Menschliches Verhalten wird wesentlich vom Glauben beeinflußt. Die Geschichte zeigt, daß die Folgen katastrophal sein können, wenn dieser Glaube im Irrtum ist.
Von Mario Seiglie
Sicher haben Sie schon einmal die Behauptung gehört, daß es keine Rolle spiele, woran wir glauben solange wir an Jesus Christus glauben. Die Bibel, Gottes Anleitungsbuch für uns Menschen, sagt jedoch, daß diejenigen, die Gott kennen, an dem Glauben festhalten sollten, der sich auf seine Weisung gründet: „Und daran merken wir, daß wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten. Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht“ (1. Johannes 2,3-4). Was Christen glauben, sollte in Gottes Wort begründet sein.
Warum ist es so wichtig, was wir glauben? Unsere Überzeugungen sind deshalb so bedeutend, weil sie im großen Ausmaß unsere Entscheidungen beeinflussen. Unsere Entscheidungen wiederum bestimmen unsere Lebensweise. Unser Glaube ist außerdem auch das Fundament unserer Weltanschauung, die ebenfalls unsere Handlungen beeinflußt.
Hinzu kommt, daß wir, sofern sich unser Glaube auf Gottes Gesetze gründet, dem Druck der Welt, die uns ihre z.T. verdrehten Maßstäbe und Werte aufdrängen will, etwas „Handfestes“ entgegenhalten können.
Gottes Anleitungen sollten definieren, was wir glauben; dadurch haben wir Sicherheit, daß wir richtige Entscheidungen treffen können, die uns zum Besten gereichen. Christus lehrte: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht“ (Matthäus 4,4).
Nehmen wir zum Beispiel das sechste Gebot: „Du sollst nicht töten“ (2. Mose 20,13). Dieses Gebot ist sehr klar und eindeutig, doch die Mehrheit des traditionellen Christentums deutet dieses Gebot trotzdem so, daß Christen unter gewissen Umständen „gerechte Kriege“ führen dürfen – oder sogar müssen, wie die Aussagen einiger Kirchenführer vor dem Zweiten Weltkrieg belegen.
Wie die Idee des gerechten Krieges entstand
In den ersten drei Jahrhunderten war die Idee, daß ein Krieg gerecht sein könne, unter Christen nicht sehr verbreitet. Als Kaiser Konstantin jedoch im Jahre 325 zum Katholizismus konvertierte, wurden die religiöse und die staatliche Macht zusehends fester miteinander verbunden. Die Weltlichen und Religiösen hatten fortan ein gemeinsames Reich zu verteidigen. Deshalb beschlossen die religiösen Führer, daß ein Christ zu den Waffen greifen darf, um für den Kaiser und die Kirche zu kämpfen. „Für Gott, Kaiser und Vaterland!“ blieb bis zum Ersten Weltkrieg der Schlachtruf vieler christlicher Soldaten.
Die christliche Welt akzeptiert seither den Gedanken, daß es für den Christen keine Sünde ist, in den Krieg zu ziehen. Der britische Historiker Paul Johnson beschreibt, wie diese Idee in die römisch-katholische Kirche und später in die protestantischen Kirchen Einzug hielt. Herr Johnson ist nach eigenen Angaben ein praktizierender Katholik und einer, der die Unzulänglichkeiten des Christentums in der Vergangenheit erkennt.
Johnson führt die Lehre von gerechten Kriegen und gerechtfertigter Gewalt von Christen gegenüber anderen auf Augustinus zurück, den Bischof und Theologen des vierten Jahrhunderts: „Natürlich waren die Zeiten entsetzlich. Das damalige [Römische] Reich war ein totalitärer Staat. Staatliche Folter wurde ... angewandt, wann immer der Staat es wollte ...
Augustinus war die Verbindung zur alten Welt ... Wenn der Staat solche Methoden für seine eigenen miserablen Ziele benutzte, konnte die Kirche nicht dasselbe und noch mehr für ihre viel ,höheren‘ Zwecke tun? Er akzeptierte nicht nur Verfolgung, sondern wurde der Theoretiker der Verfolgung. Auf seinen Rechtfertigungstheorien ruhten später alle Rechtfertigungen für die Inquisition.
Zum ersten Mal benutzte er auch die Übereinstimmung mit dem Staat für kirchliche Zwecke, berief sich sogar auf die Rechtmäßigkeit des Staates als notwendige und andauernde Allianz mit der Kirche bei der Ausrottung der Dissidenten ... Hier wird zum ersten Mal von der andere verfolgenden Kirche an alle autoritären Elemente der Gesellschaft, an die menschliche Natur, ein Appell ausgesprochen.“
Unterschiede im römischen Ost- und Westreich
„Diese Betonung der Gewalt war besonders im Westen ausgeprägt. Die Christen des Ostens folgten eher den Lehren des St. Basil, der Krieg als schändlich betrachtete.
Die ursprüngliche christliche Tradition war folgende: Die frühen Christen, die den Tod dem Widerstand vorzogen, verabscheuten Gewalt; und bei seinen Bemühungen, Christus zu interpretieren, hat [der Apostel] Paulus nicht einmal versucht, für einen rechtmäßigen Gebrauch von Gewalt Thesen aufzustellen. Wieder war es St. Augustinus, der der westlichen Christenheit die fatale Wendung in diese Richtung bescherte. In seinem tiefen Pessimismus versuchte er immer, die Gesellschaft so zu akzeptieren, wie er sie vorfand, und versuchte ihre Laster mit christlichen Bestrebungen zu vereinbaren. Die Menschheit kämpfte und hatte immer gekämpft. Folglich war Krieg auch ein Bestandteil der christlichen Verhaltensweise, die jedoch von den Moraltheologen geregelt werden sollte.
Aus der Sicht Augustinus’ konnte Krieg geführt werden, unter dem Vorbehalt, daß es durch den Befehl Gottes geschah. Diese Formulierung war doppelt gefährlich. Sie erlaubte nicht nur die Existenz des ,gerechten Krieges‘, welcher selbstverständlicher Bestandteil der christlichen Moraltheologie wurde, sondern sie diskreditierte auch die Pazifisten, deren Weigerung, einen Krieg zu führen, der von den geistlichen Autoritäten als ,gerecht‘ bezeichnet wurde, als Mißachtung des göttlichen Gebotes gesehen wurde. Folglich ist die Gefängnisstrafe gegen die heutigen Kriegsdienstverweigerer tief verwurzelt in diesem Glaubensgrundsatz, genauso wie die Abnormalität zweier christlicher Staaten, die einen ,gerechten Krieg‘ gegeneinander führen.
Was die augustinische Lehre noch verwerflicher machte, war seine Assoziation des ,Krieges durch göttlichen Befehl‘ mit der damit verbundenen Bemühung, die Heiden zu bekehren und die Ketzer zu vernichten ... Gewalt konnte nicht nur gerechtfertigt werden: sie war besonders lobenswert, wenn sie gegen diejenigen gerichtet wurde, die einen anderen Glauben (oder keinen) hatten. Die Kirche des dunklen Zeitalters betrieb nur die Weiterentwicklung der Lehren des Augustinus. Leo IV. sagte, daß jeder, der im Kampf zur Verteidigung der Kirche starb, einen himmlischen Lohn erhalten würde. Johannes VIII. lehrte, daß eine solche Person sogar zum Märtyrer aufsteigen würde“ (Paul Johnson, A History of Christianity, Penguin Books, 1976, Seite 116-117. 241-242).
Christus sagte: „Liebt eure Feinde“
Beurteilte Jesus Christus so das sechste Gebot, nicht zu morden? Ganz bestimmt nicht! Er erklärte ganz deutlich in Matthäus 5, Verse 43-44: „Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde [nicht, tötet sie, auch nicht zur Selbstverteidigung] und bittet für die, die euch verfolgen.“
Über die Jahrhunderte hinweg blieben mutige Christen diesem Gebot Christi treu, trotz Verfolgung und der Todesgefahr. Millionen wurden indessen wie Schachfiguren in die von verfeindeten Seiten als gerecht bezeichneten oder „göttlich“ verordneten Kriege gehetzt. In diesem Jahrhundert wurde die Welt Zeuge des tragischen Schauspiels zweier Weltkriege, welche Millionen von Menschen das Leben kostete und hauptsächlich unter den Nationen ausgefochten wurden, die sich christlich nennen.
Die International Standard Bible Encyclopedia faßt die Lehren Jesu Christi zusammen: „Die Religion Jesu ist im wesentlichen eine Aufforderung zum Frieden statt zum Krieg. Das Neue Testament führt Krieg auf die Selbstsucht und Gier zurück, die die Menschen beherrscht (Jakobus 4,1). Die frühen Christen wurden gelehrt, daß der wahre Krieg in dem einzelnen selbst stattfindet; die fleischlichen Begierden streiten gegen die Seele (1. Petrus 2,11). Die Waffenrüstung des Christen ist die Rüstung Gottes, die uns befähigen soll, den Kräften des Bösen in dieser gegenwärtigen Dunkelheit zu widerstehen (Epheser 6,10-17)“ (Band 4, Eerdmans, Grand Rapids, Michigan, 1988, Seite 1018).
Tragische Konsequenzen eines verirrten Glaubens
Die Geschichte der Großkirchen in der Nazizeit in Deutschland zeigt, welch unheilvolle Konsequenzen ein irregeleiteter Glaube, der sich nicht auf Gottes Wort, sondern auf menschliche Überlegungen gründet, hervorbringen kann. Es geht hier nicht um Verurteilung von irregeführten Menschen oder um Pauschalurteile über Religionsgemeinschaften. Es geht um die tragischen Resultate eines verirrten Glaubens zu jener Zeit.
Der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtete Pater Alfred Delp bekannte: „Die künftige deutsche Geschichte wird das bittere Kapitel zu schreiben haben über das Versagen der Kirchen“ (Kirche und Faschismus, Karlheinz Dreschner, Jugenddienst-Verlag, Wuppertal, 1968, Seite 61).
„In dieser entscheidenden Stunde“, schrieben die deutsch-österreichischen Bischöfe zu Kriegsbeginn im September 1939, „ermutigen und ermahnen wir unsere katholischen Soldaten, aus Gehorsam zum Führer ihre Pflicht zu tun und bereit zu sein, ihre ganze Person zu opfern“ (ebenda, Seite 58, Hervorhebungen durch uns). Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges versicherten die evangelischen Landesbischöfe: „Die Deutsche Evangelische Kirche stand immer in treuer Verbundenheit zum Schicksal des deutschen Volkes. Zu den Waffen aus Stahl hat sie unüberwindliche Kräfte aus dem Worte Gottes gereicht ... So vereinigen wir uns auch in dieser Stunde mit unserem Volk in der Fürbitte für Führer und Reich.“ Nach dem geglückten Überfall auf Polen dankten die deutschen evangelischen Kirchenführer Gott und Hitler in ihrer Kanzelankündigung zum Erntedankfest 1939: „Und mit dem Dank gegen Gott verbinden wir den Dank gegen alle, die in wenigen Wochen eine solche gewaltige Wende heraufgeführt haben: gegen den Führer und seine Generale ... Wir loben Dich droben, Du Lenker der Schlachten, und flehen, mögst stehen uns fernerhin bei“ (ebenda, Seite 63 und 64).
Am 26. Juli 1941 ermutigten alle deutschen Bischöfe in einem Hirtenschreiben die Gläubigen: „Bei der Erfüllung der schweren Pflichten dieser Zeit, bei den harten Heimsuchungen, die im Gefolge des Krieges über euch kommen, möge die trostvolle Gewißheit euch stärken, daß ihr damit nicht nur dem Vaterland dient, sondern zugleich dem heiligen Willen Gottes folgt“ (ebenda, Seite 58-59).
Wir wollen allerdings nicht unerwähnt lassen, daß es auch mutige Geistliche und Kirchenmitglieder gab – Katholiken wie Lutheraner –, die als einzelne dem Naziregime Widerstand leisteten. Sie bezahlten einen hohen Preis, indem sie für ihren Widerstand Gefängnisstrafen und die Hinrichtung erlitten.
Diejenigen, die sich nicht daran beteiligten, Hitlers Regime und seinen Krieg zu unterstützen – diejenigen, die das sechste Gebot hielten, wie es von Jesus Christus befohlen wurde –, mußten diesen bitteren Preis bezahlen. Aber Krieg ist für wahre Nachfolger Christi verabscheuungswürdig, und sie waren und sind gewillt, für ihr Festhalten an ihrem Glauben Verfolgung zu erdulden.
Johnson beschreibt das Schicksal derjenigen, die sich standhaft weigerten, am Krieg teilzunehmen: „Nur freie Sekten hielten an ihren Prinzipien fest und mußten deshalb Verfolgung erdulden ... Viele wurden zum Tode verurteilt, weil sie sich weigerten, Militärdienst zu leisten, und andere ermutigten, genauso zu handeln; oder sie endeten in Dachau oder Irrenanstalten.“ (Johnson, Seite 489).
Menschen bekämpfen den Friedensfürst
Wie wichtig ist unser Glaube? Die Geschichte zeigt, daß unser Glaube oftmals die Grundlage unserer Handlungen ist. Die große Ironie der Doktrin vom gerechten Krieg wird sich wieder offenbaren, wenn, wie die Prophezeiung in Offenbarung 17 zeigt, die Nationen der Erde so verführt sein werden, daß sie große Armeen zu einem letzten großen Weltkrieg aussenden werden, den sie wieder einmal gerecht und von Gott gewollt nennen werden. Doch gegen wen werden sie kämpfen? Vers 14 sagt, daß sie gegen den zurückkehrenden Christus kämpfen werden!
Das Interpreter’s Dictionary of the Bible erklärt: „Die Lehre Christi ist stark auf den Frieden und den Friedensprozeß gerichtet. Das Reich Gottes braucht keine Gewalt, um errichtet zu werden oder bestehen zu bleiben. Der Friedfertige wird gesegnet (Matthäus 5,9), und dem Feind soll mit Liebe und guten Taten statt mit Haß und Gewalt begegnet werden (Matthäus 5,43-44; Lukas 6,27. 35). Die Ethik Jesu ist der Gegensatz der kriegerischen Stimmung und würde, wenn sie überall befolgt würde, einen Ethos [maßgebender, leitender Glaube] schaffen, bei dem Krieg unmöglich wäre“ (Band 4, Abingdon Press, 1962, Seite 801).
Die Geschichte in bezug auf Überzeugungen – oder deren Fehlen – ist ernüchternd, und die Ergebnisse sind dementsprechend. Gottes Gebote, einschließlich „Du sollst nicht töten“, stehen im starken Kontrast zu den irregeführten und verzerrten Werten der Gesellschaft.
Die Bibel beschreibt im Zusammenhang mit den beängstigenden Ereignissen, die kurz vor Jesu Rückkehr über die Welt hereinbrechen werden, eine Gruppe von Menschen, die aufgrund ihrer Überzeugung, Gott zu gehorchen, herausragen werden: „Hier ist Geduld der Heiligen! Hier sind, die da halten die Gebote Gottes und den Glauben an Jesus!“ (Offenbarung 14,12).
Gottes wahres Volk ist und war immer entschlossen, seinen Geboten und seinem Glauben in Jesus Christus treu zu bleiben, ungeachtet der Kosten. Das, was wir glauben, ist von ausschlaggebender Bedeutung für unser jetziges Leben und für unser ewiges Leben im Reich Gottes hier auf Erden.