt ist. Das Land mag klein sein, aber das Schicksal hat es am Knotenpunkt der Antike plaziert... Oft wider Willen, oft hilflos fand es sich mitten auf der Bühne der Weltgeschichte, wo es von den wechselnden Dramen mal erhöht, mal erniedrigt wurde“ (Civilisations of the Holy Land, Weidenfeld & Nicolson, London, 1979, Seite 7).
Das Israel der Antike war am Knotenpunkt der damaligen Welt plaziert. Dazu die Autoren Ariel und D’vorah Berkowitz: „Das Gelobte Land war eine alte und natürliche Landbrücke zwischen Japan, Indien und China im Fernen Osten, Afrika im Süden und Europa im Norden.“ Viele der wichtigsten Handelswege der Antike führten entweder durch Israel oder knapp an ihm vorbei. Den großen Mächten Ägypten, Babylon und Assyrien war die Kontrolle über diese Handelswege wichtig; auch diente ihnen Palästina als Durchzugsgebiet für Truppenbewegungen.
Der biblische König Josia starb, als er einen Truppenaufmarsch dieser Art vergeblich aufzuhalten versuchte. Dabei zog Pharao Necho, der König von Ägypten, mit seinem Heer nach Karkemisch, um gegen die Babylonier zu kämpfen. Ungefähr ein Jahrhundert früher hatten die Assyrer Truppen im Norden des Heiligen Landes stationiert.
Angesichts der Tatsache, daß die kleine biblische Nation Israel im Vergleich zu ihren mächtigen Nachbarn kein bedeutendes Land der Antike war, ist der Einfluß ihrer Religion – insbesondere durch ihren Beitrag zur christlichen Bibel, das Alte Testament – bemerkenswert. Dazu der Autor Amos Elon: „Noch erstaunlicher ist die Tatsache, daß die [hebräische] Bibel, wie sie in Jerusalem geschrieben wurde, im Gegensatz zu den Büchern anderer Völker der Antike weder die Literatur einer regionalen oder überregionalen Macht noch die Literatur einer herrschenden Elite, sondern die Literatur eines kleinen, unnahbaren Volkes war“ (Jerusalem: City of Mirrors, Fontana, London, 1991, Seite 19).
Heutige Situation anders als früher
Die Aufmerksamkeit, die die Welt dem Friedensprozeß im Nahen Osten widmet, zeugt von einer völlig anderen Situation als zur Zeit der Bibel oder des Kalten Krieges. Diese Region ist nicht mehr eine unter größeren Mächten umstrittene bzw. umworbene Immobilie, mit deren Besitz man eigene Ziele verfolgen will. Der Nahe Osten hat in den Jahren seit dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 eine Art Eigendynamik entwickelt.
Als der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat im Herbst 1977 den mutigen Schritt wagte, nach Jerusalem zu reisen und dem Staat Israel die Hand zum Frieden auszustrecken, handelte er im Interesse der ganzen Region und nicht primär für eine der damaligen Supermächte. Leider konnte der Frieden, den Ägypten und Israel schlossen, noch nicht auf alle anderen Nachbarländer übertragen werden, obwohl diesbezügliche Fortschritte gemacht worden sind.
Der erreichte Frieden ist immer noch sehr zerbrechlich. Der Nahe Osten hat leider auch eine Eigendynamik im Bereich der Bewaffnung und der Militärmacht entwickelt. Manche Beobachter halten den Staat Israel für die zweitmächtigste Atommacht hinter den USA auf unserer Erde, obwohl die Israelis bis jetzt nie offiziell den Besitz von Atomwaffen zugegeben haben.
Auf der anderen Seite gibt es Länder wie den Irak, der vor dem Golfkrieg 1991 die viertgrößte Armee der Welt hatte und der nach wie vor die Existenz des Staates Israel in Frage stellt. Unvergessen bleiben in Israel die irakischen Angriffe mittels Scud-Raketen während des kurzen Krieges damals zur Befreiung Kuwaits. Vor acht Jahren ließ sich Israel von US-amerikanischen Luftabwehrverbänden „verteidigen“ und griff auf Drängen der Amerikaner nicht selbst in die Kämpfe mit Irak ein. Viele Beobachter schließen eine nochmalige Zurückhaltung dieser Art seitens der Israelis völlig aus. Es sind solche Vermutungen, die Kenner der Szene und des Militärpotentials in dieser Region jeden Waffengang gegen den irakischen Führer Saddam Hussein aufhorchen lassen. Militäraktionen wie der kürzliche Beschuß von irakischen Zielen durch die Amerikaner und Briten könnten der Zünder sein, der das Pulverfaß zur Explosion bringt.
Eine Prophezeiung für die Zukunft
In den ersten Jahrzehnten dieses bald zu Ende gehenden Jahrhunderts war Palästina weitgehend ohne Bedeutung für die Welt. In den beiden Weltkriegen blieb die Region um Jerusalem von den Kampfhandlungen weitgehend verschont und hatte kaum strategische Bedeutung. Wie sich das in den letzten 50 Jahren geändert hat!
Der Begründer der christlichen Religion, Jesus Christus, beschrieb eine Zeit vor seiner buchstäblichen Rückkehr zur Erde, wenn Jerusalem als Teil einer größeren Auseinandersetzung umkämpft sein wird (Matthäus 24; Lukas 21). Leider sind seine Worte heute den meisten Christen unbekannt. Die Zeitschrift Gute Nachrichten ist jedoch überzeugt, daß Jesu Worte die zunehmende Bedeutung Palästinas und Jerusalems für den Weltfrieden voraussagen – weit über das Maß hinaus, das ihnen sonst aufgrund ihrer geographischen Größe zukäme.