Von Scott Ashley und Paul Kieffer
In den letzten elf Monaten war dieses Thema eine der am häufigsten behandelten Meldungen in den Nachrichten, besonders in der Boulevardpresse: die Lewinsky-Affäre, die nach der ehemaligen Praktikantin im Weißen Haus, Monica Lewinsky, benannt ist. In ihren Aussagen vor einem vom US-Kongreß eingesetzten Sonderermittler gestand Frau Lewinsky eine Affäre mit dem amerikanischen Präsidenten Bill Clinton. Seinerseits gab US-Präsident Clinton im August ebenfalls bei Vernehmungen vor dem vom US-Kongreß eingesetzten Sonderemittler Kenneth Starr und noch am gleichen Abend in einer aufsehenerregenden Ansprache im Fernsehen ein „unziemliches Verhältnis“ mit Frau Lewinsky zu.
Der Verlauf der Lewinsky-Affäre weist auf grundlegende Fragen hin, die niemand bis jetzt klar beantworten konnte: Wer soll das gewünschte „moralische“ Verhalten von Amtsträgern festlegen bzw. was ist überhaupt „moralisches“ Verhalten? Die Reaktionen auf das Geständnis des US-Präsidenten zeigen, daß es sehr unterschiedliche Antworten auf diese Fragen gibt. Deren Behandlung ist in diesem Fall nicht das Revier von frustrierten Puritanern – wie einige meinen – , sondern hat unmittelbar mit dem gegen Herrn Clinton erhobenen Vorwurf des Meineids zu tun.
Sehr unterschiedliche Reaktionen
Herrn Clintons unerwartete Offenbarung am 17. August war eine abrupte Kehrtwendung gegenüber seinen Aussagen in den vorangegangenen acht Monaten. Als im Januar 1998 Gerüchte um sein angebliches Fehlverhalten auftraten, stritt Herr Clinton sie mit Nachdruck ab (siehe „Diverse Stimmen zu der Affäre“ auf der nächsten Seite). In späteren Gesprächen mit seinen politischen Freunden und seinen engsten Mitarbeitern beteuerte der Präsident seine Unschuld. Aufgrund dieser Aussagen nahmen ihn dann seine Parteifreunde in Schutz. Auch seine Frau Hillary verteidigte ihren Mann öffentlich und nannte die Vorwürfe eine „Verschwörung der Rechten“ gegen den Präsidenten und seine liberale Politik.
Nach dem Geständnis fühlten sich einige seiner Parteifreunde verständlicherweise belogen und machten kein Hehl aus ihrer Enttäuschung. Der demokratische Senator Joseph Liebermann hielt dem Präsidenten vor: „Er hatte eine außereheliche Affäre mit einer Angestellten, nicht einmal halb so alt wie er, am Arbeitsplatz nahe dem Oval Office. Ein solches Verhalten ist nicht unziemlich. Es ist unmoralisch.“ Liebermanns Kollege Bob Kerr fügte hinzu: „Diese Affäre geht weit über eine Privatangelegenheit hinaus. Clintons Verhalten hat das Amt des US-Präsidenten schwer beschädigt.“
Der gleichen Meinung waren freilich Herrn Clintons politische Gegner im Kongreß, die Republikaner, die schnell auf den Plan traten, um Vorermittlungen für ein Amtsenthebungsverfahren wegen Meineids und der Behinderung der Justiz einzuleiten. Um den Ernst der Lage darzustellen und anscheinend um die Richtigkeit ihrer Vorgehensweise unter Beweis zu stellen, beschlossen die republikanischen Kongreßabgeordneten mit ihrer Mehrheit im Rechtsausschuß des Repräsentantenhauses die Veröffentlichung des Berichts von Sonderermittler Starr. Kurze Zeit später steigerten sie dies noch, indem sie die Veröffentlichung von Herrn Clintons Videoverhör vor dem Sonderermittler freigaben.
Die mehr als dreistündige Ausstrahlung des Verhörs am 21. September scheint im nachhinein ein Schuß nach hinten für die Republikaner gewesen zu sein. Im Gegensatz zu ihnen waren viele Amerikaner und Ausländer anderer Meinung bezüglich der Frage, ob Herrn Clintons Privatverhalten wirklich so schwerwiegend war. Ausgerechnet am Tag der Ausstrahlung sprach der amerikanische Präsident vor der UNO-Vollversammlung. Vor dem Beginn der Rede spendeten die versammelten Delegierten Herrn Clinton minutenlang stehenden Beifall. Manche Kommentatoren legten diesen doch ungewöhnlichen Ausdruck als Unterstützung für den belasteten Präsidenten aus.
Die Strategie der Republikaner ging jedenfalls nicht auf, da das amerikanische Volk bei den im November abgehaltenen Kongreßwahlen ihnen nicht den gewünschten klaren Sieg erteilte. Die Einstellung vieler Wähler war, daß das Privatleben des Präsidenten – zu dem die außereheliche Beziehung zu Frau Lewinsky gehörte – nichts mit dessen Amtsführung zu tun hatte. Im Gegenteil: Anscheinend waren einige Amerikaner erboster über Frau Lewinsky als über ihren Präsidenten, wie der Kommentator Thomas Sowell feststellte: „Betrachten wir einige Umfragen: Die Öffentlichkeit hat eine viel negativere Meinung über Monica Lewinsky als über Bill Clinton. Da zu einer Affäre immer noch zwei Personen gehören, muß man sich fragen, warum die eine Person eine größere Schuld treffen soll, besonders wenn diejenige die jüngere von den beiden ist, die keine Macht hat und keine Verantwortung gegenüber der Nation trägt.“
Andere Umfragen seit August zeigen, daß die Amerikaner die Amtsführung ihres Präsidenten trotz dieser Affäre als gut beurteilen: Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, das Haushaltsdefizit der Bundesregierung wurde auf Null gedrückt. Angesichts dieser offensichtlichen Erfolge wird die Frage gestellt, ob das Privatleben des Präsidenten überhaupt wichtig ist.
Privatleben wirklich unbedeutend?
An der Frage nach der Wichtigkeit des Privatlebens eines führenden Politikers scheiden sich die Geister. Auf der einen Seite meint man, ein Präsident oder Bundeskanzler hat doch eine gewisse Vorbildfunktion für sein Land. Andere halten dem entgegen, daß das Privatleben eines Politikers den Bürgern egal sein sollte, wenn die Politik stimmt und erfolgreich umgesetzt wird.
Letzere Ansicht scheint vorauszusetzen, daß es in unserem Internet-Zeitalter der schnellen Nachrichtenübermittlung möglich ist, gewohnheitsmäßige Verfehlungen im Privatleben geheimzuhalten. Charakterliches Versagen, finanzielle Fahrlässigkeit usw. sind schnell entdeckt und verbreitet.
Bleiben wir bei der Lewinsky-Affäre. Ist das Privatleben eines Präsidenten wirklich ohne Bedeutung für ein Land, wenn Eltern zur Zeit der Abendnachrichten dafür sorgen müssen, daß sich ihre Kinder im Grundschulalter nicht im Wohnzimmer aufhalten, um nicht mit den neuesten Meldungen über die ihnen unverständlichen sexuellen Verfehlungen ihres Staatsoberhauptes konfrontiert zu werden? Man stelle sich zum Vergleich einen deutschen Bundespräsidenten mit seiner Verantwortung vor, Deutschland als Staatsoberhaupt zu repräsentieren, dem man mehrere außereheliche Affären – freilich in seinem Privatleben – nachsagt und worüber sich Zeitungskarikaturisten lustig machen. Man kann dankbar sein, daß Deutschland durch die staatsmännische Haltung seines Bundespräsidenten solche Peinlichkeiten erspart bleiben.
Nehmen wir das Lügen als weiteres Beispiel. Was ist, wenn man weiß, daß ein führender Politiker im Privatleben ein Lügner ist und dieses Verhalten sogar rechtfertigt? Wäre man als Vater oder Mutter in einem theoretischen Beispiel bereit, seinen Erklärungen zu glauben, mit denen er den unter Umständen gefährlichen Bosnien-SFOR-Einsatz eines in der Bundeswehr dienenden Sohnes begründet?
Darüber hinaus ist die Frage überlegenswert, ob sich bestimmte Verhaltensmuster – wie in unserem theoretischen Beispiel das Lügen – überhaupt auf nur einen Teil des Lebens beschränken lassen. Wer bereit ist, das eine im Privatleben zu akzeptieren, muß wahrscheinlich das gleiche Verhalten auch in anderen Bereichen der Lebensführung gelten lassen.
Das Beispiel ist bestimmt nicht zu weit hergeholt, wenn man an die in den westlichen Demokratien regelmäßig stattfindenden Wahlen denkt. Vor einer Wahl werden viele Versprechen gemacht, mit denen man Wählerstimmen gewinnen will. Werden nach der Wahl die Versprechen nicht eingehalten, so haben die Wähler in den meisten Fällen kaum eine andere Möglichkeit, als die Täuschung bis zur nächsten Wahl hinzunehmen. Politikverdrossenheit ist dann oft das Resultat.
War es Meineid?
Die im amerikanischen Kongreß eingeleiteten Anhörungen zu den von Sonderermittler Starr vorgelegten Beschuldigungen gegen Präsident Clinton beinhalten auch den Vorwurf des Meineids. Auch nach seinem Geständnis einer „unziemlichen Beziehung“ zu Frau Lewinsky bestreitet der Präsident, einen Meineid abgelegt zu haben. Unterschiedliche Auffassungen über eine Definition moralischen Verhaltens sind der Grund für die gegensätzlichen Meinungen in der Frage des Meineids. Gibt es auch hier keinen verbindlichen moralischen Maßstab?
Der Hintergrund für den Vorwurf des Meineids ist der folgende: Am 17. Januar 1998 mußte Clinton fast fünf Stunden lang die Fragen beantworten, die ihm die Anwälte einer zivilrechtlichen Klägerin, Paula Jones, stellten. Bei der Klage ging es um den Vorwurf sexueller Belästigung. Obwohl viele Beobachter diese Klage für einen Scheinprozeß halten, muß man sich schon fragen, ob der Klage überhaupt irgendwelche Beachtung gewidmet worden wäre, wenn der Präsident nicht von anderen Vorwürfen dieser Art bezüglich seines Privatlebens belastet wäre. (Will man in diesem Fall wirklich behaupten, daß das Privatleben eines Politikers keine Rolle spielt?)
Bei dieser Befragung bestritt Clinton eine sexuelle Beziehung zu Frau Lewinsky. Neun Tage später wiederholte der Präsident seine Leugnung der Beziehung im Fernsehen nach einer Zeremonie im Weißen Haus. Acht Monate später gab der Präsident zu, sexuelle Kontakte mit Frau Lewinsky gehabt zu haben, bestritt aber weiterhin, daß diese Kontakte eine „sexuelle Beziehung“ darstellten.
Der springende Punkt bei Clintons Leugnung ist die Definition des Begriffs „sexuelle Beziehung“. Die Reaktionen der eigenen Parteifreunde zeugten von einem anderen Verständnis des Begriffs als das von Herrn Clinton. Wie bereits erwähnt, fühlten sich viele seiner Parteifreunde belogen. Bei seiner Definition stützte sich der Präsident auf die Ratschläge seiner Anwälte. Sie wiederum beriefen sich auf eine Auslegung, die während des Paula-Jones-Prozesses zusammengebastelt worden war. Unterschiedliche Definitionen lassen unterschiedliche Beurteilungen zu.
Einen allgemein gültigen Maßstab anlegen
In diesem Artikel geht es uns nicht darum, den amerikanischen Präsidenten anzuprangern, der seit August seinen reumütigen Sinneswandel beteuert. Die Zeitschrift Gute Nachrichten vertritt christliche Werte, zu denen die Bereitschaft zur Vergebung und die Erkenntnis gehören, daß sich alle Menschen einzeln vor einem gemeinsamen Richter werden verantworten müssen.
Wir möchten aber doch auf die sehr unterschiedliche Beurteilung der Lewinsky-Affäre hinweisen, eine Beurteilung, die das Resultat eines fehlenden gemeinsamen Maßstabs für die Moral ist. Für Christen gibt es allerdings einen solchen Maßstab: die Bibel. Wie sieht die Beurteilung der in diesem Artikel behandelten Gegensätze aus, wenn man den christlichen Maßstab der Bibel anlegt? Wir befassen uns mit drei Beispielen.
Hatte Präsident Clinton eine sexuelle Beziehung zu Frau Lewinsky? Der Begründer der christlichen Religion, Jesus Christus, hat diese Frage eindeutig beantwortet: „Ihr habt gehört, daß gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen“ (Matthäus 5,27-28). Nach Christi Worten muß nicht einmal die Tat des Ehebruchs vorliegen, um Ehebruch zu begehen: Der Gedanke allein reicht aus und verstößt damit gegen Christi Willen, die Ehe in Ehren zu halten.
Nach dem Maßstab Jesu Christi verhielt sich Präsident Clinton als Ehebrecher. Er hatte eindeutig eine „sexuelle Beziehung“ zu Frau Lewinsky. (Wir sind uns der Realität bewußt, daß in einem Zeitalter, in dem es immer weniger sexuelle Tabus gibt und in dem jegliches Sexualverhalten anscheinend nur eine Frage der persönlichen „Freiheit“ ist, unsere klare Stellungnahme auf Ablehnung stoßen wird.)
Ist Frau Lewinsky „schuldiger“ als Präsident Clinton? Auch da scheiden sich die Geister. Daß Frau Lewinsky von vielen ihrer Landsleute als „negativer“ beurteilt wird, mag mit der weitverbreiteten scheinheiligen Doppelmoral zu tun haben, wonach es schlimmer ist, wenn eine Frau Ehebruch begeht, dem Mann aber häufig Verständnis entgegengebracht wird.
Auch in dieser Frage ist die Antwort der Bibel klar. In den Rechtsordnungen, die Gott dem alten Israel gab und die Gottes Rechtsverständnis widerspiegeln, gab es bei Ehebruch für beide Beteiligte die gleiche Strafe. Freilich plädieren wir nicht für die Anwendung der alttestamentlichen Strafe: Es geht uns hier nur um einen gemeinsamen Nenner für das Schuldprinzip.
Wie sieht es bei der Frage nach dem Privatleben eines führenden Politikers aus? Nach der Bibel sollten die Könige des alten Israels Vorbilder für ihr Volk sein. Unter gerechten Königen lebte das Volk gerecht; unter ungerechten Königen wich das Volk vom Weg Gottes ab und mußte dafür leiden. Auch im Neuen Testament sollten die Kirchenvorsteher in der Gemeinde und ebenfalls gegenüber Außenstehenden einen guten Ruf haben.
Eine gerechte Regierung kommt
Unsere Gesellschaft hat sich in vielen Hinsichten von den moralischen Werten Jesu Christi abgewandt und sich der Heuchelei verschrieben. Ist es denn nicht Heuchelei, wenn man sich privat auf eine Weise verhält, sich aber öffentlich anders zeigt? Wenn führende Politiker hinsichtlich ihres Privatlebens keine Vorbildfunktion haben, ist es dann erlaubt, diese Sichtweise bei anderen „Berufen“ anzuwenden: bei Lehrern, Richtern, Anwälten und Polizisten? Warum nicht auch bei Eltern?
Der moralische Maßstab Jesu Christi ist vielen Menschen heute nicht weniger bekannt, als es die von ihm gepredigte Botschaft über seine buchstäbliche Rückkehr zu dieser Erde und die Aufrichtung einer neuen Weltordnung ist. Jesus sagte eine gerechte Regierung voraus, deren Amtsträger ihrer Vorbildfunktion gerecht werden. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in unserer kostenlosen Broschüre Das Reich Gottes – eine gute Nachricht, die wir Ihnen auf Anfrage gerne zuschicken. Leseprobe ...