In der Hoffnung, die Schwierigkeiten zu meiden, die ihre Eltern in der Ehe erlebten, tendiert die Mehrheit der heutigen jungen Erwachsenen zu einem Zusammenleben ohne Trauschein. Ist das eine Lösung, oder schafft man damit eher neue Probleme?
Von Cecil Maranville
Vor 30 Jahren bestand nur eine geringe Chance, daß ein sechsjähriges Kind unter seinen Spielkameraden ein Kind aus einem geschiedenen Haushalt kennen würde. Heute gibt es nur eine geringe Chance, daß ein sechsjähriges Kind kein Kind kennt, das aus einem geschiedenen Elternhaus stammt. Das Kind, das bei seinen verheirateten leiblichen Eltern lebt, wird zunehmend zur Ausnahme.
Übertreibung? Vielleicht. Eine phänomenale Veränderung überrollte die westliche Gesellschaft unauffällig und leise. Nur wenige scheinen sie bemerkt zu haben. Noch weniger Menschen scheint es zu kümmern. In den letzten Jahrzehnten entwickelten sich die sozialen Normen weg von der Ansicht, eine Scheidung als Stigma zu betrachten, hin zu der Meinung, daß sie normal, natürlich und oft notwendig sei. Soziologen fassen diese radikale Veränderung mit dem Ausdruck „Scheidungsrevolution“ zusammen.
Die davon betroffenen Kinder akzeptieren jedoch nicht die Kavaliersphilosophie, wonach die Scheidung normal sei. Und sie unternehmen Schritte, die ihnen – wie sie meinen – helfen werden, den Schmerz und die Kosten, die mit einer zerbrochenen Ehe bzw. einer Scheidung verbunden sind, zu vermeiden. Die Scheidungsrevolution hat den Grundstein für die Generation der „wilden Ehe“ geschaffen.
„Einfach gesagt ist das ungebundene Zusammenleben – oder die außereheliche Beziehung – der Status von Paaren, die eine sexuelle Beziehung eingegangen sind und einen gemeinsamen Haushalt teilen, aber nicht miteinander verheiratet sind“ („Sollten wir zusammenleben?“, Das nationale Eheprojekt: die nächsten Generationen, Zusammenfassung der Untersuchungen von David Popenoe und Barbara Dafoe Whitehead; Studie im Auftrag der Rutgers-Universität).
Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts stieg die Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften in Deutschland in der Zeit zwischen 1991 und 2000 um 50 Prozent. Im Mai 2000 gab es 600 000 nichteheliche Paare mit Kindern und 1,5 Millionen ungetraute Paare ohne Kinder. Die Partnerschaften ohne Trauschein stellten vor zwei Jahren 9,7 Prozent aller Lebensgemeinschaften hierzulande dar.
Die Akzeptanz von nichtehelichen Lebensgemeinschaften scheint heute gerade unter denen am größten zu sein, die die Protestbewegung vor ca. 35 Jahren nur vom Hörensagen kennen. 1995 machte nämlich die Gruppe der 18- bis 35jährigen zwei Drittel aller unverheirateten Paare aus (Nichtkonventionelle Lebensformen: Entstehung – Entwicklung – Konsequenzen, 1998, Verlag Leske + Budrich, Seite 67).
Womit begründen junge Menschen ihre Entscheidung?
Was ist die Ursache dieser Revolution?
Zum großen Teil ist sie das Ergebnis der Scheidungsrevolution, verbunden mit einer allgemeinen Lockerung in Fragen moralischen Verhaltens. Die heutige Jugend möchte die negativen Folgen einer Scheidung vermeiden, die sie in vielen Fällen aus erster Hand gesehen und erlebt hat.
„Für die heutigen jungen Erwachsenen, die erste Generation, die in der Zeit der Scheidungsrevolution heranwuchs, scheint das ungebundene Zusammenleben eine gute Möglichkeit zu sein, einige der Vorteile einer Ehe zu erleben, aber das Scheidungsrisiko zu vermeiden. Umfragen zufolge sagen die meisten jungen Leute, daß es eine gute Idee sei, mit einer Person vor der Ehe zusammenzuleben“ (ebenda).
Diese jungen Menschen sind überzeugt, daß zusammenlebende Paare, die irgendwann einmal heiraten, stärkere Ehen haben werden, weil sie zuerst zusammengelebt haben. Ein außereheliches Zusammenleben, so argumentieren sie, ermöglicht ihnen, sich besser kennenzulernen. Wenn eine Beziehung dann nicht funktioniert, kann sie ohne die Hindernisse eines Rechtsverfahrens oder religiöser Vorschriften aufgelöst werden. Dies steht im Gegensatz zu Leuten, die in die Ehe hineingehen, ohne zuvor zusammengelebt zu haben.
Die Befürworter nichtehelicher Beziehungen glauben, daß viele Scheidungen verhindert werden können, indem man eine Beziehung mit einer „Testphase“ des Zusammenlebens beginnt. Ein außereheliches Zusammenleben, behaupten sie, wird dem unverheirateten Mann oder der unverheirateten Frau die Gelegenheit geben, ausreichend zu experimentieren, damit er oder sie den idealen Partner finden kann, bevor man schließlich in dem Hafen der Ehe vor Anker geht.
Es haben aber nicht alle jungen Erwachsenen die gleichen Gründe für ein Zusammenleben. Einige leben zusammen, ohne je heiraten zu wollen. Andere leben kurz zusammen, bevor sie in den Hafen der Ehe gehen. Und wiederum andere sehen das Zusammenleben mit verschiedenen Partnern als eine Vorbereitung auf die Ehe mit irgend jemandem – irgendwann einmal.
Ein weiteres Argument ist, daß das außereheliche Zusammenleben wirtschaftliche Vorteile verschafft. Zum Thema Intimität halten junge Erwachsene die Möglichkeit des außerehelichen Zusammenlebens in der heutigen freizügigen Welt für fortschrittlicher und realistischer als die alten, erdrückenden, viktorianischen Ansichten.
Die feministische Bewegung mit ihrem Anliegen, die männliche Dominanz in der Familie umzukehren, ermutigt das außereheliche Zusammenleben statt die traditionellen Eherollen. Die moderne Auffassung, so wird argumentiert, erlaubt einer Frau mehr Kontrolle, mehr Freiheit und weniger Abhängigkeit vom Mann.
Leider fehlen Vorbilder guter Ehen. „Ich mache mir Sorgen um die Teenager“, sagt Popenoe und fügte hinzu: „Heutzutage kennen Teenager nicht einmal mehr jemanden, der glücklich verheiratet ist.“
Die Folgen
Trotz der stetig steigenden Zahl der Paare, die außerehelich zusammenleben, und trotz der vielen Gründe, mit denen das Zusammenleben gerechtfertigt wird, gibt es keinen Beweis, daß ein außereheliches Zusammenleben überhaupt einen positiven Beitrag zur Ehe leistet!
Tatsächlich wird das Gegenteil bewiesen: Außereheliches Zusammenleben ist in vielfacher Weise schädlich. Bei den Popenoe-Whitehead Untersuchungen stellte sich heraus:
• Ein Zusammenleben vor der Ehe erhöht das Risiko einer Scheidung. „1992 wurde eine Studie durchgeführt, die 3300 Fälle untersuchte, basierend auf einer im Jahre 1987 durchgeführten Befragung von Familien und Haushalten. Es wurde festgestellt, daß eine Eheauflösung bei Leuten, die vor der Ehe zusammengelebt haben, 46 Prozent häufiger vorkam als bei denen, die vorher nicht zusammengelebt hatten“ (Popenoe-Whitehead).
• Ein außereheliches Zusammenleben erhöht bei Frauen das Risiko der häuslichen Gewalt und bei Kindern das Risiko des physischen und sexuellen Mißbrauchs. „Eine Studie in Großbritannien fand heraus, daß Kinder, die bei ihren zusammenlebenden aber nicht verheirateten biologischen Eltern wohnen, 20mal eher dem Kindesmißbrauch ausgesetzt sind im Vergleich zu Kindern, die bei ihren verheirateten biologischen Eltern leben. Diejenigen, die mit einer Mutter und einem Freund zusammenleben, der nicht ihr eigener Vater ist, stehen einem 33mal so hohem Risiko gegenüber“ (ebenda).
• Menschen, die in einer außerehelichen Beziehung zusammenleben, die ohne eine Eheschließung beendet wird, werden mit großer Wahrscheinlichkeit wieder eine nicht erfolgreiche außereheliche Beziehung eingehen. Solche Menschen werden zu „Serienlebensabschnittsgefährten“. Wenn man sich schon einmal getrennt hat, ist es dann anscheinend leichter, die nächste Beziehung abzubrechen. Dies steht im Gegensatz zu der gewünschten Stabilität, die sich viele Menschen ausgerechnet durch eine außereheliche Beziehung versprechen.
• Ganze drei Viertel aller Kinder, die in einer außerehelichen Beziehung geboren wurden, werden die Trennung ihrer Eltern vor ihrem 16. Lebensjahr erleben. Nur ein Drittel aller Kinder, die in einer Ehe geboren wurden, werden das gleiche Schicksal erleben.
• Die Chancen, daß eine nicht verheiratete Mutter den Vater ihres gemeinsamen außerehelichen Kindes heiraten wird, stehen schlecht. Die neuesten Statistiken in den USA zeigen, daß dies nur in 44 Prozent aller solcher Fälle geschieht.
• Die wirtschaftlichen Verhältnisse in einer außerehelichen Beziehung sind oft ungeklärt, besonders für die Frau.
• Bei Partnern in einer außerehelichen Beziehung kommt es dreimal häufiger zu einer Depression als bei verheirateten Paaren. Allgemein sind unverheiratete Paare oft weniger glücklich und gesund als vergleichbare verheiratete Paare.
Zusammengefaßt führt eine außereheliche Beziehung allgemein genau zum Gegenteil dessen, was man von ihr behauptet. Statt die Vorteile einer Ehe ohne die für die Ehe typischen Probleme zu haben, hat man die Probleme einer Ehe ohne die Vorteile einer guten Ehe. Wenn sich eine außereheliche Beziehung überhaupt mit der Ehe vergleichen läßt, dann nur als „Ehe auf Sparflamme“. Sie verlangt ein geringeres Maß an Verpflichtung gegenüber dem Partner und fördert ein egoistisches Verhaltensmuster, wobei die Selbsterfüllung des einzelnen Partners oft bewußt in den Mittelpunkt gestellt wird. Ein außereheliches Zusammenleben setzt die Fehler der Scheidungsrevolution fort, statt diese zu beheben oder zu reduzieren. Wir erleben die Evolution von „Wegwerfbeziehungen“, ähnlich den in unserer Konsumgesellschaft so typischen Einwegverpackungen.
Keine Trendwende von der Religion zu erwarten
In früheren Jahren nannte man das Zusammenleben ohne Trauschein „in Sünde leben“. Die westliche Gesellschaft distanziert sich zunehmend von ihren religiösen Wurzeln. Viele junge Leute sehen das Heiraten vor dem Zusammenziehen lediglich als eine Wertvorstellung einer anderen, alternden Generation an – Werte, die aber für die gegenwärtige Generation nicht unbedingt gelten müssen. Es ist bequem für sie, ihre Beziehung nicht mehr mit einem Geistlichen entweder vor deren Gründung oder bei deren Auflösung besprechen zu müssen.
„All diesen Trends liegt eine breite kulturelle Verschiebung zugrunde, weg von einer religiöseren Gesellschaft, wo die Ehe als Grundstein einer Zivilisation erachtet wurde und die Menschen einen stark ausgeprägten Sinn für gesellschaftliche Anpassung und Tradition hatten. Wir bewegen uns hin zu einer materialistischen Gesellschaft, die sich auf die individuelle Autonomie und Selbstfindung konzentriert. Die Zurückweisung traditioneller, institutioneller und moralischer Autorität, die in unseren fortschrittlichen westlichen Gesellschaften sichtbar ist, macht oft die ,Entscheidungsfreiheit‘ zu ihrem Leitmotiv und die Akzeptanz des ,alternativen Lebensstils‘ zu ihrer Botschaft“ (ebenda).
Lange Zeit wurde die Autorität der Religion angeführt, um Frauen zu unterdrücken, obwohl die Bibel nichts derartiges lehrt. Die feministische Bewegung nutzte die verständlichen Reaktionen auf solche Übel aus und beeinflußte das Denken und Handeln religiös orientierter Menschen zu einer größeren Toleranz gegenüber dem außerehelichem Zusammenleben. Feministinnen sehen das außereheliche Zusammenleben als Vorteil für Frauen an. (Wie oben bereits erwähnt, zeigen Untersuchungen, daß genau das Gegenteil der Fall sein kann.)
Das Christentum sollte bei der Förderung ausgeglichener, biblisch begründeter Rollen für Ehemänner und -frauen die Führung übernehmen, um eine weitere Erosion der Ehe zu verhindern. Statt dessen beeilen sich einige Konfessionen zum populistischen Verhalten, indem sie sich solchen gesellschaftlichen Trends anpassen. Man hat sogar angefangen, „Verpflichtungszeremonien“ für außereheliche Beziehungen als Alternative zur „Trauungszeremonie“ anzubieten!
Diejenigen, die die Bibel lesen und ihren Aussagen glauben, sehen den Willen Gottes darin, daß Beziehungen zwischen alleinstehenden Männern und Frauen zu einer Ehe führen, ohne daß diese zuerst zusammengelebt haben. Lehren die meisten Kirchen, was Gott zu diesem kritischen Thema sagt, und weisen sie die Menschen konsequent auf das hin, was für sie am besten ist?
„[Wenige] Religionen verbieten eine außereheliche Beziehung oder versuchen sogar diese aktiv zu verhindern. Damit sind die religiösen Schranken wahrscheinlich sehr schwach ... [Da] außereheliche Beziehungen in Amerika immer mehr zunehmen, schwinden die volkstümlichen Unterscheidungen zwischen einem außerehelichem Zusammenleben und einer Ehe. Kurz gesagt: Die rechtlichen, gesellschaftlichen und religiösen Schranken gegenüber einer außerehelichen Beziehung sind schwach und werden wahrscheinlich noch schwächer werden. Wenn es nicht eine unerwartete Wende gibt, scheinen Amerika, die anderen angelsächsischen Länder und die Länder Nordeuropas in die Richtung Skandinaviens zu gehen“ (Popenoe-Whitehead).
Skandinavien, besonders Schweden und Dänemark, ist führend in der Zahl der außerehelich zusammenlebenden Paare – zusammen mit der niedrigsten Eherate und einer der höchsten Scheidungsraten.
Was bringt die Zukunft?
Popenoe und Whitehead gaben folgende Zukunftsprognose heraus: „Wir beobachten größere soziale und kulturelle Trends, die außereheliche Beziehungen für heutige junge Erwachsene attraktiv erscheinen lassen. Es ist unwahrscheinlich, daß außereheliche Beziehungen verschwinden werden.“
Das wird zu noch mehr Mißbrauch von Frauen und Kindern, noch mehr Depressionen, Unglück und noch mehr kaputten Beziehungen führen. Es ist daher vorauszusehen, daß eine neue Gesetzgebung für die Gesundheitsversorgung und die Regelung der finanziellen Interessen zusammenlebender Partner und für das Sorgerecht außerehelicher Kinder aus solchen Beziehungen notwendig sein wird.
Die Zeitschrift Gute Nachrichten kommentiert diese Situation wie folgt: Zusammenzuleben ohne verheiratet zu sein bedeutet nur ein weiteres Glied in der Kette zwischenmenschlicher Fehlentscheidungen, anstatt die Kette zu durchbrechen. Auch wenn das außereheliche Zusammenleben mit wohlklingenden Worten psychologischer Selbsterfüllung aufpoliert wird, widerspricht es dem offenbarten Willen Gottes für uns Menschen und ist daher Sünde. Wenn Menschen den Willen Gottes für zwischenmenschliche Beziehungen mißachten, bezahlen sie einen Preis, ihre Kinder bezahlen einen Preis und ihre ganze Nation bezahlt einen Preis – einen hohen Preis.
Ob ein Paar unverheiratet zusammenleben sollte oder nicht, kann nicht durch wirtschaftliche Faktoren, Bequemlichkeiten, persönliche Vorlieben oder gesellschaftliche Trends entschieden werden. Die Ehe ist eine göttliche Institution, verfügt von unserem Schöpfer. Er allein bestimmt die Regeln. Er weiß am besten, was funktioniert und was nicht. Die Menschen täten besser daran, sich an dem Willen ihres Schöpfers zu orientieren, anstatt nach eigenem Gutdünken zu experimentieren.
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