Von der Redaktion
Jeder Schüler in Deutschland lernt das berühmte Zitat des römischen Kaisers Augustus, als er vom Verlust dreier Legionen im Teutoburger Wald erfuhr: „Varus, gib mir meine Legionen wieder!“ Die Reaktion des bestürzten Augustus verdanken wir dem römischen Historiker Sueton, in dessen Wiedergabe des kaiserlichen Wortes sich auch ungläubiges Staunen ausdrückt: Wie konnten römische Legionen von Barbaren besiegt werden?
In Anspielung auf das mit der deutschen Geschichte unzertrennlich verknüpfte Zitat fragen wir, wo die jüdischen Schätze aus dem zweiten Tempel geblieben sind. Wer das Forum Romanum in der italienischen Hauptstadt besucht hat, kennt den Titusbogen, den Triumphbogen des römischen Feldherrn und späteren Kaisers Titus. Auf diesem Monument abgebildet sieht man die siegreichen römischen Soldaten, die die Beute des brutal niedergeschlagenen jüdischen Aufstandes der Jahre 67-70 n. Chr. tragen: Gegenstände vom zweiten Tempel, darunter auch den goldenen Leuchter aus dem Allerheiligsten.
Diente der Triumphbogen lediglich der Ausschmückung bzw. der Legendenbildung zugunsten des Titus? Oder steckt auch eine geschichtliche Wahrheit dahinter, die in den kommenden Jahren für Zündstoff sorgen könnte, der heute genau so unwahrscheinlich zu sein scheint wie einst ein Sieg über drei mächtige römische Legionen im Teutoburger Wald? Kurzum: Brachte Titus die jüdischen Tempelschätze 70 n. Chr. tatsächlich nach Rom? Wenn ja, wo sind sie geblieben?
In unserem Artikel über den Tempelberg (Seite 8) erwähnen wir eine strenggläubige jüdische Gruppe, die einen neuen Tempel auf dem Tempelberg bauen will. Es sind die „Temple Mount Faithful“ [„Die Gläubigen des Tempelbergs“], die selbst ihren Landsleuten zu extrem sind. Die Gläubigen des Tempelbergs meinen zu wissen, wo die Schätze aus dem zweiten Tempel zu finden sind: in den Katakomben des Vatikans.
In einer Pressemitteilung dieser Organisation vom 12. Januar 2003 wurde berichtet, daß der israelische Präsident Moshe Katzav anläßlich eines Besuchs in Rom den vatikanischen Premierminister, Kardinal Angelo Sudano, gebeten haben soll, eine Liste aller Tempelschätze, die in den Händen des Vatikans sein sollen, zu erstellen. Die „Temple Mount Faithful“ betonten ferner, daß dies das zweite derartige Gesuch gewesen sein soll, nachdem der frühere Minister für Religion, Shimon Shitreet, dem Vatikan eine ähnliche Bitte vorgetragen haben soll.
Der Vatikan soll wiederholt bestritten haben, im Besitz der Tempelschätze aus dem herodianischen Tempel zu sein. Von offizieller Seite wurde das Gesuch des israelischen Präsidenten nicht bestätigt. Trotzdem widmeten Kenner der Szene der Pressemitteilung große Aufmerksamkeit; sie ist im Internet auf mehreren Webseiten zu finden, die sich mit den Geschehnissen am Tempelberg beschäftigen.
Die Realität mag letztendlich keine Rolle spielen. Wichtig ist, wie die Betroffenen die Sache sehen. In diesem Fall sind das die „Gläubigen des Tempelbergs“, die entschlossen sind, den dritten Tempel zu bauen, und davon überzeugt sind, daß der Vatikan Tempelschätze von einst besitzt. So unglaublich es auch erscheinen mag: Wird der Vatikan in den Konflikt um den Tempelberg zwischen strenggläubigen Juden und Muslimen mit einbezogen? Seien Sie nicht überrascht, wenn es doch so kommt!