Jesus Christus starb vor fast 2000 Jahren. Es gibt heute kein authentisches Bild von ihm. Kann die moderne forensische Medizin nachweisen, wie Jesus wirklich ausgesehen hat? Die Forschungsergebnisse heutiger Experten und die Aussagen der Bibel können überraschend sein.
Von Gary Petty
Die Überschrift verkündet: „Das wahre Gesicht Jesu“, und beim Weiterlesen erfährt man, worum es geht: „Fortschritte in der forensischen Medizin offenbaren das berühmteste Gesicht der Geschichte.“ Der Artikel, der herkömmliche Darstellungen von Jesus herausfordert, erschien nicht in einer religiösen Zeitschrift, sondern war der Leitartikel in der Dezemberausgabe 2002 des US-Wissenschaftsmagazins Popular Mechanics.
Der Artikel beginnt mit folgenden Sätzen: „Sobald Kinder aus christlichen Familien die Sonntagsschule besuchen, setzt sich ein bestimmtes Bild von Jesus Christus in ihren Köpfen fest. In Nordamerika wird Jesus oft größer und schlanker als seine Jünger dargestellt, mit langen, hellbraunen Haaren, blasser Haut und hellen Augen.
So bekannt dieses Bild auch sein mag, besteht es doch aus vielen Irrtümern. Eine Person mit diesen Gesichtszügen und dieser körperlichen Statur hätte sich in der Gegend, wo Jesus lebte und wirkte, in ihrer Erscheinung völlig von der übrigen Bevölkerung abgehoben.“
Wie können wir wissen, wie Jesus wirklich ausgesehen hat? Verschiedene Kulturen sind sich keineswegs einig über das Aussehen Jesu. Europäische Maler porträtieren ihn gewöhnlich groß und sehr schlank, mit feinen, fast weiblichen Gesichtszügen. In einer afrikanischen Ausgabe der King James Bibel, The Original African Heritage Edition, erscheint Jesus auf einem Bild als Mann aus Zentralafrika.
Das Magazin Popular Mechanics berichtet in seinem Artikel über eine Rekonstruktion des Aussehens Jesu mit Hilfe eines Computers. Der britische Fernsehsender BBC hatte diese Arbeit für eine neue Fernsehserie „Son of God“(„Sohn Gottes“) in Auftrag gegeben. Die computeranimierte Darstellung von Jesus basiert auf Informationen, die Experten in der forensischen Anthropologie gesammelt haben. Der Autor Mike Fillon schreibt in seinem Artikel The Real Face of Jesus: „Britische Wissenschaftler haben mit Hilfe israelischer Archäologen und Methoden, wie die Polizei sie zur Aufklärung von Verbrechen benutzt, das Aussehen von Jesus rekonstruiert. Sie glauben, ein genaues Bild von dem berühmtesten Gesicht der Geschichte erstellt zu haben.“
Das Ergebnis der Wissenschaftler erstaunte viele Gläubige. Denn man kam zu folgendem Schluß: „Archäologen haben mit Hilfe von Knochenfunden herausgefunden, daß der durchschnittliche semitische Mann zur Zeit Jesu ca. 1,55 m groß war und ungefähr 50 kg wog. Da Jesus bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr als Zimmermann im Freien arbeitete, kann man davon ausgehen, daß er muskulöser und durchtrainierter war, als er auf westlichen Portraits dargestellt wird.“
Diese Erkenntnis, daß Jesus wie jeder andere zeitgenössische Jude ausgesehen haben muß, wird von den Autoren der Evangelien unterstützt. Sie berichten davon, wie Jesus einer aufgebrachten Menschenmenge aus dem Weg ging, indem er sich unauffällig unter die Menschenmenge mischte. Selbst der Verräter Judas Iskariot mußte ihn mit einem Kuß identifizieren, damit die Soldaten überhaupt wußten, wen sie gefangennehmen sollten.
Jesus und lange Haare
Die BBC-Rekonstruktion des Aussehens Jesu geht auch davon aus, daß die allgemein verbreitete Vorstellung von einem Jesus mit langen Haaren falsch ist.
Zur Herstellung der computeranimierten Darstellung wurde nach Berichten der Zeitung Times ein Schädel benutzt, den man bei Straßenbauarbeiten in Jerusalem gefunden hatte. Israelische Archäologen hatten den Ort als eine jüdische Grabstätte aus dem ersten Jahrhundert identifiziert. Auch Christus-Fresken aus Synagogen in der Region wurden als historische Arbeitsgrundlage für die Computeranimation herangezogen. Darüber hinaus zeigen viele Büsten aus dieser Zeit Männer mit kurzen Haaren. Es war nicht üblich für einen Juden, lange Haare zu tragen.
Wenn Jesus wirklich lange Haare gehabt hätte, wäre die Aussage des Apostels Paulus, es sei für einen Mann eine Schande, lange Haare zu haben, nur schwer verständlich. Woher stammt also die Idee von einem Jesus mit langen Haaren?
Jahrhundertelang haben einige geglaubt, daß Jesus unter dem Gelübde der Nasiräer gestanden hätte. Ein Nasiräer versprach bei seinem Gelübde, keinen Wein zu trinken bzw. keine Weintrauben zu essen, keinen Leichnam anzufassen und sein Haar bis zum Ende des Gelübdes nicht zu schneiden (4. Mose 6,1-6). Erst danach durfte das eigene Haar geschnitten werden. Das gleiche galt auch für Frauen, die dieses Gelübde abgaben.
Die Evangelien berichten aber über Gelegenheiten, zu denen Jesus Wein trank. Wenn er unter einem nasiräischen Gelübde gestanden hätte, hätte er es damit gebrochen. Dieses Mißverständnis ist z. T. auf eine Schriftstelle zurückzuführen, in der Christus als Jesus von Nazareth oder Nazoräer bezeichnet wird. Nazareth ist eine Region in Galiläa, wo Jesus als Kind aufgewachsen war. Das Matthäusevangelium berichtet in Kapitel 2, Vers 23 über die Kindheit Jesu: „[Jesus] kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heißen.“ Jesus kam aus Nazareth, er war aber kein Nasiräer. Er hat nie unter dem Gelübde gestanden, keinen Wein zu trinken oder das Haar lang zu tragen.
Da sich die Wissenschaftler bei der computeranimierten Rekonstruktion von dem Gesicht Jesu auf archäologische Funde und zeitgenössische Überlieferungen stützen konnten, schätzt Richard Neave, forensischer Mediziner an der Universität Manchester, die von ihm maßgeblich durchgeführte Arbeit als sehr genau ein: „Die Rekonstruktion anhand eines Schädels ist äußerst erfolgreich, weil der Schädel die Gesichtsform, einschließlich Augenbrauen, Nase und Kinn, vorgibt.“
Allerdings räumt der Produzent der BBC-Serie, Jean Claude Bragard, ein, daß man durch die Arbeit der Wissenschaftler nur einen Anhaltspunkt für das Aussehen Jesu bekommen habe, da es sich bei dem Schädel nicht um den Schädel von Jesus handele. Er meint aber: „Es ist ein Anstoß, erneut darüber nachzudenken, wie Jesus ausgesehen haben könnte“(Spiegel Online, 28. März 2001).
Niemand kann genau sagen, wie Jesus wirklich ausgesehen hat. Das Neue Testament hebt sein sündenfreies Leben und seine Lehre hervor, sagt aber fast gar nichts über seine äußere Erscheinung aus.
Der Apostel Johannes durfte eine Vision sehen, wie Jesus heute in seiner verherrlichten Form aussieht. Demnach sind Jesu Haare „weiß wie Wolle“, „seine Augen wie eine Feuerflamme“ und „sein Angesicht [leuchtet], wie die Sonne scheint in ihrer Macht“ (Offenbarung 1,14-16).
Was lehrte Jesus?
Auf den vielen Jesus-Bildern wird Jesus von den Europäern wie ein Europäer, von den Afrikanern wie ein Afrikaner und von den Asiaten wie ein Asiat dargestellt. Ist es wirklich wichtig, wie sich jemand Jesus vorstellt? Hat die eigene Vorstellung einen Einfluß darauf, wie man das Evangelium versteht, das Jesus predigte?
So wie die Menschen dazu neigen, sich ihren Jesus nach eigenen Vorstellungen zu schaffen, interpretieren sie auch seine Lehren unter dem Einfluß ihrer eigenen Kultur. Aussagen wie „Nimm das Kreuz und folge mir“ hatten auf die Juden des ersten Jahrhunderts eine große Wirkung, weil sie oft Gefangene dabei beobachten konnten, wie sie ihr Kreuz an den Ort ihrer Hinrichtung trugen. Viele Lehren Jesu werden sehr deutlich, wenn man den Kontext der jüdischen bzw. römischen Kultur vor fast 2000 Jahren studiert.
Heute gehen viele Gläubige davon aus, daß Jesus auf die Erde kam, um das Gesetz Gottes abzuschaffen. Wußten Sie aber, daß Jesus sagte: „Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis es alles geschieht“ (Matthäus 5,18)?
Kann es sein, daß wir die Lehren Jesu unter dem Einfluß unserer eigenen Vorstellungen von Jesus falsch interpretieren? Kennen Sie die Wahrheit von Jesu Botschaft? Oder ist sie genauso zur Karikatur geworden wie die vielen Jesus-Darstellungen, die eher darauf gründen, wie ein Künstler Jesus selbst sehen will, statt wie er wirklich ausgesehen hat? Noch wichtiger ist die Frage, ob Jesus überhaupt möchte, daß wir Bilder und Statuen von ihm schaffen (2. Mose 20,4-6).
Es ist an der Zeit, den Staub von den Evangelien wegzuwischen und sich auf die Suche nach dem wahren Jesus zu machen. Vielleicht entdecken Sie dabei nicht nur, daß Jesus ganz anders aussah, als allgemein angenommen, sondern auch, daß sein Evangelium Wahrheiten enthält, wie viele sie so noch nie gehört haben.