Von Jesmina Allaoua
Als der fünfjährige Daniel neulich seine Tante am Wochenende besuchte, fragte er sie nach dem Tischgebet: „Warum betest du denn, Tante Katrin? Das macht doch nur die Oma! Mama und Papa beten nie! Ich will auch nicht beten!“ Daniel hatte sich während des Tischgebets sichtlich unwohl gefühlt und es hinter einem nervösen Kichern zu verstecken versucht.
Daniels Eltern sind aus der Kirche ausgetreten. Die Religion spielt in ihrem Leben keine Rolle mehr. Daniels Mutter glaubt zwar, daß es Gott vielleicht doch irgendwo gibt, aber da sie selbst keinen Bezug zu Gott hat, möchte sie ihrem Sohn lieber kein falsches Bild vermitteln. Sein Vater glaubt nicht an Gott oder an die Bibel und ihre Geschichten. Allerdings wollen sie ihrem Sohn die Chance geben, sich seine eigenen Gedanken zu diesem Thema zu machen und sich später aus eigenen Stücken entweder für oder gegen die Religion zu entscheiden. Deshalb wollen sie ihn nicht mit ihrer Denkweise beeinflussen und erziehen ihn möglichst „neutral“.
Daniels Eltern sind beispielhaft für viele Erziehende heute. Eigene schlechte Erfahrungen mit der Kirche und der Vermittlung des Glaubens in ihrer eigenen Kindheit und Jugendzeit haben dazu geführt, daß viele Eltern nicht mehr Willens sind, ihre Kinder selbst religiös zu erziehen. Hinzu kommen der Einfluß der Medien und das weitgehend säkulare Bildungswesen, die eine zunehmend nichtreligiöse Gesellschaft erzeugen.
Viele Eltern hoffen also, daß ihre Kinder später selbst in der Lage sein werden, im „Kaufhaus der Religionen“ ihr eigenes Glaubensverständnis finden zu können. Auf der anderen Seite stehen die Eltern, die ihre Kinder religiös erziehen wollen und sich deshalb nicht selten in der Defensive befinden. Ihnen wird häufig vorgeworfen, unkritisch, frömmelnd oder von gestern zu sein.
„Mein Kind soll selbst entscheiden können“
Wie stehen die Chancen für Eltern, ihre Kinder möglichst „manipulationsfrei“ zu erziehen, damit sie später ohne eventuelle Erziehungsschäden eine Beziehung zu Gott entwickeln können? Der Tübinger Theologieprofessor Albert Biesinger schreibt dazu: „Den Spruch, mein Kind soll später selbst entscheiden können, welche Religion es wählen will, halte ich für entwicklungspsychologisch völlig verfehlt. Ich rede ja auch nicht zehn Jahre mit meiner Tochter nicht deutsch, nur weil vielleicht mein Kind später sagen könnte: ich wollte ja gar nicht deutsch lernen. Ich wollte türkisch lernen. Ihr habt alles falsch gemacht“ (Albert Biesinger, Kinder nicht um Gott betrügen, Seite 61).
Biesinger schreibt weiterhin: „Auch die Entscheidung, Kinder von religiösen Lebensdeutungen fernzuhalten, wäre eine manipulative Entscheidung. Niemand, der sich verantwortlich mit Erziehung beschäftigt, kann die Auseinandersetzung mit frühkindlichen religiösen Fragen aussparen; wer dies dennoch tut, trifft damit auch eine Entscheidung, nämlich die, Kindern eine wesentliche Möglichkeit, ihr Leben religiös zu deuten, vorzuenthalten... Wenn ein Kind für Religiöses erst gar keine Antennen entwickeln kann, daß es vielleicht Gott geben könnte, dann ist es nachher ungleich schwieriger, sich für einen religiösen Weg zu entscheiden“ (ebenda, Seite 60-61).
Das Beispiel Ostdeutschland
Ostdeutschland, wo 50 Jahre lang die Ausübung des christlichen Glaubens massiv behindert wurde, ist ein Beispiel dafür, daß es eher unwahrscheinlich ist, sich im späteren Leben mit Gott zu befassen, wenn man als Kind keine Gelegenheit dazu hatte. Obwohl christliche Kirchen unmittelbar nach der Wende eine Blüte erlebten, ist der Glaube an den Gott der Bibel zehn Jahre später nur noch bei einer Minderheit in den neuen Bundesländern zu finden. Und diese Minderheit schrumpft von Jahr zu Jahr. Ostdeutschland wird als Region „im Kernschatten der Gottesfinsternis“ angesehen. Kirche und Gott befinden sich hier „nicht mehr im Horizont des Denkens“ (Focus 52/2000). Ob es Gott tatsächlich gibt, wollen die meisten überhaupt nicht wissen. Dieses Thema löst bei der Mehrheit nur ein Gähnen aus. „ ,Kirche brauchen wir nicht, wir leben ohne sie, und sie interessiert uns nicht‘, sagt der Vorsitzende des Karnevalsvereins von Stadtroda. So hätten sie das früher in der Schule gelernt, und mit dieser Erziehung könnten sie gut leben“ (ebenda).
Gregor Giele, der nach Gründen für die „religiöse Indifferenz“ im Osten Deutschlands sucht, sagt: „Daß die Frage nach Gott und der Glaube im größten Teil der Bevölkerung verlorengegangen sind, ist menschheitsgeschichtlich ein Novum“ (ebenda).
Elterliche Verantwortung
Üblicherweise wird die Weltdeutung der Gesellschaft kritiklos übernommen, die sich vorwiegend an materialistischen Werten orientiert. In diesem Sinne wünscht sich Albert Biesinger, daß Eltern ihre „Kinder nicht um Gott betrügen“, daß Eltern ihrem Nachwuchs neben Balletunterricht, Musikerziehung und Sport noch etwas anderes anbieten – die Chance, Gott kennenzulernen. Für Erwin Riegel, Psychotherapeut und Selbstmordforscher, ist die Beziehung zu Gott das Wichtigste, was es überhaupt gibt. Er appelliert deshalb schon seit vielen Jahren an alle Elternpaare, „sich der Verantwortung gegenüber den Kindern auch bezüglich des religiösen Bereiches zu besinnen“ (Biesinger, Seite 53).
Um Kindern die Möglichkeit zu geben, sich später für oder gegen Gott zu entscheiden, muß man ihnen schon im Kindesalter die Gelegenheit geben, eine „Antenne“ für Gott zu entwickeln. Wie sieht die Verantwortung der Eltern, von der Erwin Riegel spricht, nun konkret im Alltag aus? Die Bibel erklärte diese Aufgabe schon vor vielen Tausend Jahren in einfachen Worten: „... und sollst sie [die Worte Gottes] deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst“ (5. Mose 6,7).
Kinder lernen vom alltäglichen Beispiel ihrer Eltern. Von ihrem Vorbild lernen sie, ob Gott wichtig oder unwichtig ist. „Kinder nehmen an alltäglichen Prozessen Anteil. In Zeiten, in denen Familien vor dem Essen selbstverständlich kurz innehielten, um an den Geber aller Gaben zu denken und gemeinsam ein Gebet zu sprechen, mußte man nicht lange theoretisch diskutieren, ob es Gott gibt oder nicht, ob er da ist oder nicht“ (ebenda, Seite 32).
Das Familiengebet
Welche wichtigen Werte und Erfahrungen können Eltern ihren Kindern durch das gemeinsame Gebet innerhalb der Familie vermitteln, die es lohnenswert machen, an einer aussterbenden Tradition festzuhalten?
Wenn Kinder lernen, ein Dankgebet am Tisch zu sprechen oder abends mit den Eltern Gott für alles Positive des vergangenen Tages zu danken, wie z. B. das Essen, die Geschwister, die Schulfreunde usw., dann lernen sie, daß es einen Schöpfergott gibt, dem sie ihre Existenz verdanken und auf den sie vertrauen können.
Sie lernen, vieles nicht einfach für selbstverständlich anzusehen und können so die Falle des ständigen Forderns meiden, die in einer materialistischen Gesellschaft leider allzuoft festzustellen ist. Biesinger stellt zum Thema Dankbarkeit fest: „Wir Menschen vergessen immer wieder zu danken; dies hängt damit zusammen, daß wir nicht darunter leiden“ (ebenda, Seite 104).
Eltern, die mit ihren Kindern ein kurzes Gebet vor dem Schlafengehen sprechen und sie nicht einfach so ins Bett bringen, um sich dann schnell ihrer abendlichen Beschäftigung zu widmen, vermitteln ihren Kindern, das Gefühl geliebt und behütet zu sein. Sie geben dem Alltagsgeschehen einen kleinen Höhepunkt.
Biesinger erklärt dazu: „Für viele Kinder ist damit auch der abendliche Abschied von den Eltern leichter. Sie merken: ,Ich bin wichtig, und meine Eltern haben nicht nur Zeit zum Fernsehen, sondern auch für mich.‘ Kinder erleben die äußere und innere Zuwendung als hilfreich und aufbauend“ (ebenda, Seite 111).
Wenn Kinder lernen, Gott ihre eigenen Gedanken und Sorgen im Gebet mitzuteilen, führt dies nicht nur zu einer Beziehung zwischen dem Kind und dem Schöpfergott, sondern auch zu einer engeren Beziehung zwischen Eltern und Kind, weil die Eltern so noch einmal am Ende des Tages hören können, wie das Kind den Tag erlebt hat. Oft kommen dabei erstaunliche Ansichten zutage, die das Kind in der Hektik des Alltags vielleicht nie geäußert hätte.
Gebet – ein persönliches Gespräch
Kinder sollten das Beten als persönliches Gespräch zum Schöpfergott erlernen und nicht nur gedankenlose Formeln wiederholen. „Schon das kleine Kind sollte wissen, daß man sich Gott voll anvertrauen kann, und dieses Wissen festigt sich in ihm, wenn es spürt, daß auch die Eltern ihr Vertrauen in Gott setzen“ (R. Abeln, Beten mit Kindern, Seite 7).
Kinder sollen lernen, daß man mit Gott alles besprechen kann, die Freuden und die Sorgen. „Und darum ist es wichtig, daß Eltern, die ihr Kind an ein sinnvolles Beten gewöhnen wollen, einerseits wissen, was ihr Kind wirklich bewegt und bedrückt, und daß sie andererseits, die kindlichen Freuden und Kümmernisse ernst genug nehmen, um sie mit dem Kind zusammen vor Gott zu bringen“ (ebenda, Seite 5-6).
Nicht nur die soziale und schulische, sondern auch die geistliche Ausbildung gehört zur Verantwortung aller Eltern, die ihre Kinder für ihren späteren Lebensweg mit seinen Herausforderungen optimal vorbereiten wollen.
In diesem Sinne gibt König Salomo, der vor 3000 Jahren für seine Weisheit überregionalen Ruhm erworben hatte, Eltern folgenden Rat: „Bring einem Kind am Anfang seines Lebens gute Gewohnheiten bei, es wird sie auch im Alter nicht vergessen“ (Sprüche 22,6; Gute Nachricht Bibel).