Von Paul Kieffer
Es hatte so verheißungsvoll angefangen: mit einem „Waffenstillstand“ der palästinensischen Terrororganisationen und dem Verzicht der israelischen Regierung auf Vergeltungsschläge und die gezielte Tötung bekannter Terroristen. Vorübergehend abgelenkt durch den Irak-Krieg, hatte sich nach dem Einmarsch der Amerikaner in Bagdad die Aufmerksamkeit der Welt recht schnell wieder auf den Konflikt gerichtet, der schon lange ein Dauerbrenner in der Region ist: der Streit zwischen Israel und den Palästinensern. Diesmal schien die Zeit für echten Fortschritt wirklich reif zu sein.
Der „Fahrplan für den Frieden“ im Nahen Osten, auf den sich Amerika, die Europäische Union, Rußland und die Vereinten Nationen im vergangenen Herbst geeinigt hatten, sieht die Schaffung eines palästinensischen Staates bis 2005 und ein Ende der Feindseligkeiten vor. Ohne den Einfluß, den die USA auf Israel ausüben können, hat kein Friedensplan wirklich Aussichten auf Erfolg. Deshalb wurde mit großem Interesse die Bereitschaft der Amerikaner verfolgt, den Fahrplan für den Frieden voranzutreiben.
Die Zurückhaltung von George W. Bush in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft, die von seinem Vorgänger Bill Clinton begonnene Arbeit als Nahost-Friedensvermittler fortzusetzen, ist nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nunmehr der Erkenntnis gewichen, daß das Nahostproblem dem islamischen Fundamentalismus als fruchtbarer Nährboden dient. Mit der ersten Nahostreise seiner Amtszeit Anfang Juni und den Treffen mit arabischen Führern und Israels Ministerpräsident Scharon vollzog der amerikanische Präsident mit seinem persönlichen Engagement für den Frieden im Nahen Osten demonstrativ eine Kehrtwendung.
Es wurde sogar darüber spekuliert, daß Präsident Bush durch seinen gewaltsamen Sturz der irakischen Diktatur den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon praktisch an den Verhandlungstisch gezwungen hat. Mit Saddam Husseins Niedergang versiegte wohl die Hauptquelle zur Finanzierung der palästinensischen Terroristen und deren Hinterbliebene. Darüber hinaus verschwand die aus der Sicht Israels von Saddams Militär ausgehende Bedrohung des jüdischen Staates.
Die Vorzeichen schienen also sehr erfolgversprechend zu sein. Es ist aber nicht das erste Mal, daß man meinte, jetzt könnte es bei der Suche nach Frieden richtig vorangehen.
Wiederholt sich die Geschichte?
Irgendwie erinnern die jetzigen Bemühungen um den Fahrplan zum Frieden an die Ereignisse nach dem Waffengang gegen Saddam Hussein in den ersten Wochen des Jahres 1991. Präsident Bill Clinton nutzte das Prestige seines Amtes und den durch den ersten Golfkrieg erstarkten Einfluß seines Landes, um maßgeblich zur Entstehung des Osloer Vertrags vor zehn Jahren beizutragen.
Zum Schluß der Osloer Verhandlungen appellierte der israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin vom Weißen Haus aus an die Palästinenser: „Es ist unser Schicksal, auf dem gleichen Boden im gleichen Land zusammen zu wohnen ... Wir hegen keinen Haß auf Sie, noch fordern wir Rache. Wie Sie sind wir Menschen, die Häuser bauen, Bäume pflanzen, lieben und neben Ihnen wohnen möchten – in Würde und Mitgefühl, als Mitmenschen, als freie Menschen ... Beten wir gemeinsam, daß der Tag kommen wird, an dem wir von unseren Waffen Abschied nehmen.“
Nur zwei Jahre später war Yitzhak Rabin tot. Sein Mörder war kein palästinensischer Terrorist, sondern ein israelischer Reservist, dem Rabins territoriale Konzessionen an die Palästinenser zu weit gingen. Ein ähnliches Schicksal erlebte Ägyptens Präsident Anwar el Sadat, als er 1981 von radikalisierten Soldaten des eigenen Heeres ermordet wurde.
Fünf Jahre nach Rabins Tod schien im Juli 2000 wieder eine Vereinbarung möglich zu sein. In den langwierigen Friedensgesprächen in Camp David, bei denen Bill Clinton erneut als Vermittler wirkte, hatte es ernsthafte Hindernisse gegeben, für deren Überwindung viel Zeit und ausführliche Gespräche notwendig waren. Der israelische Ministerpräsident Barak war dem Palästinenserpräsidenten Arafat sehr nahegekommen. Zum Schluß lehnte Arafat jedoch die letzte Friedensofferte der Barak-Regierung ab. Presseberichten zufolge soll Arafat Präsident Clinton gesagt haben, würde er das Angebot annehmen, unterschriebe er damit sein eigenes Todesurteil.
Arafats Sorge um sein persönliches Wohlergehen soll sich auf seine Einsicht gegründet haben, er könnte in den Augen radikaler Palästinenser zu vielen Konzessionen zugestimmt haben. Stimmen die Meldungen von Juli 2000, so wäre Arafat nach seinen eigenen Worten derselbe Streitpunkt zum Verhängnis geworden wie Yitzak Rabin: Wird zu viel Land verschenkt?
„Land gegen Frieden“ hat Grenzen
Das Prinzip „Land gegen Frieden“ diente als Grundsatz bei den Friedensverhandlungen zwischen Ägypten und Israel. Der Abschluß eines Friedensvertrags und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen gelangen, weil Ägypten den Staat Israel anerkannte und sich zur Friedenserhaltung verpflichtete. Im Gegenzug räumte Israel ägyptisches Hoheitsgebiet, das es seit dem Sechstagekrieg des Jahres 1967 besetzt hatte.
Der neue Fahrplan für den Frieden ist den Bemühungen der 1990er Jahre insofern ähnlich, indem die Frage nach dem endgültigen Verlauf der Grenzen zwischen Israel und einem zukünftigen palästinensischen Staat erst in der letzten Phase des Fahrplans geregelt werden soll. Bis dahin gelten die Grenzen als „vorläufig“. Nach dem Fahrplan soll auf der Basis „Land gegen Frieden“ und den Resolutionen Nr. 242 bzw. 338 des UN-Sicherheitsrats die seit 1967 andauernde „Besatzung“ beendet werden. Die Resolution Nr. 242 vom 22. November 1967 verlangt einen „Rückzug israelischer Streitkräfte aus Gebieten, die während des jüngsten Konflikts [des Sechstagekriegs vom Juni 1967] besetzt wurden“.
Nach dem Fahrplan für den Frieden sollen in einer zweiten internationalen Konferenz Verhandlungen zur endgültigen Klärung des Status der Stadt Jerusalem und des Grenzverlaufs zwischen Israel und dem zukünftigen palästinensischen Staat eingeleitet werden. Ein Abschluß dieser Verhandlungen ist für das Jahr 2005 vorgesehen.
Für Jerusalem avisiert der Fahrplan eine Lösung, „die die politischen und religiösen Bedenken beider Seiten berücksichtigt und die religiösen Interessen von Juden, Christen und Muslimen in aller Welt schützt. Sie verwirklicht die Vision, daß die zwei Staaten, nämlich Israel und ein souveränes, unabhängiges, demokratisches und lebensfähiges Palästina, in Frieden und Sicherheit zusammenleben.“
Bereits vor dem Scheitern der Verhandlungen in Camp David faßte ein Artikel in der New York Times die Problematik des gordischen Knotens Jerusalem folgendermaßen zusammen:
„Über Jerusalem reden israelische und palästinensische Führer in der Öffentlichkeit nur selten ohne Schwarz-Weiß-Szenarien. Einerseits ist es die ,ewige, ungeteilte Hauptstadt‘ Israels, andererseits die zukünftige Hauptstadt des palästinensischen Staates – anscheinend unvereinbare Konzepte, die viele intelligente Politiker zu der Empfehlung veranlaßt haben, daß man die Angelegenheit bei den gegenwärtigen, angeblich endgültigen Friedensverhandlungen ungelöst lassen sollte“ (21. Mai 2000).
Ein vollständiger Rückzug Israels aus den im Juni 1967 besetzten Gebieten würde die Räumung Ost-Jerusalems bedeuten, was nur schwer vorstellbar ist. Ebenso schwer vorstellbar ist eine Lösung, bei der die Palästinenser auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt ihres neuen Staates verzichten.
Den einen zu wenig, den anderen zu viel
Das Dilemma bei dem zukünftigen Status von Jerusalem und dem noch zu bestimmenden Grenzverlauf zwischen einem Palästinenserstaat und Israel ist, daß für manche Israelis eine auch nur teilweise Preisgabe der besetzten Gebiete bereits zu viel, während für manche Palästinenser selbst ein vollständiger Rückzug aus allen 1967 besetzten Gebieten noch zu wenig wäre.
Beispielsweise hoffen viele der seit 1948 Geflohenen immer noch auf eine Rückkehr in ihre frühere Heimat – oder die ihrer Eltern. Würden alle palästinensischen Flüchtlinge nach Israel zurückkehren dürfen, so wäre das Überleben des jüdischen Staates in Frage gestellt, und das nicht nur aus Sicherheitsgründen. Es ist daher kein Wunder, daß die israelische Regierung Verhandlungen über dieses Thema strikt ablehnt.
Für radikale Islamisten wie die Angehörigen der Hamas-Bewegung dürfte hingegen nicht Heimatverbundenheit, sondern Ideologie vordergründig sein. Die Hamas-Charta sieht Palästina als von Gott verfügtes, unveräußerliches islamisches Eigentum: „Niemand darf es oder einen Teil davon aufgeben oder darauf oder auf einen Teil davon verzichten.“ Diese Sichtweise ist jedoch absolut unvereinbar mit der Überzeugung mancher Juden, die glauben, daß Gott ihnen das Land Palästina gegeben hat.
Ein jüdischer Immigrant aus Ohio, der heute mit seiner Familie in den besetzten Gebieten lebt, wurde kürzlich von einem großen US-amerikanischen Fernsehsender interviewt. Der Moderator fragte ihn, warum er glaube, daß Israel die Kontrolle über palästinensisches Gebiet behalten sollte. Seine Antwort war kurz und knapp: „Weil Gott uns das Land gab.“ Dieser Mann praktiziert den jüdischen Glauben nicht. Trotzdem hält er an der Vorstellung fest, daß die Juden ein göttliches Erbrecht auf ganz Palästina haben.
Für solche Siedler dürfte der Fahrplan zum Frieden ein Verrat sein. Zu Beginn der ersten Phase des Fahrplans soll Israel die Siedlungsaußenposten abbauen, die seit März 2001 errichtet worden sind. Darüber hinaus sollte Israel, in Übereinstimmung mit dem Mitchell-Bericht, die Förderung der Siedlungsaktivität einstellen, einschließlich des natürlichen Wachstums bestehender Siedlungen. Ohne ein konsequentes Durchgreifen der israelischen Regierung wird diese Vorgabe wohl nie erfüllt werden. Allein in diesem Jahr schätzen einige den Zuwachs bei den Siedlungen auf ca. fünf Prozent.
Für Ariel Scharon wird die geforderte Zurückhaltung bei der Siedlungspolitik sowieso eine politische Herausforderung sein. Zu seiner Regierungskoalition gehören zwei konservative Parteien, die mit einem Austritt aus der Koalition für den Fall eines Siedlungsstopps gedroht haben.
Abraham und das „Gelobte Land“
Die Sichtweise des bereits zitierten jüdischen Immigranten, der mit seiner Familie in einer Siedlung in den besetzten Gebieten lebt, spiegelt die Denkweise mancher Christen wider. Danach versprach Gott durch einen Bund, Abraham das Land Kanaan zu geben. Weil Gott seine Versprechen immer hält, so meinen diese Christen, muß das Land Palästina an die Nachkommen Abrahams gehen, und zwar durch die Nachkommen Jakobs, ganz gleich wie ihre Einstellung oder ihr Verhalten ist.
Für sich allein genommen scheint diese Sichtweise ihre Berechtigung zu haben, in Wirklichkeit jedoch besteht ein großer Klärungsbedarf.
Einerseits stimmt es, daß Abraham und seine Nachkommen das Land Kanaan als ewigen Besitz erhalten sollten: „Und ich will dir und deinem Geschlecht nach dir das Land geben, darin du ein Fremdling bist, das ganze Land Kanaan, zu ewigem Besitz, und will ihr Gott sein“ (1. Mose 17,8; alle Hervorhebungen durch uns). Durch den Gehorsam Abrahams ist Gottes Verheißung bedingungslos geworden. Gott ist deshalb verpflichtet, Abraham und seinen Nachkommen das Land Kanaan zu geben. Aber wann soll das geschehen?
Im Neuen Testament erfahren wir, daß Abraham, Isaak und Jakob starben, ohne das verheißene Land erhalten zu haben: „Diese alle sind gestorben im Glauben und haben das Verheißene nicht erlangt, sondern es nur von ferne gesehen und gegrüßt und haben bekannt, daß sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind“ (Hebräer 11,13). In der Tat lebten die Nachkommen Jakobs jahrzehntelang in Ägypten – nicht einmal Abrahams unmittelbare Nachkommen blieben in Kanaan, dem Gelobten Land!
Weiter erfahren wir, daß Abraham, Isaak und Jakob das verheißene Land erst dann zum ewigen Besitz erhalten werden, wenn sie, zusammen mit Christen, durch die Auferstehung wieder leben werden – bei der Wiederkehr Jesu Christi! „Diese alle haben durch den Glauben Gottes Zeugnis empfangen und doch nicht erlangt, was verheißen war, weil Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat; denn sie sollten nicht ohne uns vollendet werden“ (Hebräer 11,39-40).
Die Juden, die heute im Staat Israel leben, scheinen einen Besitzanspruch auf das Land Kanaan aufgrund der Verheißung an Abraham verfrüht geltend machen zu wollen. Gott macht seine Verheißung an Abraham erst dann wahr, wenn Abraham wieder lebt!
Haben die Juden einen Anspruch auf das „Gelobte Land“?
Ca. 400 Jahre nach Abrahams Tod führte Gott seine Nachkommen aus der Knechtschaft in Ägypten heraus und machte ihnen das Angebot einer besonderen Beziehung, die wir als den Alten Bund kennen. Im Gegensatz zu der Verheißung, die Gott Abraham gemacht hatte, war dieses Angebot an Israel an Bedingungen geknüpft: „Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern“ (2. Mose 19,5).
Was würde den Israeliten passieren, wenn sie die Verpflichtungen, die Gott ihnen auferlegte, nicht einhalten würden? Sie würden die Segnungen ihrer besonderen Beziehung zu Gott verlieren. Dazu gehörte auch ihre Heimat, das Gelobte Land!
Die meisten Christen sind sich nicht bewußt, daß die heutigen Juden nur einen kleinen Prozentsatz der Nachkommen des alten Volkes Israel ausmachen. Jakob (oder Israel) hatte zwölf Söhne. Jeder von ihnen wurde zum Vater eines Clans oder eines Stammes. Juda war einer dieser zwölf Söhne und ist der Vorfahre der heutigen Juden.
Im Laufe der Geschichte trennten sich zehn Stämme von der Nation Israel und gründeten einen eigenen Staat. Die Stämme, die sich getrennt hatten, behielten den nationalen Namen Israel bei. Die verbleibenden Stämme, die die Kontrolle über Jerusalem behielten, waren Juda, Benjamin und Levi. Am Ende wurden dann beide Nationen von benachbarten Mächten überwältigt und gefangengenommen, weil sie ihren Teil der Abmachung nicht eingehalten hatten – genauso wie Gott es vorausgesagt hatte.
Die Juden machen also nur einen kleinen Anteil der Nachkommen von ganz Israel aus. Von diesem Anteil stellen die in Israel lebenden Juden eigentlich nur eine Minderheit dar. Es stimmt, daß Gott Israel versprochen hatte, es wieder in das Gelobte Land zurückzubringen – aber das Versprechen wurde ganz Israel gegeben, d. h. allen Stämmen, nicht nur einem der zwölf Stämme.
Es wird eine Zeit kommen, wenn alle der heutigen Nachkommen des alten Israels (weit mehr als nur die Juden) erkennen werden, daß sie die Verpflichtungen, die Gott ihnen auferlegt hat, nicht eingehalten haben. Sie werden erkennen, daß sie ihre Lebensweise grundlegend verändern müssen. Es geht nicht darum, nach menschlichen Maßstäben ein „gutes Volk“ zu sein. Es geht darum, den Willen Gottes zu tun.
In der Zwischenzeit wird der Nahostkonflikt weitergehen. Große rhetorische Worte werden ohne Wirkung widerhallen, Bomben weiter explodieren und leider noch viel mehr Blut fließen. Noch gewinnt der heutige Staat Israel seine Kriege. Nach der Bibel wird aber eine Zeit kommen, wenn Israel sie verlieren wird. Das wäre nicht möglich, wenn der heutige Staat Israel die Erfüllung der Prophezeiung wäre, wonach Gott das Volk Israel wieder ins Gelobte Land führen und dort beschützen wird.
Jesus Christus wird auf die Erde zurückkehren, um die Nachkommen Abrahams (alle zwölf Stämme Israels, nicht nur die Juden) zur geistlichen Reue zu führen und sie in das Abraham verheißene Land zu bringen: „Wenn du bis ans Ende des Himmels verstoßen wärst, so wird dich doch der Herr, dein Gott, von dort sammeln und dich von dort holen und wird dich in das Land bringen, das deine Väter besessen haben, und du wirst es einnehmen“ (5. Mose 30,4-5). Erst dann wird ganz Israel in der Lage sein, einen biblischen Anspruch auf das göttliche Erbe Palästina zu erheben.