In Fragen der Moral bzw. Ethik sind Demokraten diverser Nationen unterschiedlicher Meinung. Gibt es „richtige“ Antworten auf solche Fragen? Wenn nicht, so sind Differenzen unter Demokraten vorprogrammiert.
Von Paul Kieffer
„Im Namen des Volkes“, so lautet die Formel, mit der der Bundesgerichtshof seine Entscheidungen bezüglich der Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bekanntgibt. Das Grundgesetz selbst wurde sozusagen „im Namen des Volkes“ festgelegt. In der Präambel heißt es nämlich, daß „sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“ hat.
In anderen demokratischen Staaten verhält es sich ähnlich. In der Präambel der Verfassung der USA liest man beispielsweise: „Wir, das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika ..., setzen und begründen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika.“
In der Demokratie ist es letztendlich das Volk selbst, das durch die Gesetzgebung bzw. die Auslegung von Gesetzen über richtig und falsch entscheidet. Wenn die ganze Welt ein einziger demokratischer Staat wäre, gäbe es weltweit einheitliche Gesetze und eine gemeinsame Vorgehensweise bei Verstößen gegen diese Gesetze. Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus. Verschiedene Menschen denken oft unterschiedlich. So hat es immer vielfältige Meinungen unter Demokraten diverser Nationen gegeben.
Heute stellen uns die Bio- und Gentechnik vor Möglichkeiten, die für die zukünftige Entwicklung der Menschheit entscheidend sein werden. Deshalb mahnen besorgte Experten eine gemeinsame Ethik bei der Forschung auf diesen Gebieten an. Wie will man aber weltweit verbindliche ethische Normen festlegen, wenn man seit Jahren auf anderen, scheinbar weniger „brenzligen“ Gebieten keine Übereinstimmung finden konnte?
Differenzen unter Demokraten
An dem Beispiel der Todesstrafe erkennt man, wie schwierig eine einheitliche Vorgehensweise unter demokratischen Ländern sein kann. Seit Jahren setzt sich der Europarat für die Abschaffung der Todesstrafe weltweit ein. Wer Mitglied des Europarates oder der Europäischen Union werden will, muß das sechste Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention akzeptieren, das die Todesstrafe verbietet.
Beobachterstatus beim Europarat haben jedoch zwei demokratische Länder, in denen die Todesstrafe verhängt wird: Japan und die Vereinigten Staaten von Amerika. Vor einem Jahr rechtfertigte das japanische Justizministerium gegenüber Vertretern des Europarats die Beibehaltung der Todesstrafe in Japan mit Meinungsumfragen, wonach 80 Prozent der Japaner sie für unerläßlich halten.
In den USA hat der Oberste Gerichtshof den 8. Zusatz zur US-Verfassung dahingehend ausgelegt, daß die Todesstrafe an sich keine „grausame und unübliche Bestrafung“ darstellt, die Verhängung dieser Strafe allerdings an klare gesetzliche Vorgaben geknüpft sein muß. Als Beispiel wurde Ende Juni das Fällen von Todesurteilen anders als durch die Entscheidung von Geschworenen verboten. Das Gericht erklärte, daß ein Todesurteil, das nur von einem Richter verhängt wird, gegen das in der Verfassung garantierte Recht eines Angeklagten auf einen Prozeß vor Geschworenen verstößt.
In der Frage der Todesstrafe gibt es einen erheblichen Dissens zwischen Europa und Japan bzw. den Vereinigten Staaten. Die Einwirkungsmöglichkeiten zur Abschaffung dieser Strafe sind begrenzt, zumal die Gesetzgebung in den beiden Ländern in den Händen demokratisch gewählter Vertreter liegt und eine Mehrheit ihrer Bürger die Strafe befürwortet. Die Hinrichtung zweier Bundesbürger im Frühjahr 1999 im US-Bundesstaat Arizona machte die Meinungsverschiedenheiten in dieser Sache wieder einmal deutlich.
Die Brüder Karl und Walter LaGrand, in Deutschland geboren und Söhne einer deutschen Mutter, zogen nach der Heirat ihrer Mutter mit einem amerikanischen Soldaten in die USA, wobei sie die deutsche Staatsangehörigkeit beibehielten. 1984 waren sie zum Tode verurteilt worden, weil sie zwei Jahre zuvor bei einem Banküberfall in Arizona den Filialleiter erstochen hatten. Zwischen Januar 1987 und Januar 1999 scheiterten insgesamt fünf Versuche der Brüder, eine Revision ihres Urteils zu erreichen. Ihre Hinrichtung folgte wenige Wochen später.
Nach der Exekution der beiden Deutschen verklagte die Bundesrepublik die USA vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Im Juni 2001 entschied das höchste Rechtsorgan der Vereinten Nationen zugunsten Deutschlands. Streitpunkt bei der Klage war jedoch nicht die Todesstrafe selbst, sondern eine Verletzung der Wiener Konvention über konsularische Beziehungen von 1963.
Danach hätten Karl und Walter LaGrand als deutsche Staatsbürger unmittelbar nach ihrer Verhaftung über die Möglichkeit eines Rechtsbeistands seitens der Bundesregierung informiert werden müssen. Aber erst nach ihrer Verurteilung und der Abweisung mehrerer Berufungsanträge gab es auf Initiative der LaGrand-Brüder Kontakte mit dem deutschen Konsulat in Los Angeles.
Die Bemühungen der Brüder, eine Revision des Urteils aufgrund der Verletzung der Wiener Konvention zu erreichen, scheiterten letztlich an der amerikanischen Verfahrensregel, wonach alle relevanten Umstände schon zu Beginn des Hauptverfahrens eingebracht werden müssen.
In seiner Urteilsverkündung stellte der Internationale Gerichtshof fest, daß diese Verfahrensregel, als „Procedural Default Rule“ bekannt, nicht an sich gegen das Völkerrecht verstößt. Um diese Regel ging es nicht in der Hauptsache, sondern um die Nichtunterrichtung der Verhafteten über die Möglichkeit der Rechtshilfe durch das deutsche Konsulat.
Prozeßbeobachter berichteten übereinstimmend, daß die Todesstrafe an sich nicht Gegenstand des Haager Urteils war: „Wohlgemerkt ging es nur um einen Verstoß gegen das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen, und nur darauf bezog sich das Eingeständnis der Vereinigten Staaten, Völkerrecht verletzt zu haben. Es ging nicht um die Todesstrafe als solche. Sie ist nämlich bisher nicht völkerrechtswidrig. Den Staaten steht es frei, wie sie ihren Strafvollzug gestalten. Zwar sind sie an das Völkerrecht gebunden, doch hat sich hier noch kein Verbot der Todesstrafe herausgebildet“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Juli 2001).
Ein weiteres Beispiel für die Schwierigkeiten bei der Festlegung gemeinsamer ethischer Werte ist das niederländische Euthanasiegesetz. Nach der Legalisierung der Sterbehilfe im letzten Jahr durch das niederländische Parlament zeigten sich erwartungsgemäß Meinungsverschiedenheiten bei der 6. Deutsch-Niederländischen Konferenz, die Anfang März in Potsdam stattfand. An der Tagung mit dem Titel „Beginn und Ende des menschlichen Lebens“ nahmen mehr als 140 Experten aus den beiden Ländern teil.
In seiner Rede zur Eröffnung der Konferenz meinte der niederländische Außenminister Jozias von Aartsens: „Jede Gesellschaft, jede Nation muß ihre eigenen ethischen Entscheidungen treffen. Ethische Diskussionen müssen auf nationaler Ebene geführt werden“ (Hervorhebung durch uns).
Darüber hinaus meinte von Aartsens, das niederländische Gesetz zur Sterbehilfe hätte in den Nachbarländern viel Staub aufgewirbelt, bei derartigen Fragen gebe es jedoch kein Richtig oder Falsch. Deshalb, so von Aartsens, sei Respekt vor den Entscheidungen anderer Länder nötig.
Sein Amtskollege Joschka Fischer betonte, Deutschland und die Niederlande seien in der Auseinandersetzung zu dem Thema zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt. In diesem Zusammenhang verwies er auf die unterschiedlichen historischen Erfahrungen der beiden Länder.
Am Beispiel der Sterbehilfe wird deutlich, daß die Gesetzgebung den Konsens in der Bevölkerung zum fraglichen Thema widerspiegelt. In Klartext: „Im Namen des Volkes“ heißt in solchen Fällen, was das Volk für richtig hält oder wie seine gewählten Vertreter die Stimmung des Volkes einschätzen.
So zeigten Meinungsumfragen in den Niederlanden eine Akzeptanz der Euthanasie von fast 90 Prozent. Die überwiegende Mehrheit der Holländer ist der Überzeugung, der Staat sollte sich aus höchst persönlichen Sachen wie Leben und Tod heraushalten. Im Vergleich dazu hatte eine von deutschen Befürwortern aktiver Sterbehilfe in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage vom Jahr 2000 zum Ergebnis, daß 51 Prozent der befragten Deutschen das eigene Leben bei unheilbarer, qualvoller Krankheit durch Freitod würden verkürzen wollen. Allerdings war der Prozentsatz der „Ja“-Antworten um acht Prozentpunkte gesunken gegenüber dem Umfrageergebnis des Jahres 1990. Da kann von Konsens in der deutschen Bevölkerung keine Rede sein, deshalb wird es in Deutschland – vorerst – keine Legalisierung der Sterbehilfe geben.
Neue Techniken, neue Konflikte?
Der rasante Fortschritt in der Biomedizin eröffnet derart große Möglichkeiten für die weitere Entwicklung der Menschheit, daß weltweit verbindliche ethische Normen notwendiger denn je sind. Joschka Fischer nutzte seine Rede bei der Deutsch-Niederländischen Konferenz, um einen internationalen „Kodex zur Bioethik“ anzuregen.
Wie soll man jedoch diese Normen festlegen? Welche Autorität spricht in dieser Sache für die gesamte Menschheit?
Ernst wurde die Diskussion mit der Entscheidung des britischen Parlaments vom 19. Dezember 2000 über eine Lockerung der dortigen Gesetze zur Forschung an Embryonen. Die Entscheidung der britischen Abgeordneten bedeutet, daß die Stammzellen menschlicher Embryonen zum Klonen neuer Embryonen benutzt werden könnten, die für Forschungszwecke vorgesehen sind.
Befürworter des britischen Gesetzes verneinen, daß damit die Tür zum Klonen von Menschen geöffnet wurde, da die geklonten Embryonen nur zu medizinischen Zwecken eingesetzt werden sollen. Gegner sind da anderer Meinung, wie z. B. die deutsche Europa-Abgeordnete der Grünen, Hiltrud Beyer, die in dem britischen Gesetz einen „Wegbereiter für das geklonte Baby“ ausmachte.
Knapp acht Monate nach dem Votum im britischen Parlament hat sich das US-Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, jegliches Klonen menschlichen Lebens, einschließlich des Klonens „lediglich“ zu therapeutischen Zwecken bzw. zur Gewinnung von Stammzellen, zu verbieten. (Die Entscheidung des US-Senats steht noch aus; es wird erwartet, daß sich der Senat dem Unterhaus anschließen wird.)
Stammzellen aus Embryonen („ES-Zellen“) sind von biomedizinischen Forschern deshalb so begehrt, weil aus ihnen alle im menschlichen Körper befindlichen Zell- und Gewebetypen entstehen können. In der Sprache der Mediziner sind ES-Zellen „totipotent“. Von Biotechnikern in ihrer Entwicklung entsprechend „gelenkt“, könnten sie eine ganz bestimmten Zellsorte bilden. So hofft man, neue Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten wie Diabetes oder Parkinson, bei denen ein Zelltyp ausgefallen ist, zu finden.
Das ethische Problem besteht darin, daß die Gewinnung von ES-Zellen die Vernichtung des Embryos bedeutet. Das „therapeutische Klonen“ von menschlichen Embryonen würde bedeuten, sie zu „produzieren“, um sie zu vernichten. Wie man anhand der Entscheidungen im britischen Parlament und im US-Kongreß erkennen kann, gibt es unter Demokraten keine einheitliche Meinung in dieser Sache.
Wann beginnt das Leben?
Auch wenn sie kompliziert zu sein scheint, läßt sich die durch die Gen- und Biotechnik ausgelöste Ethik-Diskussion auf eine einzige Frage reduzieren, die gar nicht so neu ist. Sie war bereits Gegenstand der Auseinandersetzung um die Abtreibung: Wann beginnt das menschliche Leben? Die Handhabung der Antwort auf diese Frage hat nicht nur mit Meinungsverschiedenheiten unter Demokraten verschiedener politischer Parteien zu tun, sie zeugt auch von Widersprüchen und ethischer Unbeständigkeit.
In seinen Entscheidungen zur Rechtmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen (1975 bzw. 1993) urteilte das deutsche Verfassungsgericht sinngemäß, das Leben beginnt mit der Vereinigung der weiblichen Ei- mit der männlichen Samenzelle: „Das sich entwickelnde Leben nimmt an dem Schutz teil, den Artikel 1 [des Grundgesetzes] gewährt.“
Das Embryonenschutzgesetz von 1990 definiert den Beginn eines menschlichen Lebens mit dem Abschluß der Befruchtung der Eizelle. Von diesem Augenblick an genießt das neue Leben den Schutz des deutschen Grundgesetzes. (Aus diesem Grund kommt in Deutschland ein Klonen von menschlichen Embryonen zu therapeutischen Zwecken derzeit nicht in Frage.)
Ähnlich ist die momentane Rechtslage in den USA, nachdem der Oberste Gerichtshof 1986 einer Klage gegen den US-Bundesstaat Missouri stattgab. In seinem Urteil bestätigte das Gericht den Standpunkt des Klägers, wonach das menschliche Leben mit der Zeugung beginnt.
Nach britischem Rechtsverständnis hingegen beginnt das Leben nicht bei der Zeugung, sondern erst vierzehn Tage später bei der Einnistung des Embryos in die Gebärmutter. Bei dieser Rechtsauffassung wird klar, warum das britische Unterhaus die Forschung an Embryonen billigen konnte.
Bei der klaren Rechtslage in Deutschland in bezug auf den Embryonenschutz stellt sich die Frage, wie die Abtreibung eines Embryos rechtens sein kann. Nach Meinung der Karlsruher Verfassungshüter geht es in solchen Fällen um eine Entscheidung zwischen der Gesundheit – dem Leben – des ungeborenen Kindes und der der werdenden Mutter.
Wenn die Geburt psychischen oder physischen Schaden bei der Mutter auslösen könnte, darf der eigentlich verbotene Schwangerschaftsabbruch ohne Strafverfolgung stattfinden. Damit will man dem Embryo den Status eines Menschen, dem nach dem Grundgesetz Personenschutz zusteht, gewähren – eines Menschen, dessen Leben man unter bestimmten Voraussetzungen mit der Genehmigung des Staates beenden darf.
Diese in sich gegensätzliche Rechtsauslegung hat zur Folge, daß in Deutschland jährlich ca. 130 000 Abtreibungen stattfinden. Bei dieser Statistik ist die Frage wohl erlaubt, ob die seelische oder körperliche Gesundheit der abtreibenden Frauen in jedem einzelnen Fall wirklich auf dem Spiel stand oder ob die Abtreibung, wie in bestimmten Ländern Asiens üblich, einfach zu einer von mehreren möglichen Varianten der Geburtenkontrolle bzw. Familienplanung geworden ist.
Zum Vergleich: In den USA hatte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bezüglich Schwangerschaftsabbrüche, 1973 in dem Präzedenzfall Roe vs. Wade verkündet, nichts mit den gesundheitlichen Belangen der Mutter zu tun. Auch wurde bei diesem Urteil nicht darüber befunden, ob ein Embryo menschliches Leben im Sinne des Gesetzes darstellt. Statt dessen ging es um den Schutz der Privatsphäre des Bürgers, wie im 14. Zusatz zur US-Verfassung garantiert. Das Gericht untersagte US-Bundesstaaten den Zugriff in die Privatsphäre von Frauen durch ein generelles Verbot der Abtreibung. In der Praxis ist das Resultat dieser Rechtsauslegung die sogenannte „Abtreibung auf Verlangen“, bei der gar keine Begründung für die Entscheidung zur Abtreibung notwendig ist.
Embryonen „außer Leibes“
Die Diskussion um den Schutz des Lebens wurde Ende der 1970er Jahre mit der Geburt des ersten „Retortenbabys“, Louise Brown, um eine ganze Dimension erweitert. Seither können auch solche Paare ein Kind bekommen, für die eine Befruchtung durch Geschlechtsverkehr nicht möglich ist. Das erfolgreiche Einsetzen einer „außer Leibes“ befruchteten Eizelle gelingt oft nicht beim ersten Versuch, so daß im Regelfall mehr als nur ein Embryo für die künstliche Schwängerung zur Verfügung stehen muß.
Andererseits kann diese Implantationstechnik im Erfolgsfall zu sogenannten „verwaisten“ Embryonen führen. Damit sind „überschüssige“ Embryonen gemeint, die das betreffende Paar sozusagen nicht mehr braucht. In Deutschland können solche Embryonen nach dem Embryonenschutzgesetz nicht vernichtet werden – sie sind eine Art „genetischer Atommüll“. Sie dürfen auch nicht von Paaren, die zu einer Befruchtung überhaupt nicht fähig sind, „adoptiert“ werden, noch dürfen sie zur Gewinnung von ES-Zellen bzw. zu Forschungszwecken genutzt werden.
Ein bereits in der Gebärmutter befindlicher, nicht gewollter Embryo darf also vernichtet werden, ein durch künstliche Befruchtung entstandener, außer Leibes befindlicher, nicht gewollter Embryo hingegen nicht. Darüber hinaus gibt es Ungereimheiten bezüglich des Embryonenschutzes aufgrund der differenzierten Beurteilung der Untersuchungsmöglichkeiten in der pränatalen Medizin.
Die „herkömmliche“ pränatale Diagnostik ist ab etwa der siebten Schwangerschaftswoche möglich, um einen genetischen Defekt an einem Embryo, der bereits „Leibesfrucht“ ist, festzustellen. Die Diagnose eines solchen Defekts bedeutet meistens, daß die Schwangerschaft per Abtreibung beendet wird.
Für Paare, die sich für eine Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung entschieden haben, lassen Entwicklungen der letzten Jahre in der Biotechnik eine noch frühere pränatale Untersuchung zu. So ermöglicht Präimplantations-Diagnostik (PID) die Überprüfung der genetischen Tauglichkeit an einem Embryo vor seiner Einpflanzung in die Gebärmutter der vorgesehenen Mutter. Bei der Diagnose eines genetischen Defekts per PID würden sich Schwangerschaft und Abtreibung erübrigen, denn der schadhafte Embryo würde gar nicht erst eingepflanzt.
Nach der derzeit geltenden Auslegung des Embryonenschutzgesetzes gibt es zwei Haken an der PID. Zum einen würde die bei der PID untersuchten, dem Embryo entnommenen Zelle vernichtet. Da diese Zelle höchstwahrscheinlich „totipotent“ wäre, könnte sie sich unter richtigen Bedingungen zu einem Embryo entwickeln. Ihre Vernichtung zum Zweck der PID wäre also nach dem benannten Gesetz unzulässig. Hinzu kommt die Überlegung, daß bei einer Zulassung der PID in Deutschland der Embryo selbst, dem die für die PID notwendige Zelle entnommen würde, nach wie vor existieren würde. Würde man einen genetischen Defekt an der untersuchten Zelle feststellen, würde der Embryo wohl nicht eingepflanzt werden, „vernichtet“ werden dürfte er nach der derzeitigen Auslegung des Embryonenschutzgesetzes auch nicht! Für diesen Fall wäre eine Mehrung des „genetischen Atommülls“ vorauszusehen.
Internationale Meinungsvielfalt
Sieht man in diesen ethischen Fragen einmal über den Tellerrand der deutschen Gesetzgebung hinaus, scheint der bereits zitierte niederländische Außenminister Jozias von Aartsens mit seiner Feststellung recht zu haben, wonach ethische Fragen eine nationale Angelegenheit sind.
So ist die Präimplantations-Diagnostik in Deutschland verboten, während sie in den Niederlanden unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen ist. So ist es in Schweden erlaubt, Stammzellen aus abgetriebenen Föten zu gewinnen, während dies in Deutschland nicht zulässig ist. So dürfen zeugungsunfähige Paare in den USA verwaiste Embryonen adoptieren und per Implantation zur Welt bringen. Dabei müssen die US-Paare kein natürliches Elternpaar sein, wie im Falle der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft von Nicole Conn und Gwen Baba aus Los Angeles. „Ihre“ zweijährige Tochter Gabrielle, ursprünglich ein bei einer im Labor vorgenommenen „In-vitro-Fertilisation“ entstandener Embryo, wurde von Nicole nach künstlicher Einpflanzung zur Welt gebracht.
Die gemeinnützige Organisation „Snowflakes“ [„Schneeflocken“] bemüht sich hingegen um die Vermittlung von verwaisten Embryonen an „traditionelle“ Ehepaare in den USA und erntet damit die Kritik von Abtreibungsförderern, weil sie darin die Möglichkeit einer rechtlichen Gleichstellung von Embryonen und Lebendgeborenen befürchten. Die Angst ist jedoch derzeit unbegründet: Vor zwei Jahren entschied der Oberste Gerichtshof der USA in dem Fall Stenberg vs. Carhart, daß die behandelnden Ärzte bei einer Abtreibung keiner rechtlichen Verpflichtung unterliegen, ein abgetriebenes Kind, das mit „Lebenszeichen“ ausgeschieden wird, am Leben zu erhalten.
Übereinstimmend scheinen Demokraten aus diversen Ländern die möglichen finanziellen Vorteile der Biotechnik zu beurteilen. So haben der Deutsche Bundestag Ende Januar 2002 und US-Präsident George Bush im vergangenen August die Tür für die Forschung an bereits bestehenden ES-Zellkulturen offengelassen. Die zukünftige Tötung von Embryonen zur Gewinnung von ES-Zellen soll demnach nicht gefördert werden, die Forschung an mittels bereits getöteter Embryonen gewonnenen ES-Zellen soll hingegen erlaubt sein. In Wirklichkeit dürfen sich die USA und Deutschland nicht wegen momentaner moralischer Vorbehalte aus dieser Biotechnik, die sehr lukrativ zu werden verspricht, ausklinken.
Wechselnde Mehrheiten oder verbindliche ethische Werte?
In diesem Artikel haben wir bewußt die Ethik-Diskussion zur Biomedizin auf demokratische Länder beschränkt. Würde man die Diskussion auf Länder mit anderer Regierungsform und dementsprechend auch mit anderen Kulturvorstellungen erweitern, wären die Unterschiede noch vielfältiger.
Wir wiederholen deshalb die eingangs gestellten Fragen: Soll man allgemein gültige Normen für die neue Biomedizin festlegen? Wenn ja, wie? Anderthalb Jahre vor der 6. Deutsch-Niederländischen Konferenz, die im März stattfand, hatte Joschka Fischer bereits anläßlich der 55. Vollversammlung der Vereinten Nationen im September 2000 eine UNO-Konvention und die Festlegung von allgemein gültigen ethischen Grundsätzen zum Umgang mit der rasch voranschreitenden Gentechnik vorgeschlagen.
Ob solche weltweit verbindlichen Grundsätze notwendig sind, ist für uns an eine Kernfrage geknüpft: Gibt es einen Schöpfergott? Sind wir Menschen das Resultat einer intelligenten Schöpfung, oder sind wir einem „blinden“ evolutionären Zufall zuzuschreiben?
Gibt es keinen Gott, so gibt es auch keine absolute ethische Wahrheit. Dann stimmt die Meinung des niederländischen Außenministers Jozias von Aartsens, wonach es in ethischen Fragen wirklich kein Richtig und Falsch gäbe. Richtig oder falsch wäre nur eine Frage der persönlichen Präferenz.
Ist die Ethik nur eine Frage der persönlichen Meinung, so hat jede Meinung ihre Berechtigung. Gibt es keine absolute ethische Wahrheit, dann wäre die Meinung eines ministeriellen Aufsehers der württembergischen Klinik Grafeneck im Hitler-Deutschland, das biblische Gebot „Du sollst nicht töten“ sei eine jüdische Erfindung, genauso gültig wie die gegenteilige Meinung (Angelika Ebbinghaus, Vernichten und Heilen: Der Nürnberger Ärzteprozeß und seine Folgen, Aufbau Verlag, Berlin, 2001).
In demokratischen Ländern würde dann die mehrheitlich empfundene „richtige“ Ethik gültig sein. Mehrheiten ändern sich bekanntlich – so wäre die Definition der Ethik von wechselnden Mehrheiten abhängig. Beispielsweise seien die Bemühungen in den USA genannt, konservative Senatoren in den US-Senat zu wählen, damit in Zukunft nur konservative Richter für freiwerdende Sitze am Obersten Gerichtshof ernannt werden und so die derzeitige Abtreibungsregelung gekippt werden kann.
Die nationale Ethik eines Landes wäre nur die Ethik des betreffenden Landes und nicht für alle anderen Länder maßgebend, wie etwa bei der Todesstrafe. Toleranz gegenüber anderen Ethikvorstellungen wäre ein Muß, denn, auf die Religion gemünzt, hatte nämlich der englische Philosoph John Locke nach dem englischen Bürgerkrieg des 17. Jahrhunderts erkannt, daß eine Ethik, die man für „die richtige“ hält, zwangsläufig gegenüber anderen ethischen Vorstellungen intolerant sein muß und deshalb zu Konflikten führen wird.
Gibt es jedoch einen Schöpfergott, dann sind wir Menschen nicht nur seine Geschöpfe, sondern auch „nach seinem Bilde“ geschaffen! Dann sind wir gefragt, in allen Dingen, in denen es um das Geschenk geht, das uns nur der Schöpfer ermöglichen kann – das Leben –, behutsam umzugehen. Dann gibt es weltweit bereits verbindliche ethische Maßstäbe, und die Menschheit ist gefordert, diese Maßstäbe kennenzulernen und zu respektieren.
Wie eingangs angedeutet, verlangt eine weltweit verbindliche Ethik auch eine Weltregierung. Eine solche Regierung wird es geben! Sie war Mittelpunkt der Botschaft Jesu Christi, eine heute weitgehend vergessene Botschaft, wie man an den widersprüchlichen Ethikvorstellungen selbst unter bekennenden Christen erkennen kann. Mehr Informationen über diese kommende Weltregierung erfahren Sie in unserer kostenlosen Broschüre Das Reich Gottes – eine gute Nachricht. Auf Anfrage senden wir sie Ihnen gerne zu.